Geschichte der historischen Wissenschaftsforschung im langen 20. Jahrhundert

Workshop: Geschichte der historischen Wissenschaftsforschung im langen 20. Jahrhundert

Veranstalter
Fabian Link, Volker Remmert, Marij van Strien
Veranstaltungsort
IZWT, Bergische Universität Wuppertal
PLZ
42119
Ort
Wuppertal
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.09.2021 - 03.09.2021
Deadline
31.01.2021
Von
Fabian Link, Historisches Seminar – Wissenschaftsgeschichte, Goethe-Universität Frankfurt

Geschichte der historischen Wissenschaftsforschung im langen 20. Jahrhundert

Fabian Link, Volker Remmert, Marij van Strien, Interdisziplinäres Zentrum für Wissenschafts- und Technikforschung (IZWT), Bergische Universität Wuppertal, 2.-3.9.2021.
Die moderne historische Wissenschaftsforschung hat sich im langen 20. Jahrhundert herausgebildet. Ziel des Workshops ist, die Geschichte der historischen Wissenschaftsforschung zu erforschen.

Workshop: History of Historical Science Studies in the Long 20th Century

Fabian Link, Volker Remmert, Marij van Strien, Interdisciplinary Center for Science and Technology Studies (IZWT), Bergische Universität Wuppertal, 2-3 September 2021.
The historical science studies gained their modern form during the long 20th century. The aim of this workshop is to explore the history of this scientific discipline.

Workshop: Geschichte der historischen Wissenschaftsforschung im langen 20. Jahrhundert

Wir verwenden den Begriff "historische Wissenschaftsforschung", um eine Abgrenzung zur traditionellen Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts anzuzeigen. Dabei möchten wir vier historische Phasen in den Blick nehmen:

1. Die 1920er und 1930er Jahre, als Autoren aus verschiedenen Bereichen wie Robert K. Merton, Ludwik Fleck, Boris Hessen, George Sarton, Gaston Bachelard, Alexandre Koyré, Edgar Zilsel oder Henryk Grossmann damit begannen, die epistemologischen, technischen, sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen der Entstehung wissenschaftlichen Wissens zu erforschen. Diese Entwicklung stand im Zusammenhang mit der durch Quantenphysik und Relativitätstheorie aufgekommenen und von Geistes- und Naturwissenschaftlern wie Fleck reflektierten "Krise der Wirklichkeit". Mit den neuen Erkenntnissen und Postulaten der theoretischen Physik einerseits, unter dem Eindruck menschlicher Erschütterungen und der technischen Zerstörungsgewalt des Ersten Weltkriegs andererseits wurden die Bedingungen des Entstehungsprozesses wissenschaftlichen Wissens neu gedacht.

2. Die zweite Phase setzte in Deutschland 1933 und in Österreich 1938 ein. Zahlreiche jüdische, politisch links stehende und liberal gesinnte oder den Nationalsozialisten anderweitig missliebige Wissenschaftsforscher verloren ihre Stellen und wurden in die Emigration gezwungen oder in Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt. Insbesondere auf transatlantischer Ebene ereigneten sich profunde Verschiebungen in der historischen Wissenschaftsforschung. Im frühen Kalten Krieg blieb die historische Wissenschaftsforschung in den Vereinigten Staaten und ihren westlichen Verbündeten weiterhin wichtig und wurde institutionell ausgebaut, weil wissenschaftliches Wissen im Wettkampf mit der Sowjetunion um die globale Vormachtstellung ein entscheidendes Element war. Wissen davon, welche Bedingungen erfüllt werden müssten, um besseres wissenschaftliches Wissen herzustellen, erwies sich hierfür als von zentraler Bedeutung.

3. Die Phase der 1960er und 1970er Jahre, die durch die Publikation von Thomas S. Kuhns "The Structure of Scientific Revolutions" 1962 eingeleitet wurde. Kuhn distanzierte sich von der Idee einer teleologischen Entwicklung wissenschaftlichen Wissens und setzte dagegen sein Konzept der sich einander ablösenden wissenschaftlichen Paradigmen. Imre Lakatos’ Studien aus den 1970er Jahren, in deren Zentrum das Theorem der "Forschungsprogramme" stand, wiesen in eine ähnliche Richtung wie Kuhn. Das ebenfalls in den 1970er Jahren entstandene und dann in den 1980er Jahren ausgebaute "Strong Programme" der Edingburgher Schule um David Bloor, Barry Barnes und anderen gewichtete dagegen das Soziale stärker als Kuhn und Lakatos. Das gemeinsame Charakteristikum dieser Ansätze ist, dass ihre Vertreter vom Primat der Theorie ausgingen, der für die Etablierung paradigmatischer Normalwissenschaft und die Entwicklung von Forschungsprogrammen ausschlaggebend gewesen sei. Der Wissenschaftstheoretiker Paul K. Feyerabend ist ebenfalls dieser Phase zuzuordnen, sticht jedoch heraus, weil seine anarchistische Wissenschaftstheorie den Fokus auf die Theorie gerade kritisierte.

4. Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre setzte die vierte und vorerst letzte Phase der Entwicklung der historischen Wissenschaftsforschung im langen 20. Jahrhundert ein, wobei Bruno Latours und Steve Woolgars "Laboratory Life" von 1979 am Anfang steht, weil es für die Entwicklung der "Science Studies" mit ihrem Programm von Science, Technology, Society (STS) von großer Bedeutung war. Unter Anwendung von Ethnomethodologie und mit praxeologischen, feministischen und postkolonialen Ansätzen distanzierten sich diese Wissenschaftsforscherinnen und Wissenschaftsforscher einerseits vom Primat der Theorie und konzentrierten sich auf die Praktiken der Wissenschaft, andererseits kritisierten sie schärfer als zuvor den eurozentrisch-westlichen Vernunftbegriff. In dieser Phase setzte auch die Konjunktur der Medienwissenschaften ein, die für die jüngere Wissensgeschichte von großer Bedeutung war.

Wir bevorzugen keine spezifischen historiografischen Zugänge zum Thema. Denkbar wären aber folgende Herangehensweisen:
-Biografische Sondierungen.
-Diskurse (u.a. Michel Foucault), Forschungsprogramme (Imre Lakatos), epistemische Figurationen (Norbert Elias), Denkkollektive und Denkstile (Ludwik Fleck), Paradigmen (Thomas S. Kuhn), bezogen etwa auf STS, das "Strong Programme" oder den "practical turn".
-Institutionen, etwa universitäre und außeruniversitäre Forschungsinstitute und Seminare, Akademieinstitute, Lehrstühle.

Der Workshop wird vom IZWT der Bergischen Universität Wuppertal organisiert. Für weitere Informationen setzen Sie sich bitte mit den Organisatoren in Verbindung. Entsprechend dem interdisziplinären Charakter des Workshops sind alle Vorschläge willkommen, die zur Thematik beitragen können, insbesondere von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern. Falls Sie an der Teilnahme interessiert sind, senden Sie bitte bis zum 31.1.2021 Titel und Abstract (max. 1 A4-Seite) einer ca. 30-minütigen Präsentation sowie einen kurzen Lebenslauf (max. 1 Seite) an Fabian Link: flink@uni-wuppertal.de. Die Übernachtungs- und Reisekosten übernimmt das IZWT.

Workshop: History of Historical Science Studies in the Long 20th Century

We use the term "modern historical science studies" to indicate a difference to the traditional history of science of the 19th century. We want to concentrate on four historical periods:

1. The 1920s and 1930s, when scientists and scholars such as Ludwik Fleck, Robert K. Merton, Boris Hessen, George Sarton, Gaston Bachelard, Alexandre Koyré, Edgar Zilsel or Henryk Grossmann started to investigate the epistemological, technical, social, political, and economic conditions for the production of scientific knowledge. On the one hand, this development was connected with the "crisis of reality" in the sciences and humanities addressed by Fleck, which emerged in the context of the development of quantum mechanics and of the theory of relativity. On the other hand, the experiences of total destruction in the course of World War I provoked a fundamental critical reinvestigation of the conditions for the emergence of scientific knowledge.

2. The second period started in Germany in 1933 and in Austria in 1938. Numerous Jewish, liberal, and leftist scholars in historical science studies lost their jobs, emigrated to other countries, or were incarcerated in concentration camps by the Nazis. The result of this development was a profound shift of the centers of historical science studies from Europe to, first and foremost, the United States. In the early Cold War, historical science studies remained important for the US and its Western allies because politicians considered scientific knowledge to be crucial for the race for world dominance with the Soviet Union. For Western science policy, it was central to gain historical knowledge about the conditions under which scientific research could be optimized.

3. The period from the early 1960s to the late 1970s started with the publication of Thomas S. Kuhn’s "The Structure of Scientific Revolutions" in 1962. In this crucial book, Kuhn denied a teleological development of science and scientific knowledge and introduced his concept of scientific paradigms, which succeed each other. Imre Lakatos’ theory of "research programs," developed in the 1970s, led in a similar direction as Kuhn’s approach. The same counts for the "strong programme" of the Edinburgh school around David Bloor, Barry Barnes and others, which became prominent in the 1980s, with the exception that Bloor and his fellows attributed a more central role to the social conditions of scientific research than Kuhn and Lakatos. All these approaches were distinctive in their focus on theory, which was thought to inform paradigms and research programs. Philosopher of science Paul K. Feyerabend was an exception in this context because he criticized this concentration on theory and preferred a perspective that focused instead on the multiplicity of methods.

4. The most recent period in the development of historical science studies began in the late 1970s and early 1980s. This period started with the publication of Bruno Latour’s and Steve Woolgar’s "Laboratory Life" in 1979, which proved to be crucial for the development of study programs such as Science, Technology and Society (STS). These younger scholars applied ethnomethodology and approaches such as praxeology, feminist epistemology, and postcolonial perspectives, on the one hand to distance themselves from the focus on theory and on the other hand to criticize the Eurocentric-Western concept of reason. In this period, communication and media studies gained relevance, which was important for the development of history of knowledge.

We do not prefer any specific historiographical approaches to investigate this topic, but instead want to suggest the following perspectives that might be fruitful:
-Biographical explorations.
-Discourses (Michel Foucault), research programs (Imre Lakatos), epistemic figurations (Norbert Elias), collectives and styles of thought (Ludwik Fleck), paradigms (Thomas S. Kuhn), concerning for example STS, the "strong programme," or the "practical turn."
-Institutions, such as universities and non-university research institutes, chairs and faculties.

The workshop will take place at the IZWT at Bergische Universität Wuppertal. For further information please contact the organizers of the workshop. Contributions from junior researchers are particularly welcome. Please send a title and an abstract (max. 1 page) for the proposed 30 minute-contribution as well as a short curriculum vitae to Fabian Link: flink@uni-wuppertal.de. The deadline is 31 January 2021. Accommodations and travel costs will be financed by the IZWT.

Kontakt

flink@uni-wuppertal.de

https://www.izwt.uni-wuppertal.de/de/home.html
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