Spektakel der Macht

Veranstalter
Kulturhistorisches Museum Magdeburg (10392)
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10392
Ort
Magdeburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.09.2008 - 04.01.2009

Publikation(en)

Cover
Althoff, Gerd; Jutta Götzmann; Matthias Puhle; Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.): Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800-1800. Katalog zur Ausstellung vom 21.09.2008 bis zum 05.01.2009 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg. Darmstadt 2008 : Primus Verlag, ISBN 978-3-89678-634-0 256 S. € 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ruth Schilling, Humboldt-Universität zu Berlin

Prachtvoll steht sie da, rund und glänzend wie eine Königskrone, die Hilariuslaterne, mit der die neu gewählten Halberstädter Ratsherren auf das Rathaus geleitet wurden.1 Sie zeigt anschaulich, wie eindrucksvoll politische Ereignisse in der Frühen Neuzeit inszeniert wurden. Rituale stellten politische Ordnung im vormodernen Europa her: Diese These des Münsteraner Sonderforschungsbereichs „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“ wird – und das ist für einen geisteswissenschaftlichen Sonderforschungsbereich eine Premiere – im Rahmen einer Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Magdeburg präsentiert. Das Kulturhistorische Museum bietet hierfür nicht nur optimale Räumlichkeiten, sondern auch die nötige Fachkompetenz, die den Brückenschlag zwischen Geschichtsforschung und Öffentlichkeitspräsentation erst möglich machte.

Die Ausstellung versammelt 250 Leihgaben aus einer beeindruckenden Anzahl europäischer Museen und Bibliotheken. Sie gliedert sich in zwei Teile. Im ersten kann der Besucher das vormoderne Ritual der Einsetzung in ein Amt oder einen Stand nachvollziehen. Im zweiten Teil werden elementare Grundvokabeln ritueller Sprache aufgeschlüsselt, von „Knien – Küssen – Thronen“ bis hin zu „Verkehrten Ritualen“. Zwei Räume zu Ritualen im Umbruch von der Vormoderne zur Moderne und zu politischen Ritualen der unmittelbaren Vergangenheit – ein Video zeigt etwa die Verkündung der Papstwahl im Jahre 2005 – beschließen die Schau. Die Ausstellung wird durch einen sehr gut gestalteten Katalogband begleitet.2 Hier können in einem ersten Teil Kernthesen der Ausstellung anhand kurzer und zuweilen auch kurzweiliger Essays nachvollzogen werden. Die Beschreibung der Objekte im Katalog ist zudem in einigen Fällen ausgewogener und informativer, als dies auf den Texttafeln der Ausstellung selbst der Fall ist.

Über einen Mangel an Forschungen zur symbolischen Kommunikation in der lateinisch-europäischen Vormoderne kann durchaus nicht mehr geklagt werden. Dennoch sind im Bereich der Präsentation dieser Forschungen in der Öffentlichkeit noch Lücken zu verzeichnen. Dies erstaunt bei einem an sich so bildmächtigen Thema. Die Ausstellung im Magdeburger Museum ist somit nicht nur eine der ersten, die einen Brückenschlag zwischen einer abstrakten, geschichtswissenschaftlichen These und ihrer Vermittlung in der Öffentlichkeit versucht, sondern auch eine der ersten, die das Thema – politische Rituale und gesellschaftliche Ordnung – systematisch im Rahmen einer Museumsschau darstellt.

Ein Vierfarbensystem führt durch die Ausstellung. Die unterschiedlichen Markierungen verweisen auf unterschiedliche Stände und Korporationen, zum einen auf den Stadtrat und die Universität, zum anderen auf die Geistlichkeit und die Monarchie. Der theoretische Anspruch, die Bedeutung und Beschaffenheit politischer Rituale zu veranschaulichen, wird in jedem Teil der Ausstellung wieder aufgenommen. Er wird konsequent mit den nach unterschiedlichen Quellengattungen ausgesuchten Objekten, in Verbindung gebracht. Die Auswahl der Beispiele Monarchie, Geistlichkeit, Rat und Universität bewirkt eine Verschiebung weg von dem auch in der Forschung noch üblichen Fokus auf die Prachtentfaltung fürstlicher Herrschaftsrepräsentation. Hierin ist ein großes Verdienst der Ausstellungsmacher zu sehen, die entgegen dem zeitläufigen Trend zur Personalisierung und der damit einhergehenden Ausblendung sozialer Gruppen konsequent diesen durchaus bequemeren Weg zur Visualisierung geschichtswissenschaftlicher Aussagen vermieden haben. So tragen sie dazu bei, dass das Bild der alteuropäischen Gesellschaft nicht mehr allein von der Macht und dem Glanz alteuropäischer Monarchen geprägt wird.

Das Ziel, politische Rituale als Kernbestand politischer Ordnung in der europäischen Vormoderne zu erklären, führt zu einer Betonung von Kontinuitäten und Gemeinsamkeiten, ausgedrückt in dem Neben- und Miteinander von chronologisch und inhaltlich teilweise recht unterschiedlichen Objekten. Dies ermöglicht überraschende Perspektiven. Auf den ersten Blick haben Göttinger Statuten zur Ratswahl, eine Handschrift aus dem 15. Jahrhundert, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts benutzt wurde, nichts mit Ordines zur Weihe eines Bischofs aus dem 11. Jahrhundert gemeinsam. Beide werden aber direkt nebeneinander gezeigt. Somit geben sie den Blick auf einen gleichbleibenden Grundbestand von Einsetzungsritualen frei, nämlich ihre schriftlich festgehaltene Dokumentation. Fragen nach der unmittelbaren Kontextualisierung der Quellen werden so allerdings nicht beantwortet. Vielleicht wäre das, wenn nicht im Rahmen der Objektpräsentation in den Vitrinen, so doch in Form von begleitenden Medienstationen möglich gewesen, anhand derer man sich detaillierter über die einzelnen Exponate und ihren jeweiligen politischen Kontext hätte informieren können. Der Charakter der hier gezeigten schriftlichen Dokumente als Ergebnisse von oft krisenhaften inneren Aushandlungsprozessen wird somit nicht hinreichend beleuchtet. Dennoch ist die Auswahl der Ausdrucksformen ritueller Sprache gut gelungen. Dem Besucher wird durchaus ein in seiner Anschaulichkeit rundes Bild vormoderner Rituale vermittelt. Gleichzeitig wird er immer wieder sowohl mit ihrer Vertrautheit als auch mit ihrer Andersartigkeit konfrontiert.

Die Ausstellungsorganisatoren sind sich der Problematik bewusst gewesen, dass sie eher die Kontinuität als den Wandel symbolischer Kommunikation betonen. Diesem Eindruck sollen daher die letzten beiden Räume zum Umbruch der politischen Ordnung um 1800 und die Vorführung zeitgenössischer politischer Rituale entgegenwirken. Daneben werden immer wieder Bemerkungen zur Bedeutung von Ritualen als Mittel der Visualisierung und Etablierung politischen Wandels integriert. Hier zeigt sich allerdings ein grundlegendes Problem, das sich mit dem Anspruch der Ausstellung verbindet, allgemeingültige Aussagen zur europäischen Vormoderne zu veranschaulichen. So trifft beispielsweise die allgemein gehaltene Bemerkung, dass der König im Gefolge des Investiturstreits den Bischöfen bei ihrer Investitur nur noch das Zepter und nicht mehr den Ring überreichte, allein auf das Reich zu.3

Vermutlich hätte es eines anderen, größeren Ausstellungsrahmens bedurft, um konsequent eine europäisch vergleichende Perspektive zu verfolgen. Bedauerlich ist, dass so farbenfrohe und auch als Vorbilder einflussreiche Rituale wie die Krönung der Maria de’ Medici im Jahre 1610, die spektakulären „Amtsbesitzergreifungen“ („possessi“) der frühneuzeitlichen Päpste oder auch die pittoresken Feierlichkeiten, die sich in Venedig an die Dogen-, Großkanzler- und Prokuratorenwahlen anschlossen, keinerlei Erwähnung finden.

Neben der Fokussierung auf die Reichsebene, die sich in den meisten Räumen feststellen lässt, wäre ein zweiter, ausführlicher Erzählstrang zu Frankreich empfehlenswert gewesen. So wäre der vorletzte Raum, der den Umbruch zur Moderne hauptsächlich an Artefakten und Symbolen der französischen Revolution und Napoleonischen Zeit vorführt, nicht als ein abrupter Themenwechsel erschienen. Folgt man dem Tenor der Einträge im Besucherbuch, haben die meisten Besucher ihn nicht verstanden. Die Konzentration auf die Welt des Alten Reiches führt allerdings auch dazu, dass die ausgewählten Beispiele teilweise an Anschaulichkeit gewinnen. So verlässt der Besucher das Magdeburger Museum um einiges Wissen um akademische Gebräuche und Gepflogenheiten im deutschsprachigen Raum reicher.

Anfang Dezember 2008 hatten sich bereits etwa 20 000 Besucher auf den Weg in die Magdeburger Ausstellung gemacht. Vielleicht hat die eine oder der andere eine Lösung für die Frage gefunden, über die die Rezensentin immer noch nachdenkt: Was hat die einigermaßen detailgetreu und mit einem dokumentierenden Text versehene Darstellung der Abdankung Karls V. durch den in Köln ansässigen Verleger und Kupferstecher Franz Hogenberg mit den „verkehrten Ritualen“ zu tun, in deren Raum sie gezeigt wird? Leider wurde dies, wie auch vieles andere, auf den Beitafeln nicht hinreichend erläutert. Dies ändert jedoch nichts an dem Wunsch der Rezensentin, dass die ausgewogene Vielzahl der faszinierenden Objekte der Magdeburger Spektakelschau hoffen lässt, dass dies nicht die erste und letzte Ausstellung zu einem solchen Thema gewesen ist.

Anmerkungen:
1 Das ist der zweite Besuch dieses beeindruckenden Stückes im Kulturhistorischen Museum von Magdeburg. Sie wurde dort bereits 1996 im Rahmen der Ausstellung „Hanse – Städte –Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500“ gezeigt. Siehe Matthias Puhle (Hrsg.), Hanse – Städte –Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500. Ausstellung. Kulturhistorisches Museum Magdeburg 28. Mai bis 25. August 1996. Braunschweigisches Landesmuseum Ausstellungszentrum Hinter Aegidien 17. September bis 1. Dezember 1996, Band 2: Katalog, Magdeburg 1996, S. 129-130.
2 Der Katalog wird in einer eigenen Rezension bei H-Soz-u-Kult besprochen.
3 Vgl. Bernd Schneidmüller, Art. Investiturstreit,-problem II. Investiturproblem in Frankreich, in: Lexikon des Mittelalters, Band 5, Stuttgart 2002, Sp. 482-483.