In dunklen (Sprach-)Räumen. Verhandlungen von Unverständlichkeit in den slawischen Literaturen

In dunklen (Sprach-)Räumen. Verhandlungen von Unverständlichkeit in den slawischen Literaturen

Veranstalter
Dr. Manuel Ghilarducci / Dr. Zornitza Kazalarska
Veranstaltungsort
Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Slawistik und Hungarologie
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.03.2020 - 27.03.2020
Deadline
31.01.2020
Website
Von
Dr. Manuel Ghilarducci

Der Vorwürfe seiner Rezeption bewusst, die ihn als ‚obskur‛ und ‚unverständlich‛ bezeichnet (Uffellmann 1997; Kasperski 2009), täuscht Cyprian Norwid im Gedicht Ciemność (Dunkelheit, 1866) das Versprechen einer poetologischen Erklärung vor. Die t(r)opologische Komplexität des Textes, der aus rhetorischen Fragen, enigmatischen Auslassungspunkten und Gedankenstrichen besteht, verschärft die Irritationen der Lesenden, die sich in einem Labyrinth aus sprachlichen Verschiebungen und textuell-räumlichen Bewegungen verliert. Dunkelheit entwirft ein Unverständlichkeitsparadigma für das XIX. Jahrhundert. Nicht nur scheitert der Versuch der Lesenden, den Text zu verstehen; auch jeder Versuch des lyrischen Ich, Dunkelheit und Unverständlichkeit einen Namen zu geben, bleibt in rhetorischen Signifikantenverschiebungen gefangen.
Dunkelheit macht den Zusammenhang zwischen rhetorischen und textuell-räumlichen Bewegungen (Sasse 2012: 228) sichtbar, der bereits im Altgriechischen in den miteinander verwandten Begriffen τρόπος (trόpos) und ἀτραπός (atrapόs) zu sehen ist. Trόpos bezeichnet sowohl eine körperliche als auch eine sprachliche Wendung; atrapόs einen schwer begehbaren Pfad. Rhetorische Bewegungen sind Wendungen im Raum der Sprache, die die Lesenden von einer linearen und erhellten Hauptstraße, die das klassische hermeneutische Verfahren allegorisch repräsentiert, in dunkle und verwirrende Pfade zwingen.
Fast 150 Jahre später rückt der t(r)opologische Charakter der Unverständlichkeit erneut in den Mittelpunkt der Reflexion. In seiner literarischen Essaysammlung Sprievodca nezrozumiteľnosťou (Wegweiser durch die Unverständlichkeit, 2015) vergleicht der slowakische Autor Juraj Briškár die Unverständlichkeit mit einem Raum, den es mit Hilfe eines Begleiters bzw. Wegweisers zu durchlaufen gilt. Die Überschrift seines Buches lässt aber eine andere Deutung zu: Wegweiser zur Unverständlichkeit. Die Unverständlichkeit repräsentiert das Ziel der Lektüre selbst: Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken die Wegmarken, die den atrapόs zur Unverständlichkeit kennzeichnen und zum Grundprinzip der Leseerfahrung erheben. Beide Übersetzungsmöglichkeiten des Buchtitels decken die t(r)opologische Dimension von Unverständlichkeit auf, die als Umgang mit einer räumlichen Anordnung der Zeichen modelliert wird.
Norwid und Briškár sondieren die Produktivität einer Unverständlichkeitst(r)opologie, die zu einem (meta-)poetologische und (meta-)epistemologischen Paradigma erhebt wird. Dunkle Wege, leere Räume, unverhoffte Wendungen und Signifikantenwirbel sind einige der t(r)opoi in ihren Texten, die sowohl die rhetorische Tradition der obscuritas als auch die poststrukturalistische Theorie auf eine besondere Art weiterdenken und einen epochenübergreifenden Bogen spannen.

Im Anklang mit den angeführten Beispielen hinterfragt die Tagung rhetorische und textuell-räumliche Verhandlungen von Unverständlichkeit in den slawischen Literaturen. Erwünscht sind Beiträge, die sich beispielswiese mit folgenden Fragen auseinandersetzen:

- Unverständlichkeitsdiskurs und Literatur. Was gilt in einer Epoche (z.B. Barock, Romantik, Moderne) als obskur und unverständlich? Wie wird das begrifflich definiert und welchen Beitrag dazu leistet die Literatur?
- Literarische Performativität der Unverständlichkeit. Wie wird Unverständlichkeit im Text rhetorisch und räumlich produziert? Welche obskure Denkfiguren bzw. Denkfiguren des Obskuren (z.B. Krypta, Wald, Labyrinth) schaffen semantische, rhetorische und hermeneutische Verwirrung?
- Materialität der Unverständlichkeit. Welche Möglichkeiten eröffnen sich der Unverständlichkeit durch die visuelle Materialität der Literatur? Wie wird sie auf der materiellen Oberfläche des Textes – graphisch, typographisch, schriftbildlich – in Szene gesetzt?

Die Länge der Vorträge soll 20 Minuten nicht überschreiten. Für die anschließende Diskussion sind 10 Minuten vorgesehen. Abstracts von max. 400 Wörter sind bis zum 31. Januar 2019 willkommen.

Programm

Kontakt

Manuel Ghilarducci

Institut für Slawistik und Hungarologie, Humboldt-Universität zu Berlin

manuel.ghilarducci@hu-berlin.de


Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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