(Un)Sichere Geschichte(n): Archäologie und (Post)Faktizität

(Un)Sichere Geschichte(n): Archäologie und (Post)Faktizität

Veranstalter
AG Theorien in der Archäologie e.V.; Forum Archäologie in Gesellschaft
Veranstaltungsort
Ort
Halle an der Saale
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.03.2018 - 22.03.2018
Deadline
15.12.2017
Von
Karin Reichenbach

Sektion der Arbeitsgemeinschaft Theorien in der Archäologie e.V. (AG TidA e.V.) und des Forum Archäologie in Gesellschaft auf der Tagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung (MOVA) und des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung (WSVA) vom 19. bis 22. März 2018 in Halle/Saale.

Angesichts der Diskussionen um „alternative Fakten“, „fake news“ und der Einläutung eines „Postfaktischen Zeitalters“ sieht sich die Wissenschaft herausgefordert, ihren Geltungsanspruch als Produktionsstätte sicheren Faktenwissens zu untermauern. Doch anstatt nur für die wissenschaftliche Wahrheit zu marschieren, scheint es vielmehr angebracht, sich wieder einmal intensiver mit den Grundlagen dieser Wahrheit auseinanderzusetzen und der Frage nachzugehen, wer oder was darüber entscheidet, was „wahr“ oder „falsch“ ist. Denn die Herausforderung, die das sog. postfaktische Zeitalter stellt, zielt doch eigentlich auf den zentralen Ausgangspunkt erkenntnistheoretischer Überlegungen, dass es eine solche absolute Instanz, die unabhängig von menschlich vermittelter Erkenntnis den Wahrheitsgehalt von Wissen prüfen kann, nicht gibt. Und als Wissenschaftler*innen sollten wir in der Lage sein, uns dazu begründet zu positionieren.

Für vergangenheitsbezogene Wissenschaften stellen sich gleich mehrere Stolpersteine auf dem gesteckten Ziel der Erforschung, Erklärung oder gar Rekonstruktion vergangener Wirklichkeiten und lassen vermeintliche historiographische Gewissheiten als „unsichere Geschichte“ erscheinen.* Abgesehen vom generellen Problem der Beobachterabhängigkeit gegenüber jeglichen Erkenntnisgegenständen, stehen wir vor der Herausforderung, dass sich vergangene Wirklichkeiten der Beobachtung entziehen, weil sie eben vergangen sind und damit nicht mehr erfahrbar, vergleichbar, wiederholbar gemacht werden können.

Wie Altertumswissenschaften dennoch Vergangenheitsentwürfe konstruieren, wie sie dies mit Bezug auf Zeugnisse, Quellen und Überreste tun und welche Plausibilisierungsmöglichkeiten und -verfahren sie als wissenschaftliche Herangehensweisen haben, möchten wir in einer Sektion auf der Altertumsverbandstagung diskutieren. Es gilt also, sich mit den zentralen Grundsatzfragen unseres Faches auseinanderzusetzen, ob und auf welche Weise Archäologie sinnvolle und gesellschaftlich anerkannte Deutungen des Historischen erstellen kann. Wie können wir uns begründet von problematischen Vergangenheitsentwürfen, wie etwa politisch verengten Geschichtsbildern und undifferenzierten Meistererzählungen, abgrenzen?

Neben der grundsätzlichen Diskussion erkenntnis- und geschichtstheoretischer Positionen (z. B. Positivismus, Konstruktivismus, Neuer Materialismus) und der zentralen Frage nach Sinn und Nutzen der Archäologie als gesellschaftliche Praxis des Umgangs mit Vergangenheit sollen etablierte Denkfiguren (z. B. die des Vetorechts der Quellen) ebenso zum Thema gemacht werden wie Dichotomien von richtigen/guten vs. falschen/bösen Geschichten bzw. der Umgang mit Pluralität.
Ferner geht es uns dabei auch darum, an konkreten Fallbeispielen zu erörtern, wie in der Archäologie Vergangenheit (re)konstruiert und vermittelt wurde und wird. Welche Praktiken der Wissensgenerierung und Referentialität gab und gibt es, und wie und warum haben sie sich im Laufe der Zeit verändert? Welche Unterschiede, aber auch welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen altertumswissenschaftlichen Erzählungen, Lebensbildern, Experimenten, Modellen und baulichen Rekonstruktionen von Historienromanen, Computerspielen, Reenactment und historisierenden Neubauten?

Die Sektion wird von Kerstin P. Hofmann, Karin Reichenbach und Thomas Meier von der Arbeitsgemeinschaft Theorien in der Archäologie (http://www.agtida.de/) und dem Forum Archäologie in Gesellschaft organisiert. Senden Sie bitte bis zum 15. Dezember 2017 ein Abstract mit Vortragstitel (ca. 250 Wörter) und Kurzbiographie an: vorstand@agtida.de. Eine Aufwandsentschädigung zur anteiligen Deckung von Reise-, Tagungs- und Übernachtungskosten kann nur in begründeten Fällen auf vorherigen Antrag gezahlt werden. Wir bitten diesen möglichst bereits zusammen mit dem Abstract einzureichen.

*Hans-Jürgen Goertz, Unsichere Geschichte: Zur Theorie historischer Referentialität (Stuttgart 2001); vgl. auch Philippe Boissinot, Qu'est-ce q'un fait archaeologique? (Paris 2015); Robert Chapman/Alison Wylie, Evidential reasoning in archaeology (London 2016), Harry Collins, Are we all scientific experts now? (Cambridge, Malden MA 2014); Achim Landwehr, Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit. Essay zur Geschichtstheorie (Frankfurt am Main 2016); Gebhard Rusch, Erkenntnis, Wissenschaft, Geschichte. Von einem konstruktivistischen Standpunkt (Frankfurt am Main 1987).

Programm

Kontakt

Karin Reichenbach
Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO)
Specks Hof (Eingang A), Reichsstraße 4-6, D-04109 Leipzig
karin.reichenbach@leibniz-gwzo.de
vorstand@agtida.de

http://www.agtida.de/