Rekonstruktion, Dekonstruktion, Konstruktion. Soziologische Analysen des aktuellen Städtebaus

Rekonstruktion, Dekonstruktion, Konstruktion. Soziologische Analysen des aktuellen Städtebaus

Veranstalter
Arbeitsgemeinschaft Architektursoziologie der Sektionen Stadt- und Regionalsoziologie und Kultursoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Veranstaltungsort
Otto Friedrichs Universität Bamberg
Ort
Bamberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.12.2008 -
Deadline
15.12.2008
Von
Heike Delitz

Rekonstruktion, Dekonstruktion, Konstruktion.
Soziologische Analysen des aktuellen Städtebaus

Workshop der AG Architektursoziologie
am 8./9. Mai 2009 an der Universität Bamberg

Call for Papers (bis 15.12.2008)

Das vielleicht auffälligste architektonische Phänomen der deutschen Gegenwartsgesellschaft ist der historisierende Aufbau einzelner Gebäude und ganzer Innenstädte: in Dresden, Frankfurt, Berlin, Braunschweig, Hannover. Aus gesellschaftsanalytischer Sicht ist zu fragen, wovon diese Architekturen und die emotionalen Debatten um sie künden: worauf diese Architektur in der Vergesellschaftung hinweist, welche Imaginationen, welche kollektiven Begehren sich in ihr zeigen, kurz, mit welcher Gesellschaft wir es angesichts dieser Entwicklung zu tun haben.
Gegenläufig gibt es zeitgleich weitere architektonische Trends: etwa die weltweit zu beobachtende Resonanz des Dekonstruktivismus, einer von Soziologen oft als ‚Spektakelarchitektur‘ bezeichneten, spezifischen Entwurfs- und Bauweise. Dem nicht unumstrittenen historisierenden Aufbau steht eine aktuelle – und nicht weniger umstrittene – Architektur gegenüber, die bewusst in die europäischen Städte Schneisen schlägt, provoziert und polarisiert.
Vornehmlich in den außereuropäischen Gesellschaften werden zudem derzeit ganze Stadtregionen in der Ästhetik der globalen, ahistorischen Moderne neu konstruiert: buchstäblich aus dem Boden gestampft, mit zu untersuchenden Folgen für das Selbstverständnis einer Gesellschaft und der in ihr lebenden Einzelnen.

Rekonstruktion
Angesichts der Rekonstruktion der Bauten und Innenstädte nach dem Leitbild der „europäischen Stadt“, wie sie nicht nur in Dresden und Frankfurt zu beobachten ist, ist zu fragen, welche Gesellschaft sich im Weiterbau nach diesem historischen Leitbild äußert und entfaltet. Es könnte sich um eine architektonische Art und Weise handeln, in der sich die Gesellschaft selbst rückversichert: Die Gesellschaft versichert sich in diesem nichtsprachlichen Medium offenbar ihrer Herkunft aus der okzidentalen Stadt mit ihren Sozialverhältnissen und gesellschaftlichen Selbstverständnissen. Die Debatte um die historisierende Rekonstruktion betrifft Fragen der Architekturästhetik und -ethik. Aber sie betrifft auch die Selbsterkenntnis oder ‚Selbstbeschreibung‘ der gegenwärtigen Gesellschaft im Medium ihrer Architektur. Die Analyse dieses Phänomens und der mit ihm verknüpften Debatten führt möglicherweise in das Zentrum einer soziologischen Gegenwartsdiagnose.

Dekonstruktion
Zeitgleich kommt es zur Zerstörung der nun ‚störenden‘ Architekturen. Prominent und gesellschaftsdiagnostisch interessant ist etwa der Abriss des Palastes der Republik. Es kommt zugleich auch zur plakativen »Dekonstruktion« der bisherigen Architektur: ihrer Rechtwinkligkeit, Tektonik, ihrer Eindeutigkeit. Die aktuell provozierende Architektur ist in allen ihren Varianten (und zwar nicht nur im Dekonstruktivismus) ein Kind der klassischen Avantgarde: einer Architektur, in der ein zentrales Moment der modernen Gesellschaft – nämlich das Bewusstsein der Kontingenz des (Zusammen-)Lebens – sicher am wirksamsten sicht- und greifbar wurde. In der je neuen Architektur scheinen stets erneut neue Lebensweisen auf; in ihnen erhält die Gesellschaft zugleich und buchstäblich eine neue Gestalt. Zu diskutieren sind daher auch die aktuellen Entwicklungen in der Architektur: in Hinsicht auf ihr gesellschaftliches Transformations- und Innovationspotential.

Konstruktion
Diese Frage des Transformationspotentials der Architektur für die Gesellschaft stellt sich auch angesichts der Konstruktion ganz neuer Städte und Stadtteile sowie angesichts der Umakzentuierung des Bestehenden durch einzelne, buchstäblich herausragende, Gebäude. Am prominentesten ist hinsichtlich des Baus neuer Stadtteile in Deutschland der Fall der Hafencity Hamburg. Hier wird in wenigen Jahren die Innenstadt um 40 % erweitert. Ebenso ist der Potsdamer Platz in Berlin ein Fall der völlig neuen Konstruktion der Stadt. Dieser Aspekt der ‚Konstruktion‘ betrifft über die europäischen Städte hinaus v.a. jene Gesellschaften, die sich derzeit mit aller architektonischen Macht ihrer Geschichte zu entledigen scheinen wie die südosteuropäischen Gesellschaften und die der Golf-Staaten: in ihnen werden für Millionen Einzelne neue Umwelten geschaffen, in ihnen wandelt sich – oft durch die Entwürfe europäischer Architekten - das ‚Gesicht‘ der Gesellschaft in der Tat radikal. Auch dies wirft gesellschaftstheoretische Fragen auf, etwa nach der ‚soziologischen Imagination‘ (C. W. Mills), die angesichts der neuen Städte möglich und unabwendbar wird.

Der Workshop will insbesondere die gesellschaftsdiagnostischen Möglichkeiten der Architektursoziologie in Hinsicht auf die aktuelle Gesellschaft entfalten: in Kenntnisnahme ihrer Mehrdeutigkeit und Ambivalenz. Worauf deuten die städtebaulichen und architektonischen Tendenzen hin; in welcher Gesellschaft leben wir also, die sich ebenso – initiiert durch ihre Architekten, Bauherren, Nutzer – architektonisch rückbesinnt, wie sie neuen und zum Teil provozierenden Architekturen Resonanz verschafft? Obgleich der Fokus auf aktuellen Entwicklungen liegt, sind vergleichend oder in genetischer Absicht natürlich auch historische Analysen (zum Beispiel zu den Hochhausdebatten aus den 1910er und 1920er Jahren) willkommen.

Abstracts bitte am besten per email an:

Heike.Delitz@web.de

Programm

Kontakt

Heike Delitz

Universität Bamberg
Lehrstuhl für Soziologie II

heike.delitz@web.de

www.architektur-soziologie.de
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