Im Alten Ägypten war Religion mit Kultur identisch. Religion war allumfassend und am besten mit dem ägyptischen Begriff „Ma‘at“ wiederzugeben, der Kult, Recht und kosmische Ordnung umfasste. Für die Organisation der Religion war der Staat zuständig, dessen vornehmste Aufgabe die Einrichtung einer „Hierosphäre“ war, in der die Mächte personale Strukturen gewannen und kultischer Kommunikation zugänglich gemacht wurden.
Mit Israel, genauer der Bundestheologie des 6. Jahrhunderts vor Christus, entsteht eine ganz neue Form von Religion, die zwischen Religion und Kultur unterscheidet und die Kultur der Religion unterstellt. Diese neue Religionsform emanzipiert sich vom Staat, indem sie die Hierosphäre in sich hineinnimmt. Die Heilige Schrift der Tora kodifiziert die am Sinai geoffenbarten Gesetze des Rechts, der Moral und des Kults, so dass die Religion notfalls – in der Diaspora – auch ohne Staat auskommt. Diese Religion unterscheidet zwischen Gott und Welt und führt den Begriff des Glaubens ein, der den Abstand zwischen Transzendenz und Immanenz überwindet.
Das Christentum führt das „Zeitalter des Glaubens“ herauf, indem es die neue Religion allen Völkern zugänglich macht und durch seine rasche Ausbreitung die Alte Welt revolutioniert. Der Glaube an Christus hat den Begriff des Glaubens, der im jüdischen Rahmen so viel wie „Bundestreue“ bedeutete, enorm verschärft. Im christianisierten Abendland bilden sich neue Wechselbeziehungen und Spannungsverhältnisse zwischen Religion und Staat sowie Religion und Kultur heraus. Vor allem entsteht jetzt aus dem Kult, am deutlichsten in der Musik, eine neue, einzigartige Form von Kunst, die das „Zeitalter der Kunst“ (Hans Belting) heraufführte und das früh und spätneuzeitliche Europa prägte.