kolonial. Globale Verflechtungen der Schweiz

Die Schweiz und der Kolonialismus

Veranstalter
Landesmuseum Zürich
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Landesmuseum Zürich
Veranstaltungsort
Zürich
PLZ
8000
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
13.09.2024 - 19.01.2025

Publikation(en)

Cover
Schweizerisches Nationalmuseum (Hrsg.): kolonial. Globale Verflechtungen der Schweiz. Zürich 2024 : Scheidegger & Spiess, ISBN 978-3-03942-210-4 288 S., zahlr. Abb. CHF 30,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Martin Rempe, Fachbereich Geschichte und Soziologie, Universität Konstanz

Globi, der Papageienmensch, zählt den zu bekanntesten und erfolgreichsten Werbe- und Kinderbuchfiguren der Schweiz. Nach dem Willen seiner Schöpfer, dem Zeichner Robert Lips und dem Texter Ignatius Karl Schiele, die Globi 1932 erschufen, kam er aus Afrika eingeflogen, um Kolonialwaren des Kaufhauses Globus zu vermarkten. Globi war demnach gleich doppelt kolonial verflochten: zum einen, weil er als Werbefigur mit Produkten aus den Kolonien assoziiert wurde, zum anderen, weil die Bücher einen kolonialen Blick vermittelten und Vorurteile verbreiteten. „Globi bei fremden Völkern“ von 1952 war weder der erste noch der letzte Band, in dem sich rassistische Stereotype finden. Kritik daran kam in der Schweizer Wissenschaft und Öffentlichkeit ab den 1970er-Jahren auf und hielt bis in die 2000er-Jahre an.1


Abb. 1: „Globi bei fremden Völkern“: Dieses Buchexemplar von 1952 soll „Rassismus in Kinderbüchern“ veranschaulichen.
(© Schweizerisches Nationalmuseum)

Die Geschichte von Globi steht sinnbildlich für die Kernaussage der Ausstellung „kolonial. Globale Verflechtungen der Schweiz“, die Mitte September im Landesmuseum Zürich eröffnete und noch bis zum 19. Januar 2025 zu sehen ist: Auch wenn der Schweizer Staat nie Kolonien besessen hat, lassen sich vielfältige koloniale Verflechtungen der Schweizer Gesellschaft aufspüren, lautet die These, die insgesamt eindrücklich belegt wird. Auch an Globis Geschichte wird dies deutlich, denn zwischen seinen Abenteuern und einem „echt“ kolonialen Comic wie dem belgischen „Tintin au Congo“ von Hergé, erstmals 1930 erschienen, lässt sich kein wesentlicher Unterschied ausmachen.

Das Thema hat in vielen europäischen Ländern seit einigen Jahren Hochkonjunktur, in der Geschichtswissenschaft ebenso wie in der Museumslandschaft, wobei die Verbindungen von Stadt- und Kolonialgeschichte einschließlich erinnerungskultureller Dimensionen sowie museale Provenienz- und Restitutionsfragen besondere Aufmerksamkeit erfahren haben. In der Schweiz laufen derzeit acht Ausstellungen mit kolonialgeschichtlichem Bezug parallel, darunter allein vier in Zürich.2 Die Ausstellung des Landesmuseums möchte aufklären, zu einem besseren Verständnis der Schweizer Kolonialgeschichte beitragen und nicht zuletzt die gesellschaftliche Verständigung über diese weithin umstrittene Dimension der Schweizer Geschichte fördern.

Die Ausstellung ist klar gegliedert. Elf grob chronologisch angeordnete Themen werden erörtert. Sie spannen einen Bogen vom transatlantischen Sklavenhandel im 16. Jahrhundert bis zum Zeitalter der Dekolonisierung und kolonialen Kontinuitäten in der Gegenwart. Dazwischen finden sich Abschnitte zum Kolonialhandel und zu Söldnern, zu Siedlungskolonien, dem sogenannten kolonialen Blick und der Mission ebenso wie zu Kolonialexperten bzw. -beamten, zur Schweizer Wissenschaft und Museen in Diensten europäischer Kolonialmächte sowie zur Ausbeutung der Natur und deren Folgen. Ein „Exkurs“ (so die Erläuterung in der Begleitpublikation, S. 16) über Geschichte und Gegenwart des Rassismus in der Schweiz, in dem auch Globis Kinderbuch thematisiert wird, verschafft dem ohnehin zentralen Thema der Ausstellung noch einmal extra Raum.

Viele der hier präsentierten Erkenntnisse basieren auf Forschungsarbeiten der letzten zwei Jahrzehnte, deren Autor:innen auch in der Begleitpublikation zu Wort kommen.3 Trotz teils drastischer Exponate, bedrückender Schicksale und hoher Informationsdichte insgesamt bleibt der Gang durch die Ausstellung leichtfüßig. Neben der gelungenen thematischen Gliederung ist dies auch der konsistenten, zugleich abwechslungsreichen und medial sowie museumspädagogisch wohldosierten Gestaltung der einzelnen Abschnitte zu verdanken. Kontextualisierende Infotafeln führen zu konkreten Exponaten hin, die Schweizer Verflechtungen dokumentieren, und häufig halten Tablets vertiefende Informationen dazu bereit. Darüber hinaus rücken zu fast jedem Thema „widerständige“ Akteure ins Bild, die sich gegen koloniale Praktiken zur Wehr setzten; mitunter kommen auch deren Nachfahren zu Wort. Die Rubrik „Und heute?“ schlägt bei vielen Themen inhaltliche Brücken zur Gegenwart. Nicht zuletzt ordnen ausgewiesene Wissenschaftler:innen diverser Schweizer Universitäten die jeweiligen Abschnitte auf kurzen Videos ein, während an einigen Stationen auch historische wie gegenwärtige künstlerische Auseinandersetzungen gezeigt werden. Besonders einprägsam ist in diesem Zusammenhang die unter dem Titel „Widerstandskunst“ ausgestellte Leopardenskulptur „Léopard dévorant un Anglais“, die der Schweizer Theologe Henri-Alexandre Junod 1896 im Gebiet des heutigen Mosambik erwarb.4


Abb. 2: Der „Léopard dévorant un Anglais“, um 1896 vom Künstler Mouhlati in Lourenço Marques angefertigt, soll als „Widerstandskunst“ antikoloniale Initiativen symbolisieren.
(© Schweizerisches Nationalmuseum)

Welche Bedeutung hatte nun der Kolonialismus für die Geschichte der Schweiz und umgekehrt? Diese klassische Streitfrage der Kolonialgeschichtsschreibung ist bereits für Staaten mit Kolonialbesitz ausführlich und kontrovers zwischen Vertreter:innen eines maximalen bzw. minimalen „impact“ diskutiert worden.5 Die Ausstellung hält auf verschiedenen Ebenen Antworten für die Schweiz bereit.

Zunächst ein paar Zahlen, die in der Ausstellung präsentiert werden: An der Versklavung der etwa 12 Millionen Menschen aus Afrika zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert beteiligten sich mehr als 250 Schweizer Unternehmen und Privatpersonen, die am Handel mit oder an der Haltung von circa 172.000 Menschen aus Afrika verdienten. Schweizer Söldner sammelten sich zu tausenden in Kolonialarmeen; laut Philip Krauers Beitrag in der Begleitpublikation waren es zwischen 1815 und 1962 bis zu 40.000 in der französischen Fremdenlegion und 7.600 in der niederländischen Kolonialarmee (S. 150). Im privaten Kongo-Freistaat des belgischen Königs Leopold II. betätigten sich um die Jahrhundertwende etwa 200 Schweizer Funktionäre und Experten. Das Unternehmen Volkart aus Winterthur zählte in den 1870er-Jahren zu den größten Exporteuren indischer Baumwolle und sicherte sich darauf aufbauend eine weltweit führende Position im Baumwollhandel bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Zur Auswanderung bzw. Gründung von Siedlungskolonien werden keine Zahlen genannt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden im (längst unabhängigen) Argentinien aber immerhin 20 Schweizer Enklaven, die überwiegend von armen Bauernfamilien aus dem Wallis gegründet worden waren. Bemerkenswert ist, dass die Schweiz schon Ende des 19. Jahrhunderts ein Einwanderungsland wurde, wie in Marina Amstads Katalogbeitrag zu den kolonialen Spuren im Schweizer Alltag nachzulesen ist – und nicht erst, wie viele andere europäische Länder, nach 1945. Ganz allgemein erhalten solche Zahlen ja erst durch vergleichende Einordnung eine Aussagekraft, die über den schieren Nachweis schweizerischer Verflechtungen mit dem europäischen Kolonialismus hinausgehen. So war der Anteil Schweizer Söldner in den genannten Armeen mit etwa 5 bis 10 Prozent relativ robust und hoch, während sich letztlich für „nur“ 1,5 Prozent der 12 Millionen Versklavten im Dreieckshandel ein Schweizer Bezug herstellen lässt.6

Ungeachtet dieser vieldeutigen Zahlen verfolgt das Narrativ der Ausstellung zweitens unmissverständlich die These, dass der Schweiz eine große Bedeutung für den Kolonialismus zukam und umgekehrt, wobei verschiedene Strategien der Plausibilisierung eingesetzt werden. Erstens wird ein besonderer Fokus auf Praktiken der Ausbeutung, Gewalt und rassistischen Diskriminierung auch abseits der thematisch einschlägigen Segmente „Sklaverei“, „Söldnertum“ und „Rassismus“ gelegt, wie die Abschnitte zum Expertentum, zur Rolle der Schweizer Wissenschaft und zum Siedlungskolonialismus zeigen. Zweitens wird immer wieder Schwarzen Schweizer:innen eine Stimme gegeben – wie zum Beispiel Albert Béguin, der, 1904 als Kind einer kongolesischen Mutter und eines Schweizers im Kongo-Freistaat geboren, 1925 erster Schwarzer Soldat in der Schweizer Armee wurde. Drittens ist es ein zentrales Anliegen der vier Kurator:innen, mit der „Und heute?“-Rubrik ebenso wie mit dem Exkurs zum strukturellen Rassismus und dem abschließenden Teil über koloniale Kontinuitäten die bis heute anhaltende gesellschaftspolitische Relevanz des Kolonialismus zu unterstreichen.

Trotz des aufklärerischen, mitunter aktivistisch anmutenden Impetus dieses Narrativs bleibt genügend Raum für Kontrapunkte und Zwischentöne. Dazu zählen das Porträt der Anti-Sklaverei-Bewegung, die sich in der Schweiz um Germaine de Staël formierte, oder das differenzierte Urteil des Historikers Mukesh Kumar zu den bildungs- und gesundheitspolitischen Auswirkungen der Aktivitäten der Basler Mission in Indien. Auch die Rolle der Schweiz als Mittler in der Dekolonisierung und in postkolonialen Friedensprozessen etwa zwischen Frankreich und Algerien gehört hierhin. Eingedenk der treffenden Ausgangsdefinition von Kolonialismus als Fremdherrschaft, die von Gewalt, Ausbeutung, rassistischen Weltbildern und lokalem Widerstand, aber auch von vielfältigen Kooperationsformen vor Ort geprägt wurde, hätte die Ausstellung durchaus ein wenig mehr davon zeigen können. Um nur ein Beispiel zu nennen, wäre im Abschnitt „Wissenschaft“ etwa die personelle Zusammensetzung bei Expeditionen und die starke Abhängigkeit von lokalen Akteur:innen, die auch Tomás Bartoletti in seinem Katalogbeitrag betont (S. 184f.), ein geeigneter Ausstellungsgegenstand gewesen. Als interessantes Fallbeispiel ist hierzu etwa die Geschichte von Cornelius Badu von der Goldküste zu nennen, der 1867 in die Schweiz kam, im Umfeld der Basler Mission ausgebildet wurde und nach seiner Rückkehr nach Afrika unter anderem als Karawanenführer der deutschen Kongo-Angola-Expedition arbeitete.7


Abb. 3: Ein Herrschaftssymbol als Motiv des Ausstellungsplakats.
(© Schweizerisches Nationalmuseum)

Um die historische Wechselwirkung zwischen dem Kolonialismus und der Schweiz herauszuarbeiten, baut die Ausstellung drittens auf die – variierende – Suggestions- und Überzeugungskraft ihrer Exponate. Mitunter bleibt der Bezug zur Schweiz unklar. Der Tropenhelm etwa, der, zum Leitmotiv erkoren, das Plakat der Ausstellung ziert, stammt „mutmaßlich“ aus dem Kongo und wird in Ausstellung und Katalog als „Symbol imperialer Macht“ und „Erkennungszeichen der Kolonialherrschaften“ bezeichnet. Ob ihn ein Schweizer trug, bleibt ebenso offen wie die Frage, warum ausgerechnet ein Herrschaftssymbol als Ausstellungsmotiv gewählt wurde.


Abb. 4: Die Drohnenaufnahme der senegalesischen Küste aus einem Video von Khalifa Hussein ist im Bereich „Ausbeutung der Natur“ ausgestellt, um den „Meeresspiegelanstieg“ zu verdeutlichen.
(© Schweizerisches Nationalmuseum)

Ähnlich assoziativ und damit wenig verflochten wirkt die Videosequenz von der Küste Dakars und M’Bours in Senegal, die im Segment „Ausbeutung der Natur“ die Klimaerwärmung illustrieren soll. Die Auftragsarbeit des Filmemachers Khalifa Hussein weist keinerlei Verbindung zur Schweiz respektive den eigentlichen Themen dieses Abschnitts über Schweizer Beteiligungen am Plantagenraubbau und der Großwildjagd auf.


Abb. 5: Die von zwei Brüdern aus Neuchâtel in Nantes gegründete Manufacture Petitpierre & Cie produzierte den Indienne „Le lion et la chèvre“ um 1790 für den Sklavenhandel.
(© Schweizerisches Nationalmuseum)

Dagegen wirkt das Indiennes-Fragment im Abschnitt zum Sklavenhandel, laut Legende „wohl der einzig erhaltene Stoff, der eigens für den Tausch gegen Versklavte produziert wurde“, äußerst suggestiv und prägt sich ebenso nachhaltig ins Gedächtnis ein wie die Sklavenpeitsche sowie Fuß- und Handfesseln aus der Sammlung der Basler Mission oder der „Ehrensäbel“ von Hans Christoffel. Christoffel war ein Schweizer Söldner in Diensten der Niederländischen Kolonialarmee, der im frühen 20. Jahrhundert auf Sumatra und Flores regelrechte Massaker anrichtete, wie das Bild im Hintergrund des Säbels verdeutlicht. Für diese militärischen Schandtaten zeichnete ihn Königin Wilhelmina 1908 mit ebenjenem Säbel aus.


Abb. 6: Eine Sklavenpeitsche (undatiert) und eine Fuß- und Handfessel (vor 1900) aus der Sammlung der Basler Mission veranschaulichen Gewaltpraktiken der Versklavung.
(© Schweizerisches Nationalmuseum)


Abb. 7: Hans Christoffels „Ehrensäbel“ von 1908 zeigt, wie brutale Kolonialsoldaten als Helden geehrt wurden.
(© Schweizerisches Nationalmuseum)

Eindrücklicher lassen sich Schweizer koloniale Verflechtungen museal kaum vermitteln – und dennoch verweist Christoffels Geschichte auch auf ein Problem, denn zu diesem Zeitpunkt hatte er längst die niederländische Staatsbürgerschaft angenommen und kehrte auch nie mehr dauerhaft in die Schweiz zurück.8 Dieses Problem der nationalen Zuordnung stellt sich auch bei anderen ausgestellten Akteuren der Schweizer Kolonialgeschichte, besonders in der Episode der Luchsingers im Abschnitt „Siedlungskolonien“: Die aus Engi in Glarus stammende Familie war Ende des 19. Jahrhunderts nach Chile ausgewandert. Dort erwarb sie Land vom chilenischen Staat, von dem die indigenen Mapuche kurz zuvor gewaltsam vertrieben worden waren. Ganz unabhängig davon, wie der bis heute andauernde Landkonflikt zu bewerten sein mag, ist diese Art zeitlose Essentialisierung des Schweizerseins methodisch fragwürdig, ob dies nun wie hier in kritischer oder – weitaus häufiger in Schweizer Meistererzählungen – in affirmativer Absicht geschieht. Nur wenige Meter weiter wirkt da ein ebenso unterhaltsames wie provokantes Video der Spoken-Word-Poetin Fatima Moumouni mit dem Titel „Die Schweiz gibt es nicht“ wie ein willkommenes Plädoyer gegen Helvetozentrismen jeglicher Art.

Moumounis Titel zitiert, bewusst oder unbewusst, Ben Vautiers künstlerischen Beitrag im Schweizer Pavillon der Weltausstellung in Sevilla 1992: „La Suisse n’existe pas!“9 Das ist mehr als 30 Jahre her und wirft insofern die grundsätzlichere Frage auf, wie sich Schweizer Debatten über Identität und Zugehörigkeit, aber eben auch die ihnen zugrundeliegenden kolonialen bzw. globalen Verflechtungen im Lauf der Zeit verändert haben. Gewiss dürfen detaillierte Antworten darauf von einer Museumsausstellung nicht erwartet werden. Ungeachtet dessen hätte ich in diesem Zusammenhang zum einen gern noch mehr darüber erfahren, wie sich die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmende Bedeutung der Schweizer Neutralität auf das Dreiecksverhältnis zwischen Kolonialmächten, Schweizer Akteuren und kolonisierten Gesellschaften auswirkte. Tatsächlich bleibt die Neutralität weitgehend eine Leerstelle. Dies überrascht umso mehr, als Museumsdirektorin Denise Tonella das Spannungsverhältnis zwischen dem neutralen Selbstverständnis der Schweiz und ihren vielfältigen kolonialen Verflechtungen im Vorwort zur Begleitpublikation klar benennt.

Zum anderen lässt sich aus dem Abschnitt „Dekolonisierung“ implizit die Pointe entnehmen, dass der Schweizer Staat just in dem Moment ins Rampenlicht trat, als der Kolonialismus sich seinem Ende zuneigte. Die globalen Verflechtungen der Schweiz nahmen im Zeitalter der Dekolonisierung nicht ab, sondern zu, wie an drei hoch interessanten Beispielen zu Senegal, Ruanda und Südafrika deutlich wird. Insbesondere die Exponate aus der Ausstellung „La Suisse présente la Suisse“, die die schweizerische Kulturstiftung Pro Helvetia 1971 im Musée dynamique in Dakar kuratierte, verblüffen. Diese Ausstellung wollte nicht einfach vermeintlich überlegene Schweizer Kultur präsentieren, sondern vor allem auch transkulturelle Gemeinsamkeiten zwischen der Schweiz und Senegal.

Solche Geschichten sind aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive auch deshalb besonders hervorzuheben, weil sie Raum für Historisierung schaffen in einer Ausstellung, die aus nachvollziehbaren gesellschaftspolitischen Gründen vor allem auf die Gegenwart zielt. Wieviel Präsentismus oder auch Aktivismus nötig bzw. wünschenswert ist, wird aktuell sogar innerhalb der Geschichtswissenschaft kontrovers diskutiert; insofern liegt die Ausstellung voll im Trend.10 Dass sie nicht nur die Gegenwart im Blick hat, sondern immer wieder auch zu historisierender Reflexion anregt, ist als großes Verdienst der vier Kurator:innen zu werten.


Abb. 8: Globi kommt heute anders daher und macht Provenienzforschung im Museum. Cover des Buchs „Globi im Museum“ von 2024.
(© Orell Füssli AG, Globi Verlag, Imprint Orell Füssli Verlag)

Eine der jüngsten Kinderbuchausgaben von Globi führt den Papageienmenschen übrigens ins Landesmuseum, weil er dem Geheimnis eines Schwerts auf der Spur ist.11 Im Laufe der Suche, die en passant und spielerisch in die Provenienzforschung einführt, wird auch allerlei Schweizer und Zürcher Geschichte verhandelt. Rassistische Stereotype sucht man darin ebenso vergebens wie Bezüge zum Kolonialismus. Es geht also voran, und dennoch bleibt noch viel zu tun. Man darf gespannt sein, ob und wie die kolonialgeschichtlichen Einsichten der Sonderausstellung auch in die Dauerausstellung des Hauses zur Schweizer Geschichte integriert werden…

Anmerkungen:
1 Vgl. Patricia Purtschert, „De Schorsch Gaggo reist uf Afrika“. Postkoloniale Konstellationen und diskursive Verschiebungen in Schweizer Kindergeschichten, in: dies. u.a. (Hrsg.), Postkoloniale Schweiz. Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien, Bielefeld 2012, S. 89–116.
2 Vgl. die Website des Landesmuseums Zürich: https://www.landesmuseum.ch/kolonial#andere-ausstellungen (29.10.2024).
3 Vgl. dazu auch das rezente, sehr instruktive Buch von Georg Kreis, Blicke auf die koloniale Schweiz. Ein Forschungsbericht, Zürich 2023.
4 Die Vorlage zu diesem Kunstwerk ist „Tipus Tiger“, ein Ende des 18. Jahrhunderts für Tipu Sultan gebauter mechanischer Automatentiger, der einen englischen Soldaten mit Bewegungen und zu Geräuschen erlegt, heute zu sehen im Victoria and Albert Museum in London. Vgl. hierzu: https://www.vam.ac.uk/articles/tipus-tiger (06.11.2024).
5 Vgl. zum Begriff des „minimal impact“ im britischen Kontext Stuart Ward, Introduction, in: ders. (Hrsg.), British Culture and the End of Empire, Manchester 2001, S. 1–20; zur Diskussion in Frankreich Christoph Kalter / Martin Rempe, La République décolonisée. Wie die Dekolonisierung Frankreich verändert hat, in: Geschichte und Gesellschaft 37 (2011), S. 157–197, hier v.a. S. 159–167.
6 Prozentzahlen errechnet aus den Angaben der Ausstellung (Sklaverei) sowie unter Hinzuziehung der Armeegrößen nach Eckard Michels, Fremdenlegion. Geschichte und Gegenwart einer einzigartigen militärischen Organisation, Freiburg 2020, S. 10, S. 38.
7 Vgl. Paul Glen Grant, The Effervescence of Individual Life: Cornelius Badu, Born 1847 in Elmina, Gold Coast, in: Klaas van Walraven (Hrsg.), The Individual in African History. The Importance of Biography in African Historical Studies, Leiden 2020, S. 117–147.
8 Im Interview mit Nachkommen der Opfer dieser Massaker wird Christoffel auch nicht als Schweizer erinnert.
9 Ich danke Andrea Westermann für diesen Hinweis.
10 Vgl. u.a.: Wieviel Gegenwart verträgt die Geschichtsforschung? Staffel 1, Episode 6 des H-Soz-Kult Podcasts „Vergangenheitsformen“, mit Laetitia Lenel, Kevin Lenk und Jonas Pösche, https://www.hsozkult.de/podcast/staffel-1/gegenwart-in-der-geschichtsforschung (29.10.2024), sowie in Kürze Sven Reichardt, Aktivismus und Geschichtsschreibung. Eine Einleitung, in: Geschichte und Gesellschaft 50,1/2 (2024) (im Erscheinen).
11 Daniel Frick / Boni Koller, Globi im Museum, Zürich 2024.