SPRACHEN DES POLITISCHEN IN KUNST UND LITERATUR
Der Verlust an Vertrauen in die repräsentative Demokratie und ihre Institutionen und die multimedial wirksame Desinformation, befördert die Wunschvorstellung einer “Betätigungsdemokratie“ (Pierre Rosanvallon): Aktiv im Umgang mit ihren eigenen Widersprüchen und Konflikten, gemessen an den Ansprüchen von sozialer Gerechtigkeit und kultureller Identität. In Kunst und Literatur kommt, im Gegensatz zur Politik, das zur Sprache, was Wittgenstein einmal die „Umgebungen einer Handlungsweise“ genannt hat: Das ‚Politische‘ im Partikularen und Differenten, in den alltäglichen Wahrnehmungen und Verhaltensweisen. Individuelle Erlebnisse und Ereignisse finden Ausdruck in einer Bilder- und Körpersprache, mit der etwas Denkbares und Fühlbares angesprochen wird, das nicht oder noch nicht verfügbar ist. Die hier wirksam werdende Agenda erschöpft sich nicht in Kritik und Kompensation der vorherrschenden Realpolitik. Vielmehr sucht sie, jenseits des privilegierten Wissens, die Nähe zu den Alltagserfahrungen von Entfremdung und Diskriminierung und den hier wirksamen Gesten des Aufbegehrens und des Widerstands, wie George Didi-Huberman sie in Kunst und Photographie vorgestellt hat. In der gegenwärtigen Erinnerungs- und Erfahrungsliteratur, bei Édouard Louis zum Beispiel, wird das Schreiben selber zum Ort der Gewalt, das Lesen zur verstörenden Begegnung mit dem Unerträglichen und Unsagbaren. Interaktive Kunstexperimente im öffentlichen Raum – man denke an die immersiven Verfahren zur suggestiven Entgrenzung von historischen Ereignissen und politischen Auseinandersetzungen – provozieren eine Verunsicherung selbstverständlicher und selbstgewisser Überzeugungen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die im Kunstbetrieb selbst veranstalteten antikapitalistischen Investigationen und Interventionen, mit denen einer Dienstleistungsökonomie des Subjektiv-Kreativen entgegengewirkt werden soll (Maria Eichhorns Documenta-Projekte). Die seit Adorno im Zwiespalt von Kunstautonomie und fait social fortgeschriebene ästhetische Theorie gewinnt an aktueller Bedeutung, bei Juliane Rebentisch zum Beispiel, wenn sie sich mit den neueren Tendenzen und Techniken einer ‚Ästhetisierung der Politik‘ auseinandersetzt.