Oft liegen in Ausstellungen sogenannte Besucherbücher aus, in denen das Publikum Meinungen und Urteile über das gerade Gesehene zu Papier bringen kann. In der Ausstellung „Geliebt. Gebraucht. Gehasst. Die Deutschen und ihre Autos“, die im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn gezeigt wird, findet sich ein solches Besucherbuch mit einem denkwürdigen Statement. „Gute Ausstellung, aber ich mag Autos“, notiert darin ein Besucher. Direkt darunter schreibt ein weiterer Gast: „Das macht kein[en] Sinn.“ Und angesichts dieser vorbildlichen Rezeptionspraxis sind wir mittendrin im Thema. Automobile sind eben keine „rational verfasste[n] Artefakte“, wie Kurt Möser in seinem Katalogbeitrag „Autoleidenschaft“ mit Verweis auf Peter Sloterdijk bekräftigt (S. 140); den auf das Auto bezogenen Emotionen eröffnen sich demzufolge ungeahnte Sphären. Nun mag man rätseln, was genau der Besucherin bzw. dem Besucher durch den Kopf ging, als das Statement zu Papier gebracht wurde – zuviel Kritik am Auto kann es nicht gewesen sein, denn die fällt in der Ausstellung eher moderat aus. Allerdings geht es auch nicht nur um „Benzingespräche“, es ist in dieser Ausstellung schon mehr drin.
Abb. 1: „Bitte wählen Sie Ihr Programm: Geliebt – Gebraucht – Gehasst“. Das Entrée der Ausstellung
(Foto: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland/Elena Bilstein)
Eine Waschstraße weist dem Besucher den Zugang. Sie ist hintersinnig mit Bürsten in den Farben schwarz-rot-gold gestaltet, die man schmunzelnd passiert und sich an die Situationen erinnert, in denen man, eingereiht in die Warteschlange vor eben einer solchen Einrichtung, über die blitzblanken Gefährte staunt, die vor und hinter einem bereits wieder für die nächste Rundumreinigung bereit stehen. Der Putzfimmel vieler deutscher Autofahrer, so lässt sich feststellen, deutet auf eine ganz besondere Beziehung zu ihrem Fahrzeug hin. In der bundesdeutschen Presse, schreibt der Psychoanalytiker Micha Hilgers (Katalogbeitrag: „Auto als Fetisch“), kam zu Beginn der 1970er-Jahre die Frage nach der Häufigkeit des Wechselns von Unterwäsche in der Bevölkerung auf, die dann umgehend (weil naheliegend) auch im Vergleich mit der Häufigkeit des Autowaschens diskutiert wurde. Das Ergebnis fiel übrigens „zuungunsten der Körperhygiene“ aus (S. 19).
Um das „Autoland“ Deutschland, von dem zu sprechen erst seit Ende der 1950er-Jahre angebracht ist, geht es im ersten Ausstellungsraum. Hier wird die Entwicklung der Bundesrepublik zur Autonation aufgezeigt, mit beeindruckenden Produktionsergebnissen, dem wachsenden Konsum von Kraftfahrzeugen und einer Industrie, die das ganze Land mit ihren Produktionsstätten überzieht. Gern hätte der Besucher an dieser Stelle deutlichere Belege für die in Staat und Gesellschaft tief einwirkende Dominanz der Automobilindustrie entdeckt, deren Folgen – zum Beispiel Macht und Ohnmacht – doch auch für das Gefühlsleben deutscher Autofahrer von einiger Relevanz sind.
Abb. 2: Ein sechstüriger, mehr als sechs Meter langer Mercedes 600 Pullman aus den 1960er-Jahren – vor einer Fototapete mit der Villa Hammerschmidt, dem Sitz des Bundespräsidenten in Bonn
(Foto: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland/Elena Bilstein)
In einer kleinen Ausstellungssequenz kann man das Automobil als „Symbol für Bedeutung und Macht“ der Politiker betrachten. Ein Mercedes 600 Pullman steht raumfüllend für die Thematik, die nicht dort, sondern im Katalogtext Johann-Günther Königs („Auto und politische Macht“) einen reflexiven Dreh erhält. „[…] das quasi klassische Symbol der Macht, die Staatskarosse“, resümiert König (S. 39), „symbolisiert hierzulande bestenfalls die seit gut einem Jahrhundert automotorisierungsförderliche Politik ihrer Insassen.“ Es hätte der Ausstellung gut getan, wenn einige der im Katalog formulierten Gedanken und Zusammenhänge stärker aufgegriffen und visualisiert worden wären. Überhaupt zeigt sich, dass ein zunächst attraktiv daherkommendes Thema den Besuchern nicht immer eindringlich vor Augen zu bringen ist. Wenn Kurt Möser für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den auf das Auto bezogenen Emotionen „Fantasie beim Auffinden von Quellen und Anwenden von Methoden“ empfiehlt (S. 148), kann dies nicht minder auf die Realisierung einer Ausstellung zum Thema abzielen.
Abb. 3: Automobilgeschichte als Sinnesgeschichte – Geruchsproben von Automarken
(Foto: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland/Jennifer Zumbusch)
Was aber macht nun die besondere Beziehung „der Deutschen“ zum Automobil aus? Zur Aufklärung dieser nicht ganz einfachen Liaison sind in der Ausstellung etliche Themen aufbereitet worden. So finden sich die „(automobile) Freiheit“, der Hinweis auf „nationale Identität“ und selbstverständlich die Stichworte Individualität und Sozialstatus. „Das Automobil ermöglicht seit seinen Anfängen Individualität und Unabhängigkeit. Es erweitert den Handlungsspielraum des Menschen“, bekundet die Pressemeldung des Museums. Scharen von Jugendlichen, die „auf dem Land“ aufgewachsen sind und die Gelegenheit hatten, im VW eines älteren Freundes am Wochenende mit in die Diskothek des Nachbarortes zu fahren, können dem nur beipflichten. Wolfgang Ruppert (Katalogbeitrag: „Formen der automobilen Freiheit“) bringt den zum Thema vielzitierten Otto Julius Bierbaum ins Spiel. Bierbaum, Legende der Automobilgeschichte und früher Apostel automobiler Freiheit, unternahm 1902 eine dreieinhalb Monate dauernde „empfindsame Reise“ mit einem Adler-Automobil von Berlin nach Sorrent (und zurück); er tat in seinem vielfach aufgelegten Buch anschließend kund, dass die Menschen, die in der Eisenbahn „massenbefördert“ worden seien, besser als „freie Herren, mit freier Bestimmung, in freier Luft“ reisen sollten. Da sich um 1902 nur sehr wenige Menschen ein Auto leisten konnten, war das Freiheitsversprechen von stark beschränkter Wirkung – aber es war in der Welt. Und indem Bierbaum sich explizit von der „Massenbeförderung“ bei der Eisenbahn absetzte, trug er dazu bei, dass das Hohe Lied über das Automobil in Zukunft auch stets die Strophe von der Individualität enthielt.
Abb. 4: Mit dem Auto zu den schönsten (Camping-)Plätzen – ein Freizeitvergnügen (nicht nur) der 1950er-Jahre
(Foto: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland/Elena Bilstein)
Abb. 5: Vitrine zu (Fern-)Reisen mit dem VW-Bulli
(Foto: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland/Elena Bilstein)
In Sachen „Freiheit“ macht die Ausstellung anhand der frühen Italientouristen deutlich, wie lange es gedauert hat, bis ein nennenswerter Teil der deutschen Autofahrer sich auf den Weg machen konnte, um den Begriff des „demokratischen Reisens“ zumindest in Ansätzen mit Inhalt zu füllen. Welche Bedeutung derartige Urlaubsfahrten für deutsche Familien hatten, lässt sich in den zahllosen Fotoalben finden, die nach einer solchen Reise oftmals liebevoll zusammengestellt wurden. Selbstverständlich fehlt in dieser Ausstellungssequenz der VW-Bulli nicht, der für diejenigen, die sich vom Massentourismus abheben wollten, zum Symbol des alternativen Reisens avancierte und die Protagonisten bis ins ferne Indien trug. Wie die Automobilwerbung zeigt – zahlreiche Beispiele dafür sind in Bonn zu betrachten –, muss es aber nicht um ferne Länder gehen, wenn von Freiheit und Individualität die Rede ist, denn das Begriffspaar war und ist durchaus alltagstauglich. Angesichts zunehmend verstopfter Autobahnen und Innenstädte stellt sich allerdings die Frage, wie wirkmächtig derartige Begriffe in Zukunft noch sein mögen.
Was die deutschen Autofahrer angeht, wird es unter ihnen wohl „weiterhin noch jene Millionen“ geben, „auf die ein neues, technisch hervorragendes Auto immer noch seine Faszination ausübt“ (so der im Juni verstorbene Hans-Peter Schwarz in seinem Katalogbeitrag „Wahrzeichen deutscher Identität?“, S. 177). Daneben finden sich aber die Millionen deutscher Autofahrer, für die schlichtweg andere Dinge wichtig sind, etwa die „kokonartige Absperrung vom Außen“ (Möser, S. 137), die insbesondere heutzutage angesichts der opulenten Innenausstattung das Auto gegenüber den öffentlichen Verkehrsmitteln weiterhin attraktiv macht. Geschwindigkeit, Status oder der Kauf einer besonderen Modellvariante müssen in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle spielen. Nicht zu vergessen sind diejenigen Autobesitzer, „wahrscheinlich die Mehrheit, die emotionslos dann, wenn sie das für geboten halten, das Gebrauchsfahrzeug Auto benutzen, und die dann, wenn ihnen danach zumute ist, am Fahrradfahren ihren Spaß haben“ (Schwarz, S. 177).
Abb. 6: Ausstellungsraum mit dem Original-Manta aus der Actionkomödie „Manta, Manta“ von 1991. Til Schweiger hatte darin eine der Hauptrollen.
(Foto: Wikimedia Commons <https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Opel_Manta_B_6.jpg>, MPW57 <https://commons.wikimedia.org/wiki/User:MPW57>, Opel Manta B 6 <https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Opel_Manta_B_6.jpg>, CC BY 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en>)
Geschwindigkeit, das Auto als Kultobjekt und Statussymbol, Autofahren als emotionaler Akt: Für all diese Themen steht ein Exponat, das in der Bonner Ausstellung als Highlight vorgeführt wird – es handelt sich dabei um den Original-Manta aus dem 1991 in deutschen Kinos gezeigten Film „Manta, Manta“. Es spricht für sich, dass der Transport des Fahrzeugs in die Ausstellungsräumlichkeiten zum Presse-Ereignis geriet. Und so steht dieses Artefakt letztlich auch für ein Phänomen, das die Bestimmung so schwer macht, was genau die Beziehung des (deutschen) Menschen zu seinem Auto bewirkt. In welchem Maße waren bzw. sind Werbung und Medien an der Konstruktion dieses öffentlichkeitswirksamen Bildes beteiligt? Dementsprechend kann es für die Frage, ob das Auto ein „Wahrzeichen deutscher Identität“ sei, nicht ohne Folgen bleiben, wenn der australische Historiker Christopher Clark in der ZDF-Fernsehreihe „Terra X“ sich auf die Suche begibt, um herauszufinden, was das Volk der Dichter und Denker ausmacht – und dafür mit einem VW-Cabriolet posiert (wobei der rote Käfer, Baujahr 1971, für die längeren Strecken zwischen den Drehorten allerdings nicht mehr tauglich war).1 Da überrascht es kaum, wenn im Rahmen einer Umfrage vom Oktober 2014 zum Thema „Was steht für Deutschland?“ 63 Prozent der Befragten der Meinung waren, dass der Volkswagen die deutsche Nation verkörpere, während Goethe mit großem Abstand (49 Prozent) auf den zweiten Platz verwiesen wurde.2
Große Verwunderung stellt sich dagegen ein, wenn man die Reaktion der deutschen Autofahrer auf die Ungeheuerlichkeiten der gegenwärtigen „Dieselaffäre“ registriert (die über den Betrug bei Dieselfahrzeugen im Grunde weit hinausreicht). Da gibt es Millionen betrogener Liebhaber, aber – wo bleibt der Aufschrei? „Die Hingabe zum Auto“, konstatierte Jan Heidtmann kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung“, „hat eine Stimmung geschaffen, die dies erst möglich macht.“3 Wie lautete der Kommentar des Ausstellungsbesuchers in Bonn: „Gute Ausstellung, aber ich mag Autos.“
So bleibt festzuhalten, dass die Bonner Ausstellung mit der Darstellung derart widerstreitender Gefühlswelten ein weites Feld zu bearbeiten und zu gliedern hatte, in das auch die automobilen Befindlichkeiten in der DDR aufgenommen wurden. Die Ausstellungsmacher haben eine beachtliche Zahl an Exponaten zusammengetragen, die mit Blick auf das Thema besonders sorgfältig ausgewählt werden mussten, um nicht beliebig zu wirken. Womöglich würde die Ausstellung noch mehr überzeugen, wenn Inszenierungen in der Art der eingangs zu sehenden Waschstraße etwas häufiger eingebaut worden wären.
Anmerkungen:
1 Siehe Gero von Boehms Drehbericht, 30.11.2014, https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/deutschland-saga-deutsche-tradition-und-mentalitaet-mit-100.html (18.08.2017).
2 Christoph Drösser, Wie wir Deutschen ticken. Wer wir sind. Wie wir denken. Was wir fühlen, hrsg. von Holger Geißler, Hamburg 2015 (Dokumentation einer Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov).
3 Jan Heidtmann, Die Autofahrer haben sich zu gerne belügen lassen, in: Süddeutsche Zeitung, 05.08.2017, http://www.sueddeutsche.de/auto/abgasskandal-die-autofahrer-haben-sich-nur-zu-gerne-beluegen-lassen-1.3616335 (18.08.2017).