Schreibkalender der Frühen Neuzeit im Spiegel der Altenburger Kalendersammlung

Schreibkalender der Frühen Neuzeit im Spiegel der Altenburger Kalendersammlung

Veranstalter
Institut Deutsche Presseforschung der Universität Bremen; Stadtarchiv, Stadt Altenburg
Veranstaltungsort
Ratssaal im Rathaus am Markt, D-04600 Altenburg
Ort
Altenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.10.2011 - 08.10.2011
Website
Von
Dr. Klaus-Dieter Herbst

Das Kleinschrifttum zählt heute unbestritten zu den anerkannten Quellen historischer Forschung. Bisher lag der Schwerpunkt in der Erforschung von Flugblättern, Flugschriften, Zeitungen, Zeitschriften und Gelegenheitsschriften (z. B. Carmina). Neuere Forschungsansätze beziehen auch die handgeschriebenen Zeitungen und die gedruckten Zeitungsextrakte mit ein. Die Schreibkalender – ein Massenmedium, das mit den eingefügten Texten seit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts in der Regel den einzigen weltlichen Lesestoff vieler Menschen beinhaltete – wird dagegen nur unzureichend in der historischen Forschung berücksichtigt.

Jüngste Quellenfunde von herausragendem Umfang bei den Schreibkalendern im Oktober 2006 (Sammlung mit 3700 Kalendern im Stadtarchiv Altenburg) und im März 2007 (Sammlung mit 2000 Kalendern in der Biblioteka Czartoryskich Krakau) lassen manches bislang Erkannte in neuem Licht erscheinen. Die im Rahmen eines von der DFG geförderten Projektes ermittelten Schreibkalender des 17. Jahrhunderts stellen mit weit über 6000 Exemplaren ein Quellenkorpus dar, der die in der Literatur bisher geäußerte Dimension deutlich übertrifft. Entsprechend dürftig ist die bisherige inhaltliche Auswertung dieses Massenmediums, die zudem vor allem einseitig von Germanisten vorgenommen wurde. Die in den Kalendern ebenfalls vorkommenden wissenschafthistorischen, theologischen, kunsthistorischen und politischen Momente blieben bisher weitgehend unberücksichtigt.

Im Mittelpunkt der Tagung soll die einzigartige und rund 3700 Exemplare für die Jahre 1644 bis 1861 umfassende Kalendersammlung im Stadtarchiv Altenburg stehen. Seit Mitte 2010 sind alle rund 1500 Schreibkalender aus dem Zeitraum von 1644 bis 1710 im „Portal historischer Kalender“ online einsehbar; siehe http://www.urmel-dl.de/Projekte/Kalenderblätter.html. Zusätzlich wurden die Inhalte dieser Kalender mittels „Schlagwortregister“ erschlossen, was dem Historiker die Orientierung für sein jeweiliges Forschungsvorhaben wesentlich erleichtert. Die verbleibenden rund 2200 Exemplare können nur vor Ort im Stadtarchiv Altenburg eingesehen werden. Diese Arbeiten (Digitalisierung und Aufbau des Internetportals an der ThULB Jena, inhaltliche Erschließung durch das Institut Deutsche Presseforschung Bremen) erfolgten im Rahmen eines ebenfalls von der DFG geförderten Projektes.

Insbesondere die teilweise über mehrere Jahrzehnte lückenlos überlieferten Kalenderreihen, von denen viele bisher unbekannt waren, gestatten eine Analyse im zeitlichen Längsschnitt, bei der die allmählichen Veränderungen im Denken der Kalenderautoren und der Kalenderleser jahrgangsgenau greifbar werden. Darüber hinaus ist eine einzigartige Querschnittsanalyse für einen bestimmten Jahrgang möglich, denn es sind bis zu 73 verschiedene Exemplare (hier für 1679) pro Jahrgang überliefert. Die in den Kalendern gebotenen weltlichen Texte ermöglichen eine Aussage darüber zu treffen, welche Druckerzeugnisse und damit welche Inhalte über ihre Einbeziehung in die inhaltliche Gestaltung der Kalender von den Menschen im 17. und 18. Jahrhundert konsumiert wurden. Bedeutsam sind solche Erkenntnisse vor allem im Hinblick auf die Forschungen zum Mentalitätswandel, zur Frühaufklärung, zur Volksaufklärung und zu literarischen Kategorien.

Die in den vergangenen vier Jahrzehnten gewonnenen Einsichten zum Kalenderwesen allgemein und speziell zu den großen Schreibkalendern sollen anhand der Altenburger Kalendersammlung einer Prüfung unterzogen werden. Das betrifft die Forschungsergebnisse zum Beispiel zu den Kalendern im Kontext der Volksaufklärung im 18. Jahrhundert, zu den Bildelementen in den Kalendern und zu den Simplicianischen Kalendern.

Ferner wird angestrebt, neue Forschungsfelder aufzuzeigen. Die Altenburger Sammlung hat es in den vergangenen vier Jahren bereits erlaubt, die Schreibkalender unter neuen Gesichtspunkten zu betrachten, zum Beispiel unter der Verbindung zum Zeitungswesen sowie der Bedeutung für gelehrte Kommunikation und Frühaufklärung im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert. Weitere Themenfelder wären die theologischen (Endzeiterwartung, Pietismus, Physikotheologie) oder die literarischen (Kalendergespräch, Erzählung, Dichtung) Komponenten in den Kalendern, aber auch das Dedikationswesen oder die Wechselwirkung mit anderen Medien, zum Beispiel mit Flugblatt und Flugschrift.

Indem neben der Altenburger Kalendersammlung in einzelnen Vorträgen auch die bedeutende Sammlung in Krakau sowie die regionalen Kalenderreihen für Danzig und für das Ermland berücksichtigt werden, wird das Kalenderwesen im internationalen Maßstab betrachtet.

Schließlich soll mit dieser Tagung die Aufmerksamkeit der Historiker aller Disziplinen auf die Bedeutung des Massenmediums „Schreibkalender“ für die Veränderungen im Denken der Menschen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts gelenkt werden. Der Schreibkalender ist nicht nur Spiegel dieser Veränderungen, sondern er trug auch aktiv zu ihnen bei.

Die Tagung ist gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und durch die Fazit-Stiftung.

Programm

Donnerstag, 6.10.2011
16.00 - 19.00 Uhr

Prof. Dr. Holger Böning (Bremen)
Begrüßung

Gustav Wolf (Altenburg)
Zur Entstehung der Altenburger Kalendersammlung

Dr. Alexander Rosenbaum (Jena)
Die Kupferstiche in den Kalendern – eine neue Quelle für die Kunstgeschichte

Prof. Dr. Werner Greiling (Jena)
Der Platz der Kalender des 18. Jahrhunderts im periodischen Schrifttum Thüringens

Ursula Schreiber (Altenburg)
Besichtigung ausgewählter Bände der Altenburger Kalendersammlung

Freitag, 7.10.2011
9.00 - 12.40 Uhr

Prof. Dr. Holger Böning (Bremen)
Volksaufklärung und Kalender. Zu den Anfängen der Diskussion über die Nutzung traditioneller Volkslesestoffe zur Aufklärung und zu ersten praktischen Versuchen bis 1780

Prof. Dr. Reinhart Siegert (Freiburg i. Br.)
Volksaufklärerische Reformkalender

Dr. Klaus-Dieter Herbst (Jena, Bremen, Regensburg)
Frühaufklärung, Volksaufklärung, Aufklärung in dem Altenburger Schreibkalender – eine zeitliche Längsschnittanalyse von 1644 bis 1861

Prof. Dr. Gerhardt Petrat (Hamburg)
Mehr oder minder verdeckte Formen der Gegenaufklärung im Kalender

14.00 - 18.30 Uhr

Dr. Klaus Matthäus (Erlangen)
Das Nürnberger Kalenderwesen unter Einbeziehung der Altenburger Sammlung und des Endterschen Archivs in Krakau

Prof. Dr. Richard Kremer (Hanover, NH)
Danziger und Königsberger Kalender im 16. und 17. Jh.

Prof. Dr. Wlodzimierz Zientara (Torun)
Die Widerspiegelung Polens in den Kalendern

Dr. Kelly M. Smith (Cincinnati)
Astrologie und Naturphilosphie in den Kalendern

Dr. Jana Maroszvà (Prag, München)
Die Endzeit-Thematik in den Kalendern um 1670

19.00 Uhr
Empfang durch den Oberbürgermeister Dr. Michael Wolf

19.30 Uhr
Öffentlicher Vortrag im Großen Ratssaal
Prof. Dr. Peter Heßelmann (Münster)
Die simplicianischen Jahreskalender in der Altenburger Kalendersammlung

Sonnabend, 8.10.2011
8.30 - 12.10

Prof. Dr. Rosmarie Zeller (Basel)
Fiktionale Texte in den Gesprächs-Kalendern

Dr. Norbert Wernicke (Bern)
Literarische Texte in den Kalendern

Prof. Dr. Helga Meise (Reims)
Höfische Ereignisse im Kalender

Dr. Flemming Schock (Leipzig)
Die Schauplatz-Thematik in den Kalendern

13.30 - 17.00 Uhr

Dr. Sabine Schlegelmilch (Würzburg)
Selbstdarstellung im Taschenformat – die Kalender des Arztes Johannes Magirus

Dr. Daniel Bellingradt (Berlin)
Kalender und Flugpublizistik

Dr. Barbara Sapala (Torun)
Volkskalender als Instrument von Ideologie und Politik in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel des Ermländischen Haus-Kalenders

Dr. Volker Bauer (Wolfenbüttel)
Genealogie in den Kalendern

Die Teilnahme an der Tagung ist kostenlos.

Für Übernachtungen stehen Zimmer im Hotel "Am Rossplan" zur Verfügung.
info@hotel-rossplan.de
03447-56610
Bei Reservierung bitte die Kalendertagung erwähnen.

Kontakt

Prof. Dr. Holger Böning
boening@uni-bremen.de
0421-2183627

Dr. Klaus-Dieter Herbst
klaus-dieter-herbst@t-online.de
03641-384157