Weimar in Thüringen: Direkt gegenüber dem Deutschen Nationaltheater in der Sichtachse des Goethe-und Schiller-Denkmals liegt das im Juli 2019, pünktlich zum Jubiläum „100 Jahre Reichsverfassung“ eröffnete „Haus der Weimarer Republik“. Früher war in dem unscheinbaren Flachbau ein Museum zum Bauhaus untergebracht, das ab 1919 in Weimar für die Moderne schlechthin stand. Nun ist an dieser Stelle, die symbolischer nicht sein könnte – immerhin direkt gegenüber dem Sitzungsort der Weimarer Nationalversammlung und der Verkündung der Weimarer Verfassung –, eine Dauerausstellung zur Geschichte der Weimarer Republik zu sehen.
Abb. 1: Am Theaterplatz 4, gegenüber dem Deutschen Nationaltheater, steht das Haus der Weimarer Republik – Forum für Demokratie.
(Foto: Michael Grisko)
Das Haus versteht sich nicht als Museum, verfügt über keine eigene Sammlung und sieht sich in erster Linie als Begegnungsort. Dafür ist auch der derzeit in Fertigstellung befindliche Neubau hinter dem Altbau vorgesehen. Dort wird Raum für eine knapp 200 Quadratmeter große Sonderausstellungsfläche und für pädagogische Begegnungen sowie Veranstaltungen geschaffen: Die Kuratorinnen und Kuratoren wollen den Bogen bis in die Gegenwart zu den Herausforderungen der Demokratie schlagen. Dafür stehen gerade einmal 200 Quadratmeter – in einem großen Raum – zur Verfügung. Aber es wurde eine Lösung gefunden, die den vorhandenen Platz strukturiert und mithilfe unterschiedlicher Gestaltungselemente und vielfältiger Medien auf unterschiedliche Rezeptionstypen (Besucherinnen und Besucher) eingeht. Gleichwohl bleiben bei der Vielfalt und Kleinteiligkeit die inhaltliche Stringenz und auch die intendierte Kernbotschaft jenseits der historischen Fakten und Entwicklungen ein wenig auf der Strecke.
Abb. 2: Ausstellungstafel mit einer Karte von Deutschland in den Grenzen von 1918–1933
(Foto: Michael Grisko)
Abb. 3: Auf die zahlreichen Wahlen in der Weimarer Republik verweisen die Plakate an der Stirnseite des Ausstellungsraums.
(Foto: Michael Grisko)
Schon bei den Garderoben und Schließfächern wird man mit der Thematik des Hauses konfrontiert. Jedes Schließfach trägt statt einer Nummer den Namen einer Persönlichkeit der Zeit und im Schließfachinneren erfährt man mehr über deren Biografie. Eine filmische Installation – zusammengestellt aus Dokumentaraufnahmen und durch Schauspielerinnen und Schauspieler verkörperte Persönlichkeiten – bereitet den Besuch der eigentlichen Präsentation vor.
Im Eingang des einzigen Ausstellungsraums befindet sich eine Landkarte, die ohne weitere Erläuterungen (etwa zu den Kriegsfolgen) die geographischen Ausprägungen des Deutschen Reichs verdeutlicht. Auf der gegenüberliegenden Seite, am Kopfende des Raums, sind Wahlplakate angebracht. In der Mitte steht ein Tisch, auf dem, chronologisch und mit knappen Stichworten erläutert, zentrale Ereignisse der Zeit der Weimarer Republik als Lesepräsentation angeboten werden. Die eigentliche Präsentation ist als Rundgang an den Wänden aufgebaut und in sechs Teilbereiche untergliedert. Diese ist mit der Chronologie in der Mitte thematisch verbunden. Hinzu kommen eine Hörstation mit zeitgenössischen Radiobeiträgen und vier große, zur Strukturierung der Fläche genutzte Vitrinen mit besonderen Exponaten.
Abb. 4: Blick in die Gesamtausstellung: in der Mitte eine Chronologie, vier große Vitrinen, die sogenannten Zeitkapseln und an den Wänden thematisch geordnete Zugänge
(Foto: Michael Grisko)
Die in der Mitte des Raumes angebotene Chronologie ist in fünf Themenbereiche gegliedert: 1. „Versailles Vertrag und seine Fragen“, 2. „Eine Demokratie läuft los“, 3. „Mensch und Technik – ein neues Verhältnis“, 4. „Made in Weimarer Republik“, 5. „Dunkle Wolken über Deutschland und Europa“. Die Themen sind farblich gekennzeichnet und sollen auf die Präsentation an der Wand verweisen, womit sich Querverbindungen ergeben und Möglichkeiten der thematischen Vertiefung eröffnen – durch die an der Wand nachlesbaren Dokumente, die dort angebrachten AV-Medienstationen und die ebenfalls dort präsentierten Objekte. Leider unterscheiden sich die hier per Überschrift gewählten Themenbereiche von denen der Wandpräsentation, sodass eine direkte Querverbindung nur schwer möglich ist. Es ist kaum nachvollziehbar, warum hier unterschiedliche Überschriften gewählt wurden oder die Verbindungen nicht grafisch deutlicher hervorgehoben wurden. An den Wänden entlang eröffnen fünf Themenbereiche – wie eben bereits angedeutet in einer neuen Gliederung – einen breiten Blick auf die kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in der Weimarer Republik. Die Überschriften lauten hier: 1. „Revolution und Aufbruch“, 2. „Republikanischer Alltag“, 3. „Labor der Moderne“, 4. „Weimar und die Welt“, 5. „Krisen und Bewährungen“.
Abb. 5: Leseangebote und Multimediastationen strukturieren das multimediale Buch.
(Foto: Michael Grisko)
Abb. 6: Die vielfältigen Angebote der Ausstellung setzen auf kleinere Exponate und zahlreiche Fotos und Dokumente.
(Foto: Michael Grisko)
Der Fokus dieses Teilbereichs der Präsentation liegt auf den Innovationen und neuen Entwicklungen, nicht auf den Krisen und Verwerfungen der Weimarer Republik. Die Republik wird nicht (primär) als scheiternde Gesellschaft, sondern vielmehr als Gesellschaft der Errungenschaften verstanden. Ein letzter, sechster Bereich versucht den Brückenschlag in die Gegenwart und fragt unter der Überschrift „Demokratische Visionen“ nach dem gegenwärtigen Demokratieverständnis der Besucherinnen und Besucher. Hier geht es – ohne thematische Einbettung und ohne eine Verbindung zu dem geschichtlichen Teil der Ausstellung herzustellen – sowohl um die Zukunft der Demokratie als auch um die Themen Kompromiss, digitaler Wandel, Vertrauen, Populismus, Klimawandel, Globalisierung und Chancengleichheit. Intensiv wird zudem in der letzten Station das Thema „Plastik und die Welt“ diskutiert. Am Ende der Ausstellung können die Besucherinnen und Besucher ihre demokratische Vision auf einen Papierhänger schreiben, aufhängen und so mit anderen teilen. Es scheint, dass man die gegenwärtige Bedeutung der Weimarer Republik für unsere Demokratie aufzeigen wollte, um damit nicht zuletzt ein pädagogisches Bedürfnis hinsichtlich des Anschlusses an die gegenwärtigen Realitäten zu bedienen.
Die fünf Stationen haben jeweils eine Überschrift und sind mit Jahreszahlen überschrieben. Diese verwirren. Nicht nur, dass sie fast kaum sichtbar am oberen Rand angebracht sind, zudem fehlt eine chronologisch klare Abfolge. Dies macht die einzelne Station, die ohnehin auf knappem Raum eine Vielzahl von Lese- und Sehangebote bietet, noch unübersichtlicher. Neben kleineren Exponaten, Schrifttafeln, in der Regel mit zeitgenössischen Texten (Verordnungen, Bekanntmachungen, Gesetzestexte und weitere Zitate), und Faksimiles sind Touchscreen-Medienstationen bestimmend. Auf diesen kann sich der Besucher oder die Besucherin individuell unterschiedlich lange (bis zu zehn Minuten dauernde) Clips ansehen. Darin wird das Dokumentarfilmmaterial des Bundesarchivs mit Statements und Einordnungen von Historikern, Historikerinnen oder Prominenten verbunden, die Themen wie Inflation, Wissenschaft und Kino einordnen und kommentieren.
Der inhaltliche Fokus der gesamten Ausstellung liegt nicht auf der politischen Entwicklung. Die eher als multimedial erweitertes Lesebuch zu charakterisierende Präsentation zeigt eine Vielfalt und Gleichzeitigkeit gesellschaftlicher, kultureller, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und politischer Entwicklungen. Die übergreifenden Themenstellungen und die dargestellten Einzelphänomene begreifen Gesellschaft als komplexes Phänomen. Diese Einordnung ist das große Verdienst der Ausstellung. Am Ende fehlt kein Thema, das nicht auch in einer moderneren sozialgeschichtlichen Einführung zur Weimarer Republik aufgerufen werden würde.
Auffällig ist, dass auf einen lokalen Schwerpunkt Weimar (verfassungsgebende Nationalversammlung) in der Ausstellung verzichtet wurde. Dies lässt sich wohl auch der aktuellen Sonderausstellung zur Weimarer Nationalversammlung 1919 im Stadtmuseum erklären, die nur wenige Schritte entfernt zu sehen ist. Auch die Bedeutung des „Bauhaus“ als Labor der Moderne wird knapp erwähnt. Wenige Meter weiter gäbe es die Möglichkeit, sich vertieft im neuen Bauhaus-Museum zu informieren. Leider werden keine direkten Verbindungen zu diesen Einrichtungen aufgezeigt.
Insgesamt liegt in der montierten und unkommentierten Vielfalt der Präsentation eine Gefahr: Ohne klare Lesehilfe (Abfolge, Einordnung, Kommentar) werden die Besucher und Besucherinnen weitgehend allein gelassen. Dabei hilft auch der im Eingangsbereich zu lesende programmatische Text wenig: „Die Ausstellung zeigt die Vielfalt demokratischer Möglichkeiten und Handlungsfelder, die dieser historische Auf- und Umbruch den Menschen eröffnet. Waren für viele die Sorgen des Alltags dieser Zeit bestimmend, erblüht zugleich eine bis dahin ungeahnte Atmosphäre der Kreativität und des gesellschaftlichen und künstlerischen Experimentes.“ Die Weimarer Republik sei, so die Ausstellungsmacherinnen und Ausstellungsmacher weiter, „eine starke, wehrhafte und moderne Demokratie, die unter schwierigen Bedingungen startet und sich lange gegen Attacken von links und rechts behaupten kann.“ Abschließend wird der folgende demokratietheoretische Anspruch verbunden mit einer pädagogischen Aufgabe formuliert: „Demokratie ist nicht voraussetzungslos […]. Jede Demokratie bleibt angreifbar, selbst wenn sie mit einer sehr guten Verfassung ausgestattet ist. Sie benötigt Demokratinnen und Demokraten, die sich für sie einsetzen. Und sie braucht Menschen, die ihre demokratischen Rechte vielfältig wahrnehmen und sich an demokratischen Diskurs beteiligen.“
Leider geht bei der Vielfalt der angebotenen Themen und Zugänge, bei der Kleinteiligkeit und der starken Textorientierung der Präsentation der klar formulierte Anspruch verloren – jedenfalls in der expliziten Auswahl und Kommentierung der Exponate. Insgesamt hätte man sich hier etwas mehr Mut zur Vorgabe gewünscht. Wenn tatsächlich ein Diskurs über die erste Etappe der Demokratie und deren (lebendige) Folgen für die Gegenwart gewünscht wäre, könnten andere Leitfragen zur Neusortierung der Exponate dienen: Was war wirklich neu, was wirklich revolutionär und was blieb – wenn auch in veränderter Form? Wie war und wie ist das Verhältnis von Verfassung, Bürgerinnen und Bürger und parlamentarische Institutionen bzw. meinungsbildende Instanzen (Medien, NGOs etc.)? Wie sind die Linien der Demokratie – auch mit der Weimarer Republik als Zwischenstation – bis zur Gegenwart? Damit könnte die Ausstellung ihren dokumentarischen Charakter verlieren und zum Ort der Auseinandersetzung werden, den unsere Gesellschaft so dringend braucht.