Reminder: Tourism and Reconciliation in Europe / Tourismus und Aussöhnung in Europa

Tourismus und Aussöhnung in Europa

Veranstalter
Jan-Hinnerk Antons, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg; David Feest, Nordost-Institut Lüneburg
Veranstaltungsort
Nordost-Institut Lüneburg
PLZ
21335
Ort
Lüneburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.03.2022 - 26.03.2022
Deadline
01.10.2021
Von
Jan-Hinnerk Antons, Osteuropäische Geschiche, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg

Vor dem Hintergrund langlebiger nationaler Antagonismen und Feindbilder zweier Weltkriege soll im Rahmen des Workshops nach einer alltagsgeschichtlichen Perspektive europäischer Aussöhnung gefragt werden. Inwiefern trug Tourismus zum Abbau von Feindbildern bei und inwiefern wurden touristische Kontakte vom Fortbestehenden eben dieser Feindbilder erschwert? Welchen Beitrag leistete der internationale Tourismus zur Aussöhnung und wo stand ihm die frühere Kriegsgegnerschaft im Wege?

Tourismus und Aussöhnung in Europa

Im 20. Jahrhundert standen sich Europäer:innen in zwei Weltkriegen in tödlicher Feindschaft gegenüber, die von der Idee eines Gegensatzes nationaler Gemeinschaften inspiriert war. Die Nachwirkungen dieser Feindschaft lassen sich nicht allein an der Zahl der Toten und Versehrten bemessen, auch die Obdachlosen, die Traumatisierten, diejenigen, die den Verlust geliebter Menschen hinnehmen mussten und jene, deren Lebensplanung abrupt umgestürzt wurde, hatten starke individuelle Motive, den Kriegsgegner:innen weiterhin feindlich gegenüberzustehen. Die kollektive Erinnerungs- und Identitätsbildung verallgemeinerte diese Feindbilder in nationalen Narrativen von großer Persistenz.

Andererseits gab es beispielsweise im deutsch-französischen Verhältnis auf individuellen Initiativen beruhende Aussöhnungsansätze, die sich untern anderem in zahlreichen Städtepartnerschaften niederschlugen. Und die Verschlechterung der Beziehungen zur Sowjetunion sorgte dafür, dass auch auf einer staatlichen Ebene nach neuen Bündnissen gesucht wurde. Angesicht des neuen gemeinsamen Feindes in Osteuropa betrieben die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und vieler westeuropäischer Staaten, die dem nationalsozialistischen Angriffskrieg zum Opfer gefallen waren, bald eine Aussöhnungspolitik, die sich in Verträgen und Versöhnungsgesten niederschlug. Gleichzeitig gab es aber auch Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland, sich mit den Staaten jenseits des „Eisernen Vorhanges", die am schlimmsten unter der nationalsozialistischen Besatzungspolitik zu leiden gehabt hatten, wieder auszusöhnen. Doch Feindbilder im kollektiven Gedächtnis sind zäh und an direkten Begegnungen im Rahmen von Freundschaftsinitiativen nahm nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Bevölkerungen teil.

Wie konnte also Aussöhnung unterhalb der offiziellen Ebene von Staatsakten gelingen, wie kamen die Menschen ehemals verfeindeter Staaten in einen friedlichen, wohlwollenden Kontakt miteinander? Die wohl wichtigste Ebene bildet hierbei der internationale Tourismus, der ab den 1950er Jahren durch die Mobilitätsrevolution, steigenden Lebensstandard und die Kodifizierung von Ansprüchen auf Erholungsurlaub einen Durchbruch erlebte. Millionen von Menschen bereisten zunächst überwiegend mit dem Automobil die europäischen Nachbarländer und ab den 1970er Jahren per Flugzeug auch weiter entfernte Staaten.

Der westdeutsche Auslandtourismus richtete sich, so eine Hypothese, nicht zufällig zunächst verstärkt nach Österreich, dann nach Italien und schließlich auch ins franquistische Spanien. Alle drei waren nicht von der Wehrmacht überfallen worden, sondern zunächst faschistische Verbündete - im Gegensatz zu Frankreich, den Beneluxländern und Dänemark, wo deutsche Tourist:innen noch lange mit Ablehnung rechnen mussten. Das Auswärtige Amt sah sich genötigt, deutsche Urlauber:innen zu warnen, bei Frankreichbesuchen keine Erinnerungsfotos an ehemaligen Stationierungsorten zu schießen und sich mit Kriegserinnerungen nicht öffentlich zu äußern. Andersherum mieden dänische Tourist:innen zunächst ihr ehemals beliebtestes Auslandsziel und beherbergten auch im eigenen Land lieber norwegische und schwedische Feriengäste als deutsche.

In Osteuropa trafen Tourist:innen meist im Rahmen von Konzepten „verordneter Freundschaft“ auf Bürger:innen der „Bruderstaaten“. Der antifaschistische Grundkonsens der regierenden Kommunistischen Parteien sollte die realen Konfliktlinien des Zweiten Weltkrieges einebnen. Nicht nur die erst wenige Jahre zurückliegende Beteiligung von späteren Bürger:innen der DDR am rassistischen Vernichtungskrieg in ganz Osteuropa, auch die blutigen Konflikte zwischen Ukrainer:innen und Pol:innen, die Besetzung der unabhängigen Staaten Litauen, Lettland und Estland durch die Sowjetunion, Umsiedlungen und Grenzverschiebungen sollten dadurch verdeckt werden. Ließen sich ehemalige Feindbilder und individuelle Erinnerungen tatsächlich so einfach durch kollektive Identitätsentwürfe von oben überschreiben?

Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen des Workshops nach einer alltagsgeschichtlichen Perspektive europäischer Aussöhnung gefragt werden. Inwiefern trugen durch Tourismus entstandene persönliche Kontakte zum Abbau von Feindbildern bei und inwiefern wurden touristische Kontakte vom Fortbestehenden eben dieser Feindbilder erschwert? Welchen Beitrag leistete der internationale Tourismus zur Aussöhnung und wo stand die frühere Kriegsgegnerschaft dem Tourismus im Wege?

Willkommen sind Beiträge zu allen europäischen Ländern und Regionen, von qualitativen Fallstudien bis zu quantitativen Analysen der Tourismuskontakte, die diesen Fragenkomplex berühren. Über die klassischen Tourismusformen wie Pauschalreise, Individualreise, Camping etc. sind viele weitere Themenfelder denkbar:

- Schüleraustausch und Klassenfahrten
- Städtepartnerschaften
- Ausländische Fans bei internationalen Sportereignisse
- Internationaler Amateursport
- „Heimwehtourismus“ / heritage tourim
- Kreuzfahrten
- Pilgerorte
- Battlefield tourism
- „Kleiner Grenzverkehr“
- Musikfestivals
- Tourismusabkommen
- etc.

Der Workshop findet vom 24.3.2022 – 26.3.2022 in Lüneburg als Kooperation des Lehrstuhls für Osteuropäische Geschichte an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg mit dem Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nord-Ost Europa e.V. statt.

Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Kosten für Anreise und Übernachtung tragen die Veranstalter. In Erwägung des Beitrags von Flugreisen zur Klimakatastrophe und in Abwägung gegen den wirklich schmerzhaften Verlust an Gemeinschaft haben wir uns allerdings dazu entschlossen, keine Kosten für Flüge zu erstatten und Teilnehmer:innen mit sehr weiten Anreisewegen lieber mit bewährten Videokonferenztools einzubeziehen.

Bitte senden Sie ein abstract Ihres geplanten Beitrages (maximal 300 Wörter) bis zum 01.10.2021 an David Feest (d.feest@ikgn.de) oder Jan-Hinnerk Antons (antonsj@hsu-hh.de). Eine Auswahl der Beiträge erfolgt dann bis zum 15.10.2021.

Um die Diskussion zu vertiefen und die Herausgabe eines Sammelbandes zu faziliieren, möchten wir die Paper präzirkulieren. Wir bitten daher alle zum Workshop angenommene Teilnehmer:innen, Texte im Umfang von maximal 20 Seiten bis zum 01.03.2022 einzusenden. Die Deadline für die fertigen Aufsätze wäre dann im Herbst 2022.

Tourism and Reconciliation in Europe

During the 20th century, Europeans fought each other in two World Wars which originated in the idea of deadly hostility between national communities. Long-term consequences of these antagonisms cannot be measured simply in the sheer numbers of the deceased and injured. All those who became homeless or traumatised, who lost loved ones or found their dreams shattered had strong motives to keep hating the wartime enemies. Collective patterns of identity and memory formation generalized these images into national narratives of great persistence.

On the other hand, in the Franco-German relationship individual initiatives created reconciliation approaches which resulted, for example, in numerous town twinning arrangements. Moreover, in the face of a new common enemy that arose in Eastern Europe as the relations with the Soviet Union deteriorated, governments sought new alliances as well. The Federal Republic of Germany and many Western European states that had fallen victim to Nazi aggression soon pursued a policy of reconciliation by public gestures and treaties. A little later, the Federal Republic of Germany also made attempts to reconcile with the states on the other side of the "Iron Curtain", which had suffered the most under Nazi occupation.

But in collective memories concepts of an enemy are rather persistent, and only a vanishingly small percentage of the populations participated in direct encounters within the framework of friendship initiatives. So how could reconciliation work below the government level? How could citizens of formerly antagonistic nation-states meet each other in a peaceful and benevolent fashion? The most important sphere of contact seems to be international tourism which grew dramatically from the 1950s due to new mobilities, a rising standard of living, and the codification of holiday entitlements throughout Europe. Millions of holidaymakers visited neighbouring countries and from the 1970s on even more distant destinations became reachable by airplane.

According to a rather convincing hypothesis, it was no coincidence that after the war West-German outgoing tourism primarily addressed Austria, Italy and a little later Franco’s Spain. They all had been fascist allies of Germany – in contrast to France, Belgium, the Netherlands and Denmark, where German tourists often met with refusal. The Foreign Office of the FRG explicitly warned them not to speak about their personal memories of the occupation in public. Inversely, Danish tourists avoided their formerly favourite foreign destination in the post-war period.
In socialist Eastern Europe tourists got in touch with citizens of “brother-countries” in the framework of mandatory friendship. The ruling Communist Parties expected their antifascist consensus to level the actual conflict lines of World War II. It was supposed to conceal not only the participation of later citizens of the GDR in the racist war of extermination throughout Eastern Europe, which had taken place only a few years earlier, but also the bloody conflicts between Ukrainians and Poles, the occupation of the independent states of Lithuania, Latvia and Estonia by the Soviet Union, as well as population resettlements and border shifts. Was it really possible to superimpose national antagonisms and individual memories so easily by designing collective identity from above?

Against this background we aim to ask about the Alltagsgeschichte of European reconciliation. To what extent did tourist experiences contribute to the reduction of hostile attitudes towards former war enemies and to what extend were tourist experiences hampered by the persistence of these hostile attitudes? What contribution did international tourism make to reconciliation in post-war Europe and where did persisting wartime antagonisms stand in its way?

We welcome contributions on all European countries and regions, from qualitative case studies to quantitative analyses of tourism contacts that touch on this complex of questions. Beyond the conventional forms of tourism such as package tours, individual travel, camping, etc., many other topics are conceivable:
- Student exchanges and school trips
- Battlefield Tourism
- Foreign fans at international sports events
- Bilateral tourism agreements
- Heritage Tourism
- International Cruises
- Pilgrimage
- International amateur sports
- Local border traffic
- Music festivals
- Town twinning
- Etc.

The workshop will take place from 24.3.2022 - 26.3.2022 in Lüneburg as a cooperation of the Chair of Eastern European History at Helmut Schmidt University Hamburg with The Institute for the Culture and History of the Germans in North-Eastern Europe (IKGN). Conference languages are German and English. The organizers will reimburse travel expenses and provide accommodation. However, considering the contribution of air travel to the climate catastrophe and balancing it against the truly painful loss of community, we decided not to reimburse costs for flights. Instead we invite participants with very long travel distances to join us via established video conferencing tools.

Please send an abstract of up to 300 words and a brief biographical note (including institutional affiliation) to David Feest (d.feest@ikgn.de) or Jan-Hinnerk Antons (antonsj@hsu-hh.de) by 01 October 2021. Delegates will be notified by 15 October.

In order to deepen the discussion and to facilitate the publication of an anthology, we would like to pre-circulate the papers. We therefore ask all accepted participants to send in texts of no more than 20 pages by 01 March 2022. The deadline for the revised essays will be at some point in autumn 2022.
For any questions please contact Jan-Hinnerk Antons (antonsj@hsu-hh.de).

Kontakt

Bei Rückfragen wenden Sie sich gerne an:
Jan-Hinnerk Antons
E-Mail: antonsj@hsu-hh.de

https://www.hsu-hh.de/hisost/call-for-paperstourismus-und-aussoehnung-in-europa/
Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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