Gebrochene Versprechen. Modernität/Moderne als historische Erfahrung

Gebrochene Versprechen. Modernität/Moderne als historische Erfahrung

Veranstalter
Hamburger Institut für Sozialforschung und Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
Veranstaltungsort
congress centrum weimarhalle (Weimar)
Ort
Weimar
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.12.2019 - 06.12.2019
Von
Hamburger Institut für Sozialforschung

Im Gegensatz zu bisherigen ideengeschichtlichen, kultur- oder sozialwissenschaftlichen Herangehensweisen zielt die Tagung weder auf eine wie auch immer geartete (Re-) Konzeptualisierung der Moderne, noch bezweckt sie die Modellierung und Definition etwaiger Nachfolgezustände, wie sie z. B. mit der Diskussion um eine Postmoderne verbunden gewesen sind. Das Anliegen der Tagung besteht vielmehr darin, Modernität/Moderne entlang zentraler Zuschreibungen und Erwartungen aus der Perspektive damit – synchron und diachron – verbundener Erfahrungen kritisch zu rekonstruieren und zu diskutieren. So wenig wie Modernität/ Moderne dabei nur normativ aufgefasst werden kann, so wenig wird die Moderne als eine zeitlich festumrissene, in sich kohärente Epoche verstanden. Vielmehr geht es um die im Verlauf der Geschichte erfahrene Diskrepanz zwischen den normativen Entwürfen und Selbstzuschreibungen von Modernität/Moderne einschließlich der sicheren Überzeugung, diese auch uneingeschränkt und umfassend verwirklichen zu können, und den tatsächlichen, historisch greifbaren Auswirkungen und Folgen dieses Denkens und Handelns. Kurz und zugespitzt, nicht was Modernität/Moderne sei oder sein sollte, ist das Thema, sondern das Thema sind vorrangig die Erfahrungen der Nichtidentität von Erwartungen und Wirklichkeit einschließlich der politischen, wissenschaftlichen und sozio-kulturellen Wahrnehmungen und Verarbeitungen dieser Diskrepanz. Was Modernität/Moderne ausmachen soll, erscheint in dieser Perspektive zu keinem Zeitpunkt als konfliktfrei und frei von Enttäuschungen in Bezug auf die Versprechungen im Namen von Modernität/Moderne. Sind doch Zielsetzungen und Entwicklungen im Namen von Modernität/ Moderne keineswegs nur erwünscht und bejubelt, sondern auch abgelehnt und bekämpft worden. Und sind doch die mit Modernität/Moderne verbundenen Versprechen und Erwartungen keineswegs automatisch eingelöst worden, und wenn sie eingelöst worden sind, dann häufig genug nur partial und nicht für alle – erst recht nicht in menschheitlich-globalgeschichtlicher Perspektive. Außerdem hat ihre Verwirklichung unbedachte, unerwünschte, sogar katastrophale Nebenwirkungen gezeitigt und zeitigt sie noch.

Diagnostisch-analytisch und historisch-erfahrungsreflexiv angelegt, versteht die Tagung die Enttäuschungen durch Modernität/Moderne nicht zuletzt auch als elementare Themen für eine weder bloß affirmative noch ausschließlich kritisch auf Modernität/Moderne bezogene Bildungsarbeit im Kontext des gesellschaftlichen Diskurses über Modernität/Moderne. Denn dieser bis tief in die Alltagswelt hinein wirksame Diskurs ist nach wie vor ein prägendes Medium der Imagination, Konzeptualisierung und Gestaltung von Zukunft, so als seien Modernität/Moderne frei von Schatten und menschengemachten Katastrophen. Die Tagung wendet sich deshalb nicht nur an Vertreterinnen und Vertreter der mit Fragen von Modernität/Moderne befassten Fachdisziplinen, sondern ebenso an den wissenschaftlichen Nachwuchs und Akteure der historisch-politischen und der kulturellen Bildung, die in unterschiedlichsten Zusammenhängen mit Fragen zu Modernität/Moderne befasst sind bzw. konfrontiert werden.

Genau auf diese Erfahrungen von Diskrepanz und Ambiguität zielt der Titel der Tagung: Gebrochene Versprechen. Modernität/Moderne als historische Erfahrung ruft nämlich zwei Aspekte auf. Zum einen – und das ist soeben angesprochen worden – jene zweifellos gegebenen, in der Geschichte wirksamen Enttäuschungen über die oft als ungenügend erfahrenen Errungenschaften der Moderne im Sinne des Nichteinhaltens von Versprechungen. Zum anderen zielt der Titel der Tagung aber – und auch dies gehört elementar zur Erfahrung und Erfahrungsverarbeitung von Modernität/Moderne – auf die Lerneffekte von Enttäuschungsverarbeitungen einschließlich von massiv kritischen, nicht selten sogar destruktiven Reaktionen im Hinblick auf die gebrochenen Versprechungen und Enttäuschungen. Anders gesagt, Modernität/Moderne waren und sind immer auch Kategorien historischer und gesellschaftlicher Erfahrung und Erfahrungsverarbeitung, die im Spannungsverhältnis von normativen Konzepten, sicheren Erwartungen und konkreten Enttäuschungen situativ mit ganz spezifischen Inhalten gefüllt wurden und werden – und zwar nicht nur in Gestalt wissenschaftlicher Diskurse, sondern bis in das alltagsweltliche Denken hinein. Genau deshalb sind sie auch nicht abschließend zu definieren.

Gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Programm

Mi \\ 4. 12.

Ab 18.00
Eintreffen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
19.00
Begrüßung

Volkhard Knigge und Wolfgang Knöbl
19.15
Eröffnungsvortrag

Michael Geyer, University of Chicago
Die Welt als Ereignis: vorauseilende Modernen, nachholende Erfahrungen, zwanghafte Ordnungen, mimetische Anverwandlungen.
20.30
Empfang

Do \\ 5. 12.

9.00 – 12.00
Panel 1: Vom modernen Projekt der Selbstbestimmung und Demokratie zur imperialen Machtentfaltung, Versklavung und Vernichtung

Chair: Sybille Steinbacher, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Norbert Frei, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Wie modern war die NS-Moral?
Svenja Goltermann, Universität Zürich
Jenseits von Krieg und Holocaust. Zur Unsichtbarkeit „privater“ Gewalt in der Zeitgeschichte
Dieter Langewiesche, Eberhard Karls Universität Tübingen
Moderne aus Gewalt? Zur Rolle von Kriegen in Modernitätserwartungen
12.00 – 13.30
Mittagspause
13.30 – 16.30
Panel 2: Vom modernen Projekt der individuellen Selbstverwirklichung zur Erfahrung der Atomisierung des Sozialen

Chair: Volkhard Knigge, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Cornelia Koppetsch, Technische Universität Darmstadt
Seitwärtsbewegungen. Zur Illusio in kosmopolitischen Milieus
Juliane Rebentisch, Hochschule für Gestaltung Offenbach
Singularität und Freiheit
N.N.
16.30 – 17.00
Kaffeepause
17.00 – 19.00
Panel 3: Vom modernen Projekt der Beherrschung und Verfügbarmachung der Natur zur Gefährdung der menschlichen Zukunft

Chair: Winfried Speitkamp, Bauhaus-Universität Weimar
Dirk van Laak, Universität Leipzig
„Bloß den Anschluss nicht verpassen...“ Alltags- und erfahrungsgeschichtliche Dimensionen der Modernitätserwartung
Joachim Radkau, Universität Bielefeld
Die Umweltbewegungen: Zwischen „Forderung des Tages“ und Herausforderung durch die Zukunft

Fr \\ 6. 12.

9.30 – 12.30
Panel 4: Von der modernen Idee des Überflusses und des unendlichen Wachstums zur ernüchterten Idee der Nachhaltigkeit

Chair: Wolfgang Knöbl, Hamburger Institut für Sozialforschung
Alexander Nützenadel, Humboldt-Universität zu Berlin
Das „Goldene Zeitalter“ (1949-1973) als Narrativ der Moderne
Aaron Sahr, Hamburger Institut für Sozialforschung
Knappheit im Überfluss. Paradoxien modernen Geldes
Anna-Katharina Wöbse, Justus-Liebig-Universität Gießen
Solange der Vorrat reicht – Verhandlungen mit einem endlichen Planeten
12.30 – 14.00
Mittagspause
14.00 – 15.00
Abschlussvortrag

Jan Philipp Reemtsma, Hamburg
Gewalt – Der blinde Fleck der Moderne
15.15 – 16.30
Podium: Weder abzuschaffen noch zu vollenden – die Moderne und ihre Enttäuschungen als historisch-politische Bildungsaufgabe

Micha Brumlik, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Volkhard Knigge, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Thomas Krüger, Bundeszentrale für politische Bildung
16.30 – 17.00
Kaffeepause
17.00 – 18.25
Podium: Ambivalente Moderne – Weimar als Fallbeispiel und Lernort

Benjamin-Immanuel Hoff, Minister im Freistaat Thüringen
Volkhard Knigge, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Verena Krieger, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ulrike Lorenz, Klassik Stiftung Weimar
Jan Philipp Reemtsma, Hamburg
Moderation: Winfried Speitkamp, Bauhaus-Universität Weimar
18.25
Schlusswort

Wolfgang Knöbl, Hamburger Institut für Sozialforschung

Kontakt

Direktion

Hamburger Institut für Sozialforschung

040-414097 - 0

his@his-online.de

http://tagung-gebrochene-versprechen.de/
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