Zwischen Image und Aufklärung. Public Relations, Wirtschaftsjournalismus und Unternehmen im Deutschland des 20. Jahrhunderts

Zwischen Image und Aufklärung. Public Relations, Wirtschaftsjournalismus und Unternehmen im Deutschland des 20. Jahrhunderts

Veranstalter
Bernhard Dietz / Eva-Maria Roelevink / Tanjev Schultz, Johannes Gutenberg-Universität
Veranstaltungsort
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.11.2019 - 16.11.2019
Deadline
03.02.2019
Website
Von
Roelevink, Eva-Maria

Anfang der 1960er Jahre verschickte Georg-Volkmar Zedtwitz-Arnim eine Denkschrift an die Vorstände der großen deutschen Unternehmen. Schon im Titel steckte die zentrale Botschaft: Kommunikation sei die „vordringliche unternehmerische Führungsaufgabe“. Denn die „Masse“ reagiere in ihrer Meinungsbildung emotional, und eben das sei „gefährlich“. Das bedeute für die westdeutschen Unternehmen nämlich, dass sie nicht mehr, wie ehedem, eine unmittelbar wirkende Argumentation entsenden könnten, die ohne Veränderung von der Presse publiziert würde und so öffentlich rezipiert würde. Die Kommunikation zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit, so die Schlussfolgerung von Zedtwitz-Arnim, müsse deshalb „systematisch organisiert werden, um in neuer Form zum alten Wirkungsgrad zu kommen.“ Das geschehe „durch methodische Meinungspflege. Durch Public Relations.“ (Denkschrift: Graf Zedtwitz-Arnim: Public Relations für die Wirtschaft. Denkschrift, Frankfurt a.M. 1962).

Zedtwitz-Arnim war mit seinen Ausführungen ziemlich erfolgreich, nur wenig später wurde er Leiter der Stabsabteilung Information des Krupp-Konzerns. Wirklich bemerkenswert ist aber etwas Anderes: Zedtwitz-Arnim verstand Public Relations als wechselseitigen Kommunikationsprozess, an dem sowohl die Unternehmen mit ihrer spezifischen Zielsetzung als auch die „freie Presse“ maßgeblich beteiligt waren. Gleichzeitig aber stellte er die „freie Presse“ in einen scharfen Gegensatz zur „Public Relations“ und deutete damit ein Spannungs- und auch Konfliktfeld über die öffentliche Deutung ökonomischer Akteure an, über das bisher nur wenig bekannt ist. Denn tatsächlich ist die Ausdeutung der Wirtschaft „zwischen Image und Aufklärung“ in der Forschung bisher kaum berücksichtigt worden. Daher möchte sich die Tagung mit der Frage befassen, mit welchen Motiven und Strategien sich die Unternehmen und ihre Verbände der Öffentlichkeit stellten und welche Rolle dabei der ökonomische, soziale und mediale Wandel einnahm. Geprüft werden soll, inwiefern sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in Deutschland eine spezifische Wirtschaftsöffentlichkeit entwickelte und welche Rolle dabei Unternehmen, Wirtschaftsverbände, PR-Agenturen, Wirtschaftsjournalismus, aber auch (Wirtschafts-)Historiker spielten.

Im Rahmen der Tagung sollen das Kommunikations- und potentielle Konfliktdreieck zwischen Unternehmen, Public Relations und Journalismus interdisziplinär in den Blick genommen werden. Wir möchten Wissenschaftler der Public Relations, der Journalistik und der Geschichtswissenschaft einladen über folgende Themenfelder zu diskutieren:

Programm

1. Von der Reklame über die Propaganda zu Public Relations und schließlich zur Strategischen Kommunikation?
Die Theoriebildung der Public Relations wird in Deutschland meist auf die Zeit nach 1945 datiert. Public Relations wirken so vergleichsweise jung, mitunter sogar als Theorieimport aus den USA. Aber: inwiefern lassen sich die Werbe- oder Propaganda-Aktivitäten vor 1945 von den Public Relations nach 1945 unterscheiden? Welche Veränderungen machten Werbung, Propaganda, PR und schließlich Strategische Kommunikation durch? Und auch, welche Veränderungen brachte der Nationalsozialismus? Zweifelsohne wurde die Berichterstattung ideologisch gebunden, ungelenkte Meinungsäußerung fand nach 1933 nicht mehr statt, - jedenfalls nicht auf einer politischen Ebene. Galt das auch für Unternehmen und die „Propaganda“ in eigener Sache?

2. Vom Kreuz des Wirtschaftsjournalismus: autonom, aber nie autark?
Die Berichterstattung von Journalisten gilt vielen als „frei“ und manchem sogar als autonom. Wie dem auch sei: tatsächlich gehört der Wirtschaftsjournalismus zu den großflächigen historischen Desideraten. Die Berichterstattung, erst recht die über Unternehmen oder Wirtschaftsorganisationen ist deutlich stärker als anderer Journalismus von dem Auskunftswillen des Objekts der Berichterstattung, d.h. den Unternehmen, abhängig. Informationen können von den PR-Abteilungen kommen, oder auch von Insidern. Welche Rolle spielten Insider und in welchem Verhältnis standen sie zum dem Wirtschaftssubjekt, über das sie „auspackten“? Aber auch: was motivierte zur Entlarvung? Und in welcher Rolle, mit welcher Währung, wurden Vertrauensbeziehungen zwischen Unternehmen und Journalisten aufgebaut und stabilisiert? Welche Bedeutung nahmen die Redaktionen und Herausgeber als Träger der Wirtschaftsberichterstattung ein?

3. Anonyme Macht? Wirtschaftsöffentlichkeit(en)
Als Adressat von Public Relations und auch Wirtschaftsjournalismus wird oftmals eine abstrakte Öffentlichkeit angenommen. Was aber charakterisiert diese „Wirtschaftsöffentlichkeit“, was unterscheidet sie von anderen Öffentlichkeiten und welchem Wandel unterlag sie? Zedtwitz-Arnim unterschied in seiner Denkschrift z.B. scharf zwischen Masse und „Meinungsmachern“. Wie lassen sich Meinungsmacher identifizieren und analysieren? Und, ist es analytisch folgerichtig von „Wirtschaftsöffentlichkeiten“ statt von „Wirtschaftsöffentlichkeit“ auszugehen?

4. Neue Formate, neue Kritik, neue Konflikte?
In den 1960er Jahren entstand eine kritischere Öffentlichkeit und korrespondierend auch ein neuer investigativer Wirtschaftsjournalismus. Die ARD-Fernsehmagazine Panorama und Report kritisierten in ihren Reportagen betriebliche Missstände und provozierten dadurch die deutsche Unternehmerschaft. In den 1970er Jahren brachten zunächst das Manager Magazin, dann auch andere Wirtschaftsmagazine betriebliche Reportagen über unzeitgemäße Führungsmodelle und Managementfehler, die die Vorstände der deutschen Unternehmen herausforderten. Wie reagierten die unternehmerischen Akteure auf diese Kritik und mit welchen Strategien versuchten sie dem drohenden Vertrauensverlust entgegenzuwirken? Wie verhielten sich also PR und freie Wirtschaftspresse im Konfliktfall? Welche Rolle spielten dabei das Presserecht und juristische Aspekte?

5. „Aufklärung“ und „Image“ durch Auftragsarbeiten renommierter Autoren
Wie akquirierten Unternehmen Autoren, die sich „loyal“, aber doch „aufklärerisch“ genug und damit als authentisch verkaufen ließen? Welche Rolle spielten etwa Historiker? Und wie wurden Beziehungen zwischen Autoren und Unternehmen stabilisiert und auch gelenkt? Heute ist es normal, dass Unternehmen, wenn sie etwa eine Unternehmensgeschichte in Auftrag geben, einen Vertrag mit dem Autor schließen, der Akteneinsicht, Autorenrechte und Honorar festlegt. Die Professionalisierung durch Verträge zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber kam, so die landläufige Meinung, in Westdeutschland stark im Zusammenhang mit dem sog. „NS-Boom“, der gezielten und unabhängig zu klärenden Frage nach der Zeit der Unternehmen im Nationalsozialismus seit den späten 1980er Jahren, auf. Mit welchen Mitteln wurde die Beziehung zwischen Autor und Unternehmen vorher strukturiert und lässt sich die These vom „NS-Boom“ überhaupt halten?

Wir bitten bis zum 3. Februar 2019 um ein kurzes Abstract (1-2 Seiten) und ein kurzes CV.
Theoretische wie empirische Beiträge aus PR-Wissenschaft, Journalistik, Zeit- und Wirtschaftsgeschichte sind höchst willkommen.

Kontakt

Eva-Maria Roelevink

Wirtschaftsgeschichte/Historisches Seminar
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
06131 39-26279

eroelevi@uni-mainz.de