Arbeitersiedlungen in Europa im 19. Jahrhundert

Veranstalter
Markus Krzoska, Justus-Liebig-Universität Gießen, Osteurop. Geschichte
PLZ
35392
Ort
Gießen
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.06.2021 -
Deadline
03.07.2021
Von
Markus Krzoska, Historisches Institut/ Osteuropäische Geschichte, Justus-Liebig-Universität Gießen

Es soll versucht werden, im Rahmen eines Themenhefts einer Zeitschrift nach einer methodischen Einleitung Fallstudien aus 6 Ländern zu entwickeln, die dabei helfen werden, den überregionalen Aspekt bei der Errichtung von Arbeitersiedlungen weiterzuentwickeln. Dabei wird es um die Absichten der Planer/Entwickler, ihre konkrete Umsetzung in die Praxis, die Rezeption und den Lebensalltag in den Siedlungen gehen.

Arbeitersiedlungen in Europa im 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert war, zumindest aus einer europäischen Perspektive heraus betrachtet, ein Zeitalter des Umbruchs, der Beschleunigung und der Vervielfältigung gesellschaftlicher Prozesse. Die zunehmende Ökonomisierung des privaten wie des öffentlichen Lebens hatte unmittelbare Auswirkungen auf fast alle in Europa lebenden Menschen. Die in einigen Regionen rasch voranschreitende Industrialisierung, die damit verbundenen großangelegten Migrationsprozesse, die rasante Zunahme vor allem der städtischen Bevölkerung sowie das Aufbrechen überkommener sozialer Strukturen verband sich mit Elementen der Sinnsuche jedes Einzelnen ebenso wie mit Neuausrichtungen gesellschaftlicher Akteure.
Die sich in industriellen Zentren, aber auch an aufstrebenden Standorten in der Peripherie, immer deutlicher abzeichnenden erschwerten Lebensbedingungen und die hygienisch und städtebaulich katastrophalen Wohnbedingungen gerade in den industriellen Zentren riefen – mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung – verschiedene Akteure auf den Plan. Ihre Motivationen zur Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse entsprangen höchst unterschiedlichen Vorstellungen. Auf der einen Seite standen christliche und humanistisch-aufklärerische Ideen, die vom Elend der betroffenen Menschen ausgingen und deren Lebensumstände humaner gestalten wollten. Zugleich bestand auch für Unternehmer, die auf einen zuverlässigen Kern von Arbeitern angewiesen waren, ein Interesse, diese durch Werkswohnungen oder Arbeitersiedlungen an das Unternehmen zu binden. Drittens führte die wachsende Angst vor sozialen Unruhen, Aufständen oder gar Revolutionen zu Maßnahmen, die letztlich das Ziel einer besseren Kontrolle der Bevölkerung in den Vordergrund stellten.
In der Regel waren diese drei Aspekte aber eng miteinander verflochten. Dies zeigt sich auch deutlich, wenn man einen Blick auf die beteiligten Akteure wirft. Bei den sozialpolitischen Maßnahmen von imperialen, nationalen und lokalen Staatsrepräsentanten, von Industriellen, Handwerkern und anderen Berufsgruppenvertretern sowie von Angehörigen der Geistlichkeit lassen sich meist unterschiedliche Motivlagen finden.
Die konkreten Versuche zur Linderung der Not und der Kontrolle von Arbeitern waren vielfältig und im europäischen Rahmen zumeist ähnlich. Im vorgeschlagenen Themenheft soll es aber um einen speziellen Bereich gehen, der im lokalen Kontext teilweise zwar recht gut untersucht ist, wo aber vergleichende Studien, die sich auf West-, Mittel- und Osteuropa beziehen, weitgehend fehlen. Dabei handelt es sich um die an vielen Orten errichteten Arbeitersiedlungen mit ihrer zumindest am Anfang überregionalen Strahlkraft auf vergleichbare Projekte anderswo. Wie verlief die europaweite Diffusion solcher Arbeitersiedlungen, inwieweit spielten staatliche, sozialpolitische und gesundheitspolitische Rahmenbedingungen eine Rolle? Gibt es Unterschiede zwischen einzelnen Branchen (etwa Schwerindustrie und Textilindustrie)? Welche Rolle spielte das Element der Kontrolle und Disziplinierung in der Realisierung der Projekte und im Leben der Arbeitersiedlungen?
Die vorliegenden verdienstvollen Untersuchungen, deren Hochzeit in den 1980er und 1990er Jahren lag, sind häufig bei sozialhistorischen Betrachtungen stehengeblieben und haben das sich damals erst herausbildende kulturwissenschaftliche Instrumentarium kaum berücksichtigt. Eine Ausnahme stellt hier die ausnehmend intensive Beschäftigung mit architektonischen Aspekten dar.
Es soll nun versucht werden, im Rahmen eines Themenhefts einer Zeitschrift nach einer methodischen Einleitung Fallstudien aus 6 Ländern zu entwickeln, die dabei helfen werden, den überregionalen Aspekt bei der Errichtung von Arbeitersiedlungen weiterzuentwickeln. Dabei wird es um die Absichten der Planer/Entwickler, ihre konkrete Umsetzung in die Praxis, die Rezeption und den Lebensalltag in den Siedlungen gehen. Bereits eingeplant sind Beispiele aus Belgien (Verviers), Oberschlesien (Kattowitz-Gieschewald) und dem Russländischen Reich (Lodz). Wir suchen nun noch Beiträge aus aktuellen Forschungen zu anderen Kontexten, die sich mit den genannten Fragestellungen befassen, etwa aus anderen Teilen Deutschlands, Großbritannien, Österreich-Ungarn, Frankreich, Italien, Spanien oder Skandinavien. Dabei sollte es nicht um architektur- oder kunstgeschichtliche Aspekte gehen.
Eine Veröffentlichung in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 wird angestrebt.
Um geeignete Vorschläge mit kurzem Abstract (1.500 Zeichen) in deutscher oder englischer Sprache bis zum 3.7.2021 wird gebeten.

https://www.uni-giessen.de/fbz/fb04/institute/geschichte/osteuropa/karteikartenseiten/copy_of_personen/krzoska-markus