Die Anhänger:innen von Identitätspolitik fordern mehr Gerechtigkeit und erwarten von der Gesellschaft, dass sie die Rechte der sozialen Minderheiten garantiert. Für sie fordern sie Anerkennung und Gleichberechtigung. Die Gegner:innen der Identitätspolitik meinen hingegen, dass die Einteilung der Gesellschaft in Menschengruppen nach Merkmalen wie Sexualität, Geschlecht, Hautfarbe, Ethnie und Herkunft und der Ruf nach ihrer Beachtung nicht primär der Gleichberechtigung, sondern der Bevorzugung dieser Gruppen diene. Kränkungsgefühle würden bewusst instrumentalisiert und als Legitimation von Privilegien eingesetzt. Was allerdings ist hiererlebte Herabsetzung, was Inszenierung und politisches Kalkül?
Wolfgang Thierse schlägt als Ausweg aus den sich eigendynamisch verstärkenden Konflikten der Identitätspolitik die Rationalisierung emotionaler Betroffenheitsrhetorik vor, den Bezug auf Werte und Argumente, auf die sich zu verständigen möglich sein muss. Dieser der europäischen Aufklärung verpflichtete Ansatz wirkt auf viele gewiss sympathisch. Doch er berücksichtigt zu wenig, dass gerade der „Westen“ und seine Werte in der Identitätsdebatte hochumstritten sind. Für viele ist die westliche Dominanzkultur, die mit dem „weißen Mann“ symbolisiert wird, Teil des Problems. Über diese Spannungsfelder rund um die Frage danach, wie viel Identitätspolitik unsere Gesellschaft braucht, diskutieren:
Wolfgang Thierse: Bundestagspräsident a. D.
Andrea Geier: Literaturwissenschaftlerin
Mithu M. Sanyal: Journalistin und Buchautorin
Detlef Pollack: Soziologe
Mouhanad Khorchide: Muslimischer Theologe
Moderator: Meinhard Schmidt-Degenhard