Alltag: DDR

Veranstalter
Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR e.V. (12376)
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12376
Ort
Eisenhüttenstadt
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.02.2012 -

Publikation(en)

Cover
Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR (Hrsg.): Alltag: DDR. Geschichten – Fotos – Objekte. Berlin 2012 : Christoph Links Verlag, ISBN 978-3-86153-670-3 336 S., 158 schw.-w. Abb. 259 farb. Abb. € 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Gaubert, Technische Universität Berlin

Als erste neu gegründete Stadt im Nachkriegsdeutschland war Eisenhüttenstadt von Beginn an mehr als nur eine wirtschaftspolitische Antwort der jungen DDR auf ihren teilungsbedingten Mangel an Roheisen und Stahl. Neben seiner wirtschaftlichen Bedeutung als Heimat des namensgebenden Eisenhüttenkombinats Ost (EKO) war Eisenhüttenstadt zugleich auch städtebauliches Prestigeobjekt eines sich in demonstrativer Aufbruchsstimmung befindlichen Staates, der mit dem Bau einer prachtvoll gestalteten Arbeiterstadt auch ein Modell der von ihm propagierten zukünftigen Gesellschaftsordnung ins Bild zu setzten wünschte.1 In gleichem Maße wie die DDR in ihren städtebaulichen Konzepten der folgenden Jahrzehnte vom kostspieligen Modell Eisenhüttenstadt abrückte, wurde die einstige Musterstadt zu einem Sinnbild für Anspruch und Wirklichkeit des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden. Es mag deshalb folgerichtig erscheinen, dass Eisenhüttenstadt seit dem Jahr 1993 Heimat eines deutschlandweit einmaligen Dokumentationszentrums zum Thema des DDR-Alltags (DOK) ist.

Das DOK wird seit 1997 von einem gleichnamigen Verein getragen und erhält Fördermittel vom Land Brandenburg, dem Landkreis Oder-Spree und der Stadt. Die am 25. Februar 2012 feierlich eröffnete neue Dauerausstellung wurde zudem durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. Für das kommende Jahr drohen dem DOK allerdings die Streichung seiner Förderung durch die Stadt und den Landkreis, so dass eine Weiterführung des bisherigen Sammlungs- und Sonderausstellungsbetriebs kaum mehr möglich erscheint. Dies könnte bedeuten, dass vom DOK letztlich kaum mehr übrig bleibt, als seine neue Dauerausstellung.

Seit seiner Gründung ist das DOK im Gebäude einer ehemaligen Kindertagesstätte untergebracht, die in den Jahren 1953/54 im Zentrum der Arbeiterpaläste des Bauabschnitts 2 errichtet wurde. Der Status als denkmalgeschütztes Gebäude erlaubt keine wesentlichen Veränderungen des ursprünglichen Grundrisses. Auch die neue Dauerausstellung ist folglich in den recht kleinen Räumen der einstigen Kinderkrippe untergebracht, die beiderseits eines etwa 20 Meter langen Flures angeordnet sind. Dieser äußerst funktionalen Architektur verdankt die Ausstellung jedoch eine klare Struktur, wobei jedem der insgesamt zehn Kapitel („Eisenhüttenstadt“, „Macht“, „Grenze und Heimat“, „Bildung“, „Kommunikation“, „Familie“, „Arbeit“, „Konsum“, „Lebensweise“, „Milieu“) der Ausstellung ein eigener Raum zugewiesen ist.

Als übergeordnetes und verbindendes Strukturelement durchzieht die Ausstellung eine „Chronologie der Dinge“. Diese verläuft auf der gesamten Länge des Flures und zeichnet die historischen Ereignisse von 1945 bis 1990 anhand von Alltagsobjekten nach. Die Vitrinen sind zeitstrahlartig mit Jahreszahlen und untergeordneten Schlüsseldaten überschrieben. Jedes Exponat wird durch seine Objektbeschriftung jeweils einem konkreten Datum zugeordnet, das in seiner historischen Bedeutung kurz umrissenen wird. Nicht immer erscheinen die ausgewählten Exponate geeignet, um tatsächlich auch von den Besuchern selbstständig zugeordnet oder in ihrem Symbolgehalt dechiffriert zu werden. Dies ist vor allem dort der Fall, wo es konkrete politische und programmatische Richtungsentscheidungen zu versinnbildlichen gilt, die oft schlicht in Form ihrer Druckfassung dargestellt werden. Die einzelnen Ausstellungskapitel korrespondieren weitestgehend mit dem Fortschreiten der Chronologie. Die Besucher sind eingeladen, sich die Folgen und Auswirkungen der zunächst nur angedeuteten Beschlüsse jeweils in den angrenzenden Themenräumen vor Augen zu führen.

Das Kapitel ‚Grenzen und Heimat‘ veranschaulicht gleich zu Beginn der Ausstellung entscheidende Rahmenbedingungen des DDR-Alltags. Zunächst steht hierbei die aus der ideologischen und territorialen Abgrenzung zur Bundesrepublik erwachsene Notwendigkeit eines neuen selbstdefinitorischen und selbstrechtfertigenden sozialistischen Heimatbegriffs im Mittelpunkt. Einerseits wird die territoriale Abschottung im Jahre 1961 als Ausdruck des Scheiterns am eigenen Legitimationsanspruch, als vermeintlich „besseres Deutschland“ bewertet. Anderseits wird der Mauerbau auch als Grundlage für die vermeintliche Stabilität der DDR dargestellt, deren nunmehr zementierte Ordnung fortan den gesellschaftlichen Rahmen des alltäglichen Lebens bestimmte.

Ob das gewählte Arrangement geeignet ist, diesen in den Ausstellungstexten und den zahlreich dargebotenen Sach-, Text- und Bildquellen angedeuteten komplexen Zusammenhang zu verdeutlichen, erscheint dennoch fraglich. Die beiden einander hier in Wandgröße gegenübergestellten Fotomotive aus einerseits bunter Postkartenidylle und andererseits grauer Grenzübergangstristesse betonen vor allem die Widersprüchlichkeit des staatlich geförderten Heimatkults und des von ihm unterhaltenen Grenzregimes. Die gegenseitige Bedingtheit dieser beiden Sphären wird hingegen allenfalls in Form eines als Verbindungsstück in der Raummitte präsentierten Faltboots angedeutet, das sowohl als Freizeitobjekt als auch als Fluchtvehikel vorgestellt wird (S. 112f.). Diese Zusatzinformationen können die Besucher über einen kostenlos entleihbaren Audioguide beziehen oder dem Ausstellungskatalog entnehmen. Auf diese Weise wird eine Vielzahl an Exponaten jeweils in ihrer konkreten Herkunft und ihrer einstigen Nutzungspraxis vorgestellt und in einen allgemeineren, meist wirtschafts- oder sozialpolitischen Kontext, eingeordnet und somit exemplarisch als historische Quellen erschlossen.

Anders als etwa das DDR-Museum Berlin, das in seiner primär eher als Anfass- und Erinnerungsschau gestalteten Ausstellung, allenfalls auf eine plakative Gegenüberstellung von Alltag und Diktatur setzt, unternimmt das DOK in seiner neuen Dauerausstellung den ungleich diffizileren Versuch, den DDR-Alltag in seiner gesellschaftlichen Bedingtheit darzustellen (S. 27–38). So steht das Kapitel ‚Macht‘ ganz im Zeichen der alltäglichen Herrschaftspraxis der SED. Diese wird durch eine Flut an Ausweisen und Abzeichen der von ihr als Instrumente ihrer Machtausübung gesteuerten Massenorganisationen verdeutlicht. Das hier bereits angedeutete Bild einer durchherrschten und zugleich „partizipatorischen Gesellschaft“2 erfährt im weiteren Verlauf der Ausstellung eine stete Vervollständigung. Das vielfach offensive Werben, Einfordern oder gar Aufzwingen gesellschaftlicher Partizipation, wird in nahezu allen Kapiteln der Ausstellung thematisiert, die mit Themen wie Bildung, Familie, Kommunikation und Arbeit vor allem „Reibungspunkte zwischen Individuum und Gesellschaft“ (S. 34) in den Blick nimmt und verdeutlicht, wie weit der ideologische Geltungsanspruch des Staates bis in die privatesten Bereiche des täglichen Lebens hineinreichte.

Darüber hinaus wird der Versuch unternommen, auch die Grenzen und die vielfältigen Wechselwirkungen des staatlichen Zugriffs an konkreten Beispielen zu veranschaulichen. Hierfür bedient sich die Ausstellung auffallend häufig der Perspektive alternativer Milieus und einzelner teils prominenter Vertreter der Bürgerrechtsbewegung. Durch die keineswegs als reine Tugendexempel dargebotenen Beispiele ihres fortwährenden Aneckens, ihrer Unangepasstheit oder gar ihres offenen Widerstandes gelingt es der Ausstellung ausgesprochen gut, auch jene informellen und oftmals unsichtbaren Grenzen sichtbar zu machen, die für den Alltag in der SED-Diktatur in besonderer Weise prägend waren (S. 19–24). Mit Blick auf die Publikumswirksamkeit der Ausstellung steht allerdings zu befürchten, dass nur wenige DDR-sozialisierte Besucher sich in den meist dem intellektuellen Milieu Ost-Berlins entstammenden alternativen Lebensentwürfen und Lebensläufen repräsentiert fühlen werden. Diese Diskrepanz vermag auch das abschließende Kapitel zur sozialistischen Lebensweise nicht zu korrigieren, dem leider nur sehr wenig Raum geschenkt wurde. Man mag all dies für verschmerzbar halten und mit Recht auf die Bedürfnisse einer neuen Generation verweisen, die selbst über keinerlei DDR-Erfahrung verfügt und deshalb umso dringender über den Diktaturcharakter des untergegangenen Staates aufgeklärt werden muss. Zugleich ist hierin aber vor allem ein Argument für das Fortbestehen des DOK und die Fortführung seines ergänzenden und kontrastierenden Sonderausstellungsbetriebs zu sehen. Es stellt sich deshalb letztlich die Frage, ob allein die Symbolkraft des Ortes Eisenhüttenstadt auf Dauer geeignet ist, die unzulängliche Unterbringung und die chronische Unterfinanzierung des DOK aufzuwiegen. Es wäre langfristig mehr als wünschenswert, dass das DOK für seine fast zwanzigjährige Pionierarbeit mit einem angemessenen Standort in der Landeshauptstadt belohnt würde. Allein ein solcher wäre wohl geeignet, ihm einen größeren Publikumserfolg und eine stärkere Anbindung an die universitäre Forschungslandschaft Potsdams und Berlins zu ermöglichen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Andreas Ludwig, Eisenhüttenstadt, in: Martin Sabrow (Hrsg.), Erinnerungsorte der DDR, München 2009, S. 128–138.
2 Vgl. Mary Fulbrook, Ein ganz normales Leben. Alltag und Gesellschaft in der DDR, Darmstadt 2008, S. 253–258.

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