Revolutionär und Ministerpräsident. Kurt Eisner (1867–1919)

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Blanck, a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities, Universität zu Köln

Der „Freistaat“ Bayern feiert im kommenden Jahr seinen 100. Geburtstag. Dass dieser Titel auf den bayrischen USPD-Vorsitzenden und Revolutionsführer Kurt Eisner zurückgeht, ist einer breiten Öffentlichkeit wohl nicht bewusst, ist die Rede vom Freistaat doch oft mit Vorstellungen eines bayrischen Exzeptionalismus und christsozialen Paradiesphantasien konnotiert. Wohl auch aus diesem Grund fragte der bayrische SPD-Landtagsabgeordnete Markus Rinderspacher am 25. April dieses Jahres die Staatsregierung, wie sie die historische Rolle Eisners bewerte und welche Pläne sie anlässlich des 150. Geburtstags des ersten bayrischen Ministerpräsidenten habe. In ihrer Antwort bewertete die Staatsregierung Eisners Bemühen um Frieden, Demokratie und republikanischen Föderalismus als „außerordentlich positiv“ und stellte einen Staatsakt am Jahrestag der Revolution im November 2018 sowie eine „adäquate Darstellung des revolutionären Geschehens“ im Regensburger Museum der Bayerischen Geschichte in Aussicht.1

Dies ist eine bemerkenswerte Entwicklung, hatte die Staatsregierung vor zwanzig Jahren auf eine ähnliche Anfrage noch lapidar geantwortet, dass sie Eisners „geschichtliche Rolle […] anerkennt“ – überdies sei aber seine Aufnahme in die Ruhmeshalle Walhalla aufgrund „erhebliche[r] Bedenken“ der Auswahlkommission nicht erfolgt.2 Ebenfalls erst 2011 weihte der damalige Münchner Bürgermeister Christian Ude (SPD) ein Eisner-Denkmal in der Münchner Innenstadt ein. Die zu besprechende Ausstellung im Münchner Stadtmuseum muss im Kontext dieser erinnerungskulturellen Verschiebungen gesehen werden, die sicher auch durch das nahende Zentenarium der Revolution von 1918/19 Fahrt aufnehmen.3 Zudem ist sie Ausdruck einer Eisner-Erinnerung, die frei ist vom Ballast ideologischer Grabenkämpfe um die richtige Deutung der Revolution und die Rolle Eisners für Erfolg und Scheitern der Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg.


Abb. 1: Ein grelles schwarz-rotes Eisner-Portrait, das auf einem Holzschnitt von Fritz Schaefler vom März 1919 basiert, eröffnet die Ausstellung. Foto: Thomas Blanck; mit freundlicher Genehmigung des Münchner Stadtmuseums

Die Ausstellung wurde im Mai 2017 zum 150. Geburtstag Kurt Eisners eröffnet. Vorangestellt ist ihr ein Zitat aus Eisners Gefängnistagesbuch, das er im Februar 1918 verfasste. Nachdem er für seine Agitation beim Januarstreik desselben Jahres in Haft genommen war, stellte Eisner dort sich selbst und sein politisches Handeln in Frage: „Bin ich nicht ein Narr […], das arbeitsschwellende Leben eines menschenscheuen Gelehrten […] in eklem Gewirr und Gelärm zu verlieren – aus Gewissen, aus Pflicht, um der Wahrheit willen […]?“ Eisners Worte umreißen damit den Anspruch der Ausstellung, ihn als einen Mann des Wortes darzustellen, der zur Tat schreitet, um sein Projekt eines auf die vernunftgeleitete Emanzipation des Individuums ausgerichteten Sozialismus zu verwirklichen.

Den Eingang in die Schau dominiert ein großformatiges Portrait. Basierend auf einem kurz nach Eisners Ermordung entstandenen Holzschnitt von Fritz Schaefler zeigt es den Revolutionsführer in expressionistischer Manier, in rot und schwarz erleuchtet, gleichermaßen als einen von den Kräften der Zeit Getriebenen und Zerrissenen. Die Ausstellung selbst umfasst zwei große Räume, wobei sich der erste der Zeit vor der Revolution und der zweite der Zeit vom 7. November 1918 bis zum Ende der zweiten, kommunistischen Räterepublik im Mai 1919 widmet. Am Anfang des ersten Raumes geht es zunächst um Eisners private, politische, aber vor allem intellektuelle Biographie: Seine Geburt 1867 in eine bürgerliche jüdische Familie, seine Kindheit und Schulzeit im Berlin der Gründerjahre, die Aufnahme eines Literatur- und Philosophiestudiums, das er nach acht Semestern aus wirtschaftlicher Not abbricht und sich dem Journalismus zuwendet, seine Entdeckung des Marburger Neukantianismus, die fortan prägend sein wird für seine unorthodoxe Interpretation des Sozialismus, erst in den Reihen der Mehrheitssozialisten, dann als Vorsitzender der bayrischen USPD.


Abb. 2: Eine Collage aus Texten, Zeitungsartikeln, Karikaturen und Fotos veranschaulicht den Hintergrund von Eisners Biographie im wilhelminischen Kaiserreich. Foto: Thomas Blanck; mit freundlicher Genehmigung des Münchner Stadtmuseums

Die Darstellung nimmt Eisner als Mann des Wortes ernst und verzichtet auf eine klare Chronologie genauso wie auf eine Trennung zwischen Leben, Werk und Zeitumständen. Vielmehr vermischen sich diese drei Ebenen in den Wandcollagen, Zitaten, Kommentaren und Archivalien konstant. Dabei ist es nicht nur diese Struktur, sondern auch die schiere Menge an eng gesetztem Text und Bildern, die große Konzentration erfordert. Wer Eisners (intellektuelle) Biographie kennt, freut sich zwar über dessen Ende der 1890er Jahre entstandene und im Original ausgestellte Notizen zu Kants Metaphysik der Sitten oder über die Aufschlüsselung der programmatischen Auseinandersetzungen in der deutschen Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts. Doch auf der anderen Seite mag etwa die Interpretation, dass laut Eduard Bernstein, 1891 Co-Autor des Erfurter Programms der SPD, „eine kritische Überprüfung der Parteidoktrin zu dem Ergebnis kommen [müsse], dass die Herleitung einer Revolution aus einer absolut hoffnungslos erscheinenden Lage der Arbeiterschaft innerhalb der ökonomisch-gesellschaftlichen Entwicklung kein Axiom der Theorie sein dürfe“, weniger mit Eisner vertraute Besucher etwas ratlos zurücklassen. Zu Recht monieren manche von ihnen diesen Umstand, wie ein Blick ins Besucherbuch zeigt. Schade ist überdies, dass angesichts der Textmenge Eisners scharfzüngige und unterhaltsame journalistische Texte, in denen er die Bigotterie, den Chauvinismus und den Antisemitismus des wilhelminischen Kaiserreiches aufs Korn nimmt, etwas untergehen. Flachware und Reproduktionen erdrücken zudem die relativ wenigen ausgestellten Originalobjekte.

Eisners Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg – kurzzeitig rechtfertigte er ihn als Verteidi-gungskrieg gegen den reaktionären Zarismus, bald wurde er zum radikalen Pazifisten und damit zum entschiedenen Gegner des kriegführenden Systems – dominiert die zweite Hälfte des ersten Ausstellungssaals. Seine Agitation gipfelte zunächst in seiner führenden Rolle beim Münchner Januarstreik 1918, mit der er endgültig zu einem Sozialisten der Tat wurde. Ein hintergrundbeleuchteter Stadtplan veranschaulicht die Streikbewegung in München. Leider ist es eine der wenigen Male in der Ausstellung des Stadtmuseums, dass der Stadtraum konkrete Gestalt für Eisners Biographie gewinnt und nicht nur als Hintergrundfolie fungiert.

Weiter geht es im zweiten Raum mit der bayrischen Revolutionszeit, die Eisner einleitete, als er sich am 7. November 1918 an die Spitze einer revolutionären Marschkolonne stellte, die erst München und dann ganz Bayern unter Kontrolle der Rätebewegung brachte. In Bezug auf die ausgestellten Objekte ist dieser Teil der Schau sicher der interessanteste. Zum einen zeigt er die schier unglaublichen Möglichkeitsräume, die die kurze Rätezeit nach dem Ende der Monarchie in Bayern bot, zum anderen die Zweischneidigkeit der politischen Aktion Eisners. Denn einerseits musste der Ministerpräsident die revolutionäre Energie in eine funktionierende politische Ordnung übersetzen, andererseits sah er sich weiterhin einem kantischen Bildungs- und Vernunftideal verpflichtet, dessen hehre Ziele bald zwischen radikalen und reaktionären Kräften zerrieben wurden. Erschütternd sind die in Reproduktion ausgestellten an Eisner gerichteten anonymen Briefe, die den Ministerpräsidenten mit antisemitischen Hassparolen als „Salomon Kosmanowski“ und Teil einer „Judenbande“, die „auch nicht zu den Tieren“ gehöre, beschimpfen. In diesem Klima des Hasses ermordete am 21. Februar 1919 der Nationalist und Antisemit Anton Graf von Arco auf Valley den Ministerpräsidenten. Eisners Beisetzung sollte eine letzte Demonstration revolutionärer Einigkeit sein, bevor Reichswehr- und Freikorpstruppen das Projekt eines sozialistischen Freistaates Bayern Anfang Mai 1919 blutig beendeten.

In Erinnerung bleibt am Ende der Ausstellung ein auf den Boden des zweiten Raums sternförmig projizierter Ausspruch Eisners: „Sozialismus ist nur ein Wort und Sozialismus, das Wort, erfüllt man mit Leben, indem man es verwirklicht.“ Im Anfang war bei Eisner das Wort, und die Ausstellung wird dieser Erkenntnis mit all den Vor- und Nachteilen für die Darstellung durchaus gerecht. Das Wort mit etwas mehr Leben zu erfüllen, hätte der Ausstellung gutgetan – dennoch macht sie große Lust auf das, was anlässlich der kommenden 100. Jahrestage der Revolutionsereignisse in München und Bayern wohl kommen wird.

Anmerkungen:
1 Vgl. Bayrischer Landtag, Drucksache 17/16658, München 2017, S. 23.
2 Vgl. Bayrischer Landtag, Drucksache 14/436, München 1999, S. 2.
3 Vgl. auch die Neuauflage des Standardwerkes zu Kurt Eisner von Bernhard Grau, Kurt Eisner 1867-1919. Eine Biographie, München, 2017 (1. Aufl. 2001).