Neben den vielbeachteten globalpolitischen Folgen schlug sich der Umbruch der Jahre 1989/91 auch auf einer genuin regionalen Ebene nieder, und der Rückzug der alliierten Soldaten aus Westdeutschland erwies sich dabei als eine der bedeutendsten Veränderungen. Die geplante Vollendung des mehrjährigen Truppenabzugs der britischen Rheinarmee 2020 wird insofern eine Zäsur in der Regionalgeschichte derjenigen Gebiete darstellen, die von dieser Präsenz maßgeblich geprägt wurden. Insbesondere die Untersuchung der Beziehungen zwischen Briten und lokaler Bevölkerung in Westfalen stand bereits im Zentrum einer Planungswerkstatt, die unter Mitarbeit zahlreicher institutioneller Akteure 2014 gegründet wurde. Das sich daraus ergebende Gemeinschaftsprojekt „Briten in Westfalen“ fördert ein vielfältiges Engagement entlang des breiten Spektrums zwischen Forschung und Geschichtsvermittlung.1 Die Wanderausstellung „Briten in Westfalen“, deren eröffnende Etappe vom 21. Oktober 2017 bis zum 28. Februar 2018 im Stadtmuseum Paderborn zu besichtigen ist2, repräsentiert demzufolge eine unter mehreren Erscheinungsformen des gleichnamigen Gesamtprojektes.
Das breitere wissenschaftliche Konzept zielt darauf ab, das in der Öffentlichkeit bisher eher mäßige Interesse für die britische Stationierung in Westfalen sowie für die Interaktion zwischen deutscher Bevölkerung und britischen Soldaten und Zivilisten in der Region zu verstärken. Immerhin lebten von 1945 bis heute insgesamt schätzungsweise 800.000 britische Soldaten inklusive ihrer Familienangehörigen in Westfalen.3 Bei einer Einsatzdauer – von Funktion und Rang abhängig – zwischen zwei und zehn Jahren bedeutete dies eine konstante Präsenz von ungefähr 55.000 Briten in der Region. „Die britisch-deutsche Nachkriegsgeschichte Westfalens“, schreibt die Kuratorin Bettina Blum im Begleitband zur Ausstellung (S. 11), „soll in das öffentliche Bewusstsein gerückt und für die Nachwelt bewahrt werden.“ Dieser Intention folgt die Wanderausstellung entlang von fünf „Leitfragen“ (S. 12ff.): Untersucht werden die zeitliche Entwicklung der Interaktion beziehungsweise der gegenseitigen Wahrnehmung, die Folgen der regelmäßigen Versetzungen auf diese Beziehung, die Funktionen von Vereinen und Clubs, die Interaktion zwischen Militärangehörigen und Zivilisten sowie die Folgen des britischen Abzuges. Es handelt sich also um einen ausgesprochen mikrogeschichtlichen Fokus, der sich einerseits für die regionalen und lokalen Strukturen der deutsch-britischen Kontakte, andererseits für den damit verbundenen Lebensalltag interessiert, der insbesondere durch wiederholte Einblicke in Einzel- sowie familiäre Kollektivbiographien hervorgehoben wird. Vergleichende Einordnungen des westfälischen Falls im Verhältnis zu weiteren alliierten Stationierungen in Deutschland oder in anderen Ländern gibt es in der Ausstellung hingegen nicht.
Abb. 1: Der erste, einleitende Bereich „Sieger und Besiegte“. Holz ist in der Ausstellung ein tonangebendes Material.
(Foto: Daniele Toro)
Als BesucherIn wird man in den Räumen des neueröffneten Stadtmuseums Paderborn diese Konzeption sowohl in der thematischen Ausgestaltung als auch in der materiellen Präsentation durchgängig wiedererkennen. Die Ausstellung ist in fünf Bereiche gegliedert. Der erste und der letzte Teil übernehmen durch ihren chronologischen Bezug eine einleitende beziehungsweise zusammenfassende Funktion. Sie skizzieren die ersten Nachkriegsjahre beziehungsweise den aktuellen Truppenabzug aus Westfalen und begleiten somit die BesucherInnen in der Auseinandersetzung mit den Fragen der Ausstellung. So präsentiert der erste Bereich „Sieger und Besiegte“ zentrale Themen wie das Verhältnis zwischen britischen Truppen und deutscher Bevölkerung, den Entnazifizierungs- und Demokratisierungsprozess sowie die die ganze Ausstellung begleitende Problematik, wie die deutsche Wahrnehmung der Alliierten zwischen den zwei Polen „Besatzer“ und „Befreier / Beschützer“ schwankte. Dazu wird mit der Beschlagnahmung von zivilen Wohnräumen zugunsten des britischen Militärs auch das erste unter mehreren soziokulturellen Konfliktfeldern angesprochen, die in der Ausstellung neben den friedlicheren Interaktionen eine ebenso reflektierte Aufmerksamkeit erhalten.
Die mittleren drei Abschnitte beschäftigen sich mit Fragen, die während der gesamten deutsch-britischen Beziehungsgeschichte in Westfalen relevant waren. Im zweiten Bereich („Miteinander leben“) werden die alltäglichen Kontakte angesprochen, wie sie sowohl bei der Arbeit als auch in der Freizeit stattfanden. Sport, Liebesbeziehungen, Musik, Vereine und Kneipen werden hier als konkrete oder immaterielle Orte des – teilweise gespannten – Kulturaustausches pointiert. Während Jazzclubs und britische Musik bei deutschen Jugendlichen gut ankamen, gab es andererseits häufig Schlägereien nach erhöhtem Alkoholkonsum; damit wird auch ein evidenter Konflikt präsentiert. Den ausschließlich britischen Erfahrungen in Westfalen wendet sich der dritte Bereich „Klein London“ zu. Dabei wird zum einen der Alltag von britischen Soldaten zwischen Familie, Schule und Militärdienst thematisiert. Zum anderen wird die Wahrnehmung und „Entdeckung“ Westfalens außerhalb der Stationierungen im Zivilleben näher betrachtet. Mit der vielfach zwiespältigen deutsch-britischen Interaktion in Westfalen, insbesondere angesichts des Zusammenspiels zwischen dem britischen Militär und der lokalen Zivilgesellschaft, befasst sich der vierte Bereich („Militär in der Gesellschaft“). Die Ausstellung widmet sich hier sowohl dem öffentlichen Auftreten des Militärs als auch seinen Auseinandersetzungen mit Aktivisten und lokalen sozialen Bewegungen um friedens- sowie umweltpolitische Themen.
Abb. 2: Im Themenbereich „Militär und Gesellschaft“ geht es insbesondere um die Spannungen zwischen der britischen Präsenz und der deutschen Zivilgesellschaft. Der seit dem späten 19. Jahrhundert eingerichtete Truppenübungsplatz Senne, zwischen Paderborn und Detmold gelegen, wurde 1945 von der britischen Besatzungsmacht übernommen und ab Mitte der 1950er-Jahre gemeinsam mit der Bundeswehr genutzt. Dabei gab es immer wieder Debatten und Konflikte – nicht zuletzt auch aus ökologischen Gründen.
(Foto: Daniele Toro)
Der fünfte und letzte Bereich steht unter der Frage „Was bleibt?“. Damit werden die materiellen und erinnerungskulturellen Fragen des britischen Rückzugs aus Westfalen angesprochen. Während einerseits die Konversion von Kasernen und zivilen Infrastrukturen als hochaktuelles regionales Problem hervorgehoben wird, sind andererseits die BesucherInnen eingeladen, eigene Gedanken zum Thema mit Notizzetteln auf einem Anschlagbrett zu hinterlassen. So entsteht eine originelle Momentaufnahme der heutigen Erinnerung an die Briten.
Der Charakter der Wanderausstellung bringt es mit sich, dass die Verteilung des Materials auf die Räume den lokalen Gegebenheiten angepasst werden muss. In Paderborn befindet sich der erste Ausstellungsbereich im Eingangsraum des Museums, während die folgenden vier Segmente direkt daneben in einem anderen – wegen des Mangels an Fenstern und natürlichem Licht etwas eng wirkenden – Saal versammelt sind. Die Anpassung an den jeweiligen Standort kann aber auch eine Stärke sein, weil die Ausstellung in jeder Stadt neu arrangiert wird und etwas unterschiedliche Perspektiven eröffnen kann. In der Konzeption der Wanderausstellung ist geplant, dass bei den künftigen Etappen die in Paderborn etwas im Hintergrund stehenden standortspezifischen Elemente stärker thematisiert werden.
Abb. 3: Die mit Exponaten etwas überfüllten hölzernen Schaukästen liegen auf Transportpaletten, während auf der offengehaltenen Holzklappe oder auf den im Hintergrund stehenden Bauzäunen Fotos zu sehen sind. Zweisprachige Erläuterungen zu den Exponaten hängen an der Seite der Kästen. Die blaue Schachtel zwischen den Paletten (rechts im Vordergrund) enthält Aktenreproduktionen.
(Foto: Daniele Toro)
Abb. 4: Der Bauzaun wird sowohl als Expositions- wie auch als Trennungselement zwischen unterschiedlichen Bereichen verwendet. Darauf hängt neben den Abbildungen und einem Schild eine kleine Holzkiste (links im Bild), die frei zugängliche Kopien von zeitgenössischen Broschüren und Dokumenten enthält.
(Foto: Daniele Toro)
In ihrer Gestaltung und Inszenierung ist die Ausstellung von einer offensichtlichen materiellen Kohärenz geprägt. Anstelle der üblichen Vitrinen werden auf Transportpaletten gestellte „Umzugskisten“ aus Holz verwendet: Während die Exponate unter einer horizontalen Glasscheibe aufbewahrt werden, stehen auf der fest angebrachten, vertikalen Holzklappe Abbildungen und etwas längere Beschriftungen zur Erläuterung. Die Einleitungstafel der Ausstellung erklärt: „Das Unterwegssein [der Briten] prägt das Leben und die Beziehungen und spiegelt sich auch im Ausstellungskonzept wider.“ Die stellenweise in Abbildungs- und Schildaufhänger umgewandelten Bauzaunstücke, die neuerdings eine omnipräsente Verwendung in Ausstellungen erleben, passen sich diesem Konzept an und tragen als Kulissenelement dazu bei, den provisorischen Charakter hervorzuheben. Gleichzeitig ermöglichen die auf die jeweiligen Bereiche bezogenen Rekonstruktionen von Räumen sowie von bestimmten Situationen (etwa eines damaligen Wohnzimmers, einer britischen Uniformengarderobe oder einer Hochzeit in Militäruniform) ein direktes Eintauchen in das Alltagsleben, das im Laufe der Jahrzehnte britischer Präsenz in Westfalen auch durchaus stabilere Formen annahm.
Abb. 5: Rekonstruktion des Wohnzimmers einer britischen Militärfamilie im Themenbereich „Klein London“. Links eine Audiostation.
(Foto: Daniele Toro)
Eine präzise Überlegung scheint neben der Ausstellungskonzeption und -gestaltung auch hinter der Funktion und Sammlung der Exponate zu stehen. Die etwa 800 gezeigten Objekte, Bilder und Dokumente (Begleitband, S. 14) wurden von etwa 250 Privatpersonen und Institutionen zur Verfügung gestellt. Neben den in den Umzugskisten liegenden Gegenständen und den meist aufgehängten Abbildungen werden auch Aktenkopien bereitgestellt, die leider häufig in Schachteln unter den Schaukästen liegen und damit wenig Aufmerksamkeit erhalten. Die gezielte Zusammenarbeit mit der städtischen und regionalen Öffentlichkeit während der Sammlungsphase stellt an sich einen deutlichen Mehrwert dar, weil durch die persönliche Verbindung zur Ausstellung schon im Vorfeld Interesse geweckt und Gesprächsstoff produziert wurde. Das ist aus der Perspektive der Public History ein gutes Beispiel dafür, welches Potential in der aktiven Partizipation von Zivilgesellschaft und Publikum steckt. Die reiche Ansammlung an Exponaten – oder, präziser, ihre Konzentration auf einem relativ begrenzten Raum – erweist sich dennoch auch als eine Schwäche der Ausstellung, weil besonders die innere Gestaltung der Schaukästen etwas überladen wirkt.
Gleichwohl überzeugt die Ausstellung an den entscheidenden Stellen mit einer stringenten Planung und Umsetzung. Dies fällt gerade bei der Anwendung von multimedialer Technik auf, die gut verteilt entlang der gesamten Ausstellung die BesucherInnen begleitet und als Träger für audiovisuelle Quellen in einer großen Bandbreite eingesetzt wird (Interviews, Wochenschauen, Radiobeiträge, Videos usw.). Dem Thema entsprechend werden alle Ausstellungstexte zweisprachig auf Deutsch und Englisch angeboten, während die Beschriftungen und Erläuterungen zu den Exponaten in zusammenfassenden Listen an der Seite der Schaukästen hängen. Darauf kann bei Interesse leicht zurückgegriffen werden, sodass die Präsentation der Gegenstände hinter der Glasscheibe vom Text nicht belastet wird.
Abb. 6: Zur Schlussfrage „Was bleibt?“ findet sich im Vordergrund rechts eine interaktive audiovisuelle Station; links daneben gibt es einen Schaukasten, der BesucherInnen einlädt, die eigenen Erinnerungen bzw. Überlegungen zur britischen Präsenz in Westfalen zu hinterlassen.
(Foto: Daniele Toro)
Zusammenfassend ergibt sich aus dem Besuch der Wanderausstellung „Briten in Westfalen“ der Eindruck einer in ein breites Forschungsprojekt eingebundenen Vermittlungskooperation, die auf mehreren Ebenen auf die Beteiligung eines nicht fachspezifischen Publikums rund um ein erinnerungskulturelles Interesse abzielt. Die deutsch-britischen Beziehungen in Westfalen werden als Geschichte sowohl positiver als auch konfliktträchtiger Entwicklungen dargelegt. Dadurch wird vermieden, dass das Ausstellungsnarrativ in eine teleologisch bestimmte Erfolgsgeschichte mündet. Am Ende finden die BesucherInnen der Ausstellung eine offene, gegenwartsbezogene Frage („Was bleibt?“), für deren Beantwortung die historische Perspektive diverse Denkanstöße bietet.
Anmerkungen:
1 Neben der hier besprochenen Wanderausstellung umfasst das Projekt „Briten in Westfalen“ weitere Veranstaltungen und Initiativen. Eine Tagung fand im März 2017 an der Universität Paderborn statt, und ein darauf bezogener Sammlungsband soll demnächst veröffentlicht werden. Vgl. den Tagungsbericht von David Merschjohann, in: H-Soz-Kult, 29.06.2017, https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7225 (09.01.2018). Eine Quellenedition wird Dokumente – darunter mehrere, die auch in der Ausstellung gezeigt werden – im Online-Portal „Westfälische Geschichte“ zur Verfügung stellen (http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/, 09.01.2018). Ein Dokumentarfilm wurde unter dem Titel „Good Morning Westphalia: Die Geschichte der Briten in Westfalen“ produziert und 2017 als DVD veröffentlicht. Für weitere Informationen zum Projekt vgl. das Vorwort der Herausgeber im Ausstellungsbegleitband sowie die Online-Präsenz von „Briten in Westfalen“ (https://www.paderborner-konversion.de/briten-in-westfalen, 09.01.2018). Die Ausstellung selbst ist ein Projekt der Stadt Paderborn in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), dem Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, der Universität Paderborn – Lehrstuhl für Neueste Geschichte / Zeitgeschichte und dem Arbeitskreis ostwestfälisch-lippischer Archive mit Unterstützung der Britischen Streitkräfte, gefördert von der LWL-Kulturstiftung Westfalen-Lippe, dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, den Stiftungen der Sparkasse Paderborn-Detmold, dem Kreis Paderborn und der NRW-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege.
2 Die Ausstellung, die in Paderborn etwa 250 qm umfasst, soll für die weiteren Stationen auf 150 qm reduziert werden. Mit einigen ortsbezogenen Änderungen wird sie von April 2018 bis September 2019 durch westfälische Städte touren. Die vorgesehenen Etappen werden demnächst auf der Projekt-Website veröffentlicht.
3 Zahlenangabe nach Thomas Küster; zit. im o.g. Tagungsbericht von David Merschjohann.