Aus der Zeit gefallen? Produktion und Konsumption von Uhren und anderen Konsumgütern in Ost und West – Interdisziplinäre Betrachtungen eines strukturellen Wandels

Aus der Zeit gefallen? Produktion und Konsumption von Uhren und anderen Konsumgütern in Ost und West – Interdisziplinäre Betrachtungen eines strukturellen Wandels

Veranstalter
Wolfgang Burr, Lehrstuhl für ABWL, insbesondere Innovations- und Dienstleistungsmanagement, Universität Stuttgart; Reinhold Bauer, Lehrstuhl für Wirkungsgeschichte der Technik, Universität Stuttgart
Veranstaltungsort
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.08.2020 -
Deadline
15.09.2020
Website
Von
Schuetz, Thomas

Im Zuge des Strukturwandels der langen 1970er Jahre verlagerte sich die Produktion von Konsumgütern von den Industrienationen in Billiglohnländer. Auch in Ost- und Westdeutschland hat einerseits im Zuge der Strukturkrise der 1970er Jahre und andererseits als Folge der Wendeereignisse die produzierende Industrie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ihre einstige Bedeutung eingebüßt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten viele Tausend Arbeitskräfte in innovationsstarken und exportorientierten Branchen ihr Auskommen gefunden, wobei sich regionale Schwerpunkte auf wenige oft periphere Standorte konzentrierten. Aufgrund dieser regionalen Konzentration und/oder der branchenspezifischer Identifikation mit den jeweiligen technischen Artefakten, vom Fahrrad über den Vinyl-Plattenspieler bis zum handgenähten Herrenschuh, hatte dieser Niedergang gravierende soziale, wirtschaftliche und kulturelle Folgen für die betroffenen Regionen. Diese Konstellation bedingte aber auf der anderen Seite, dass solchen Unternehmen, die den Wandel überlebt haben oder nach den Wendeereignissen in Ostdeutschland von neuem ihren Platz am Markt gefunden haben, eine besondere Wertschätzung und Aufmerksamkeit widerfahren ist.

Ein Beispiel für diesen strukturellen Wandel ist die gegenwärtig in Stuttgart untersuchte Uhrenindustrie. Mit dem Artefakt Uhr sind vielfältige Deutungszuschreibungen verknüpft. Sie dient offenbar nicht nur als Gebrauchsgegenstand zur Zeitmessung, sondern etwa auch als Statussymbol. Die Uhr ist industrielles Massenprodukt, obsoletes Artefakt oder auch gehortetes Sammlungsobjekt. Ihre jeweilige Deutung ist kulturell konstruiert, sie hängt ab von komplexen Rationalitätsfiktionen der Konsumentinnen und Konsumenten, was allein schon die Relevanz der geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Gegenwart und Geschichte von Uhrenproduktion und -konsumption unterstreicht. Neben Studien zur Uhr und zur Uhrenindustrie haben wir besonderes Interesse an Untersuchungen zu anderen technischen Konsumgütern, die ähnliche Prozesse des Wandels sowohl was ihre Wahrnehmung und Deutung wie auch was ihre Herstellung oder ggf. deren Inszenierung anbelangt.

Ziel des Aufsatzbandes ist es, eine Annäherung an das Thema über seine vielfältigen möglichen Anknüpfungen zu gegenwärtigen Diskursen in den Kultur-, Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften anhand des Vergleiches unterschiedlicher Branchen und Konsumgüter zu erreichen. Im Fall der Uhrenindustrie wurde durch die etablierten Meistererzählung des strukturellen Wandels dieses Industriezweiges die Deutung auf eine Innovationsfolgenkrise im Schumpeter‘schen Sinne reduziert, die über die jeweiligen Bezeichnungen der „Quarzrevolution“ oder „Quarzkrise“ bereits auf die divergierenden Interpretationsmuster der jeweiligen Akteure verweist. Dem entgegen wurde das Wiedererstarken des Interesses an mechanischen Uhren in diesem Zuschreibungsrahmen als konservativer Reflex interpretiert. Die neuere Forschung zeigt klar, dass derartige Reduktionen der Komplexität dieser Vorgänge nicht annähernd gerecht werden. Zum Verständnis dieser Entwicklungen sind die sich ändernden sozio-ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen von zentraler Bedeutung. Auch die Betrachtung des nationalen Einzelfalles wird nicht in der Lage sein, zum Verständnis der multinationalen Wertschöpfungsketten einer globalen Ökonomie beizutragen.

Der geplante Aufsatzband knüpft an die laufende interdisziplinäre Forschung aus den Fächern Betriebswirtschaftslehre und Technikgeschichte an der Universität Stuttgart an und sucht explizit den Kontakt zu aktuellen Forschungen, die sich der Fragestellung aus der Sicht der Markenkommunikation, der soziologischen und historischen Konsumforschung oder auch bezüglich der Fragen von Nachhaltigkeit von Konsumtion und Produktion widmen. Es ist unser Ziel, in einen breiteren Austausch zu anderen Fachdisziplinen zu treten. Daher richtet sich dieser CfP explizit auch an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit einem der folgenden oder vergleichbaren relevanten Themen beschäftigen. Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler werden explizit angesprochen.

Der Aufsatzband ist Teil des durch das BMBF geförderten Forschungsclusters „Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken in Zeiten von Krisen und Umbrüchen“ und wird vom Forschungsprojekt „INNO – Uhren / Innovation und Kompetenzerhalt in regionalen Netzwerken-Umbrüche in der gesamtdeutschen Uhrenindustrie von 1975 bis heute“ organisiert. Der Band wird in der Schriftenreihe des IZKT der Universität Stuttgart verlegt werden.

Mögliche Themen:
- Konsum in Ost und West
- Sammeln und Pflegen obsoleter Technik
- Der Strukturwandel und seine Auswirkungen auf die regionalen Bildungs- und Forschungseinrichtungen
- Historische und gegenwärtige Innovationsdiskurse am Beispiel spezifischer Konsumgüter
- Die sozialen Aspekte des Strukturwandels in Ost und West
- Die Marketingfrage – vom Verkäufer- zum Käufermarkt
- Die Deutungszuschreibungen spezifischer technischer Artefakte
- Die Rezeption der internationalen Konkurrenz
- Die sich wandelnde Nutzerrezeption von Konsumgütern
- Der Strukturwandel aus der Perspektive einzelner Unternehmen
- Der regionale Zugang zum Strukturwandel

Programm

Kontakt

Dr. Thomas Schuetz
Hist. Inst. Uni. Stuttgart
Wirkungsgeschichte der Technik

thomas.schuetz@hi.uni-stuttgart.de