Die Begriffe und Kategorisierungen als ›Cancel-Culture‹, ›Political Correctness‹, ›Call-Out-Culture‹ und ›Zensur‹ bestimmen die Kulturdebatten der Jahre 2020/2021. Das zeigen beispielsweise die Auseinandersetzungen über Forschungs- und Meinungsfreiheit wie auch die Diskussionen über Erinnerungsorte, Denkmalstürze und museale Ausstellungspraktiken. Als im vergangenen Jahr im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA, England und Belgien Statuen von Generälen der Konföderation und Menschenhändlern angegriffen wurden, sahen sich die Protestierenden mit dem Vorwurf der Zensur, des Moralismus und des Bilderverbots konfrontiert. Ähnliche Schlagworte kursierten 2018, nachdem #MeToo eine kritische Neubewertung von öffentlich ausgestellten Kunstwerken ausgelöst hatte und weltweit mehrere Ausstellungen geschlossen oder verschoben und einzelne Exponate abgehangen wurden.
Das Ziel der Konferenz ist es, einen Beitrag zum Verständnis und zur Historisierung von Zensurdebatten, ihren Entstehungskontexten, ihrer Verbreitung, den beteiligten Akteur:innen wie auch den mit den Zensurdebatten verbundenen Argumentations- und Wahrnehmungsmustern zu leisten. In diesem Sinne wünschen wir uns Beiträge, die sich Zensur aus diskurs-, konflikt-, mediengeschichtlicher und/oder theoretischer Perspektive widmen.
Zensur – Der Begriff der Zensur ist nicht eindeutig besetzt und bestimmt. Nach engerem Verständnis beschreibt er nur die strukturelle und staatlich definierte Form der Informationskontrolle. In den oben beschriebenen Prozessen wird Zensur jedoch viel weiter gefasst und als diskursives Instrument in öffentlichen Debatten verstanden, mit dem Formen der gesellschaftlichen Aushandlungen (z.B. Regulierung, Moderation, Grenzverschiebung, Verdrängung) im Umgang mit kulturellem Erbe der Kritik unterzogen werden. Wir öffnen den Call sowohl für Untersuchungen, die sich strukturellen Zensurpraktiken widmen als auch für solche, die Zensurdebatten in den Blick nehmen – jedoch stets mit dem Fokus auf deren diskursive Einbettung und Kontextualisierung.
Identität und Erbe – Erbeprozesse sind Aushandlungsprozesse, denn der Umgang mit und die Deutung von einem kollektiv geteilten Erbe wird permanent ›erstritten‹. Dabei kommt es zu Auslassungen, Umschriften oder Hinzufügungen, die nicht nur ein Erbeobjekt, sondern auch seine soziale Konstruktion ausmachen. Dissens und Konflikt sind konstituierende Elemente in dieser Aushandlung von materiellen und/oder ideellen Erbe- und Identitätskonstruktionen. Zensur als Perspektive auf Erbkonstruktionen bietet damit einerseits die Möglichkeit auf das zu schauen, was positiv als Erbe oder Identität etabliert wird. Andererseits richtet diese Perspektive ihren Fokus auch auf das, was als negativ, als unerwünscht gilt, was unterdrückt, ausgeschlossen, abgelehnt oder verhindert wird. Dies kann sich sowohl auf bestimmte Narrative, materielle und immaterielle Erbeformationen, aber auch auf Akteur:innen(-gruppen) beziehen.
Call – Die 5.Jahrestagung »Censored?« des DFG-Graduiertenkollegs »Identität und Erbe« widmet sich den hier beschriebenen Aushandlungsprozessen. Im Call for Papers wird nach Einreichungen für folgende Sektionen gefragt:
I. Identität und Erbe: Zensurdebatten als konstituierendes Element
Welche Rolle spielen Zensurdiskurse bei der sozialen Konstruktion von Identität und Erbe? In welchen Prozessen ist Zensur ein Topos bzw. konstituierendes Element von Identitätskonstruktionen?
II. Diskurs und Differenzierung: Langzeitperspektive auf den Begriff Zensur
Wie kann der Begriff der Zensur in Erbedebatten historisch und diskursiv beschrieben werden? Welche Konzeptionen und Legitimationen von Zensurpraktiken lassen sich aus den historischen und aktuellen Praktiken erschließen?
III. Deutungsmacht und Dissens: Konflikthafte Erbekonstruktionen
Wie sehen Prozesse der Erbekonstruktion aus, wenn sie nicht in politisch, institutionell und sozial geregelten Bahnen, sondern konflikthaft verlaufen und damit durch Ausschlüsse und Ausgrenzungen gekennzeichnet sind? Wie werden solche Konflikte um Vergangenheit und Zukunft ausgetragen?
IV. Verortung und Bewahrung: Institutionelle Praktiken
Welche Verantwortung tragen Archive, Denkmalschutzinstitutionen und Museen bei der Aufbewahrung und Herstellung von Erbe? Wie gehen diese Institutionen mit schwierigem/zensierten Erbe um?
V. Öffentlichkeit und Wissenschaft in Zeiten des Denkmalsturzes
Wie steht es um den Zensurbegriff in Wissenschaft und öffentlichen Kulturinstitutionen aktuell?
Wir bitten um Beiträge, die sich mit den dargelegten Fragen und Thesen kritisch auseinandersetzen. Wir streben einen aktiven Austausch unter den Teilnehmenden an und freuen uns über Einreichungen aus unterschiedlichen Forschungszugängen und -disziplinen. Die Beiträge sollen eine Redezeit von 20 Minuten nicht überschreiten. Abstracts (300 Wörter) und CV werden bis zum 15.06.2021 per E-Mail erbeten an:
cfp@identitaet-und-erbe.org
Über die Aufnahme in das Tagungsprogramm werden die Referent:innen Ende Juni 2021 informiert. Es ist geplant, die Beiträge in der Schriftenreihe des Graduiertenkollegs zu veröffentlichen. Die eingereichten Vorschläge dürfen daher noch nicht anderweitig veröffentlicht worden sein und müssen einen originellen Beitrag zum Thema des Calls aufzeigen. Die Deadline für die Abgabe der Vortragsmanuskripte ist der 10.11.2021.
Die Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Reisekostenzuschüsse können begrenzt gewährt werden. Den Call for Paper als PDF und weitere Informationen zum Graduiertenkolleg finden Sie unter:
https://www.identitaet-und-erbe.org/cfp-censored/