Vor 80 Jahren befreite sich die neapolitanische Bevölkerung in einem viertägigen Aufstand von der deutschen Besatzung. Anlässlich dieses Jubiläums hat ein mit ausgewiesenen Experten besetztes Kuratorium (bestehend aus Candida Carrino, Andrea D’Onofrio, Carlo Gentile, Gabriella Gribaudi, Lutz Klinkhammer, Maria Carmen Morese, Fabio Romano und Paolo Fonzi) mit Unterstützung des deutsch-italienischen Zukunftsfonds eine dokumentarisch-fotografische Ausstellung organisiert. Diese behandelt auf klassische Weise die deutsch-italienischen Beziehungen von der Proklamation der „Achse Berlin-Rom“ 1936 bis zur Befreiung Süditaliens 1943 mit Fokus auf Neapel und Kampanien: Informationstafeln mit Text und reichem zeitgenössischen Bildmaterial – Fotografien, Flugblättern, Plakaten und Zeitungen –, in einigen Fällen ergänzt durch Filmaufnahmen oder Originalmaterial in einer Vitrine, führen Besucher:innen in chronologischer Ordnung durch insgesamt sieben Sektionen, die durch die unterschiedliche farbliche Gestaltung der Tafeln voneinander abgegrenzt sind.
Abb. 1: Staatsarchiv Neapel, Marmorkreuzgang mit einigen Tafeln der Ausstellung
(C) Mit freundlicher Genehmigung des Staatsarchivs Neapel
Die erste Sektion behandelt den Zeitraum von 1936 bis zum Abschluss des Stahlpakts 1939, wobei Hitlers Italienbesuch vom 2. bis 9. März 1938 besondere Beachtung geschenkt wird: Neben Rom und Florenz als erster und dritter Reisestation, welche die Kontinuität zwischen römischem und faschistischem Imperium bzw. die herausragende Stellung der italienischen Kunst zum Ausdruck gebracht hätten, besuchte der „Führer“ Neapel. Die Stadt, die den faschistischen Imperialismus als ideelle Brücke über das Mittelmeer und nach Afrika verkörpern sollte, bot dem prominenten Besucher unter anderem eine über fünfstündige Schiffs-Militärparade. Die Besichtigung des Königspalasts und eine Aufführung der ersten zwei Akte von „Aida“ schlossen Hitlers Besuch in Neapel ab, deren Straßen bei Nacht hell erleuchtet und mit Liktorenbündeln sowie Symbolen des Deutschen Reichs ausstaffiert waren. Weitere Reisen zeigten, dass das „Achsenbündnis“ auch im Fall Kampaniens mit Leben gefüllt wurde. So statteten wiederholt Vertreter des nationalsozialistischen Deutschlands, allen voran Göring, mehrmals Neapel und Kampanien Besuche ab, die große propagandistische Beachtung fanden. Zudem kam es nach dem Abschluss des Abkommens zwischen Robert Ley, dem Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF), und Tullio Cianetti, dem Leiter der Confederazione fascista dei lavoratori dell’industria – einer Vereinbarung, die einen Austausch von Arbeitern anvisierte und den Beginn des deutschen Massentourismus in Italien bedeutete – am 6. November 1937 zu einem Neapel-Besuch von 2.500 DAF-Arbeitern.
Die zweite Sektion legt den Fokus auf den Krieg, das Alltagsleben und die Bombardierungen in Neapel, wo bereits ab 1940 auf Initiative des Regimes Gemüsegärten angelegt wurden, um Lebensmittelengpässen entgegenzuwirken. Ab 1942 befand sich deutsches Militär zur Durchfahrt nach Afrika in der Metropole, wie ein ausgestelltes Dokument aus dem Bundesarchiv-Militärarchiv belegt, das strikte Regeln für die Wehrmachtsangehörigen als „Gäste in einem verbündeten Land“ festlegte. Da Neapel ein wichtiges strategisches Zentrum darstellte, handelte es sich um die am stärksten bombardierte italienische Stadt. Besonders verheerend waren die Luftangriffe vom 4. Dezember 1942 und vom 4. August 1943. Die in einer Publikation von 1968 vorgenommene Schätzung Aldo Stefaniles von 20.000 Bombenopfern in Neapel wird als plausibel präsentiert. Wie einige interessante Reproduktionen bezeugen, wandten sich die Alliierten zudem mit propagandistischen, teils speziell an Frauen gerichteten Flugblättern an die Bevölkerung, um diese zur Rebellion gegen das Regime anzustiften. Die faschistische Presse ignorierte lange Zeit die Bombardierungen: Lokale Zeitungen wie „Roma“, „Corriere di Napoli“ und „Il Mattino“ erwähnten die Bombardements zunächst mit keiner Silbe; erst im Sommer 1943 prangerten sie diese in anti-angloamerikanischer Rhetorik an. Zitate aus einer unmittelbar nach dem Krieg verfassten Reportage Anna Maria Orteses, Fotos vom bombardierten Neapel aus den Jahren 1946 bis 1947, ein Film aus den National Archives and Records Administration sowie quantitative Informationen zu den Bombengeschädigten und den grassierenden Krankheiten vermitteln Besucher:innen auch eine sozialgeschichtliche Perspektive „von unten“ auf die Bombardierungen.
Mit den Fotografien des Aufklärungsstaffelgefreiten und Berufsfotografen Hilmar Landwehr, die hier der Öffentlichkeit erstmals in Auswahl gezeigt werden, bietet die dritte Sektion vermutlich den originellsten Teil der Ausstellung. 2013 hatte die Witwe Landwehrs dem Architekten Nikolaus Merkel das Archiv Landwehr übergeben, das Kartonschachteln mit 89 Negativfilmen in schwarz-weiß enthielt. Landwehrs Fotografien unterscheiden sich von denen der meisten Wehrmachtsangehörigen: Während diese in der Regel sich selbst oder andere deutsche Soldaten aufnahmen, manifestiert sich in den Aufnahmen Landwehrs neben der Faszination für die malerischen Orte Süditaliens auch ein Interesse für die lokale Bevölkerung.
Foto 2: Tafeln der Sektion 4 mit Fotografien des Aufklärungsstaffelgefreiten und Berufsfotografen Hilmar Landwehr
(C) Mit freundlicher Genehmigung des wissenschaftlichen Verantwortlichen Prof. Dr. Andrea D'Onofrio
Die vierte Sektion behandelt anhand einer Zeittafel und Fotos den Zeitraum von der am 9./10. Juli 1943 erfolgten Landung der Alliierten in Sizilien über den Sturz Mussolinis und die „Regierung der 45 Tage“ bis zur Unterzeichnung bzw. Bekanntgabe des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliierten am 3. bzw. 8. September 1943. Auf mehreren Tafeln werden im Folgenden die deutsche Besatzung der Region und die „Vier Tage von Neapel“ thematisiert. An militärischen Konflikten mit deutschen Soldaten nahmen in den Tagen unmittelbar nach der Bekanntwerdung des Waffenstillstands von Cassibile in Neapel nicht nur italienische Soldaten, sondern auch Zivilisten teil. Reproduktionen der Manifeste, mit denen Oberst Walter Scholl die männliche Bevölkerung im Alter von 18 bis 33 Jahren zum Arbeitsdienst aufrief, veranschaulichen den auf die Zivilbevölkerung ausgeübten Druck, der zusammen mit den ab 26. September begonnen Razzien erheblich zum Ausbruch des Aufstands beitrug. Die Intensität des Konflikts kommt auch in den zitierten deutschen militärischen Quellen zum Ausdruck, die zuletzt von einer Erhebung der gesamten Bevölkerung sprechen.
Die sechste Sektion bietet anhand von Texttafeln, einer Zeittafel und Interviews aus dem Dokumentarfilm „Terra bruciata. Massacri nazisti in Campania“ von 2003 Informationen zu ausgewählten, von deutschen Einheiten verübten Massakern in Kampanien: Acerra (2. Oktober), Bellona (6. Oktober), Caiazzo (13. Oktober) und Conca della Campania (1. November).
Erläuterungen zur historischen und juristischen Aufarbeitung und dem deutsch-italienischen Dialog beschließen die Ausstellung: Im Zuge des Kalten Krieges versandeten, von wenigen Ausnahmen wie Herbert Kappler und Walter Reeder abgesehen, die meisten Prozesse gegen NS-Täter in Italien. So wurde auch Wolfgang Lehnigk-Emden, der für das Massaker in Caiazzo verantwortliche Offizier, zwar von den amerikanischen Truppen im November 1943 verhaftet und verhört, bei Kriegsende jedoch entlassen, sodass er in der Nachkriegszeit das Studium wiederaufnehmen und als Architekt in Ochtendung arbeiten konnte. In Deutschland wurde erst 1992 ein Prozess in die Wege geleitet. Wegen juristischer Verjährung wurde Lehnigk-Emden jedoch freigesprochen. Im Sinne des deutsch-italienischen Dialogs besteht seit 1996 eine Städtepartnerschaft zwischen Caiazzo und Ochtendung.
Die Fotos der im Kreuzgang des neapolitanischen Staatsarchivs präsentierten Ausstellung stammen aus deutschen, italienischen und US-amerikanischen, öffentlichen wie privaten Archiven, was ein nicht zu unterschätzendes Maß an Primärforschung erforderte. Die auf ein breiteres italienischsprachiges Publikum ausgerichtete Ausstellung erläutert auf ansprechende Weise sämtliche wichtigen Aspekte der deutsch-italienischen Beziehungen zwischen 1936 und 1943 mit Blick auf Kampanien. Dabei verbindet sie durch den Einsatz verschiedener Quellengattungen Elemente einer Geschichte „von oben“ mit denen einer solchen „von unten“. Vielleicht wäre es möglich gewesen, letztere Perspektive durch die Verwendung von Polizeiberichten oder Selbstzeugnissen neapolitanischer Zivilisten oder deutscher Soldaten noch zu erweitern (insbesondere was die Erfahrung von Hunger und Bombardierungen oder die Reaktionen auf die Bekanntgabe des Waffenstillstands des 8. September betrifft). Dies trübt jedoch nicht den Eindruck einer sehr gelungenen bild-, informations- und facettenreichen Ausstellung. Interessierte können ihren Besuch mit dem zweiten Ausstellungsteil im Goethe-Institut in Neapel fortsetzen, der weitere Fotografien Landwehrs enthält.