Rape and Revenge. Rache-Kulturen und sexualisierte Gewalt in intermedialer Perspektive

Rape and Revenge. Rache-Kulturen und sexualisierte Gewalt in intermedialer Perspektive

Organizer
PD Dr. Christine Künzel und Manuel Bolz
ZIP
20144
Location
Hamburg
Country
Germany
From - Until
13.07.2021 -
Deadline
31.08.2021
By
Christine Künzel, Institut für Germanistik, Universität Hamburg

Rape and Revenge. Rache-Kulturen und sexualisierte Gewalt in intermedialer Perspektive

Forschungen zu sexualisierter Gewalt sowie zu geschlechtsspezifischen Diskriminierungserfahrungen sind seit der #MeToo-Debatte verstärkt in das öffentliche Interesse gerückt. Wir möchten in einem interdisziplinären Workshop an diese Diskussionen anknüpfen und sie um einen Aspekt ergänzen, und zwar um das Phänomen „Rape and Revenge“.

Rape and Revenge. Revenge Cultures and Sexualized Violence in Intermedial Perspective

Research on sexualized violence as well as gendered experiences of discrimination have increasingly gained significance since the #MeToo debate. We would like to follow up on these discussions within an interdisciplinary workshop and add one aspect to them, namely the phenomenon of "Rape and Revenge".

Rape and Revenge. Rache-Kulturen und sexualisierte Gewalt in intermedialer Perspektive

Interdisziplinärer Workshop vom 10. bis 12. März 2022 in Hamburg

Die aus den feministischen Filmwissenschaften stammende Formel „Rape and Revenge“ (deutsch: „Vergewaltigung und Rache“) versucht verschiedene faktische und fiktionale Ereignisse fassbar und analysierbar zu machen: Zum einen bezeichnet sie Formen der Selbstjustiz, eine spezifische soziale Handlung, in denen Opfer sexualisierter Gewalt Rache an ihren:seinen Vergewaltiger:innen ausüben oder aber sich Partner:innen, Familienmitglieder oder Freund:innen (stellvertretend) an den Vergewaltiger:innen rächen.

In diesen Rachezyklen geht es meist um eine symmetrische Vergeltung auf der Basis eines reziproken Äquivalenzprinzips. Das Konzept der Rache kann aber auch als Ausdruck der Kritik an einer unbefriedigenden Sanktionierungspraxis in geltenden Rechtsystemen dienen (Stichwort: Rape Culture). Zugleich lässt sich in imaginierten Racheszenarien auch eine Coping-Strategie im Umgang mit traumatisierenden Gewalterfahrungen erkennen. Damit wird nicht nur ein (geschlechts-)spezifisches Verantwortungs- und Rechtsbewusstsein sichtbar, sondern zugleich treten Geschlechtervorstellungen und -ordnungen sowie Vorstellungen von Sexualitäten auf kondensierte Art und Weise in den Fokus.

Rache im Anschluss an eine erlittene Vergewaltigung ist ein Thema, das seit der Antike in verschiedenen Diskursen kursiert, zunächst insbesondere in der Literatur. Eine Schlüsselfigur ist in diesem Kontext die Figur der Philomela, die von ihrem Schwager vergewaltigt, zudem ihrer Zunge beraubt wird und später gemeinsam mit ihrer Schwester Rache nimmt. Dieser Topos setzt sich beispielsweise fort in Shakespeares Drama „Titus Andronicus“ (1594), der die Rachespirale weiter auf die Spitze treibt.

Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit treten Frauen als Rächerinnen offenbar in den Hintergrund. Aufgrund der vorherrschenden Geschlechterordnung und der entsprechenden Rechtskodizes werden sie durch männliche Rächer-Figuren (Väter, Brüder etc.) vertreten. Eine der wenigen Ausnahmen bildet die Malerin Artemisia Gentileschi (1593-1653), die ihre Rachefantasien in zahlreichen Gemälden thematisiert. Erst im Zuge des 20. Jahrhunderts treten Frauen als Rächerinnen sexualisierter Gewalt wieder selbst in den Vordergrund – und zwar in verschiedenen Diskursen und Medien: Literatur (Lyrik, Drama, Prosa), Graphic Novels (Animes), Bildende Kunst, Film (auch Pornografie), Musik, wie überhaupt als medienvermittelte Repräsentationen in der Populärkultur. Kultfilme wie der indische Film „Bandit Queen“ (1994), die US-amerikanische Produktionen „Thelma und Louise“ (1991), „Promising Young Women“ (2021) oder „Violation“ (2021) und der französische Film „Revenge“ (2017) zeigen, dass das Thema auch interkulturell verhandelt wird und nicht an Aktualität eingebüßt hat.

Aber auch vergangene und gegenwärtige empirische Beispiele wie die in den Medien viel diskutierten Fälle von Marianne Bachmeier, die 1981 den Vergewaltiger und Mörder ihrer Tochter im Gerichtssaal erschoss, oder von Valérie Bacot im Jahr 2021, die ihren Vergewaltiger und Ehemann erschoss, verweisen auf ethnografische und soziale Dimensionen des Phänomens.

Die De-Konstruktion des Phänomens zeigt eindrücklich, wie Vergewaltigung und Rachepraktiken Verhandlungsort von emotionaler Aufarbeitung erlebter Traumata und psychologisierten Vorstellungen einer menschlichen Affektregulierung sind. Darüber hinaus schreiben gendertheoretische Lesarten dem Phänomen Emanzipationspotenziale zu, die dichotome Trennungen von (heteronormativen) Opfer- und Täter:innenrollen auflösen und die Komplexität der sozialen Beziehung anerkennen.

In einer interdisziplinären Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Rape and Revenge“ möchten wir im Rahmen des Workshops verschiedene Beispiele und Fragestellungen diskutieren.

Folgende Fragestellungen sollen den Workshop rahmen:
- In welchen fiktionalen und empirischen Ausdrucksformen lässt sich das Phänomen „Rape und Revenge“ finden (Literatur, Kunst, Recht, (Pop-)Kultur, soziale Praxis u.a.)?
- An welchen ästhetischen Prinzipien und/oder sozialen und kulturellen Bedingungen orientieren sich diese Ausdrucksformen?
- Welche kulturtheoretischen Ansätze und ethnografischen Methoden können als Analyseperspektiven und -instrumente genutzt werden, um die Phänomene zu beschreiben und sie theoriegeleitet zu interpretieren?
- Welche Potenziale und Grenzen hat die wissenschaftlich-fundierte Analyse dieser Phänomene, sowohl historisch als auch gegenwartsorientiert?
- Was können die Phänomene über gesellschaftliche Wissensordnungen aussagen? Wie rahmen sie soziales Handeln in Gesellschaften? Und in welchem Verhältnis stehen sie zum Themenkomplex „Rape Culture“?

Der Workshop richtet sich sowohl an Nachwuchswissenschaftler:innen (Bachelor- und Masterstudierende, Promovierende) als auch an Post-Docs und Habilitierende unterschiedlicher Disziplinen und Arbeitsweisen, die das Themenfeld gemeinsam mit uns kartieren wollen.
Wir möchten eine Grundlage für weitere Feinstudien des Themas in den Sozial-, Kultur-, Literatur-, Kunst und Rechtswissenschaften, der Ethnologie und Anthropologie, den Postcolonial, Queer und Gender Studies schaffen, aber auch für gesellschaftliche Debatten über den akademischen Rahmen hinaus Anschlussmöglichkeiten und Orientierungswissen liefern. Dadurch erhoffen wir uns, die oftmals einseitigen und verkürzten popkulturellen Positionen aufzubrechen und bisher unbekannte wissenschaftlich fundierte Interpretationsvorschläge zu liefern.

Wir haben Fördermittel von der Stabsstelle Gleichstellung der Universität Hamburg (Gleichstellungsfonds 2021) eingeworben, sodass wir mögliche Honorar-, Reise- und Übernachtungskosten im üblichen Rahmen erstatten können. Im Anschluss an den Workshop ist eine Publikation der Beiträge geplant.

Aufgrund der unsicheren Corona-Lage planen wir den Workshop zum jetzigen Zeitpunkt sowohl in Präsenz als auch digital. Genaue Informationen folgen zeitnah. Der Workshop wird zweisprachig angelegt sein (Deutsch und Englisch).

Bitte senden Sie ein Abstract (ca. 1/2 DIN A4-Seite, deutsch oder englisch) und Kurzinfos zu Ihrer Person (bio- und bibliographische Angaben) bis zum 31. August 2021 bitte an: christine.kuenzel@uni-hamburg.de UND manuel.bolz@uni-hamburg.de.

Interdisciplinary Workshop on "RaRevenge Cultures and Sexualized Violence in Intermedial Perspective

Interdisciplinary workshop, March 10 - 12, 2022 in Hamburg, Germany

The concept "Rape and Revenge," which originated in feminist film studies, attempts to make various factual and fictional events tangible and analyzable: On the one hand, it refers to forms of vigilante justice, a specific social action in which victims of sexualized violence take revenge on their rapists, or in which partners, family members, or friends (vicariously) take revenge on the rapists.
These revenge cycles usually involve symmetrical retribution based on a principle of reciprocal equivalence. However, the concept of revenge can also serve as an expression of criticism of unsatisfactory sanctioning practices in current legal systems (keyword: rape culture). At the same time, imagined revenge scenarios can also be seen as a coping strategy for dealing with traumatizing experiences of violence. This reveals a (gender-)specific sense of responsibility and justice. At the same time, concepts of gender and gender orders and ideas of sexualities come into focus in a condensed way in the context of a rape culture.

Revenge following a suffered rape is one theme that has circulated in various discourses since antiquity, initially particularly in literature. A key figure in this context is the figure of Philomela, who is raped by her brother-in-law, is also deprived of her tongue, and later takes revenge together with her sister. This topos continues, for example, in Shakespeare's drama "Titus Andronicus" (1594) which takes the revenge spiral to an extreme.

In the Middle Ages and early modern period, women seem to take a back seat as avengers. Due to the prevailing gender orders and hierarchies and the corresponding legal codes, male figures (fathers, brothers, etc.) appear vicariously as avengers. One of the few exceptions is the painter Artemisia Gentileschi (1593-1653), who thematizes her revenge fantasies in numerous paintings. It was only in the course of the 20th century that women turned into their own avengers after being victims of sexualized violence – in various discourses and media: literature (poetry, drama, prose), graphic novels (anime), visual arts, film (including pornography), music, as in general as media-mediated representations in popular culture. Cult films such as the Indian movie „Bandit Queen“ (1994), the U.S. productions „Thelma and Louise“ (1991), „Promising Young Women“ (2021) or „Violation“ (2021) and the French film „Revenge“ (2017) show that the topic is also negotiated interculturally and has not lost its relevance.

But past and present empirical examples, such as the much-discussed cases of Marianne Bachmeier, who shot her daughter's rapist and murderer in the courtroom in 1981, or Valérie Bacot in 2021, who shot her rapist and husband, are also part of the phenomenon.

De-constructing the phenomenon shows how rape and revenge practices are sites of negotiation of emotional reappraisal of experienced trauma and psychologized notions of a human regulation of affect. Furthermore, gender-theoretical readings ascribe potentials for emancipation to the phenomenon, dissolving dichotomous divisions of (heteronormative) victim and perpetrator roles and acknowledging the complexity of the social relationship.

In this interdisciplinary workshop we would like to examine different examples and questions surrounding the "Rape and Revenge" discourse.

The following questions will frame the workshop:
- In which fictional and empirical forms of expression can the phenomenon of "Rape and Revenge" be found (literature, art, law and (pop) culture, social practice, among others)?
- To which aesthetic principles and/or social and cultural conditions are these forms of expression oriented?
- Which cultural theoretical approaches and ethnographic methods can be used as analytical perspectives and tools to describe the phenomena and interpret them in a theory-based way?
- What are the potentials and limitations of scientifically grounded analysis of these phenomena, with respect to historical as well contemporary aspects?
- What can the phenomena tell us about social knowledge and social systems? How do they frame social action in societies? And how do they relate to the thematic complex of "rape culture"?

The workshop addresses early stage/undergraduate researchers (bachelor's and master's students, doctoral students) as well as post-docs and post-doctoral researchers from different disciplines, who are interested in mapping the thematic field. We aim to create a foundation for further studies of the topic in the social sciences, cultural studies, literature, art and law, ethnology and anthropology, postcolonial, queer and gender studies, and to develop innovative interpretive proposals.
We have obtained funding from the Equality Opportunity Office of the University of Hamburg (Equality Fund 2021), so that we will be able to reimburse fees, travel and accommodation costs within the usual limits. Following the workshop, a publication of the contributions will be planned.

Because of the uncertainty due to the Covid-19 situation, at the moment, we are planning the workshop to take place in presence as well as in digital form. Detailed information will follow in due course. We are planning the workshop in a bilingual form in German and in English.

Please send an abstract (approx. 1/2 A4 page, German or English) and brief information about yourself (bio and bibliographic information) by August 31, 2021 to: christine.kuenzel@uni-hamburg.de AND manuel.bolz@uni-hamburg.de.

We look forward to your contributions! If you have any questions, please don’t hesitate to contact us.

Contact (announcement)

christine.kuenzel@uni-hamburg.de
manuel.bolz@uni-hamburg.de

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