Geschichte Aachens – Stadt Karls des Großen

Geschichte Aachens – Stadt Karls des Großen

Veranstalter
Centre Charlemagne. Neues Stadtmuseum Aachen
Ort
Aachen
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.01.2015 -
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Vasco Kretschmann, Didaktik der Geschichte, Freie Universität Berlin

Aachen hat ein neues und ungewöhnliches Stadtmuseum in seinem historischen Zentrum. Die Dauerausstellung des „Centre Charlemagne. Neues Stadtmuseum Aachen“, die von Frank Pohle (RWTH Aachen University) und Thomas Müller (Stadt Aachen) konzipiert wurde und deren Architektur Ulrich Hermanns entwickelte, zeigt nicht nur die Geschichte der alten Kaiserstadt, sondern auch die Legenden und die Rezeptionsgeschichte zu Karl dem Großen in einem europäischen Zusammenhang. Das moderne Ausstellungszentrum am Katschhof war bereits zwischen Juni und September 2014 im Rahmen der Großausstellung „Karl der Große. Macht – Kunst – Schätze“ zu sehen. Nach einer Umbauphase ist es seit Januar 2015 dauerhaft geöffnet.1

Entlang eines illuminierten Dreiecks in der Raummitte führt die 800 Quadratmeter große Ausstellung durch die Geschichte Aachens. In drei Abschnitten entfaltet sich eine Chronologie von der Frühzeit bis ins späte 20. Jahrhundert. Die antiken und frühmittelalterlichen Funde archäologischer Ausgrabungen aus der Innenstadt werden in eine opulente Museumsarchitektur eingebettet. Jedoch nicht die Masse historischen Materials, sondern die bewusste Auswahl und Kontextualisierung beispielhafter Relikte aus Aachens Vergangenheit ist hier das Leitprinzip. Das futuristische Design und verschiedene digitale Medien eröffnen vielfältige Zugänge zu den historischen Exponaten. Viersprachige Touchscreens, die sich über eine Karte bewegen lassen, geben Auskunft zu den geschichtlichen Verbindungen Aachens mit seinen wallonischen, limburgischen und rheinischen Nachbarstädten. Für jüngere Besucher/innen erzählen animierte Figuren aus ihrem Leben, und HandsOn-Stationen laden zum Ertasten von Gegenständen ein. Der/die Besucher/in wird angesprochen selber aktiv zu werden. Damit geht die Präsentationsebene der Ausstellung über die reine Vermittlung von Inhalten hinaus. Die über 30 Medienstationen lassen dennoch den originalen Relikten aus Aachens Vergangenheit genügend Raum für ihre Wirkung. Statt großflächiger Bildreproduktionen und Texttapeten stellen kurze Objekttexte jedes Exponat in einen historischen Zusammenhang. Geschichte wird hier anhand ausgewählter Exponate erzählt – kurze Texte und Modelle zum Kontext unterstützen diese Originale – und nicht umgekehrt.

Frühste Zeugnisse sind Faustkeile aus Aachener Feuerstein, keltische Fibeln und Relikte des römischen Thermalbades, zu dem Aachen im 2. Jahrhundert n. Chr. aufstieg. Im zweiten Abschnitt steht die Pfalz und Marienkirche Karls des Großen aus der Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert im Mittelpunkt. Ein auf neuen Forschungsergebnissen basierendes Modell führt eindrucksvoll den Aufbau der Aachener Pfalzanlage vor Augen, in der Karl der Große 768/69 erstmals residierte. Die Aachener Marienkirche, der heutige Dom, gilt als herausragendes Werk karolingischer Architektur, 814 wurde Kaiser Karl hier begraben.

Seit 936 wurde Aachen zu einer Stadt der Krönungen für 31 Fürsten. 1531 verlor die Stadt diesen herausgehobenen Status im Reich an Frankfurt am Main. 1656 wurde die Architektur der mittelalterlichen Krönungsstadt im großen Stadtbrand vernichtet. Ein unmittelbar danach entstandenes Gemälde mit einer Ansicht der brennenden Stadt steht in der Mitte des Durchgangs – es war das Ende einer Epoche.

Im Gegensatz zur großzügigen Ausstellungssprache im ersten Abschnitt wirkt die zweite Seite des Dreiecks gedrängt, die zeitliche Orientierung fällt hier nicht immer leicht. Podeste in der Raummitte vereinigten ganze Objekt-Ensembles zu einem Oberthema. Die barocke Bäder- und Kurstadt im 17. und 18. Jahrhundert, ihr Aufbruch in die Moderne als Hauptstadt des französischen „Départements de la Roer“ seit 1792/98 und als preußische Grenzstadt seit 1814 präsentieren sich wie in einem Schaudepot – ein Exponat als Stellvertreter für einen ganzen Themenkomplex. Ein Modell einer Tuchwalke und eine Mustermappe einer Nadelfabrik zeigen nur exemplarisch, dass der Aachen-Lütticher Raum zum Zentrum der Frühindustrialisierung auf dem europäischen Kontinent wurde. Als 1830 in der Wallonie ein Arbeiteraufstand ausbrach, erhoben sich auch die Aachener – die vermutlich erste rote Fahne Deutschlands zeugt davon. Für die Breite der Phänomene der grenzüberschreitenden Industrie- und Sozialgeschichte lässt die Ausstellung jedoch keinen Platz, zu groß ist ihr Anspruch weitere Dimensionen der Geschichte zu entfalten. An der rechten Wand werden parallel verschiedene Beispiele der zeitgenössischen Rezeption Kaiser Karls des Großen, seines Mythos und der Instrumentalisierung in Deutschland und Frankreich aufgerollt. Dem Stadtmuseum gelingt hier, was viele andere Museen auslassen, die Perspektivität der Historiengemälde und Statuen zu dekonstruieren. Artefakte nehmen Bezug auf das Mittelalter, stammen aber aus dem 19. oder frühen 20. Jahrhundert – der/die Besucher/in lernt hier nicht wie es gewesen ist, sondern wie damit umgegangen worden ist – als Teil einer lokalen und europäischen Geschichtskultur. Die Aushändigung der Aachener Stadtschlüssel an das französische Revolutionsheer 1794 zeigt ein großformatiges Gemälde des Historienmalers Arthur Kampf von 1905 – informiert wird der/die Besucher/in auf die antifranzösische Perspektivität dieser Interpretation hingewiesen.

Im letzten Ausstellungsabschnitt unter dem plakativen Titel „Von der Frontstadt zur Europastadt“ werden sehr gedrängt und größtenteils nur multimedial lokale und europäische Entwicklungen im 20. Jahrhundert skizziert. Auf der dritten Wand des Dreiecks findet die Vereinnahmungsgeschichte Karls des Großen ihre Fortführungen – sowohl in den Bezügen auf das Karolingerreich in den NS-Großmachtphantasien wie auch im Zuge der deutsch-französische Aussöhnung. Auf Karl den Großen als „Vater Europas“ beruft sich auch der seit 1950 jährlich vergebene „Karlspreis“ für die Verdienste um die europäische Einigung.

Als „Frontstadt“ galt Aachen, da von dort aus 1914 und 1939/40 die Angriffe auf die westlichen Nachbarn erfolgten. Bereits im Oktober 1944 schob sich die Westfront über Aachen und befreite die Stadt als erste deutsche Großstadt. Die dramatische Geschichte des 20. Jahrhunderts wird durch über 250 kommentierte Fotografien zur Lokalgeschichte und einem großen Medientisch mit Filmen, Audiobeiträgen, digitalisierten Zeitungen, Fotos und Postkarten erzählt. Das visuelle Angebot zeigt viele Aspekte der Stadtgeschichte und -entwicklung, erste Filme beginnen bei der Aachener Wallfahrt von 1937, einem stummen Protest gegen das NS-Regime, und den Kämpfen um Aachen 1944 – jedoch lässt die Beschränkung auf Foto und Film vieles aus, was man in einem Stadtmuseum erwarten würde. Die Stadt unter belgischer Besatzung und die Ausrufung der „Rheinischen Republik“ durch die Separatistenbewegung (1923) oder auch die Verfolgung und Deportation der Aachener Juden und die Ermordung ersten freien Bürgermeisters Franz Oppenhoff am 25. März 1945 sollten nicht übergangen werden. Die Spiegelungen in den Bildschirmen und die fehlenden Optionen für die Wiedergabe der Filme (Spulen und Pause) sollten später einmal überarbeitet werden.

Die große Bild- und Filmsammlung lädt zum Ende des Ausstellungsrundgangs zum langen Verweilen und Entdecken ein. Neben einem Raum für Wechselausstellungen umfasst das Museum auch ein „Geschichtslabor“, einen interaktiven Lernort für Kinder und Erwachsene. Durch solche Partizipationsangebote kann ein Stadtmuseum seine lokalen und internationalen Besucher/innen zu einer Reflexion der Bedeutung von Geschichte, aber auch des heutigen Lebensumfeldes aktivieren. Mit einer Öffnung zu den unmittelbaren Lebensweltbezügen gewinnt ein Stadtmuseum neue Relevanz.2

Aus der verstaubten Sammlung im Aachener „Heimatmuseum“ auf der Burg Frankenberg (1961-2010)3 ist ein modernes Stadtmuseum in der Innenstadt geworden. Dieses „Centre Charlemagne“ ist die neueste Einrichtung der „Route Charlemagne“ – einem 2007 begründeten musealen Gesamtkonzept, welches neben des Stätten des karolingischen Erbes auf dem Gebiet der ehemaligen Kaiserpfalz aus Dom, Domschatzkammer und Rathaus weitere historisch bedeutsame Gebäude zusammenfasst.4 Hierzu zählen u.a. das 1931 eröffnete „Internationale Zeitungsmuseum“ und das „Couven-Museum“. Die Stadt Aachen bezeichnet sich in ihrem Leitbild als „Stadt Karls des Großen“ und „erste Hauptstadt eines Reiches mit europäischen Dimensionen“.5 In der kommunalen Geschichtsdarstellung nimmt das Mittelalter und sein Erbe, der Aachener Dom als die Krönungsstätte und erstes deutsches UNESCO-Weltkulturerbe eine zentrale Stellung ein. Die Mystifizierung von Karl dem Großen als „Vater Europas“ ist nicht nur das zentrale Element eines modernen Stadtmarketingkonzeptes, sondern kann bereits auf eine lange Ausstellungstradition zurückblicken. Im Umfeld des Aachener Doms haben bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts historische Ausstellungen von überregionaler Bedeutung stattgefunden. Eine große „Krönungsausstellung“ 1915 sollte die Zugehörigkeit des Rheinlandes zu Preußen sowie die Herrschaft der Hohenzollernmonarchie historisch legitimieren. Die bereits konzipierte Ausstellung wurde infolge des Weltkrieges abgesagt und 1925 in eine „Jahrtausendausstellung“ integriert, die statt der monarchistischen Ausrichtung völkisch-ideologische Akzente setzte. In anderer zeithistorischer Konstellation wurde 1965 eine „Karlsausstellung“ veranstaltet, in der Karl der Große als Gründergestalt des geeinten Europas herausgestellt wurde.6 In jüngster Zeit fand 2000 eine umfangreiche, historisch differenziertere Ausstellung zum Thema „Krönungen, Könige in Aachen, Geschichte und Mythos“ statt.7 2003 wurde an die karolingische Vergangenheit der Stadt in der historisch-interkulturellen Ausstellung „Ex Oriente, Isaak und der weiße Elefant“ erinnert.8 Im Sommer 2014 zum 1200. Todestag des Kaisers wurde mit der Ausstellungstrias „Karl der Große. Macht – Kunst – Schätze“ erneut eine überregional bedeutsame Großausstellung auf dem Gebiet der karolingischen Pfalzanlage veranstaltet.9

In dieser Ausstellungstradition bewegt sich die Stadt Aachen mit ihrem Stadtmarketingkonzept zwischen einer anhaltenden politischen Verklärung der fränkischen Kaiserfigur und einer Auseinandersetzung mit dem Mythos und seiner Geschichte. Der neuen Dauerausstellung des „Centre Charlemagne. Neues Stadtmuseum Aachen“ gelingt hier ein Spagat – zwischen einer stadtgeschichtlichen Chronologie und einem Blick hinter die Konstruktion von Geschichte in verschiedenen Epochen.

Anmerkungen:
1 Stadt Aachen (Hrsg.) / Jutta Göricke (Redaktion), Centre Charlemagne. Neues Stadtmuseum Aachen, Aachen [2015], online: <http://www.centre-charlemagne.eu/> (15.02.2015).
2 Vgl. Anja Piontek, Partizipation in Museum und Ausstellung. Versuch einer Präzisierung, in: Susanne Gesser / Angela Jannelli u.a. (Hrsg.), Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content, Bielefeld 2012, S. 221-230, hier S. 227.
3 Vgl. Hans Feldbusch, Heimatmuseum der Stadt Aachen. Burg Frankenberg, Neuss 1965; Adam C. Oellers, Führer durch die Burg Frankenberg. Museum für Stadtgeschichte und Kunstgewerbe, Aachen 1985.
4 Stadt Aachen (Hrsg.) / Thomas Müller (Text), Route Charlemagne. Ein Weg in die Zukunft, Aachen 2009, online: <http://www.route-charlemagne.eu/> (15.02.2015).
5 Stadt Aachen. Leitbild 2020: Europa. Eine Stadt macht Zukunft, [Aachen 2007], S. 5, online: <http://www.aachen.de/de/stadt_buerger/aachen_profil/leitbild_2020/leitbild2020.pdf> (15.02.2015).
6 Vgl. Wolfgang Braunfels (Hrsg.), Karl der Große. Werk und Wirkung, 4 Bde., Düsseldorf 1965.
7 Vgl. Mario Kramp (Hrsg.), Krönungen. Könige in Aachen. Geschichte und Mythos, 2 Bde., Mainz 2000.
8 Vgl. Wolfgang Dressen / Georg Minkenberg / Adam C. Oellers (Hrsg.), Ex Oriente. Isaak und der weiße Elefant, 3 Bde., Mainz 2003.
9 Vgl. Frank Pohle (Hrsg.), Karl der Große. Charlemagne, 3 Bde, Dresden 2014, online: <http://www.karldergrosse2014.de/> (15.02.2015).