Parteiengeschichte heute. Forschungsstand, Desiderate und neue Fragen

Parteiengeschichte heute. Forschungsstand, Desiderate und neue Fragen

Veranstalter
Prof. Dr. Christian Jansen, Historisches Seminar, Universität Münster
Veranstaltungsort
Historisches Seminar
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.02.2013 - 15.02.2013
Deadline
14.02.2013
Von
Christian JANSEN

Ausgehend von dem Befund, dass Parteiengeschichte seit vielen Jahren in Deutschland kaum noch betrieben wird (also als „unsexy“, langweilig oder karriereschädlich gilt), plädiere ich dafür, dass man sich erneut der Parteiengeschichte des 20. Jahrhunderts zuwenden soll, und möchte 2013 ein entsprechendes Forschungsprojekt beantragen.

Dieses Projekt soll anhand einer Analyse der Organisation, gesellschaftlichen Basis, sozialen Herkunft der Mitglieder und Funktionäre, Führungsstruktur und Entscheidungsprozesse in Massenparteien des 20. Jahrhunderts einerseits Aufschlüsse geben über den allgemeinen Charakter von Parteien im Zeitalter der Massenpolitik und der Fundamentalpolitisierung sowie andererseits über spezifische Unterschiede etwa zwischen demokratischen/undemokratischen, linken/rechten, deutschen/italienischen usw. Parteien. Im Mittelpunkt des geplanten Projekts sollen Parteien stehen, die eine hohe Zahl von Mitgliedern (mindestens 100.000) organisierten und verwalteten und die möglichst lange, also unter verschiedenen politischen Rahmenbedingungen existiert haben. Der Untersuchungszeitraum sollte sich jeweils über große Teile des 20. Jahrhunderts erstrecken.

Besonders interessant erscheint mir die Zeit 1910 bis etwa 1980.

Parteien, die diesen Kriterien entsprechen, sind etwa die SPD, die Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ), die NSDAP (obwohl sie nur gut 20 Jahre existierte) der Partito Nazionale Fascista und seine Nachfolgeorganisation MSI, der Partito Popolare Italiano (PPI) und seine Nachfolgeorganisation Democrazia Cristiana, die Labour Party oder auch die US Democrats.

Das übergreifende Erkenntnisinteresse zielt darauf ab, ob es spezifische Entwicklungspfade in der modernen Parteiengeschichte gab. Haben alle modernen Massenparteien ähnliche Strukturen? Oder dominieren jeweils landesspezifische oder politische (demokratische vs. autoritäre/ sozialdemokratische vs. faschistische) Besonderheiten? Dabei geht es nicht um die Programmatik, sondern der Fokus richtet sich auf Organisationsstrukturen, Mitgliederverwaltung, Alimentierung der Funktionäre etc. Welche Verfahren entwickelten moderne Massenparteien in verschiedenen Ländern und unter verschiedenen politischen Rahmenbedingungen zur Regelung interner Konflikte (Parteigerichtsbarkeit, Ausschlussverfahren)? Woher kam das Parteivermögen, wie wurde es verwaltet, akkumuliert und in unterschiedlichen Phasen mit welchen politischen Zielen eingesetzt? Ist die heute unisono beklagte Vetternwirtschaft ein Symptom saturierter Parteistrukturen?

Neben solchen eher klassischen sozial- und parteiengeschichtlichen Fragestellungen, die gleichwohl für die genannten Parteien nicht systematisch erforscht und dargestellt sind, erscheinen auch eher kulturgeschichtliche Fragen interessant. Wie ließ sich etwa das Konzept einer lebenslangen Parteimitgliedschaft („von der Wiege bis zur Bahre“) mit den unterschiedlichen politischen Interessen verschiedener Generationen vereinbaren? Wie gelingt es einer modernen Massenpartei (Volkspartei), die unterschiedlichen Interessen verschiedener sozialer Gruppen in der Mitgliedschaft zu integrieren? Wie lassen sich Widersprüche zwischen Gruppeninteressen und dem Parteiprogramm (der „Parteilichkeit“) harmonisieren? Wie gestaltete sich das (schwierige) Verhältnis zwischen Funktionären und einfachen Mitgliedern? Wie wurden die unvermeidlichen Konflikte zwischen beiden Gruppen beigelegt?

Der Workshop soll zu einer Bestandsaufnahme der Parteigeschichtsschreibung in international vergleichender Perspektive dienen, neue Fragen aufwerfen, Austausch über Quellenbestände ermöglichen und die Vernetzung von Historikern verbessern, die in Deutschland und Italien an einer neuen Parteiengeschichte interessiert sind.

Alle interessierten Forscherinnen und Forscher sind herzlich eingeladen. Um eine Anmeldung wird gebeten unter chjansen@wwu.de .

Programm

Impulsreferate
(je 20-30 Minuten Vortrag; 15-20 Minuten Diskussion)

I) Faschistische Parteien
14 Uhr Armin Nolzen (Warburg): Geschichte der NSDAP. Eine Gesamtdarstellung

14.45 Uhr Susanne Meinl (Dietramszell): Kontrolle und Korruption. Das Amt des Reichsschatzmeisters als zentrale Steuerung der NSDAP.

15.30 Uhr Lorenzo Santoro (Rom): Research on Partito Nazionale Fascista 1919-1943 and open questions

16-16.30 Kaffeepause

II) Demokratische Parteien

16.30 Uhr Till Kössler (Bochum): Das parteiengeschichtliche Forschungsprojekt von Tenfelde und Recker (2000-2005): Ergebnisse und weitergehende Fragen

17.15 Uhr Claudia Gatzka (Berlin): Bürger und Parteien - Parteiengeschichte als Beziehungsgeschichte in Italien und Westdeutschland nach 1945

18 Uhr Thomas Großbölting (Münster): Formale Organisation und informelle Praxis – ein innovativer Ansatz zur Erforschung von Massenparteien des 20. Jahrhunderts?

18.45-19.30 Uhr: Schlussdiskussion: Neue Ideen und Perspektiven für die Erforschung der Massenparteien des 20. Jahrhunderts

20 Uhr gemeinsames Abendessen

Kontakt

Prof. Dr. Christian JANSEN
Historisches Seminar
Domplatz 21-22
48143 Münster

Tel. 0251-8324338

http://www.wwu.de/ geschichte/hist-sem/NZ-G/L3/
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Deutsch
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