1945 - Der Krieg und seine Folgen. Kriegsende und Erinnerungspolitik in Deutschland

1945 - Der Krieg und seine Folgen. Kriegsende und Erinnerungspolitik in Deutschland

Veranstalter
Deutsches Historisches Museum (<http://www.dhm.de>) (12344)
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12344
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.04.2005 - 23.10.2005

Publikation(en)

Asmuss, Burkhard; Kufeke, Kay; Springer, Philipp (Hrsg.): 1945 - Der Krieg und seine Folgen. Kriegsende und Erinnerungspolitik in Deutschland. Bönen 2005 : Kettler, ISBN 3-937390-54-5 256 S. € 24,50 (in der Ausstellung € 18,00)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Hurrelbrink, OnlineAkademie, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn

Der 60. Jahrestag des 8. Mai 1945 war medial durch den Vorrang biografischer Erinnerungen, eine neue Faszination für die Haupttäter und die Rückkehr der deutschen Opfererinnerungen geprägt. Im Zentrum der staatlich-repräsentativen Erinnerung standen mit der Einweihung des „Denkmals für die ermordeten Juden Europas“ und der starken Beachtung der Befreiung der Konzentrationslager die Fragen nach Schuld und Verantwortung. Als ein neues Motiv brachen sich die Unterdrückungserfahrungen in Mittel- und Osteuropa Bahn – Ausdruck einer „Europäisierung der Erinnerung“. Diese polyphone Erinnerung war, im Gegensatz zu den vielschichtigeren Debatten der Jahre 1985 und 1995, in weiten Teilen unverbunden. Wie mit der Divergenz konkurrierender Deutungen integrativ, aber nicht wertneutral umgegangen werden kann – das ist die vielleicht produktivste erinnerungskulturelle Herausforderung von 1945. Diese Herausforderung wurde im Jahr 2005 jedoch nur selten angenommen.

Mit seiner Ausstellung „1945 – Der Krieg und seine Folgen. Kriegsende und Erinnerungspolitik in Deutschland“ fügt sich das Deutsche Historische Museum (DHM) in dieses Umfeld ein. In sieben thematischen Abschnitten wird ein weiter Bogen vom 30. Januar 1933 bis hin zu aktuellen Debatten aus dem Jahr 2005 gespannt; insgesamt werden ca. 500 Exponate gezeigt. Der erste Themenraum gilt „Krieg und Befreiung in Europa“. Hier werden die Verbrechen des Nationalsozialismus zwar thematisiert, den eigentlichen Schwerpunkt bildet aber die Darstellung des Krieges und seiner Folgen. Dies spiegelt gleich zu Beginn eine dominante Rezeptionstendenz der letzten 60 Jahre: Wenn an 1945 erinnert wird, dann steht in der Regel das Ende des Krieges im Mittelpunkt, das weniger belastend ist als das Ende der nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen und deren mentale Folgen – ein Blickwinkel, der ja bereits im Titel der Ausstellung prononciert wird. Marginalisiert wird damit die wichtigste Aufgabe der „Erinnerungspolitik“: die verstörende, kontroverse Erinnerung an Schuld und Verantwortung, die aus der verbrecherischen Geschichte des NS-Staats für die deutschen Nachfolgestaaten resultiert. Liegt hier der durchgängige Webfehler nicht nur dieser Ausstellung, so gelingt es im ersten Themenraum und auch in einigen weiteren Stationen, die Erlebnisgeschichte in ihren vielfältigen Facetten der Ereignisgeschichte wenigstens ausschnitthaft gegenüberzustellen: In einer Hörstation werden unterschiedlichste Erfahrungen der Erlebnisgenerationen veranschaulicht, die das verwirrende, ambivalente und kaum zu vereinbarende Spektrum der Erfahrungen und Bedeutungen des Jahres 1945 zum Ausdruck bringen.

Der zweite Themenraum widmet sich den „Kriegsfolgen in der deutschen Gesellschaft“. Der Blick wird auf Zerstörung, Hunger, Flucht, Vertreibung und die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Krieg gerichtet. Gezeigt werden, der Kriegsperspektive gemäß, die Deutschen als Opfer, nicht die Opfer des Nationalsozialismus. Gleichwohl finden sich hier einige prägnante Ausstellungsstücke, wie etwa eine bei der Vertreibung mitgeführte Holzkiste mit Erinnerungsstücken aus Schlesien, die auf stille Weise symbolisiert, mit welchen Verlusten und mit welchen Erinnerungen die verlorene Heimat zurückblieb.

Stört in den beiden ersten thematischen Abschnitten die Unterbelichtung des Jahres 1945 als Ende des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen, ist es im Folgenden der additive Charakter der Ausstellungskonzeption: Innere Zusammenhänge oder die Andeutung von Entwicklungslinien sucht man hier größtenteils vergeblich. So präsentiert der dritte Themenabschnitt „Der Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen“ ein bisschen Nürnberger Prozesse, ein wenig Entnazifizierung und den Frankfurter Auschwitz-Prozess. Die DDR wird mit einem Blick auf die Bodenreform angehängt. Schnell geht die Ausstellung zur „Versöhnung“ über – der Umgang mit Coventry, die „Aktion Sühnezeichen“ oder auch Gedenkstättenfahrten der „Falken“ zeichnen ein eher positives Bild der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen bereits in den ersten Nachkriegsjahrzehnten. Der Rehmer-Prozess, Kritik an der fehlenden Zwangsarbeiterentschädigung, der Filbinger-Skandal und die Kiesinger-Ohrfeige sollen als Beispiele für frühe Debatten in der Bundesrepublik dienen. Zusammenhänge erschließen sich nur dem Betrachter, der zugleich die Lücken mitdenkt und um die mangelnde Repräsentativität der gezeigten Aspekte weiß. Interessant – und das gilt für die gesamte Ausstellung – sind die präsentierten Schlaglichter gleichwohl, aber es stellt sich eher ein „Ach ja – das gab’s ja auch noch!“ ein als der Eindruck einer systematischen, an einer stringenten Fragestellung interessierten Konzeption.

In den beiden folgenden Stationen wird zwischen „Annäherung und Konflikt“ der Staaten und der Gesellschaften unterschieden. Präsentiert wird das zu Erwartende: die Westintegration der Bundesrepublik, die Versöhnung mit Frankreich und den Niederlanden, die neue Ostpolitik und das Ende der deutschen Teilung. Der DDR wird in dieser tendenziell westdeutsch-asymmetrischen Ausstellung unter dem Aspekt „Aussöhnung im Zeichen des Sozialismus“ gedacht. Gezeigt wird durchaus Repräsentatives, aber kaum Überraschendes. Mit Blick auf die gesellschaftlichen Annäherungen werden uns erneut die „Falken“ präsentiert, dieses Mal in einer europäischen Perspektive; der Schwerpunkt liegt hier auf der Reintegration Deutschlands in die internationale Sportgemeinschaft – ein interessanter Ansatz, in dem etwa das erste Nachkriegsländerspiel aus dem Jahr 1950 auf originelle Weise verdeutlicht, zu welchen heute selbstverständlichen Bereichen die Bundesrepublik erst allmählich wieder Zugang erhielt. Auch die DDR wird hier differenzierter einbezogen, indem zwischen verordneten Freundschaften und privaten Annäherungen unterschieden wird.

Der sechste Abschnitt beleuchtet das „Verhältnis zu Krieg und Militär“. Während sich der Aussagewert von Gewehren, Uniformen und Helmen sicher nicht jedem Besucher erschließen wird und die plakatlastige Behandlung der Kontroversen um die Wiederbewaffnung die Bedeutung dieses Konfliktes allenfalls andeutet, vermittelt die Gegenüberstellung eines Eisernen Kreuzes der Wehrmacht mit seiner um das Hakenkreuz bereinigten Trageweise nach 1945 ein bezeichnendes Bild der Verschränkung von Kontinuität und Bruch. Nach der Darstellung von Kriegsdienstverweigerern und Bausoldaten fühlt sich der Besucher fast unmittelbar hineinversetzt in die Kontroversen um die Beteiligung der Bundeswehr am Kosovo-Krieg.

Der siebte und letzte Abschnitt ist der interessanteste und vielschichtigste – unter der Überschrift „Erinnern und Verdrängen“ wendet sich die Ausstellung endlich explizit dem Versprechen ihres Untertitels zu. Schlicht und repräsentativ zugleich wird zunächst der 8. Mai in der DDR als „Tag der Befreiung“ beleuchtet. Streichholzschachteln, Gedenkteller und Ersttagsbriefe dokumentieren den Versuch, dieses determinierte Geschichtsbild über alltäglichen Nippes im gesellschaftlichen Alltag zu verankern. Überzeugend ist auch die Entscheidung, den 8. Mai in der Bundesrepublik zusammen mit dem Volkstrauertag zu thematisieren, der lange vor dem 8. Mai und anderen sperrigen Gedenktagen die entlastende Möglichkeit bot, der deutschen Kriegsopfer zu gedenken und die NS-Opfer auszublenden. Selbstverständlich ist die Weizsäcker-Rede aus dem Jahr 1985 in Auszügen zu sehen. Nach dem bisherigen Gang durch die Ausstellung erschließt sich das bis dahin ungewöhnliche Differenzierungs- und Reflexionsvermögen dieser Rede.

Zu Recht betont die Ausstellung das Besondere der Weizsäcker-Rede und stellt sie zugleich als einen Leuchtturm heraus, in dessen Schatten die Konturen der vielschichtigen Bemühungen um die Deutung des Jahres 1945 nicht zu erkennen sind. Weizsäcker war keineswegs der erste, der den 8. Mai „offiziell auch als ‚Tag der Befreiung’“ bezeichnete, wie es im Ausstellungstext heißt. Neu war nicht die Terminologie, sondern die inhaltliche Ausdeutung des Begriffs, der Anspruch, sich in Freiheit der Wahrheit zu stellen. Erlebnisgeschichtlich ist die Kennzeichnung des 8. Mai als „Tag der Befreiung“ für die allermeisten Deutschen eine kontrafaktische Deutung und mit Blick auf die Identifikation mit dem Nationalsozialismus eine euphemistische Behauptung. Die Lesart vom „Tag der Befreiung“ ist in den allermeisten Fällen biografisch nicht dem Tag selbst abzugewinnen, sondern das Ergebnis eines jahrzehntelangen Auseinandersetzungsprozesses, in dem zunehmend Schuldfragen thematisiert wurden, der Blick nicht allein auf den Krieg gerichtet blieb, neue Erinnerungsnarrative (vor allem die der NS-Opfer und des Widerstands) eingeführt und anerkannt wurden – ein diskontinuierlicher Prozess, in dem nationale Lesarten zugunsten universell-menschenrechtlicher Deutungen aufgegeben wurden und in dem die Erkenntnis entwickelt wurde, dass zwischen den biografischen Erfahrungen und Erinnerungen sowie der politisch-kulturellen Bedeutung aus der Retrospektive unterschieden werden muss.

Diese differenzierte Entwicklung deutet die Ausstellung nicht einmal an (auch wenn der Katalog manche Aspekte vertieft). Stattdessen wird behauptet – auch darin typisch für die in weiten Teilen alibi- und stellvertreterhafte Bezugnahme auf Weizsäckers Rede –, der 8. Mai gelte heute als Tag der Befreiung, auch wenn er kein gesetzlicher Feiertag sei. Der 8. Mai wird so zu einer Art Buß- und Bettag erklärt, der in seiner Relevanz und inhaltlichen Deutung unumstritten sei. Dies stimmt keineswegs, und es wäre eine vielversprechende Perspektive gewesen, die Brüche und Widersprüche, den diskontinuierlichen und bis heute nicht abgeschlossenen Wandel der Deutung dieses Datums, zu dessen 60. Jahrestag die Ausstellung immerhin konzipiert wurde, näher zu beleuchten.

Die Ausstellung wägt unterschiedliche Entwicklungen aber nur selten ab. Stattdessen bezieht sie zu verschiedenen aktuellen Debatten meinungsstark Position. So heißt es zum Beispiel über das Gedenken an den Bombenkrieg, dieser sei in der westdeutschen Erinnerungspolitik nie „tabuisiert“ gewesen. Gleichwohl würden „Rechtsextreme die Erinnerung an deutsche Opfer für ihre Zwecke zu nutzen“ versuchen, indem sie „die angeblich tabuisierten Bombenkriegstoten mit den NS-Opfern“ gleichsetzen und so „die Verbrechen der Nationalsozialisten relativieren“ würden. Untermauert wird diese größtenteils zutreffende Feststellung mit ein paar eher lapidaren Exponaten zur Berliner Gedächtnis- und zur Dresdner Frauenkirche – Symbole, die auch als Ikonografien des deutschen Opferselbstbildes gelten könnten.

Während der Gang durch die Ausstellung zunächst kein klar konturiertes Bild der unterschiedlichen Formen deutscher Erinnerungspolitik vermittelt, findet sich am Ende heftige Kritik an den Inhalten aktueller Kontroversen (etwa zur Wehrmachtsdebatte und zur Erinnerung an Flucht und Vertreibung), die zwar in weiten Teilen der Sicht des Rezensenten entspricht, sich aber weder immanent in der Gesamtausstellung noch explizit über die an diesen Stellen gezeigten Exponaten nachvollziehen lässt. Gelungen ist dagegen wieder der letzte Erinnerungsraum, wo in einer Art Patchwork-Hörstation neun aktuelle Debatten (etwa über das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, die Flick-Collection und den Spielfilm „Der Untergang“) anhand kontroverser Positionen dargestellt werden. Hier fühlt sich der Besucher nicht bevormundet, sondern in seiner eigenen Urteilsfähigkeit ernst genommen.

Insgesamt bietet diese Ausstellung (die wegen des großen Interesses um acht Wochen, bis zum 23. Oktober, verlängert wurde) einen interessanten Überblick, in dem zahlreiche Facetten schlaglichtartig aufgerufen, aber nur selten überraschend präsentiert werden. Zwar dient eine Ausstellung im DHM nicht der wissenschaftlich differenzierenden Forschung, sondern wendet sich an eine breitere Öffentlichkeit – gerade dieser aber dürften sich mit einer primär additiven Präsentation nur selten Zusammenhänge und Entwicklungslinien erschließen. „1945 – Der Krieg und seine Folgen“ kommt inhaltlich, didaktisch und inszenatorisch merkwürdig uninspiriert daher und fügt sich damit in das Gedenkjahr 2005 ein, in dem ambitionierte Erinnerungsformen weitgehend fehlten, die versucht hätten, die verschiedenen Erfahrungen, Auswirkungen und Lesarten des Jahres 1945 normativ-deutend abzuwägen und zu integrieren. Ohne solche Anstrengungen lässt sich dem vieldimensionalen Epochenjahr 1945 und seiner nachhallenden Präsenz aber nur oberflächlich gerecht werden.

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