Nicht wenige frühneuzeitliche Selbstzeugnisse, insbesondere Tagebücher und Briefe, haben religiöse Gedanken, Gefühle und Formeln der Schreibenden zum Inhalt. Die Forschung ringt immer wieder mit der Frage, welche Verbindung das Schreiben über religiöse Gefühle mit der Person und ihrem sozialen Umfeld hat. Die Spannbreite reicht von Interpretationen, die von nachahmendem, einem Leittext folgenden Schreiben ausgehen, über solche, die die Wiedergabe von religiösen Floskeln als einen Bekenntnismodus verstehen, bis zu solchen, die religiöses Schreiben als performativen und kreativen Akt ansehen.
Der Workshop möchte kulturwissenschaftliche Subjekttheorien, die sich mit dem Schreiben auseinander gesetzt haben, wie etwa Michel Foucault, Alois Hahn oder Andreas Reckwitz, mit Ansätzen der Emotionsforschung verbinden. Damit kommen Perspektiven auf, die von einer Verbindung von Repräsentation und Erfahrung ausgehen. Zu untersuchen wäre, ob erst das Schreiben religiöses Gedankenmaterial ordnet und im Moment des Formulierens erfahrbar und kommunizierbar macht (William Reddy). Es wird mithin nach Momenten der affektiven Performanz im Schreiben und deren Bedeutung im jeweiligen sozialen Kontext gefragt. Monique Scheer etwa geht davon aus, dass Menschen Emotionen nicht haben, sondern durch ihr Handeln hervorbringen. Nicht im Sinne einer intentionalen Handlung, sondern im Sinne des doing der Performativitäts- und Praxistheorie.
Im Fokus sollen Schreibformen und Schreibanlässe stehen, die sich in den verschiedenen Religionskulturen Europas (Christentum, Judentum, Islam) sowie in kolonialen und missionarischen Kontexten entwickelten. Dazu gehören beispielsweise chronikale und spirituelle Tagebücher, wie auch solche, die auf See oder im missionarischen Feld verfasst wurden, aber auch religiöse Selbstverständigung und Kommunikation über Briefe.