Eugenio Pacelli verstarb am 9. Oktober 1958. Sein Tod veranlasste zahllose Politiker und Persönlichkeiten zu Anteilnahme und Würdigungen. In der katholischen Welt aber markierte sein Abgang nicht ohne Grund eine Zäsur. Jahrzehnte lang hatte Pacelli als Priester, Bischof und Kardinal die Geschicke der Kirche entscheidend geprägt, fast zwei Jahrzehnte hatte er sie als Papst Pius XII. (1939-1958) gelenkt. Den 50. Todestag nahm die Päpstliche Kommission für Geschichtswissenschaften unter Leitung ihres Präsidenten, des Prälaten und Historikers Walter Brandmüller, zum willkommenen Anlass, ihre Sicht auf das Leben und Wirken Eugenio Pacellis in einer umfangreichen Ausstellung kundzutun. Nach Rom und vor München gastiert diese nun im Berliner Schloss Charlottenburg. Die Stationen sind mit Bedacht gewählt, schließlich hatte Eugenio Pacelli prägende Jahre seines Lebens in Deutschland verbracht: als Nuntius zunächst bei der bayrischen Staatsregierung und ab 1925 in Berlin. Auf seine enge Verbundenheit mit Deutschland legen die Ausstellungsmacher entsprechend einen besonderen Akzent und stilisieren sie zum Ausgangspunkt der Schau.1 Daran schließt eine chronologische Illustration des Lebens Eugenio Pacellis an: von Geburt und Elternhaus über Studium und Priesterweihe bis hin zu seiner Tätigkeit als Nuntius und Kardinalsstaatssekretär. Am meisten Raum nimmt erwartungsgemäß die facettenreiche Darstellung der bewegten Jahre des Pontifikats Pius’ XII. ein.
Freilich sind die Gestalt Pius’ sowie sein Handeln und Wirken nicht unkontrovers. Themen wie das Konkordat mit Hitler-Deutschland 1933,2 die Judenverfolgung und die katholischen Fluchthilfen für Nazi-Verbrecher sehen sich bisweilen nicht nur in der Geschichtswissenschaft heftiger Debatten ausgesetzt. Dafür sind die jüngsten Ereignisse wieder einmal deutlicher Beleg.3 Vor allem die Auseinandersetzung um das angeblich mangelnde Engagement Pius’ XII. angesichts der Gräueltaten der Shoa wurde und wird immer wieder mit großem öffentlichen Interesse betrieben, seit Rolf Hochhuth es 1963 in seinem Theaterstück „Der Stellvertreter“ medienwirksam angeprangert hatte. Diese These vom „Schweigen des Papstes“ zu widerlegen, ist die Ausstellung angetreten. Schlagwortartig werden Hochhuths Ansichten und die Kontroverse um sein Stück wiedergegeben. Dem werden in Schaukästen die in den Jahren 1965 bis 1981 vom Vatikan veröffentlichten Aktensammlungen zum Thema entgegengehalten. Deren Intention ist es, das Bemühen der Kurie um Neutralität zu den kriegführenden Staaten und die gleichzeitig stattfindende „stille Diplomatie um Menschenleben“ zu belegen.4 Das Ganze wird – wenig subtil – akustisch durch zwei auf Italienisch gehaltene Ansprachen Pius’ der Jahre 1942 und 1943 unterlegt. Deren abgebildete deutsche Übersetzung heben die angeblich eindeutigen Stellungnahmen des Papstes gegen die Judenverfolgung deutlich hervor.
Folgerichtig ist die gesamte Ausstellung auf diese eine Wirkung hin konzipiert: von einem ersten Schulzeugnis des kleinen Eugenio, in dem ihm bereits 1886/87 seine hohe intellektuelle Auffassungsgabe bescheinigt – und er ohne Examen in die nächste Klasse versetzt – wurde; über einen Aufsatz des späteren Theologiestudenten Pacelli zur kirchlichen Vorrangsstellung des Bischofs von Rom; bis hin zu seiner Rolle als „Gesandter des Friedens“ während des Ersten Weltkriegs. Als Papst wird er als „Defensor Civitas“ bei der Rettung Roms und seiner Menschen in Szene gesetzt und demonstrativ die Hilfe für die römischen Juden herausgestrichen. Das Anliegen ist klar: Pius XII. ist ein „Friedenspapst“, dessen Wahlspruch „Opus Justitiae Pax“ – „Das Werk der Gerechtigkeit ist der Frieden“ sich in seinem Leben widerspiegelt.
Diese Sichtweise zu illustrieren ist der Ausstellung durchaus gelungen – und im Rahmen öffentlicher Diskussion muss es als legitim erachtet werden, seine Meinung derart kundzutun. Zumal die heftig umstrittene Frage, ob Pius mehr gegen den nationalsozialistischen Terror hätte tun können – und müssen –, letztendlich moralischer und hypothetischer Natur bleibt. Dennoch haftet dem Besuch der Ausstellung der fade Beigeschmack an, dass das Leben Pius’ und die historische Kontroverse um sein Wirken streckenweise stark verkürzt und unkritisch geschildert werden. Manchmal wird allzu offensichtlichen der Anschein erweckt, dass hier eine historiografischen Grundlage für den Seligsprechungsprozess Pius’ XII. gelegt werden soll. Der kritische Betrachter hätte sich dagegen einen stärker problematisierten Umgang gewünscht. So bleibt in etwa Gerhard Besiers These, Pius XI. und Pius XII. hätten Sympathien für autoritäre Staatssysteme gehegt, unerwähnt.5 Stattdessen akzentuiert die Ausstellung anhand des guten persönlichen Verhältnisses zu US-Präsident Franklin D. Roosevelt einseitig die demokratischen Neigungen Eugenio Pacellis. Am augenscheinlichsten wird dieser Tendenz einer „katholischen Meistererzählung“ anhand der erwähnten Frage um das Verhältnis von katholischer Kirche und Holocaust das Wort geredet. Hier wird von vorne herein plakativ argumentiert und stigmatisiert. An einer wissenschaftlich-kritischen Auseinandersetzung scheint wenig Interesse zu bestehen.6
Stattdessen bietet die Ausstellung eine anreizend ästhetische Unterfütterung ihrer „Pius-Erzählung“. Zahlreiche Originaldokumente, zum Teil aus der Hand Pacellis selbst, zum Teil aus den vatikanischen Schreibstuben, sollen – leider weitgehend ohne Transkription – die auf großen Plakaten erzählte Lebensgeschichte des Protagonisten belegen. Hinzu tritt eine persönliche Seite Pius’, die dem Betrachter mittels dessen Alltagsgegenstände – Schreibmaschine, Uhr, Rasierapparat – näher gebracht werden soll. Überstrahlt aber wird dies alles durch Prunkgewänder und Kunstgegenstände, die dem Papst gleichsam eine Aura des von den irdischen Problemen seiner Zeit entrückten Intellektuellen auferlegen. Diese Ikonografie beabsichtigt, Pius XII. als die „ideale Verkörperung eines Papst“ (Werbeprospekt) zu inszenieren und damit von manch kritischem Moment der Vita Eugenio Pacellis abzulenken. Dies schafft sie durchaus, auch wenn dem modernen Betrachter manches Ausstellungsstück wie aus einer anderen Zeit erscheinen mag. – Eine vielleicht nicht ganz unbeabsichtigte Wirkung.
Sollten dem Besucher beim Verlassen der Ausstellung noch Zweifel geblieben sein, wird er mit diesen nicht alleine gelassen. Umsonst erhält er einen Sonderdruck von „Die Tagespost“, einer „katholischen Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur“. Sie dokumentiert noch einmal die „richtige“ Sichtweise auf das Leben und Wirken Pius’ XII. Wem das immer noch nicht genügt, der kann sich freilich noch den Ausstellungskatalog zur Hand nehmen, in dem vor allem die Plakate der Ausstellung abgebildet sind. Vielversprechend aber tut sich hier in Beiträgen namhafter Historiker endlich die Möglichkeit zur offenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung auf. Diese Bereitschaft zum Dialog wird durch die beiden Diskussionsabende des Rahmenprogramms der Ausstellung unterstrichen.7 – Diese Art eines offen kritischen und zugleich unpolemischen Umgangs mit der Geschichte Pius’ XII. wäre für die Zukunft, in geschichtswissenschaftlichen wie in öffentlichen Debatten, zu wünschen. Die Ausstellung selbst hat dazu leider keinen Beitrag geleistet.
Anmerkungen:
1 Vgl. Ingo Langner, Papst Pius XII. und Berlin. Ein Essay, in: Opus Justitiae Pax. Eugenio Pacelli – Pius XII. Katalog zur Ausstellung, Regensburg 2009, S. 66-73. <http://papstpiusxii.de/dokumente.html>.
2 Die Kontroverse der 1960er- und 1970er-Jahre zwischen Konrad Repgen und Klaus Scholder um die Bedeutung des Reichskonkordats wurde jüngst in der FAZ erneut diskutiert. Vgl. Hubert Wolf, Wie der Papst zu Hitlers Machtantritt stand, in: FAZ, 28.03.2008, S. 38 <http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~E0E90F137ECE04CFEB876D6370C8A47FC~ATpl~Ecommon~Scontent.html> und Konrad Repgen, Das Reichskonkordat war ein Defensivvertrag, in: FAZ, 07.04.2008, S. 10 <http://www.faz.net/print/Politik/Das-Reichskonkordat-war-ein-Defensivvertrag>. Zur historischen Aufarbeitung der Kontroverse vgl. Thomas Brechenmacher (Hrsg.), Das Reichskonkordat 1933. Forschungsstand, Kontroversen, Dokumente, Paderborn 2007 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 109).
3 Siehe die derzeitigen öffentlichen Auseinandersetzungen infolge der Aufhebung der Exkommunikation der Lefebvre-Bischöfe durch Benedikt XVI. und der antisemitischen Äußerungen des Bischofs Richard Williamson.
4 Vgl. Pierre Blet u.a. (Hrsg.), Actes et documents du Saint Siège relatifs à la Seconde Guerre Mondiale, Vatikanstadt 1965-1981 und Pierre Blet, Papst Pius XII. und der Zweite Weltkrieg. Aus den Akten des Vatikans, Paderborn 2000.
5 Vgl. Gerhard Besier, Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland. Die Faszination des Totalitären, München 2004.
6 Zur wissenschaftlichen Lektüre wird empfohlen: Michael F. Feldkamp, Pius XII. und Deutschland, Göttingen 2000.
7 Vgl. die Diskussionsveranstaltung „Hitlers Papst? – ein Dialog über Pius XII. am 08. Februar 2009 mit den Historikern Thomas Brechenmacher und Karl-Joseph Hummel <http://papstpiusxii.de/rahmenprogramm.html>.