Parteipolitik oder Neue Soziale Bewegung? Zur Durchsetzung geschlechterdemokratischer Ansprüche im 20. Jahrhundert

Parteipolitik oder Neue Soziale Bewegung? Zur Durchsetzung geschlechterdemokratischer Ansprüche im 20. Jahrhundert

Veranstalter
Dr. Julia Paulus, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte (Münster); in Kooperation mit Dr. Kerstin Wolff, Archiv der deutschen Frauenbewegung (Kassel) und Berit Schallner, FrauenMediaTurm (Köln) sowie dem Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung (Region Mitte und NRW)
Veranstaltungsort
LWL-Landeshaus, Frh.v. Stein-Platz 1, 48147 Münster
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.06.2020 - 05.06.2020
Deadline
05.04.2020
Website
Von
Paulus, Julia

Das 20. Jahrhundert zeichnet sich dadurch aus, dass in ihm verschiedene Formen emanzipatorischer Politiken entwickelt, verhandelt und ausprobiert wurden. Wurde zu Beginn des Jahrhunderts (1918) das Frauenwahlrecht eingeführt und damit der Weg für die Partizipation von Frauen in den Parlamenten frei, entwickelten sich ab den 1960er Jahren alternative Politikmodelle, die als außerparlamentarische Opposition bewusst nicht mehr auf Parteien und Parlamente setzten. In beiden Fällen war es (auch) die Frauenbewegung, die mit ihren Themen, Forderungen und Theorien die Debatten in den politischen Feldern anregte.

Auf dieser Tagung wollen wir den Fokus darauf richten, wie erfolgreich oder auch weniger erfolgreich die Frauenbewegung dabei war. Wie konnte sie die Parteipolitik und die Aushandlungsprozesse in den Parlamenten in der Weimarer Republik, in der Nachkriegszeit (in Ost und West) und im vereinigten Deutschland beeinflussen? Stellte sie den eigenen Aktivistinnen ausreichendes Handwerkszeug zur Verfügung um im parlamentarischen Alltag bestehen zu können? Wo lagen und liegen die Probleme bei der Durchsetzung emanzipatorischer Politik in Parteien und Parlamenten? Worauf fand die Frauenbewegung keine Antwort? Welche Themen konnten die Politikerinnen voranbringen? Wurden sie dabei von Protagonistinnen / Bewegungen außerhalb der Parlamente unterstützt?

In Bezug auf die Neuen sozialen Bewegungen, die sich ab den 1960er Jahren gründeten, möchten wir untersuchen, wie diese als alternative Trägerinnen gesellschaftlicher Reformpolitik auf die Forderungen der Frauenbewegung reagierten und welche Art von politischer Praxis in ihnen umgesetzt wurde. Auf welche Weise und in welchem Maße konnte die Forderung nach Emanzipation in ihnen umgesetzt werden? Welche Rolle und Bedeutung wurde dem Projekt einer ‚Geschlechterdemokratie‘ beigemessen?

Hintergrund der Perspektivöffnung ist die Beobachtung, dass die verfasste Politik – trotz der Öffnung für weibliche Akteure und ihre Themen – nur selten ein Ort weiblicher Selbstvergewisserung und Machtkonzentration wurde. Schon alleine die Zahl von Politikerinnen und Parlamentarierinnen war bis in die 1990er Jahre erschreckend gering und noch immer ist keine Parität erreicht. Flankierend dazu steht der Befund, dass Frauen vergleichsweise stärker mit ‚(Neuen) Sozialen Bewegungen‘ sympathisierten. Hatte diese vergleichsweise höhere Präsenz von Frauen in den ‚(Neuen) Sozialen Bewegungen‘ Auswirkungen auf die Thematisierung und Verwirklichung von Gleichberechtigungsforderungen? Welchen Stellenwert nahm die Kategorie ‚gender‘ bei der Bearbeitung der Ursachen sozialer Ungleichheiten in den jeweiligen ‚Protestbewegungen‘ ein? Welche (An-)Forderungen an ein ‚neues‘ gleichberechtigtes Miteinander wurden durch die Aktivist_innen aufgestellt und wie wurden sie gelebt? Konnten in diesen Bewegungen auch Themen verhandelt werden, die zuvor ins Private und somit in einen unpolitischen Raum verschoben worden waren?

Besonders interessiert uns die Verknüpfung und (evtl.) gegenseitige Beeinflussung dieser beiden Politikfelder. Unterstützen Vertreter_innen der (Neuen) Sozialen Bewegungen etablierte Politikerinnen bei der Durchsetzung emanzipatorischer Ziele? Welche Rolle spielten Frauen in den unterschiedlichen Themenzusammenhängen der (Neuen) Sozialen Bewegungen wie in der Friedens-, Anti-AKW-, Umwelt, Eine-Welt-Bewegung, in den Selbsthilfe- und Alternativbewegungen und welchen Einfluss besaßen sie auf die Handlungsräume, die Entstehung und die Organisation von Protest, auf die Deutungsprozesse und Inszenierung von Protestthemen sowie auf die Herstellung kollektiver Identität und Vernetzung?
Sowohl der Einfluss von Frauen in den (Neuen) Sozialen Bewegungen, die Verschränkung und gegenseitige Durchdringung von alternativen und konventionellen Politikformen und der Einfluss der Frauenbewegung auf beide Formen wurde bisher kaum oder gar nicht untersucht. Stattdessen wirkt in vielen Forschungen bis heute ein Narrativ nach, dass Frauen in den Gruppen der (Neuen) Sozialen Bewegung in erster Linie in der Vergemeinschaftungsarbeit sieht, Männer hingegen für die politische Vergesellschaftung zuständig seien, wobei der Vergesellschaftungsarbeit wie in den traditionellen politischen Foren auch, ein höherer Prestigewert zukam. Gleichzeitig werden Frauen nicht selten in der gängigen Bewegungsforschung als eine Gruppe beschrieben, die einerseits in ihren Entwicklungsmöglichkeiten benachteiligt wurden, andererseits aber gerade deswegen als besonders sensibel für das ‚Erspüren‘ von Modernisierungsfolgen waren, was in beiden Fällen wiederum statt zu einer Dekonstruktion im hohen Maße zu einer Rekonstruktion von Geschlechterstereotypen und sozialer Ungleichheit führte. Es spricht einiges dafür, dass diese Mechanismen auch im politischen Raum von Parteien und Parlamenten nachgewiesen werden kann – was unter anderem durch die Etablierung von Vertretungsstrukturen von Frauen für Frauen zu Tage trat.
Wirkte sich auch in den (Neuen) Sozialen Bewegungen wie in den Parteien und Parlamenten die alte Arbeitsteilung aus, in denen sich wiederum die bekannten geschlechtstypischen Hierarchien ausbildeten?

Mit diesen Fragen möchten wir gerne Forscherinnen und Forschern ansprechen, die sich mit Parteipolitik, Parlamentarismusforschung sowie den (Neuen) Sozialen Bewegungen und der Bewegungsforschung beschäftigt haben und sie bitten, vor dem Hintergrund unserer Perspektivierung ihre Studien ‚gegen den Strich zu bürsten‘, um dem Einfluss der Kategorie ‚gender‘ in diesen Feldern nachzugehen. Selbstverständlich sprechen wir hiermit auch all jene an, die sich mit der Geschichte der Frauenbewegung beschäftigen. Hier wäre es u.M.n. interessant zu erfahren, inwiefern gerade diese Bewegungskulturen nicht nur als Teil, sondern als wesentlicher Motor der vor Ort aktiven (Neuen) Sozialen Bewegungen oder Parteipolitiken einzuschätzen sind, die durch ihre Kritik an traditionellen wie auch an den vermeintlich basisdemokratischen Strukturen, notwendige gleichstellungspolitische Diskussionen anregten und grundsätzliche geschlechterdemokratische Defizite aufdecken halfen.

Wenn Sie Interesse an einem Vortrag haben, reichen Sie uns bitte bis zum 04.04.2020 ein kurzes Exposé (1-1,5 Seiten) ein. Bewerbungen richten Sie an: Dr. Julia Paulus (julia.paulus@lwl.org).

Programm

Kontakt

Julia Paulus

LWL-Institut f. westf. Regionalgeschichte, Karlstr. 33, 48147 Münster

0251 / 591-5880
0251 / 591- 3282
julia.paulus@lwl.org


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