„Was wäre der Mensch ohne technische Neuerungen?“ Diese etwas merkwürdig, fast fortschrittsgläubig formulierte Frage empfängt die Besucher/innen der Ausstellung „Der montierte Mensch“ im Museum Folkwang in Essen. Merkwürdig mutet die Frage an, da Technik zu den fundamentalen Existenzbedingungen des Menschen gehört – nicht erst seit der Moderne. Insofern klingt die Frage eher rhetorisch oder wie ein Gedankenexperiment, das im Museum aber nicht vollzogen und weiterverfolgt wird. Vielmehr präsentiert diese Ausstellung mit über 200 Arbeiten ein beeindruckendes Panorama künstlerischer Reflexionen von Mensch-Maschinen-Verhältnissen seit den Avantgarde-Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
Abb. 1: Installationsansicht „Der montierte Mensch“
(Foto: Sebastian Drüen)
Die Ausstellung ist einerseits durch gegenwärtige technologische Entwicklungen wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz motiviert: „Kaum ein Tag vergeht ohne Sondersendungen, Leitartikel und Neuerscheinungen zu Künstlicher Intelligenz, Industrie 4.0 und Transhumanismus. Die Frage nach den Auswirkungen technischer Entwicklungen auf das Leben und den Menschen ist erneut in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, konstatiert Peter Gorschlüter, Direktor des Museums, im Vorwort zum Begleitband der Ausstellung (S. 9). Tatsächlich ist es angesichts einer öffentlichen Debatte, die ermüdend in Wiederholungsschleifen verläuft, mehr als erfreulich, nun in Essen so viele künstlerische Positionen zu Mensch-Maschinen-Verhältnissen der letzten 120 Jahre sehen zu können.
Andererseits lehnt sich die Ausstellung an Bernd Stieglers gleichnamiges Buch „Der montierte Mensch“ an. Stiegler beschäftigte sich in seiner 2016 erschienenen Studie mit den Konzepten eines neuen Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er identifizierte das Prinzip der Montage als das Verfahren, das in Alltag, Kino und Fabrik diesen neuen Menschen formen sollte.1 Den Begriff der Montage fasste Stiegler sehr weit. Gleiches gilt für die Ausstellung, die sich von Begriff und Buch inspirieren ließ. Anders als Stiegler behandelt die Ausstellung aber nicht nur die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie zeigt auch Kunst der Post-Internet-Generation, die sich beispielsweise mit der Geburt und dem Leben von Avataren beschäftigt, wie Ed Atkins’ Videoarbeit „Happy Birthday!!!“ (2014), die den Avatar als verlorene und vom Leben verwirrte Figur vorführt.2 Der montierte Mensch erscheint in den ausgewählten künstlerischen Auseinandersetzungen zugleich als der mechanisierte Mensch, der kybernetische Mensch oder aber als ein zerstückelter, reproduzierbarer Mensch, letzteres zum Beispiel in Josh Klines beeindruckender Installation „Nine to Five“ (2015): Einzelne Teile eines Mannes, etwa Kopf und Hand, liegen in einem Putzwagen, vermischt mit Reinigungsutensilien. Körperteile wurden mittels eines 3D-Scanners reproduzierbar gemacht und damit entindividualisiert; sie befinden sich nun wie Waren neben Bürsten und Lappen.
Abb. 2: Josh Kline, „Nine to Five“ (2015)
(Fondazione Sandretto Re Rebaudengo, Courtesy the artist, 47 Canal, New York, and Galerie Max Hetzler; Foto: http://def-image.com)_
Der große Ausstellungsraum ist in Segmente unterteilt, in denen einzelne Themen behandelt werden – darunter Krieg und Beschleunigung, Momentfotografie und Bewegungsanalyse, industrielle Arbeitswelten, technische Geschlechter, der Staat als Megamaschine, Kybernetische Systeme oder Maschinenhirne, um nur einige zu nennen. Die Ausstellung folgt damit einer zugleich chronologischen und thematischen Ordnung, wobei der Wandel der Technik von der mechanischen Maschine in der Arbeitswelt und der Kriegsmaschinerie des Ersten Weltkrieges über den eher metaphorischen Gebrauch des Maschinenbegriffs als Staatsmaschine hin zu Computer, Künstlicher Intelligenz und virtuellen Welten die Ordnung anleitet.
Die Themenbereiche werden jeweils mit kurzen, prägnanten Texten vorgestellt und eingeordnet, was meist sehr erhellend ist, wenngleich zuweilen Stereotype reproduziert werden – wenn es etwa heißt, die Geburtsstunde des montierten Menschen sei die industrielle Revolution gewesen, in der die Herrschaft der Mechanisierung begonnen habe; oder ähnlich, wenn geschrieben steht, dass die Technik die Menschen „unterwirft“ (im Raum zu mechanischen Bühnen) oder dass Technik vom „bloßen Beiwerk zum unabdingbaren Teil des menschlichen Lebens“ geworden sei (im Raum zu technischen Geschlechtern).
Die Ausstellung beginnt mit dem Futurismus und dem Ersten Weltkrieg. Bilder der engen Verbindung von Mensch und Maschine sind hier zu sehen. Fortunato Depero beispielsweise harmonisiert Mensch und Motorrad über die Formensprache. Sein „Motociclista“ von 1927 ist ein eckiger Mann, der an die Gestalt früher Roboter erinnert und mit seinem Motorrad verschmilzt.3 Diese technikeuphorisch-affirmativen Bilder werden kontrastiert mit Werken von Otto Dix, der entsetzte, wehrlose, kaum zu erkennende Menschen zwischen Kanonen und Sprengkörpern im Schützengraben zeigt. Der ehemalige Bauhaus-Künstler Xanti Schawinsky, ab 1936 in den USA tätig, malte 1942 Bilder, in denen Gesichter aus Kriegsschrott zusammengesetzt sind und die Form eines Panzers annehmen.4
Abb. 3: Xanti Schawinsky, „The General“ (1942)
(The Xanti Schawinsky Estate, Kilchberg)
Vor allem der Teil zu den Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts belegt die Ambivalenz und das Changieren von Technikbegeisterung und Entsetzen. Die Angst vor dem Maschinenhaftwerden der Menschen, ein zentrales Thema der ersten Jahrhunderthälfte, zeigt sich deutlich in diesen Arbeiten. Aber gleichermaßen fallen die frühen Thematisierungen des Verwobenseins von Menschen und Maschinen auf, wie beispielsweise in Erwin Wendts Collage „Kraftakt“ (1928), in der Mensch und Gerät eins zu werden scheinen, gewissermaßen die Cyborgs avant le lettre.
Abb. 4: Erwin Wendt, „Kraftakt“ (1928)
(Kunstpalast Düsseldorf / © Albert Termeer; Foto: Kunstpalast / Artothek)
Der Abschnitt zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der auch ungefähr die Hälfte der Ausstellung umfasst, zeigt im Grunde den Kanon der Kunstgeschichte, wenn man sich mit dem Thema Mensch und Technik beschäftigt. Abgesehen von assoziativen Ausflügen zu Otto Neuraths Informationsgrafiken oder zu Fritz Kahns Bildern „Der Mensch als Industriepalast“ wird die westliche Avantgardekunst präsentiert, die man bereits vielfach gesehen hat. Dies gilt teils auch für die zweite Hälfte der Ausstellung, wo Arbeiten von Nam June Paik, Jean Tinguely oder Stelarc zu sehen sind, von Rebecca Horn, Eva Hesse, Marcel Duchamp und vielen weiteren hochklassigen, etablierten Künstler/innen.
Trotzdem ist es wunderbar, erneut die sinnlosen Maschinen Tinguelys betrachten zu können oder Nam June Paiks heute so anachronistisch anmutende Installation „Andy Warhol Robot“ (1994), diese aus vielen kleinen alten Fernsehgeräten zusammengebaute menschlich anmutende Skulptur, in deren Monitoren orange-stichige Filme laufen, Kopf und Hand aus alten Tonbandrollen bestehen und in die zugleich Warhols „Brillo Box“ (1964) eingearbeitet ist.5 Die zahlreichen Klassiker, die zu sehen sind, machen die Breite der Ausstellung deutlich, könnte man hier doch auch vom technik-konsumierenden Menschen sprechen, wenn technische Konsumgüter und Menschen verschmelzen, ja erstere die Identität letzterer bestimmen.
Der Teil, der sich mit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts befasst, zeigt, entsprechend dem Wandel der Kunst, viele Objekte, Installationen, Dokumentationen und Videos. Diese raumgreifenden Beispiele lösen die Besucherführung etwas auf, da die an Themen orientierte Struktur, in der man sich von einem begrenzten Raum in den nächsten bewegt, hier zwangsläufig offener gestaltet werden muss. So ist es sehr erfreulich, dass man von Tinguelys mechanischer Malmaschine „Méta-Matic No. 10“ aus (1959)6 bereits Goshka Macugas und Patrick Tressets riesige Malroboter sieht: Gewaltige Maschinenarme, die in ihren Greifern filigran Stifte halten und auf einem laufenden Papierband Diagramme zeichnen.7 Dazwischen hängen Bilder, die Trevor Paglen mittels Künstlicher Intelligenz malen ließ und die auffällig gruselig sind – wie Stills aus Horrorfilmen.
Der Ausstellung gelingt es exzellent, die vielfältigen künstlerischen Positionen zu Mensch-Maschinen-Verhältnissen aufzuzeigen, die gesellschaftlich breit diskutierte Themen spiegeln, forcieren oder kritisch interpretieren. So ist die Verbindung des Organischen mit dem Technischen ein weiteres durchgängiges Motiv, das sich bereits in der Avantgarde-Bewegung zeigte, aber auch in einer provozierenden Installation von Paul Thek aus dem Jahr 1965: Wie in einem Schrein ist eine organische Substanz in Plastikbehältern aufgebahrt.8 Richard Hamilton wiederum thematisiert in seiner Foto-Installation „Man, Machine and Motion“ (1955–2012) ein weiteres gängiges Narrativ: die körperliche Extension der Menschen, zum Zweck ihres technisierten Ausgreifens in der Luft, im Wasser und auf der Erde.9 Eine Fotografie von Thomas Ruff mag beispielhaft für eine andere mehrfach vorkommende Interpretation der Mensch-Maschinen-Verhältnisse stehen: die Verlebendigung des Technischen, das Organische der Maschinen. Ruff fotografierte ein Ensemble von Maschinen so, dass sie an eine formierte Gruppe von Gewehrschützen erinnern.10
Die computergenerierte Grafik „Sine Curve Man“ von James Shaffer aus dem Jahr 1967 stellt, wie viele andere gezeigte Werke auch, die Frage nach den menschlichen Selbstbeschreibungen und Selbstdeutungen. Das Gesicht ist zu einer Formation aus Sinuskurven geworden; Gesicht und Sinuskurven verschmelzen.11
Neben dem Sichtbarwerden der Vielzahl und der Pluralität von Reflexionen zu Mensch-Maschinen-Verhältnissen stellen die bereits angeklungenen, in die Ausstellung eingeflochtenen roten Fäden einen besonders wichtigen Ertrag dar. So wird im Rundgang nicht nur an verschiedenen Stellen die Frage der menschlichen und maschinellen Kreativität thematisiert, etwa mit den erwähnten Zeichenmaschinen. Deutlich wird in dieser Zusammenschau der „Kreativitätsmaschinen“ auch eine wachsende Komplexität und „Blackboxisierung“ von Technik. Arbeitete Tinguely noch mit mechanischen Maschinen, die ihr filigranes Gestänge in Bewegung setzen und von uns dabei beobachtet werden können, so sehen wir die Roboter nur noch zeichnen, und die Bilder der Künstlichen Intelligenz sind Produkte, deren Herstellungsprozess wir nicht mehr nachvollziehen können, was Trevor Paglen in einer weiteren Videoarbeit deutlich macht („Behold These Glorious Times!“, 2017).
Werfen die gezeigten Arbeiten damit zentrale Fragen auf, so geben sie keine fertigen Antworten. Die Ausstellung lädt ein, über den langen Zeitraum von 120 Jahren hinweg solche Fäden zu suchen, sie zu spinnen, zu vergleichen und weiterzudenken. Allerdings ist die Fülle der gezeigten Arbeiten immens, bis hin zur Grenze der Überforderung. Kaum ein Thema scheint ausgelassen zu sein, auch nicht das Frauen-Maschinen-Verhältnis bzw. ein weiblicher Blick auf das Mensch-Maschinen-Verhältnis. Um nur ein Beispiel zu nennen: Mit der Fotoserie „In the Kitchen“ (1977) inszeniert sich Helen Chadwick als integraler Teil von Haushaltsgeräten, geradezu in diese eingewachsen.12
Abb. 5: Helen Chadwick, Ohne Titel, aus dem Portfolio „In the Kitchen“ (1977)
(Museum Folkwang, Essen / © The Estate of the Artist; Courtesy of Richard Saltoun Gallery, London; Foto: Jens Nober)
Trotz der überbordenden Fülle sei auf zwei Lücken hingewiesen. Zum einen handelt es sich um einen ausschließlich westlichen Blick. Zum anderen finden sich kaum Arbeiten, die sich explizit mit dem Thema Maschinen-Emotionen auseinandersetzen. Eine Ausnahme stellen die elektronischen Babyschaukeln der Künstlerin Katja Novitskova dar („Mamaroos“, 2014/18). Wippen aus Plastik, schrill in ihrer ornamentalen Buntheit, einerseits an Kunst der Pop Art erinnernd, andererseits an Brutkästen, wippen programmiert ein Baby, sodass Eltern ihr Kind hier sanft in den Schlaf schaukeln lassen können. Wie Maschinen Emotionen und damit das Mensch-Maschinen-Verhältnis verändern, bleibt in der Ausstellung jedoch weitgehend unkommentiert.
Abb. 6: Katja Novitskova, „Mamaroo (Smoldering Brain, Growth Potential)“ (2018)
(Courtesy the artist; © Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin; Foto: Gunter Lepkowski)
Die Ausstellung „Der montierte Mensch“ ist begleitet von einer weiteren Ausstellung mit dem Titel „I was a Robot. Science Fiction und Popkultur“. Es lohnt sich, im Museum Folkwang beide Präsentationen anzuschauen, da sie sich sehr gut ergänzen. Die Science-Fiction-Ausstellung, eine Kooperation mit der Schweizer Maison d’Ailleurs, zeigt Buch- und Zeitschriftencover, Plakate von Science Fiction, Figuren und Spielzeug, die thematisch sortiert werden. Ordnungskategorien sind beispielsweise Poesie, Wiederholung, Cyborg. Auch hierzu liegt ein ausgezeichneter Katalog vor.13
Insgesamt ist mit der Ausstellung „Der montierte Mensch“ und mit der parallel gezeigten Science-Fiction-Ausstellung ein großer Wurf gelungen. Auch wenn häufig der klassische westliche Kanon repräsentiert wird und mit den beiden Ausstellungen gleichsam eine Trennung von Populärkultur und Kunst vorgenommen wird, können das sorgfältig durchdachte Komponieren und Zusammentragen all dieser bedeutenden Exponate sowie die daraus entstandene Gesamtschau zu Mensch-Maschinen-Verhältnissen im 20. und 21. Jahrhundert nicht genug wertgeschätzt werden: Das Ergebnis ist inspirierend, informativ und hochrelevant. Die Reflexionen der Künstler/innen im Zeitverlauf sind nicht nur für die Geschichtswissenschaft erhellend; sie sollten auch im gesellschaftlichen Diskurs größere Aufmerksamkeit finden.
Anmerkungen:
1 Bernd Stiegler, Der montierte Mensch. Eine Figur der Moderne, Paderborn 2016. Vgl. die Rezension von Peter Fritz, in: H-Soz-Kult, 09.05.2017, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-24947 (28.01.2020).
2 Aus einer früheren Ausstellung: https://www.youtube.com/watch?v=ISW9r94YOkE (28.01.2020).
3 Abbildung hier: https://www.museum-folkwang.de/de/aktuelles/ausstellungen/ausblick/der-montierte-mensch/themen/krieg-und-beschleunigung.html (28.01.2020). Die Auswahl der Werke, die in dieser Rezension direkt abgebildet sind oder aber nur verlinkt werden können, ergibt sich vor allem aus den urheberrechtlichen Bedingungen; Autorin und Redaktion danken Yvonne Dänekamp vom Museum Folkwang für die freundliche Unterstützung beim Zusammenstellen des jetzt gezeigten Bildmaterials und der Rechteklärung.
4 Siehe auch https://issuu.com/drawingcenter/docs/drawingpapers119_schawinsky (28.01.2020), dort v.a. S. 94-99.
5 Siehe https://www.kunstmuseum-wolfsburg.de/sammlung/nam-june-paik/andy-warhol-robot/ (28.01.2020).
6 Siehe https://www.tinguely.ch/meta/de.html?showdetail=metamatic (28.01.2020).
7 Aus einer früheren Ausstellung: https://www.youtube.com/watch?v=nPM2f4g3Mdc (28.01.2020).
8 Als Beispiel für mehrere Arbeiten dieser Art: https://www.whitney.org/WatchAndListen/598 (28.01.2020).
9 Siehe https://www.museoreinasofia.es/en/collection/artwork/man-machine-motion (28.01.2020).
10 Siehe http://www.artnet.de/k%C3%BCnstler/thomas-ruff/maschinen-0946-ecgNIjqFRbGmKnRAwQgZzQ2 (28.01.2020).
11 Siehe http://dada.compart-bremen.de/item/artwork/96 (28.01.2020).
12 Siehe auch http://www.artnet.de/k%C3%BCnstler/helen-chadwick/in-the-kitchen-a-aejMv9pu82XKur0RTOolnQ2 (28.01.2020).
13 Museum Folkwang, Essen (Hrsg.), I was a Robot. Science Fiction und Popkultur, Göttingen 2019. Siehe auch https://www.museum-folkwang.de/de/aktuelles/ausstellungen/ausblick/i-was-a-robot.html (28.01.2020).