Liebe. Was uns bewegt

Liebe. Was uns bewegt

Organizer
Haus der Geschichte Baden-Württemberg
ZIP
70173
Place
Stuttgart
Country
Germany
From - Until
14.10.2022 - 23.07.2023

Publikation(en)

Cover
Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hrsg.): Gier. Hass. Liebe. Was uns bewegt. Katalog zur Emotionen-Trilogie 6. Dezember 2020 – 23. Juli 2023. Stuttgart 2022 : Selbstverlag, ISBN 978-3-933726-66-7 199 S., zahlr. Abb. € 28,90
Reviewed for H-Soz-Kult by
Maribel Graf, Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen

Kaum eine Emotion vereint scheinbare Widersprüche so mühelos wie die Liebe: abgetan als eine Kulturidee, geboren und erfunden in der Romantik1; gleichzeitig als eine Emotion so alt wie die Menschheit selbst, als vielleicht intimste und privateste, zugleich öffentlichste und politischste Emotion2; als Handlungsmaxime ein Kerngebot der Bibel und gleichzeitig Auslöser für Besessenheit, Abhängigkeit, Verrat, Eifersucht, Hass, Krieg und (Selbst-)Mord. Während über die meisten Emotionen engere Vorstellungen herrschen, wie sie sich anfühlen sollen, so gibt es Beschreibungen, Formen und Empfindungen der Liebe so zahlreich wie Sand am Meer.

Diesen unterschiedlichsten Facetten und Erscheinungen der Liebe nähert sich das Haus der Geschichte Baden-Württemberg (HDGBW) in seiner Ausstellung „Liebe. Was uns bewegt“. Die Ausstellung ist der dritte und letzte Teil der Emotionen-Trilogie „Gier. Hass. Liebe.“ und noch bis zum 23. Juli 2023 in Stuttgart zu sehen. Begleitend zum finalen Teil ist auch der Ausstellungskatalog über alle drei Emotionen erschienen und im HDGBW erhältlich, der die Leser:innen noch einmal bildreich in die gezeigten Dimensionen von Gier, Hass und Liebe eintauchen und nach dem Ausstellungsbesuch weiter über sie sinnieren lässt.

Gier, Hass und Liebe können zwar durchaus je für sich, aber auch als eng verknüpfte Emotionen betrachtet werden. Daran erinnern gleich zu Beginn die drei Videoinstallationen, die alle drei Ausstellungen miteinander verbinden.3 Die Videostelen zeigen drei Personen in Lebensgröße, die in einem Dreieck angeordnet über Gier, Hass und Liebe sprechen und immer wieder sowohl ihre Stele als auch die Emotion wechseln. Ob es an der Akustik im Untergeschoss des HDGBW liegt oder ein vom Kurator:innen-Team (Sebastian Dörfler, Luisa Kreiling, Immo Wagner-Douglas) und den Gestalterinnen (büroberlin) gewollter Effekt ist: An keiner Stelle zwischen den drei Videoaufstellern, egal wie mittig oder nah man sich als Zuhörer:in positioniert, lässt sich einem Monolog zu den drei Emotionen mühelos folgen. Die Worte und Erzählungen verweben sich in den hohen Decken und sind – unbeabsichtigt oder nicht – unentwirrbar miteinander verstrickt, werden zur Metapher für die Dreiteiligkeit der Ausstellungen und ihrer Untrennbarkeit. So gibt auch die Reihenfolge der drei Themen eine Antwort auf Gier und Hass: Am Ende gewinnt die Liebe – man hofft es zumindest.


Abb. 1: Prolog zur Ausstellung
(Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch)

Doch am Anfang steht zunächst die Ehe zwischen Catharina Pawlowna und Wilhelm I., die in die erste Kategorie „Paare“ einführen. Seien es die russische Zarenschwester und der württembergische Thronfolger in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, König Karl I. von Württemberg und sein amerikanischer Liebhaber in der zweiten Jahrhunderthälfte oder die sexuellen Gewaltfantasien des Künstlers Rudolf Schlichter um 1930, literarisch und fotografisch inszeniert mit Blick auf seine Lebensgefährtin Elfriede Elisabeth Köhler, genannt „Speedy“ – der erste Teil der Ausstellung macht deutlich: Liebe und romantische Beziehungen sind politisch, bewegen sich zwischen Machtgefälle und Augenhöhe, begehren auf und wirken nicht nur nach innen, sondern als machtvolle, politische, mitunter schockierende Inszenierungen der Liebe genauso nach außen.


Abb. 2: Themeninsel „Paare“
(Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch)

Von diesen machtvollen und politischen Sphären erzählt im Themenblock „Heiraten“ das Hochzeitskleid von Sonja Wolber aus Ravensburg (2019). Nachdem die deutschen Behörden den Asylantrag ihres aus Gambia stammenden Partners abgelehnt und sich darüber hinaus geweigert hatten, ihm eine Geburtsurkunde auszustellen, war eine Heirat unmöglich. Eine Steuernummer erhielt der in der Bundesrepublik lebende und arbeitende Mann allerdings. Das Hochzeitskleid kreierte Sonja Wolber daraufhin als Protestform aus Kopien von amtlichen Schriftstücken. So manifestiert sich in diesem Exponat nicht nur die gewünschte, dem Paar aber seit Jahren verwehrte Heirat, sondern auch der Kampf gegen bürokratische Machtdemonstrationen – abgelehnte Anträge und Schreiben eingewebt zwischen politischen Interessenkonflikten. Während andere Geschichten von zunächst als skandalös geltenden, heute alltäglichen interkonfessionellen, rein standesamtlichen oder homosexuellen Eheschließungen handeln, bleibt die „Ehe für alle“ im Fall von Sonja Wolber und ihrem Partner bisher weiter Utopie. Hier zeigt sich außerdem exemplarisch eine Stärke der gesamten Ausstellung: Die meist aus Baden-Württemberg gewählten Exponate betonen regionale Bezüge, betten das Thema jedoch gleichzeitig in gesamtgesellschaftliche Diskurse, Entwicklungen, Probleme ein und verweisen so auf Fragen, die für ein überregionales Publikum ebenfalls interessant sind.


Abb. 3: Themeninsel „Heiraten“, ganz rechts Sonja Wolbers Hochzeitskleid aus Schriftstücken
(Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch)

Nach der partnerschaftlichen Liebe öffnet sich die Perspektive für viele andere Dimensionen des Themas. Dabei wird das Gefühl, obgleich die Ausstellung im frühen 19. Jahrhundert beginnt, wie auch in den vorherigen Teilen der Emotionen-Trilogie nicht in chronologische Stränge gefesselt, sondern hüpft ungebunden zwischen Ort und Zeit; so kleidet sie sich in die verschiedensten Gewänder. Innerhalb der acht Themenblöcke „Paare“, „Heiraten“, „Kinder“, „Nationalsozialismus“, „Krieg & Pazifismus“, „Heimat“, „Eine Welt“ und „Solidarität“ zeigt sich die Liebe den Besucher:innen als glorifizierende „Führerliebe“; als Nächstenliebe von Badischen Rotkreuz-Schwestern, die jedoch endet, wenn ihnen Menschen in Nationalität und Lebensformen nicht mehr buchstäblich die nächsten sind; elterliche Liebe und verbotene Liebe zu Kindern; Heimatliebe, Umweltliebe sowie zuletzt Liebe als Antagonistin von Hass, Gier, Krieg und Diskriminierung. So nimmt die Ausstellung durch Banner und Texttafeln aus den früheren Darstellungen von „Gier“ und „Hass“ immer wieder Rückbezüge auf. Sie rahmt die Emotionen-Trilogie als fortlaufende Erzählung, die in der Liebe eine mögliche Antwort auf zuvor gestellte Fragen findet, ohne politische und private Konfliktpotentiale dabei romantisierend zu überdecken.


Abb. 4: Die Themeninseln „Heimat“, „Eine Welt“ und „Solidarität“ mit Bezug auf die „Gier“-Ausstellung von 2021
(Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch)

Allerdings geht nicht aus allen Texttafeln und Inszenierungen immer klar hervor, inwiefern das jeweilige Exponat einen Bezug zur Liebe aufweist. Hier bilden die sonntags angebotenen Führungen4 und der Ausstellungskatalog eine hilfreiche Ergänzung; sie nehmen manchen Exponaten ihre scheinbare Beliebigkeit. Gleichzeitig sehen sich die Besucher:innen dadurch auch mit dem eigenen (engen?) Verständnis von Liebe konfrontiert und sind aufgefordert, dieses zu hinterfragen. Erfreulich und immer noch nicht völlig selbstverständlich ist, dass die Ausstellung Liebe auch jenseits von Heteronormativität repräsentiert. Gerade deshalb wäre es wünschenswert gewesen, hier keinen Punkt zu setzen, sondern romantische Liebe sowohl jenseits der Monogamie, wie sie beispielsweise in polyamoren Beziehungen einvernehmlich gelebt wird, als auch Liebe in Freund:innenschaften zu thematisieren, die manche Menschen oft viel länger begleiten und deren Ende mindestens genauso schmerzhaft sein kann wie eine Trennung von Partner:innen.

Abwechslungsreich und interaktiv gehen die Kurator:innen hingegen auf die veränderten Ansprüche von Museumsbesucher:innen ein.5 Die Ausstellung zeigt sich mit verschiedensten Exponaten zu Technologie, Mode, Handwerk, Konsum und Formen der Fürsorge auf einer zugänglichen Alltagsebene und lädt mit interaktiven Stationen zum Mitdenken und -gestalten ein. So können Besucher:innen nicht nur durch eine KI eigene Liebeshymnen an die Heimat zu bestimmten Schlagwörtern und im Stile verschiedener (zukünftiger) Jahreszahlen selbst erschaffen (lassen), somit lokalpatriotische Liedtextmuster reflektieren und auf aktuelle oder künftige Diskurse projizieren, sondern auch ganz analog Armbänder der Solidarität knüpfen. Einen besonderen Abschluss der Ausstellung bilden drei verschiedene Schreibstationen, in denen Besucher:innen ihre eigenen Gedanken, Gedichte und Glaubenssätze zur Liebe festhalten und in die Ausstellung integrieren können.

Darüber hinaus gibt es wie bei den früheren Präsentationen zu „Gier“ und „Hass“ künstlerisch-partizipative Elemente in Form von begleitenden Workshops, Theaterperformances, Poetry Slams und Gesprächen6, aber auch als fester Bestandteil der Ausstellung selbst. So verhandeln Studierende der Merz Akademie Stuttgart (Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien) auf sechs Bildschirmen Wechselwirkungen zwischen realen und digitalen Beziehungsgeflechten – in kurzen narrativen Videoinstallationen über „Liebe unter digitalen Bedingungen“.

Während sich das Begleitprogramm als beständiges Element durch die Trilogie zieht, unterscheidet sich die räumliche Konzeption der Ausstellung „Liebe“ deutlich von den Vorgängern zu „Gier“ und „Hass“. Denn was schon aus dem Vorraum inmitten der Videoinstallationen unweigerlich ins Auge sticht, sind die bodentiefen roten Vorhänge, die den geräumigen Ausstellungssaal unterteilen und zu einem verwinkelten Irrgarten der Liebe verwandeln. Der rote Vorhang weckt irritierende Assoziationen an eine Fernsehtalkshow, Theater- oder Zirkusvorstellung und erinnert damit daran, dass Liebe nicht nur etwas Privates, nach innen Gerichtetes ist, sondern immer auch von der Repräsentation, Sichtbarmachung und Inszenierung im Außen lebt, sich oft erst im Tun und im Zeigen, in der Schau und in der Show konstituiert und manifestiert.


Abb. 5: Die Ausstellung als rotes Labyrinth, mit den Themeninseln als eingehüllten Waben
(Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch)

Auch wenn die unterteilte Raumsituation der Ausstellung die einladende Wirkung auf den ersten Blick stehlen mag, lädt sie gerade dadurch zum Hinterfragen ein und lässt eine weitere metaphorische Ebene zu: die Liebe als undurchschaubar und verwinkelt, ja manchmal sogar als erblindend, alarmierend und gefährlich rot, gleichzeitig weich, sinnlich und leuchtend; die Liebe als undurchsichtiges Labyrinth von Möglichkeiten, für einen raschen Blick oder ein längeres Verweilen, mitunter eingegrenzt, kategorisiert und somit reglementiert – wobei hinter jeder Biegung wieder eine neue Facette und überraschende Begegnung auf die Besucher:innen warten kann.

Anmerkungen:
1 Vgl. Karl Lenz, Romantische Liebe – Fortdauer oder Niedergang?, in: Klaus Tanner (Hrsg.), „Liebe“ im Wandel der Zeiten. Kulturwissenschaftliche Perspektiven, Leipzig 2005, S. 237–259, hier S. 240.
2 Vgl. exemplarisch Şeyda Kurt, Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist, Hamburg 2022, und zahlreiche Veröffentlichungen von Eva Illouz.
3 Vgl. Gudrun Kruip, Ausstellungsrezension zu: Gier. Was uns bewegt, 27.05. – 19.09.2021, Haus der Geschichte Baden-Württemberg, in: H-Soz-Kult, 14.08.2021, https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/reex-130881 (25.04.2023); Alexander Renz, Ausstellungsrezension zu: Hass. Was uns bewegt, 17.12.2021 – 24.07.2022, Haus der Geschichte Baden-Württemberg, in: H-Soz-Kult, 25.06.2022, https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/reex-130891 (25.04.3023).
4 Die Führungen sind Teil des Begleitprogramms unter https://www.hdgbw.de/ausstellungen/gierhassliebe/programm-fuehrungen/ (25.04.2023).
5 Vgl. etwa Bettina Altendorf, Museen der Geschichte, in: Christiane Schrübbers (Hrsg.), Moderieren im Museum. Theorie und Praxis der dialogischen Besucherführung, Bielefeld 2013, https://doi.org/10.14361/transcript.9783839421611 (25.04.2023), S. 105–116, hier S. 106f.
6 Siehe Anm. 4.