Angewandte Geschichte: Aktuelle Vergangenheit in öffentlichen und digitalen Ausbildung- und Museumsräumen

Angewandte Geschichte: Aktuelle Vergangenheit in öffentlichen und digitalen Ausbildung- und Museumsräumen

Veranstalter
Deutscher Akademischer Austauschdienst; Staatliche Pädagogische Universität Jaroslawl’; Universität Bielefeld, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Abteilung Geschichtswissenschaft, Arbeitsbereich "Osteuropäische Geschichte"; Kulturdepartment Jaroslawl’
Veranstaltungsort
Staatliche Pädagogische Universität Jaroslawl’
Ort
Jaroslawl’
Land
Russian Federation
Vom - Bis
02.09.2019 - 15.09.2019
Deadline
30.05.2019
Website
Von
Tikhomirov, Alexey

In der modernen Welt wird die Rolle der Geschichtswissenschaft bei der Gestaltung und Verbreitung aktueller Vergangenheitsinterpretationen radikal transformiert. Die Abkühlung internationaler Beziehungen, die als ein “neuer Kalter Krieg” definiert wird, provozierte eine scharfe Nationalisierung historischer Narrative, einen Aufschwung von politischem Populismus und einen Zuwachs von rechtsradikalen Stimmungen und Bewegungen in den Staaten Mittel- und Osteuropas. Im Unterschied zu den westlichen Ländern wurde in Russland staatliche Geschichtspolitik und nicht die public history zu einem entscheidenden Faktor für die Strukturierung der Vergangenheitsbilder. Bei der Durchsetzung der staatlichen Mobilisierungs- und Aufklärungsaktionen (so wie z.B. “Russland. Meine Geschichte”, “Der Name des Sieges” und neulich die Umbenennung des Flughafens) wird das Expertenwissen massiv ignoriert und durch das pseudohistorische Pathos ersetzt. Dies wird zu einem Motor für die Entstehung nationaler und sozialer Stereotypen, für die Segregation alternativer Interpretationen und ihrer Träger. Vergleichbare Erscheinungen werden in vielen Staaten des postsowjetischen Raums und des ehemaligen sozialistischen Lagers (Ungarn, Weißrussland, Polen) registriert. Die Situation wird insgesamt durch die globale Devalvierung des humanitären Wissens beeinflusst, die die gezielte Popularisierung von angewandten, technischen Wissenschaften begleitet. Zu einer dritten Herausforderung wurde die digitale Revolution, die den Laien erlaubte, die nichtverifizierbaren Versionen der Vergangenheit zu schaffen und sie unbegrenzt zu verbreiten. Die oben beschriebenen soziokulturellen Phänomene verlangen nicht nur nach der interdisziplinären Analyse im Rahmen der Gedächtnistheorie, global history, Kulturantrhopologie, sondern auch nach der Entwicklung der “angewandten Geschichte” (applied history), die seit einigen Jahren im Zentrum der wissenschaftlichen Debatten steht. Eine aktive öffentliche Positionierung von zukünftigen Historiker/innen und Kulturwissenschaftler/innen scheint geeignet zu sein, um sich mit der Dauerkrise der Geschichtswissenschaft auseinanderzusetzen.

Das Ziel der internationalen Sommerschule in Jaroslawl’ ist, einen möglichen Diskussionsraum zu schaffen, in dem die russischen und deutschen Studierenden die Perspektiven der angewandten Geschichte besprechen können. Es sind die Fragen nach dem möglichen konzeptionellen und praktischen Umgang mit der aktuellen staatlichen Geschichtspolitik, mit der explosionsartigen Verbreitung populärer Erinnerungskultur, mit der Deprofessionalisierung der Geschichte und mit der Digitalisierung von historischen Landschaften zu diskutieren. Im Rahmen von Vorlesungen, Übungen und Exkursionen, aber vor allem auch im Rahmen der eigenständigen Projektarbeit werden die Teilnehmer/innen theoretische Analysenmodelle, sowie laufende (online) Projekte im Bereich der public history, Museumsaustellungen und Schuldidaktik kennenlernen. Der historische und museale Raum Jaroslawl’s – der momentan als die Hauptstadt des Goldenen Rings gepriesen wird – gibt eine einzigartige Möglichkeit, um die theoretischen und praktischen Ziele der Sommerschule zu realisieren.

Zur Teilnahme an der Sommerschule sind Bachelorstudierende ab dem vierten Semester und Masterstudierende eingeladen. Die Besucher der Sommerschule stellen ihre Projekte vor und diskutieren diese mit den anderen Teilnehmer/innen und Professor/innen, sowie auch mit den Spezialist/innen aus dem praktischen Bereich. Die Sommerschule besteht aus drei thematischen Modulen, in denen jeweils unterschiedliche Methoden der Wissensvermittlung und verschiedene Arbeitstechniken vorgestellt werden.

Modul I: Geschichtspolitik vs. public history: Erinnerungsräume im modernen Russland
Das Modul besteht aus einem theoretischen und einem praktischen Teil. Der erste Teil widmet sich den aktuellen Konzepten der Gedächtnisforschungen, des emotionellen Ereignismanagements und der visuellen Gestaltung und Inszenierung von modernen öffentlichen Räumen. Im zweiten Teil geht es um eine kritische Auseinandersetzung mit den laufenden Projekten der public history: Jubiläumsveranstaltungen, Popularisierung (Verdrängung) bestimmter historischer Akteure und Ereignisse und die Transformation des kommunikativen Gedächtnisses in das Kulturelle. Den Teilnehmer/innen haben die Möglichkeit, die fließende Grenze zwischen den Intentionen der public history und den staatlichen Interventionen in die Geschichtsbilder zu erkennen, die Interessengruppen und ihre Konflikte im öffentlichen Geschichtsraum zum Vorschein zu bringen, sowie auch die Kommerzialisierungseffekte zu kontextualisieren. Als ein Element des Moduls ist eine Podiumsdiskussion mit den Vertreter/innen der (quasi) öffentlichen Organisationen vorgesehen, die die aktuellen memorialen Projekte in Russland sowie auch im Ausland realisieren.

Modul II: Imaginäre Vergangenheit in den modernen Museen: Geschichte interaktivieren
Seit ihrer Entstehung ist die Natur von Museen zweideutig. Einerseits sind sie das Ergebnis des Herrschaftsdiskurses, andererseits beeinflussen sie ihn durch die mächtige Ressource – der “Authentizität der Dinge”. Heute genügt die Kraft der Authentizität nicht, so sind die Museen gezwungen, diesen Verlust durch performative Veranstaltungen zu kompensieren: jeder Versuch, das Vergangenheitsbild neu zu definieren, wird ohne eine interaktive Zusammenarbeit mit den Besuchern, ohne Digitalisierung der Ausstellungen und ohne Reenactment unvorstellbar. In diesem Modul bekommen die Teilnehmer/innen die Möglichkeit, aktiv in die Museumsprojekte involviert zu sein und die Perspektiven und Grenzen der angewandten Geschichte in den Museumsausstellungen einzuschätzen.

Modul III: Geschichte 2.0: lehren und lernen, propagieren und aufklären im Netz
In diesem Modul wird die Bandbreite von Internet-Ressourcen der etablierten historischen Ausbildung sowie ihre Herausforderungen (Reenactment-Communities, nostalgierende Erlebnisgemeinschaften und alternativeAufklärungsprojekten) analysiert. Sie sind von interesse, da sie ausweichende (oppositionelle) Vergangenheitsinterpretationen kreieren und verbreiten. Die Teilnehmer/innen werden ein mögliches Online-Instrumentarium der angewandten Geschichte diskutieren, das auch die Präsenz der wissenschaftlichen Interpretationen der Vergangenheit in verschiedenen online-Formen möglich macht.

Neben der Besichtigung von zahlreichen Museen und Sehenswürdigkeiten werden die Teilnehmer/innen das UNESCO-Kulturerbe der Stadt Jaroslawl kennenlernen. Das Kulturprogramm beinhaltet den Ausflug in das orthodoxe Kloster Tolgobol’, sowie auch die Besichtigung von benachbarten Städten des “Goldenen Ringes” und von einem der erfolgreichsten privaten Rekonstruktionsprojekten des russisch, bäuerlichen Unternehmensgeistes. Ein dichtes Kulturprogramm dient als eine zusätzliche Vorlage für die Diskussionen über die Bewahrung des historischen Erbes und dessen Kommerzialisierung für den inneren und ausländischen Tourismus.

Anreise der Teilnehmer/innen: 1. September 2019
Abreise der Teilnehmer/innen: 16. September 2019

Zielgruppe
Studierende der Geschichtswissenschaften;
Studierende der Sozialwissenschaften;
Studierende der Kulturwissenschaften;
Studierende der Kulturvermittlung und Museumspädagogik

Voraussetzungen
Universitäres Fachgebiet;
Forschungsinteresse bzw. Forschungsprojekt der Studierenden;
wissenschaftliche Eignung.

Bewerbungsunterlagen für Teilnahme
lückenloser tabellarischer Lebenslauf (max. 2 Seiten)
Motivationsschreiben für die Teilnahme an der Sommerschule (max. 2 Seiten)
Kopie des Reisepasses

Teilnehmerzahl
Maximum: 10

Kosten
Die Teilnahmegebühr beläuft sich auf 590 Euro und deckt den Transfer vom Bahnhof, Sprachkurse, Vorlesungen, Seminare und Workshops wie auch ein reiches Exkursionsprogramm (Stadtführungen, Museen, thematische Ausflüge).
Diese Summe umfasst nicht die Kosten für die Anreise, Versicherung,
Visabeschaffung und Verpflegung.

Deutsche Studierende können sich im Rahmen des Go East- Sommerschulprogramms beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) um ein Stipendium bewerben. Weitere Informationen dazu finden Sie unter: https://www.daad.de/ausland/prg/goeast/de/67757-ausschreibung-go-east-sommerschulen-01/

Stipendienleistungen:
Monatliche Teilstipendienrate (300€) wird taggenau berechnet.
Reisekostenpauschale (425€)
Teilnahmegebühren bis zu max. 650 €

Die Bewerbung für das DAAD-Stipendium ist nur über das DAAD-Portal möglich. Das zweigleisige Bewerbungsverfahren sieht vor, dass Interessenten sich parallel bei der Sommerschule um eine Zulassung und beim DAAD um ein Stipendium bewerben.

Visum
Die Teilnehmer/innen, die den Auswahlprozess erfolgreich durchlaufen haben, erhalten eine offizielle Einladung, mit der sie ein Visum bei den russischen Vertretungen in Deutschland beantragen können.

Unterkunft und Verpflegung
Die Teilnehmer/innen der Sommerschule werden im Studentenwohnheim (im historischen Stadtzentrum) untergebracht. Die Verpflegung kann nach eigenem Geschmack organisiert werden. Die täglichen Ausgaben werden maximal 10-15 Euro ausmachen.
Veranstaltungssprachen
Deutsch, Englisch, Russisch
Beschreibung zum Inhalt und zum Ablauf der Sommerschule

Sprachkurs
Der Fokus des Sprachkurses liegt auf der Sprachpraxis und dem fachgebundenen Wortschatz. Der Sprachunterricht dauert täglich 1,5 Stunden.

Programm
Kontakt

Prof. Dr. Oksana Nagornaia
Staatliche Pädagogische Universität Jaroslawl’, Russland
+7 (909)7437115

nagornaja.oxana@mail.ru


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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung