Die Frankfurter Paulskirche gilt als architektonisches Symbol nicht der ersten demokratischen Versuche auf deutschem Boden, aber doch der bis dahin wichtigsten. Diese Versuche führten zwar nicht direkt zur gewünschten Demokratisierung, dienten mit einer parlamentarischen Arbeit aber doch zur Einübung und Prägung politischer Rede und Gepflogenheiten. Die mit der Märzrevolution 1848 vorübergehend einsetzende Pressefreiheit löste eine mediale Blütezeit politischer Textsorten, und damit letztlich die Politisierung breiter Bevölkerungsschichten aus.
Die Paulskirche gilt als Beginn der ständigen Institutionalisierung politischer Öffentlichkeit, in deren Folge sich nicht nur die Parteien konstituierten, sondern auch deren Ideologien und damit auch deren gruppengebundene Ideologiewortschätze. Zur „Sprache der Parteilichkeit“ (Holly 1991) gehören die heute noch in der Diskussion stehenden Ideologeme sozial, national, liberal, freiheitlich, Volk.
In den Kanon der parlamentarisch-demokratischen Diskurspraxis flossen aber auch jene Schreibweisen der politischen Intoleranz, der Menschenverachtung und nicht zuletzt des Antisemitismus ein, die spätestens seit 1871 von den Völkischen wie später von den Nationalsozialisten radikalisiert wurden.
Ziel dieser Tagung ist es, die dunklen und die hellen Traditionen der Paulskirche herauszuarbeiten, das heißt die Schreibweisen, die in ihrem Parlament konditioniert um dann Vorbild gebend für das demokratische wie für das völkische Denken zu werden, als Matrix der gegenwärtigen Debatten zu diskutieren. Innerhalb der Selbstfindung der sich gegenüber anderen europäischen Staaten ausprägenden deutschen Gesellschaft spielte die semantische Konkurrenz um Begriffe wie ‚Volk‘, ‚Nation‘ und ‚deutsch‘ eine bedeutende und noch wenig untersuchte Rolle. Dasselbe gilt für die parteiübergreifenden Inklusions- und Exklusionspraktiken von „Germanophilie“ und des Antisemitismus bzw. Fremdenfeindlichkeit. Deutschland und Europa im Jahr 2018 zeigen, dass solche Fragen nicht national begrenzt zu lösen sind, sondern geradezu nach europäischen oder globalen Antworten verlangen. Alle anvisierten Panels zu „Sprechweisen der Politik seit der Paulskirche“, „Demokratisierungsdiskurse und ihre völkischen Gegendiskurse seit der Paulskirche“, „völkische und demokratische Politisierung und ihre Öffentlichkeit(en)“, „Semiotisierungen des Politischen in Architektur und Denkmal am Beispiel der Paulskirche“ sind darauf ausgerichtet, im europäischen Vergleich betrachtet zu werden.