„Es besteht die höchst greifbare Gefahr, dass unser Freund Rommel bei unseren Truppen, die viel zu viel über ihn reden, zu einer Art Magier und Kinderschreck wird. Rommel ist keineswegs ein Übermensch, wenn ihm auch niemand seine Energie und Tüchtigkeit abstreiten kann […]. Ich ersuche Sie darum, mit allen Mitteln die Vorstellung zu zerstreuen, dass Rommel vom üblichen Typ deutscher Generale abrückt.“1 General Auchinleck, Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte in Nordafrika, versuchte mit diesem Tagesbefehl vom Frühjahr 1941 dem entgegenzuwirken, was heute immer noch Anziehungskraft besitzt: dem Rommel-Mythos. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg hat ihm eine Sonderausstellung gewidmet, die noch bis zum 20. September 2009 in Stuttgart zu sehen ist. Mit über 50.000 Besuchern aus dem In- und Ausland, dürfte sie als eine der erfolgreichsten Ausstellungen des Hauses gelten – aus gutem Grund.
Über zehn Stationen wird der Besucher durch das Leben Rommels geführt, das ganz und gar durch Propaganda und einen gewissen Grad der Selbstinszenierung geprägt war. Fast kann von einer Profilneurose des späteren „Wüstenfuchses“ gesprochen werden. An der ersten Station wird der private Erwin Rommel präsentiert. Die Bilder und Exponate zeigen einen jungen Menschen, der fernab vom Dasein eines Soldaten steht. 1912 verkleidete sich der Elfjährige als Revuegirl. Mitten im Ersten Weltkrieg trifft Rommel auf Lucie-Maria Mollin, die er am 27. November 1916 heiratete. 1928 bewies sich Rommel als begeisterter Skifahrer im Kleinen Walsertal. Die Ausstellung ist hier zu weiten Teilen auf wenig bekannte Photos gestützt, die aus dem Privatbesitz der Familie Rommel stammen.
Rommels Privatleben fand 1914 ein jähes Ende. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er Berufsoffizier. Er diente an den Fronten in Frankreich und Rumänien sowie in den Julischen Alpen. Eben dort wurde der Grundstein für den „Mythos Rommel“ gelegt. Am 26. Oktober 1917 stürmten Rommel und die ihm unterstellten Gebirgsjäger die italienischen Stellungen auf dem Monte Matajur. Zwei Monate später wurde dem Infanteristen dafür der Orden „Pour le Mérite“ verliehen. Dieser ist im Original in der Ausstellung vorhanden und gilt als erste Insignie Rommels. Handschriften und Karten aus den Kriegsjahren ergänzen die ausgestellten Exponate. Augenmerk ist auf den Photodiakasten zu richten, den Rommel für Vortragsreisen zusammengestellt hatte.
An der dritten Station kann der Besucher Rommels Lebensweg zum Anbeginn des Dritten Reiches mitverfolgen. Es sind die Jahre, in denen er zum Panzertruppenkommandeur und Hitler-Verehrer wurde. 1934 trafen die beiden in Goslar aufeinander. 1937 wurde Hitler wieder auf Rommel aufmerksam, nachdem dieser sein Gefechts- bzw. Taktikhandbuch „Infanterie greift an“ veröffentlicht hatte. In Berlin wurde er zum dritten Mal zum Kommandeur des „Führer“-Hauptquartiers ernannt. Im Mai 1940 begann der Frankreich-Feldzug, den Rommel nunmehr als Kommandeur der 7. Panzerdivision mitmachte. Seine Einsatzerfolge gegen Franzosen und Briten wurden umgehend von der nationalsozialistischen Propaganda aufgenommen und verarbeitet. Nebenbei sorgte Rommel selbst dafür, dass man in Berlin über seine Siege sprach. Grundlage ist dafür unter anderem ein eigens für Hitler zusammengestellter Prachtband über die Geschichte der 7. Panzerdivision im Frankreichfeldzug. Dieser ist ein sehenswertes Exponat in der dritten Ausstellungssektion. Es folgen die Jahre Rommels in Nordafrika (1941-1943), in denen er zum bekanntesten deutschen General gemacht wurde. Bereits an dieser Stelle ist dem Besucher deutlich, dass der Panzergeneral sich keinesfalls gegen die propagandistische Instrumentalisierung seiner Person wehrte. Vielmehr genoss er sie.
Nun kommen die wichtigsten Insignien Rommels zur Geltung. Gemeint sind seine Staubbrille, der Feldstecher sowie sein Leica-Photoapparat, den er von Joeseph Goebbels geschenkt bekam. Die erstgenannten Exponate garantieren den Wiedererkennungswert seiner Person auf fast allen Propagandaaufnahmen. Rommel begann, sich zunehmend selbst mit in die Propaganda einzubringen. Bereitwillig gab er noch auf dem Schlachtfeld Interviews an Kriegsberichterstatter. Die fünfte Sektion ist gänzlich auf das einsetzende Medienecho hin ausgerichtet.
Im Anschluss daran begleitet der Besucher Rommel zum Höhepunkt seiner militärischen Laufbahn. Hitler ernannte den Panzergeneral zum Feldmarschall und überreichte ihm im September 1942 den Marschallstab. Damit kam ein weiteres Symbol für den „Mythos Rommel“ hinzu. Das Reichspropagandaministerium kannte nun keine Grenzen mehr und zeigte den neuen Feldmarschall nur noch in Siegesposen. Einige Bilder erwecken durchaus den Eindruck, dass Rommel bewusst als „militärischer Erlöser“ inszeniert wurde. Der Marschallstab und die Liebeserklärung von Magda Goebbels an Rommel sind zwei der interessantesten Exponate in diesem Teil der Ausstellung. Hinzu kommt der persönliche Schriftverkehr zwischen Rommel und seiner Frau Lucie. Orden und Auszeichnungen runden diesen Teilabschnitt ab.
Der siebte Teil der Sonderausstellung hat das Jahr 1944 zum Thema. Es ist das Jahr, in dem Rommel die Normandie gegen die erwartete alliierte Invasion verteidigungsbereit machen sollte. Des Weiteren wird sein Kontakt zum Widerstand gegen Hitler thematisiert. Seit der Niederlage bei El Alamein war der „Wüstenwuchs“ vom Verehrer des „Führers“ zum Zweifler am „Endsieg“ geworden. Ob und welche Rolle Rommel im Zusammenhang des „20. Juli“ spielte, ist bis heute nicht genau geklärt. Wochenschauausschnitte und Bildquellen dominieren diesen Ausstellungsbereich, der in den Oktober 1944 überleitet. Für die Führung in Berlin hatten Gerüchte und einige unter Folter erzwungene Geständnisse festgenommener Offiziere gereicht, die Rommels Verbindung zu den „Verschwörern“ des Widerstandes bestätigten. Daraufhin zwang ihn Hitler in den Selbstmord. Sein Tod wurde mit einem minutiös geplanten Trauerakt in Ulm zum Element der Propaganda gemacht. Im Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda hatte man den Staatsakt bereits eingeplant und war auf die massenwirksame Dokumentation vorbereitet. Die Wochenschaubilder zeigen den Erfolg der Goebbels-Mitarbeiter. Interessant sind die Bilder auch deswegen, weil sie das noch unzerstörte Ulm 1944 zeigen, das im Dezember des Jahres durch einen Luftangriff in Schutt und Asche gelegt wurde.
Mit dem Ende des Krieges 1945 kam es zu einer neuen Dynamik in der Erinnerung an Erwin Rommel. Diese ist auf den von 20th Century Fox gedrehten Film „Rommel – Der Wüstenfuchs“ zurückzuführen. Sieben Jahre nach Kriegsende verkörperte James Mason den „Desert Fox“, der nunmehr zum Filmstar und zu einer Integrationsfigur wurde. Grundlage lieferte das Buch von Desmond Young „Rommel“. Auf den zweiten Blick stellt der Besucher fest, dass das Rommel-Bild im Film und Buch von Cornelius Ryan, „Der längste Tag“, unberücksichtigt bleibt. Über diese thematische Lücke ist hinwegzusehen.2 Nach dem Mason-Film folgt 1953 die Diskussion über die wenig objektive Dokumentation „Das war unser Rommel“, der es ein Jahr später bis in die arabischen Kinos schafft.
Der letzte Teil der Ausstellung beschreibt die umstrittene Erinnerung an Rommel in der Traditionspflege der Bundeswehr sowie in der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Dr. Hans Speidel, ehemaliger Generalstabschef Rommels und 1956 General der Bundeswehr, trug den Mythos in die westdeutschen Streitkräfte. In den 1960er-Jahren wurden eine Kaserne und schließlich ein Zerstörer der Bundesmarine nach Erwin Rommel benannt. Beides findet sich in der Ausstellung dokumentiert. Ein letztes und kurioses Exponat ist die Rommel-Ehrenscheibe der Schützengesellschaft Herrlingen e.V., die 1994 als Wettkampfgewinn an ein Mitglied vergeben wurde. Im Kinosaal des Museums kann der Besucher die Rommel-Propaganda auf sich wirken lassen. Sämtliche Original-Wochenschau- und Filmausschnitte, die in der Ausstellung gezeigt werden, können nochmals angeschaut werden. Die Filmfolge lädt zum Vergleich der Heldenikonographie ein. Er lässt die Mechanismen der nationalsozialistischen Propaganda erkennen. Die Bilder zeigen durchaus die Perfektion, mit der im Goebbels’schen Ministerium 1933-1945 gearbeitet wurde. Gleiches gilt für Rommels Eitelkeit.
Zum Ende des in sich geschlossenen Rundgangs bleiben zwei Fragen offen: wer war Rommel nun wirklich? Nazi-General oder ritterlicher Kriegsheld? Gerade die noch ausstehende Suche nach den Antworten zeigt, dass die Ausstellung weder mahnt noch auf ein Rommel-Idealbild hin ausgerichtet worden ist. Gleichsam weiß der Besucher nicht, wie er Erwin Rommel bewerten soll. War er ein Opfer des Regimes? Ein Held? Ein Mythos? Es sei dahingestellt, ob es sinnvoll gewesen wäre, zum Beginn der Ausstellung eine – wenigstens kurze – Definition von „Mythos“ zu entwickeln bzw. zu präsentieren. Der Griff zu Krumeichs Schlachtenmythen-Sammelband hätte über dieses Hindernis hinweg geholfen.3 Dies ändert nichts an der hohen Qualität der Ausstellung. Die Vielzahl der Besucher bestätigt den Erfolg der Kuratoren.
Was lässt sich über den musealen Aufbau der Darstellung „Mythos Rommel“ sagen? Die durchgängig gezackte Vitrinenaufstellung symbolisiert eindrücklich den Lebensweg Rommels sowie die Entwicklungslinie des Mythos. Beide werden durch den aufeinander abgestimmten Medieneinsatz (Bild-, Film- und Audioquellen) verbunden und für den Besucher sichtbar gemacht. Freilich „lebt“ die Ausstellung von den Exponaten. Es lassen sich drei Themenkreise im Aufbau erkennen. Der äußere ist durch großformatige Bilder und einen ausgewogenen Einsatz von Medienstationen gekennzeichnet. Letztere, die nicht über Kopfhörer abzurufen sind, wären deutlich leiser zu stellen gewesen. Der mittlere Kreis besteht aus Dokumenten und diversen Exponaten. Das Zentrum wird aus den bereits erwähnten Ausstellungsstücken wie Staubbrille, Fernglas, Rommels Ledermantel und Marschallstab gebildet. Die Ordnung der Ausstellung ist durch die Biographie Rommels vorgegeben. Zudem wird notwendiges Basiswissen in den Leit- und Führtexten vermittelt.
Insgesamt gilt es festzuhalten, dass Erwin Rommel aus unterschiedlichster Perspektive gezeigt wird. Die Propaganda-Ikone sowie der nach militärischer Anerkennung und Geltung strebende Mensch werden reflektiert. In diesem Sinne wäre es auch falsch, im „Wüstenfuchs“ ein Opfer der nationalsozialistischen Propaganda zu sehen. Vielmehr hat er sich selbst der Macht der Goebbels-Medien unterstellt. Dem Besucher steht es frei, welchen Rommel er selbst sehen und historisch einordnen will. Der Blick ins Gästebuch der Ausstellung zeigt, inwieweit sich hier die Geister scheiden. So ist auf der einen Seite vom hoch gelobten Offizier zu lesen, der für sein Vaterland starb. Auf der anderen Seite wird er als Nazi-General kritisiert, der aus der Geschichte getilgt werden müsse. Rommel wird weiterhin ein Politikum und ein Objekt der historischen Forschung bleiben. Erste Ansätze bietet der jüngst veröffentlichte Sammelband „Erwin Rommel. Geschichte und Mythos“. Die dort abgedruckten Aufsätze geben keine endgültige Antwort darauf, „wie aus der Person Erwin Rommel der Mythos Rommel“ wurde.4
Anmerkungen:
1 Zit. nach Desmond Young, Rommel, Wiesbaden 1950, S. 23.
2 Cornelius Ryan, Der längste Tag. Normandie: 6. Juni 1944, Klagenfurt 1998.
3 Gerd Krumeich/ Susanne Brandt (Hrsg.), Schlachtenmythen. Ereignis. Erzählung. Erinnerung, Köln 2003, S.1-19.
4 Thomas Schnabel, Erwin Rommel. Geschichte und Mythos, in: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Landeshauptstadt Stuttgart (Hrsg.), Erwin Rommel. Geschichte und Mythos (= Stuttgarter Symposion, Bd. 13), Leinfelden-Echterdingen 2009, S. 7-16, hier: S. 15.