Konfessionelle Geschichtsschreibung im Umfeld der Böhmischen Brüder (1500-1800): Traditionen – Akteure – Praktiken

Konfessionelle Geschichtsschreibung im Umfeld der Böhmischen Brüder (1500-1800): Traditionen – Akteure – Praktiken

Veranstalter
Prof. Dr. Dr. Martin Rothkegel (Theologische Hochschule Elstal), Prof. Dr. Joachim Bahlcke (Jablonski-Forschungsstelle an der Universität Stuttgart, Dr. Jiří Just (Historisches Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften Prag)
Veranstaltungsort
Akademické konferenční centrum, Husova 4a, CZ-110 00 Praha 1
Ort
Prag
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.04.2018 - 20.04.2018
Deadline
15.03.2018
Website
Von
Lehrstuhl Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Stuttgart

Internationale Fachtagung der Deutsch-tschechischen Kommission zur Herausgabe der Acta Unitatis Fratrum

Die Unität der Böhmischen Brüder, eine in Böhmen und Mähren nach 1450 aus verschiedenen Reformgruppen des Hussitismus entstandene Religionsgemeinschaft mit eigenen Bischöfen, Priestern und Diakonen, besaß schon lange vor der lutherischen Reformation einen beachtlichen Organisationsgrad und eine ausgeprägte Lehrtradition. In ihrem Mutterland behauptete sie sich bis Anfang des 17. Jahrhunderts, als ihre Gemeinden im Zuge des verfassungsrechtlichen Systemwechsels in den böhmischen Ländern aufgelöst wurden, de facto als eine zweite aus der hussitischen Bewegung hervorgegangene Konfession neben der utraquistischen Kirche.

Zur Gruppen- und Identitätsbildung der Brüder trugen auch die Verfolgungen bei, die bereits 1461 einsetzten. Als besonders wirkmächtig erwies sich das sogenannte St.-Jakobs-Mandat König Wladislaws gegen die „Pikarden“, dem die katholischen wie die utraquistischen Stände auf dem böhmischen Landtag 1508 zugestimmt hatten. Das bis 1602 mehrfach erneuerte Mandat untersagte den Brüdern die öffentliche Religionsausübung und verfügte empfindliche Einschränkungen ihres Gemeindelebens. Unter diesen Bedingungen kam dem brüderischen Schrifttum eine besondere Bedeutung für Glaubensunterweisung und Frömmigkeitspraxis zu. Neben Traktaten, Erbauungsschriften und Gesangbüchern entstand unter dem Brüderbischof Lukas aus Prag eine systematisch reflektierte brüderische Theologie, auf deren Grundlage die Brüder seit den 1520er Jahren in den Austausch mit Luther, Bucer und anderen Reformatoren traten.

Das bedeutendste Quellencorpus zur Geschichte der alten Brüderunität im 15. und 16. Jahrhundert sind die Acta Unitatis Fratrum (AUF), rund 10.000 engbeschriebene Seiten mit Abschriften von Dokumenten verschiedener Textgattungen zur Theologie und Geschichte der Böhmischen Brüder, die aktuell von einer deutsch-tschechischen Arbeitsgruppe wissenschaftlich erschlossen werden. Die AUF sind ein herausragendes Monument frühneuzeitlicher konfessioneller Erinnerungskultur in Mitteleuropa.

Um die Entstehungsbedingungen, die Geschichtskonzeptionen und die identitätsstiftende und apologetische Funktion historiographischer Traditionen der Brüderunität und anderer konfessioneller Minderheiten in Ostmitteleuropa vom 16. bis ins 18. Jahrhundert in den Fokus zu nehmen, sie zu verorten und zu diskutieren, organisiert die Deutsch-tschechische Kommission zur Herausgabe der Acta Unitatis Fratrum vom 18. bis 20. April 2018 in Prag eine internationale und interdisziplinäre Fachtagung.

Gäste sind willkommen. Es wird aber um Anmeldung bis zum 15. März 2018 gebeten. Ein Tagungsbericht ist vorgesehen. Die Drucklegung der Tagungsbeiträge ist in der Stuttgarter Schriftenreihe „Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit“ geplant.

Programm

Mittwoch, 18.04.2018

08.30 Uhr
Begrüßung und thematische Einführung

Sektion 1
Erinnerungskultur und Historiographie der Alten Brüderunität bis zur Schlacht am Weißen Berg (1620)

08.45-09.25 Uhr
Jiří Just (Prag/Praha)
Kirchengeschichtsschreibung und Identitätsbildung der Böhmischen Brüder im 15. und 16. Jahrhundert am Beispiel der Acta Unitatis Fratrum

09.25-10.05 Uhr
Markéta Růčková (Prag/Praha)
Das Archivwesen der Böhmischen Brüder im 16. und 17. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Archivs von Matouš Konečný in Jungbunzlau

10.05-10.45 Uhr
Ludger Udolph/Astrid Winter (Dresden)
Zur Sprache der Acta Unitatis Fratrum. Kommunikativer Code und konfessionelle Identität

Pause

11.05-11.45 Uhr
Jindřich Halama (Prag/Praha)
Acta Unitas Fratrum IV and the struggle for the theological orientation of the Unity in the last decade of the 15th Century

11.45-12.25 Uhr
Eliška Baťová (Prag/Praha)
Acta Unitatis Fratrum from the Hymnological Perspective. A Collection of Documents Concerning the Controversy of the 1547 Hymnbook

12.25-13.05
Martin Rothkegel (Berlin)
Die europäische Reformation im Spiegel der Acta Unitatis Fratrum

Mittagspause

14.30-15.10 Uhr
Ota Halama (Prag/Praha)
Czech Brethren Chroniclers: New Observations on the Historia Fratrum

15.10-15.50 Uhr
Veronika Sladká (Prag/Praha)
Buch- und Erinnerungskultur der Böhmischen Brüder im 16. Jahrhundert

Pause

16.10-16.50 Uhr
Tomáš Knoz (Brünn/Brno)
Gelehrsamkeit und Geschichtskultur des brüderischen Adels in Mähren um 1600: Karl der Ältere von Žerotín und seine Bibliothek

16.50-17.30 Uhr
Claudia Mai (Herrnhut)
Die Schicksale der Acta Unitatis Fratrum von der Vertreibung der Böhmischen Brüder aus ihrem Herkunftsland bis zur Gegenwart

Gemeinsames Abendessen

Donnerstag, 19.04.2018

Sektion 2
Konfessionelle Memoria: Historiographie religiöser Gruppen im Umfeld der Brüderunität

09.00-09.40 Uhr
Petr Zemek (Ungarisch Brod/Uherský Brod)
Paul Kyrmezers Vorhaben einer tschechischen Reformationsgeschichte

09.40-10.20 Uhr
Maciej Ptaszyński (Warschau/Warszawa)
Andrzej Wegierski (1600-1649): Polnisch-reformierte Geschichtsschreibung im 17. Jahrhundert

10.20-11.00 Uhr
Zoltán Csepregi (Budapest)
Reformierte und lutherische Historiographie in Ungarn während des 16./17. Jahrhunderts

Pause

11.20-12.00 Uhr
Mihály Balázs (Szegedin/Szeged)
Die Geschichtsschreibung der Unitarier in Ostmitteleuropa während des 16. und 17. Jahrhunderts

12.00-12.40 Uhr
Gizella Keserű (Szegedin/Szeged)
Martyrologien und Märtyrer. Zur Historiographie der Antitrinitarier in Ostmitteleuropa

Mittagspause

Sektion 3
Vom Exil zur Erneuerten Brüderunität: Brüderische Historiographie im 17. und 18. Jahrhundert

13.45-14.25 Uhr
Vladimír Urbánek (Prag/Praha)
Historia Persecutionum Ecclesiae Bohemicae between History, Memory and Martyrology

14.25-15.05 Uhr
Tomáš Havelka (Prag/Praha)
Historia de origine et rebus gestis fratrum Bohemicorum by Johannes Lasitius and its later processing by Johann Amos Comenius

15.15 Uhr
Besichtigungsprogramm: Stadtführung auf den Spuren der Brüder

Abend: Zur freien Verfügung

Freitag, 20.04.2018

09.00-09.40 Uhr
Marie Škarpová (Prag/Praha)
Historia persecutionum ecclesiae Bohemicae (Historia o těžkých protivenstvích církve české) und das Literaturgedächtnis

09.40-10.20 Uhr
Magdolna Veres (Szegedin/Szeged)
Prophetie und Historiographie bei Johann Amos Comenius und im ostmitteleuropäischen Protestantismus des 17. und 18. Jahrhunderts

10.20-11.00 Uhr
Joachim Bahlcke (Stuttgart)
Die Unitas Fratrum im kirchengeschichtlichen Werk des polnischen Brüderseniors und reformierten Hofpredigers Daniel Ernst Jablonski (1660-1741)

Pause

11.20-12.00 Uhr
Siglind Ehinger (Stuttgart)
Konfession und Solidarität in Georg Konrad Riegers pietistischer Kirchengeschichtsschreibung zu den Böhmischen Brüdern

12.00-12.40 Uhr
Matthias Noller (Stuttgart)
„Alte Brüder“ und „Neue Brüder“. Ideen- und realhistorische Bezüge zwischen den Böhmischen Brüdern und der Erneuerten Brüderunität im historiographischen Werk von David Cranz (1723-1777)

12.40-13.20 Uhr
Zdeněk Beneš (Prag/Praha)
Die Brüderunität und andere evangelische Kirchen in der modernen tschechischen Geschichtsschreibung

13.30 Uhr Ende der Tagung

Kontakt

Prof. Dr. Joachim Bahlcke
Universität Stuttgart
Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit
Keplerstraße 17
D-70174 Stuttgart
email: joachim.bahlcke@hi.uni-stuttgart.de