Unionen und Teilungen. Neue Herrschaftsformen im spätmittelalterlichen Europa / Unions and Divisions. New Forms of Rule in Late Medieval Europe

Unionen und Teilungen. Neue Herrschaftsformen im spätmittelalterlichen Europa / Unions and Divisions. New Forms of Rule in Late Medieval Europe

Veranstalter
Dr. Dr. h. c. Norbert Kersken, Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung Marburg; Prof. Dr. Rimvydas Petrauskas, Vilniaus universitetas; Dr. Paul Srodecki, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Veranstaltungsort
Vilniaus universitetas
Ort
Wilna
Land
Lithuania
Vom - Bis
05.12.2019 - 07.12.2019
Website
Von
Dr. Paul Srodecki

Im späteren Mittelalter kam es verschiedentlich durch genealogische Zufälle zu Abbrüchen in der hergebrachten dynastischen Herrscherfolge. Vor allem aus dieser Konstellation wurden Lösungen gefunden, die dazu führten, dass ein politisch verfasstes Territorium von einem anderen Herrscher neben dessen ursprünglichem Herrschaftsgebiet mittels einer Personalunion mitverwaltet wurde. Zwei Merkmale zeichneten eine solche Lösung in der Vormoderne aus: So stellte einerseits das Eingehen einer Union zwischen zwei Ländern keine militärische Annexion dar – auch wenn die Thronansprüche nur zu oft mit Gewalt durchgesetzt worden sind; anderseits blieb die Selbständigkeit beider Reiche zumindest de jure in der neuen Konstellation bestehen.

Derartige Personalunionen finden sich vor allem in der Frühen Neuzeit, wo sie in der Forschung verschiedentlich thematisiert worden sind, etwa mit Blick auf England und Schottland (1603–1707), Großbritannien und Hannover (1714–1837), Sachsen und Polen-Litauen (1697–1763).

Die Grundsteine für solche Konstruktionen sind jedoch schon im frühen und hohen Mittelalter gelegt worden. Die frühesten Beispiele sind wohl die Verbindung des Franken- und Langobardenreichs unter Karl dem Großen, der Königreiche Dänemark und England (1013–1014, 1018–1035 und 1040–1042) wie auch des letzteren mit dem Herzogtum der Normandie (1066–1204) oder die Verbindung Kroatiens mit Ungarn seit 1102. Es folgten im 13. Jahrhundert die Unionen des römisch-deutschen Reichs mit dem Königreich Sizilien (1194-1254) und des Königreichs Böhmen mit dem Herzogtum Österreich während der Regierungszeit Přemysl II. Ottokars (1251-1278). Auch das Zusammenfassen der ostfränkisch-deutschen, italienischen (ab den Ottonen) und burgundischen (ab den Saliern) Kronen unter einem Herrscher innerhalb der sogenannten Trias regna des Heiligen Römischen Reichs kann „verfassungsrechtlich […] als eine Personalunion definiert werden, die aber gleichsam vom Imperium Romanum überwölbt und gefestigt wurde.“ 1

Auffällig ist eine Häufung solcher Verbindungen in ganz Europa ab dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts. Von 1373 bis 1415 war beispielsweise das Kurfürstentum Brandenburg Teil der Krone Böhmen und von 1370 bis 1382 waren Ungarn und Polen in einer Personalunion verbunden. Von längerer Dauer waren die immer wieder erneuerten Personalunionen der polnischen Krone und des Großfürstentums Litauen (1386–1440, 1447–1492, 1501–1569), die mit der Union von Lublin 1569 gar in einer Realunion beider Länder mündeten, die zahlreichen mittelalterlichen Reichsverbindungen auf der Iberischen Halbinsel mit der Einigung Spaniens unter den sogenannten Katholischen Königen im späten 15. Jahrhundert als ihren Höhepunkt, sowie des Königreichs Dänemark mit Norwegen und Schweden in der Kalmarer Union (1397–1523). Als weitere wichtige Unionen dieser Zeit seien die Zusammenschlüsse der Königreiche Aragon und Sizilien (1282–1285 und 1409–1516) sowie die Union Dänemarks mit Schleswig und Holstein (1460–1864) genannt. Unter Sigismund von Luxemburg (1419–1437), dem Habsburger Albrecht II. (1438–1439) und dem Jagiellonen Vladislav II. (1490–1526) war schließlich das Königreich Böhmen mit dem Königreich Ungarn vereint, bevor es 1526 – ebenfalls in der Form einer Personalunion – für Jahrhunderte an das Haus der Habsburger fallen sollte.

Die Tagung soll zum einen nach den Entstehungsbedingungen solcher Verbindungen fragen. Im Einzelnen soll untersucht werden, ob es sich bei den jeweiligen Unionen angesichts einer absehbaren dynastischen Nachfolgekrise um längerfristig geplante Zusammenschlüsse handelte oder ob es eine dynamische Entwicklung gab, die wenig geplant und von verschiedenen zufälligen Faktoren und Umständen abhing. Eine zweite Fragerichtung spricht die beteiligten politischen und sozialen Kräfte der betreffenden Länder an: Es ist zu fragen, wie die politischen Kräfte beider Herrschaftsbereiche, im Speziellen der Adel, die Städte und kirchliche Instanzen sich zu den Unionen verhielten oder sich daran beteiligten. Darüber hinaus ist anzusprechen, welche Folgen die Union auf der Herrscherebene auf andere soziale Beziehungen und Verflechtungen zwischen den jeweiligen unter einem Zepter zusammengefassten Reichen hatte. Damit in Zusammenhang steht die Frage in welchem Verhältnis Elemente des Zufälligen und Vorübergehenden zu Aspekten und Bestrebungen stehen, die Union fester und dauerhafter zu machen. Eine dritte Fragerichtung zielt auf die Reflexion der Union in der zeitgenössischen Publizistik und Propaganda, in rechtlichen und historischen Diskursen.

Die Beiträge zur Tagung sollten sich an diesen Fragen orientieren, um anhand der europaweiten Beispiele zu einer Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu kommen und ein Nebeneinander von Einzelbefunden zu vermeiden.

1 Hans K. Schulze, Grundsturkturen der Verfassung im Mittelalter. Bd. 3: Kaiser und Reich, Stuttgart 1998, S. 74.

Programm

Conference Schedule / Tagungsablauf

Thursday / Donnerstag, 05.12.2019

18.00
Welcome and Introduction / Begrüßung und Einführung (Kersken/Petrauskas/Srodecki)

18.15
Frederik Buylaert (Ghent/Gent)1
Key Note: Dynasties and Dynastic Rule between Elite Reproduction and State Building in Europe, 1300-1600

Friday/ Freitag

Panel I "Between Coercion and Political Reason"
Sektion I "Zwischen Zwang und politischer Raison"
Moderation: Norbert Kersken (Marburg)

09.00
Luis García-Guijarro (Zaragoza/Saragossa)
Dynastic Unions and the Development of Solid and Widespread Christian Polities in Iberia, 11th–13th Centuries

09.45
Fanny Madeline (Paris)
Angevin Empire: Between Dynastic Construct and Imperial Government

10.30
Stephen Church (Norwich)
The End of the Angevin Empire: Why King John Lost his Dynastic Inheritance

11.15 Coffee Break/ Kaffeepause

11.30
Sergej Polechov (Moscow/Moskau)
Zur Errettung der Ostpolitik? Die Union des Großfürstentums Litauen mit dem Königreich Polen und ihre Beziehungen mit den östlichen Nachbarn

12.15
Frederieke Maria Schnack (Kiel)
Bischof, Administrator, Vormund. Die Herrschaft Alberts von Hoya († 1473) in Minden, Osnabrück und Hoya

13.00
Lunch Break/ Mittagspause

Panel II "Between Aspiration and Reality"
Sektion II "Zwischen Anspruch und Wirklichkeit"
Moderation: Rimvydas Petrauskas (Vilnius/Wilna)

14.00
Márta Font (Pécs/Fünfkirchen)
Der Titel rex Galiciae zwischen Anspruch und Realität

14.45
Neven Budak (Zagreb)
Die Union zwischen Ungarn und Kroatien: Tatsachen und Legenden

15.30
Norbert Kersken (Marburg)
Die Lausitzen in Personalunion mit Brandenburg und Böhmen

16.15 Coffee Break/ Kaffeepause

16.30
Robert Antonín (Ostrava/Ostrau)
The Foreign Policy of the Last Přemyslids: A First Attempt in Unifying Central Europe?

17.15
Adam Szweda (Toruń/Thorn)
Wie haben die Hochmeister des Deutschen Ordens ihre Abhängigkeit von den Königen von Polen aufgefasst (1466–1497)?

Saturday/ Samstag

Panel III "Between Coincidence and Intention"
Sektion III "Zwischen Zufall und Absicht"
Moderation: Paul Srodecki (Kiel, Ostrava/Ostrau)

09.00
Andrzej Marzec (Cracow/Krakau)
Wenceslaus II Přemyslid and Louis I of Hungary. Two Personal Unions in the History of the Polish Kingdom in the 14th Century

09.45
Rimvydas Petrauskas (Vilnius/Wilna)
Zur Genese der polnisch-litauischen Union

10.30
Jan Hirschbiegel (Kiel)
Ein Reitunfall und seine Folgen. Das Testament der Maria von Burgund († 1482) – Zur Wirkmächtigkeit des Zusammenspiels von Zufall und Absicht

11.15 Coffee Break/ Kaffeepause

11.30
Julia Burkhardt (Heidelberg)
Die Macht des Schicksals? Das Unionskönigtum Albrechts II. und seine Bedeutung für Ostmitteleuropa im 15. Jahrhundert

12.15
Darius Baronas (Vilnius/Wilna)
The Rulers of Lithuania and the Issue of Church Union in the Late 14th to early 16th Century

13.00
Lunch Break/ Mittagspause

Panel IV "Between Dynastic Extension and Overstretching"
Sektion IV "Zwischen dynastischer Ausdehnung und Überdehnung"
Moderation: Márta Font (Pécs/Fünfkirchen)

14.00
Jens E. Olesen (Greifswald)
Die Unionskriege innerhalb der nordischen Kalmarer Union 1448–1520

14.45
María Bonet Donato (Tarragona)
The Policies for and from the Dynastic Union: Crowns of Castile and Aragon (15th Century)

15.30
Lenka Bobková (Prague/Prag)
Corona regni Bohemiae. Eine Idee der Luxemburger und ihrer Nachfolger über die Integration Mitteleuropas

16.15 Coffee Break/ Kaffeepause

16.30
Přemysl Bar (Brno/Brünn)
Auf dem Weg zur Donaumonarchie? Politisches Vermächtnis Kaiser Sigismunds und dessen Vollstrecker im 15. Jahrhundert

17.15
Paul Srodecki (Kiel, Ostrava/Ostrau)
Der Traum vom „Jagiellonischen Europa“. Der Versuch einer dynastischen Großmachtbildung zwischen Ostsee, Adria und Schwarzem Meer

18.00
Ludwig Steindorff (Kiel)
Conclusio

Anmerkung:
1 In cooperation with Erika Graham (Ghent) and Thalia Brero (Geneva) from the project "STATE. Lordship and the rise of the state in Western Europe (1300-1600)". / In Kooperation mit Erika Graham (Gent) und Thalia Brero (Genf) vom Projekt "STATE. Lordship and the rise of the state in Western Europe (1300-1600)".

Kontakt

Paul Srodecki

Leibnizstr. 8
D-24118 Kiel
+494318803451

srodecki@oeg.uni-kiel.de


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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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