Gewerkschaften – und auch Parteien – der ArbeiterInnenbewegung tun sich seit jeher schwer im Umgang mit Lohn- und Wohlstandsgefällen und den Konsequenzen ungleicher Entwicklung. Dies betrifft die Beziehungen innerhalb Europas, aber auch das Verhältnis zwischen Europa und der Welt. Während die Grundsatzforderung einer „Angleichung nach oben“ und das Postulat der „internationalen Solidarität“ leicht erhoben sind, tun sich in der Praxis und auch in der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung eine ganze Reihe von Dilemmata und Widersprüchen auf. Dieser Workshop beschäftigt sich mit dem Umgang mit Arbeitsmigration im Gefolge ungleicher Entwicklung. Berücksichtigt werden die innereuropäische Migration sowie Immigration aus „Drittländern“, insofern ihr, in deklarierter Form oder in der Realität, in erster Linie ökonomische Motive zugrunde liegen.
Fragen und Diskussionspunkte des Workshops sind untern anderem: Können die Kontrolle von Migration in den Zielländern oder gar deren Bekämpfung in den Herkunftsländern Ziele von Gewerkschaften, sozialdemokratischen Parteien und fortschrittlichen Bewegungen sein? Oder muss sich die ArbeiterInnenbewegung nicht umgekehrt für die vollständige Gleichstellung von MigrantInnen und ‚einheimischen‘ Arbeitskräften einsetzen? Verbunden sind die Fragen mit Grundwerten wie Solidarität und Internationalismus, aber auch mit ökonomischen und politischen Lageeinschätzungen: Trägt Arbeitsmigration zur Angleichung von Unterschieden zwischen Ländern/Regionen bei oder ist sie letztlich nur ein Zwangsverhältnis, das bestehende Ungleichheiten der internationalen Arbeitsteilung zementiert? Soll und kann die ArbeiterInnenbewegung für die Teilung oder Umverteilung von Wohlstand zwischen den europäischen Ländern und Europa und der Welt eintreten? Und können Politiken so gestaltet werden, dass sie nicht auf Kosten der arbei-tenden Bevölkerung der reicheren Länder gehen und die Bevölkerungen der ärmeren Länder auch tatsächlich erreichen? Gibt es im internationalen ‚Standortwettbewerb‘ unter zunehmend krisenhaften Bedingungen überhaupt Spielräume für Politiken der Umverteilung zwischen Ländern und Weltregionen?
Der Workshop nimmt insbesondere die Zeitphase nach dem weltpolitischen Zusammenbruch des osteuropäischen Sozialismen (1989/91) und der Osterweiterung der Europäischen Union in den Blick. Diese Osterweiterung wurde vielfach mit der Hoffnung und Erwartung verbunden, dass sich das Lohnniveau nach oben angleichen, die Wohlstandslücke zwischen Ost und West ge-schlossen werden würde. Spätestens mit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise seit 2008 haben sich jedoch die zaghaften Anzeichen einer solchen Angleichung, die in einigen Bereichen oder Ländern zu verzeichnen gewesen waren, in Luft aufgelöst. Die Befürchtungen vieler ArbeitnehmerInnen der reicheren EU-Länder, dass die Zuwanderung aus ärmeren Ländern ihre Löhne drückt und ihnen die Arbeitsplätze ‚wegnimmt‘ scheint sich vielerorts zu bewahrheiten, und die soziale Polarisierung innerhalb der einzelnen Länder verstärkt den Druck auf einheimische wie zugewanderte Arbeitskräfte. Darüber hinaus hat die Zuwanderung von hunderttausenden Flüchtlingen die Frage der Öffnung des Arbeitsmarktes für diese Gruppen, und der Bedingungen für eine solche Öffnung, ins Zentrum von politischen Auseinandersetzungen gerückt.
In diesem Workshop diskutieren GewerkschaftsexpertInnen, HistorikerInnen, Sozialwissen-schaftlerInnen, und AktivistInnen gewerkschaftliche und linke Fragen und Antworten in der Aus-einandersetzung um ungleiche Entwicklung und Migration im nationalen und internationalen Kontext. Diskutiert werden historische und aktuelle Beispiele für Auseinandersetzungen, Politikmuster, Erfahrungen, Erfolge und Misserfolge des Handelns von Gewerkschaften und anderen Institutionen und Akteuren einer emanzipatorischen Politik für die, mit den, und seitens der Arbeitenden. Der Workshop soll das Gespräch zwischen Forschung und Politik intensivieren und neue Impulse für gewerkschaftliche Politik und kritische Forschung zu Gewerkschaft und sozialen Bewegungen in Vergangenheit und Gegenwart geben.
Bei Nachfragen und für die Anmeldung wenden Sie sich bitte an:
Priv.-Doz. Dr. Stefan Müller, Friedrich-Ebert-Stiftung, Archiv der sozialen Demokratie, Godesberger Allee 149, 53175 Bonn, stefan.mueller@fes.de, Tel.: +49 (0) 228 / 883-8072.