München und der Nationalsozialismus

München und der Nationalsozialismus

Veranstalter
NS-Dokumentationszentrum München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.04.2015 -

Publikation(en)

Cover
Nerdinger, Winfried (Hrsg.): München und der Nationalsozialismus. Katalog des NS-Dokumentationszentrums München. München 2015 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-66701-5 624 S., 850 teils farb. Abb. € 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sylvia Necker, Institut für Zeitgeschichte München - Berlin

Seit der Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums in München Ende April 2015 reißt der Besucherstrom nicht ab. Schon nach zweieinhalb Monaten konnte der neue „Lern- und Erinnerungsort“ die 100.000. Besucherin begrüßen. Einhellig wurde in der Presse und der Fachwissenschaft die Eröffnung als wichtiger Meilenstein für die Auseinandersetzung der Stadt München mit ihrer NS-Vergangenheit gewertet, nachdem sich die Diskussion über die Errichtung eines Dokumentationszentrums in der Landeshauptstadt über Jahrzehnte hingezogen hatte.1

Der als Kubus ausgeführte Neubau des Berliner Büros Georg Scheel Wetzel Architekten befindet sich am historischen Ort des „Braunen Hauses“, das der NSDAP von 1930 bis 1945 als Parteizentrale diente. Der Wettbewerb umfasste den Neubau sowie den Einbezug des historischen Orts inklusive des nördlichen „Ehrentempels“, den Paul Ludwig Troost im Zuge der Neugestaltung des Königsplatzes ab 1933 geplant und realisiert hatte. In unmittelbarer Nähe stehen die zum Ensemble gehörigen Gebäude „Führerbau“ und „Verwaltungsbau“, die heute durch die Musikhochschule und das Zentralinstitut für Kunstgeschichte genutzt werden. Kurz vor der Eröffnung wurde einer der bis dahin zugewucherten Sockel der beiden „Ehrentempel“ freigelegt, um den Bezug zum historischen Ort zu verdeutlichen.

Beim Betreten des lichten Ausstellungsgebäudes fallen die Blicke der Besucher_innen zunächst auf den Fahrstuhl, der sich in der Mitte des Kubus befindet, und auf das dort Spalier stehende Sicherheitspersonal. Das Entrée erinnert eher an das Foyer einer Bank als an ein Museum. Aber die Zuschreibung als Museum möchte das NS-Dokumentationszentrum auch gar nicht für sich in Anspruch nehmen: Die Konzeption und Gestaltung soll in jeder Hinsicht den Aspekt der nüchternen Dokumentation verdeutlichen. Diese Setzung birgt jedoch verschiedene Probleme. Die Rezensentin konzentriert sich im Folgenden auf die Darstellungsform in der Ausstellung, die Konzeption und die Ausstellungsarchitektur, um daran methodische und gestalterische Fragen bei der Produktion von Ausstellungen zu historischen Themen zu diskutieren. Die Einordnung des Gezeigten in die gegenwärtigen Tendenzen der NS-Forschung soll hier nicht im Mittelpunkt stehen; dafür ist eine Rezension des zur Ausstellung erschienenen Katalogs viel besser geeignet. Unabhängig von möglicher Kritik an der Ausstellung stellt diese einen ganz wichtigen Schritt für den Umgang der Stadt München mit ihrer NS-Vergangenheit dar, der nicht oft genug gewürdigt werden kann.

Der Weg der Besucher_innen führt nach einer kurzen Orientierung im Foyer nach links zur Kasse, wo sich auch die Ausgabe der Media-Guides befindet. Von dort werden die Besucher_innen mit dem Aufzug in die Ausstellungsräume im vierten Stock geschickt. Der Buchladen – für viele Besucher_innen oft ein erster Stöberort, von dem aus sie sich schon mit Bildern und Themen im Kopf in die Ausstellung begeben, und darüber hinaus elementarer Teil eines Lern- und Erinnerungsortes – liegt leider ziemlich versteckt im Erdgeschoss. Die Beschriftungen im Gebäude sind sehr knapp gehalten und zudem kaum lesbar, da ein sehr heller Farbton für die Schrift auf dem Sichtbeton gewählt wurde, was die Orientierung erschwert. Im Aufzug ist nur das vierte Stockwerk mit „Ausstellung“ gekennzeichnet. Dies soll offenbar verhindern, dass die Besucher_innen auf eigenen Wegen und womöglich gegen die Chronologie durch die Ausstellung gehen.

Die Inhalte sind auf vier Ebenen verteilt. Im vierten Stock beginnt die Ausstellung mit der Geschichte Münchens in der Weimarer Republik und mit dem Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung. Die präsentierten Dokumente im dritten Stock widmen sich der „Herrschaft und Gesellschaft im Nationalsozialismus von 1933 bis 1939“. München im Zweiten Weltkrieg sowie in der Nachkriegszeit wird im zweiten Stock verhandelt, während im ersten Stock der Bezug des Themas zur Gegenwart im Mittelpunkt steht, indem auf die fortwährende Existenz rechtsextremistischer Bewegungen und Vereinigungen in der Bundesrepublik hingewiesen wird. Ein Teil des ersten Stocks ist als Sonderausstellungsraum eingerichtet. Im Untergeschoss befinden sich das Lernforum und ein Auditorium für Veranstaltungen.

Im vierten Stock angekommen, fällt man direkt in die erste Tafel der Ausstellung. Ja, es ist leider eine Tafelausstellung, auch wenn sich die Präsentationsformen in Museen bis ins 21. Jahrhundert doch merklich und aus guten didaktischen Gründen ausdifferenziert haben. Da das Leitsystem für die Besucher kaum wahrnehmbar ist, gehen viele – auch um den Stau vor der ersten Tafel zu meiden – zunächst gewohnheitsmäßig rechts herum, was jedoch nicht der Abfolge der Tafeln entspricht. Zwischen den architektonischen Komponenten der Ausstellung – einführende Thementafeln, Tische zur Vertiefung, Leuchtkästen an der Wand sowie biographische Stelen – ist kaum Platz, um einmal den gesamten Raum wahrzunehmen und sich zu orientieren. Lediglich im ersten und zweiten Stock können die Besucher_innen kurz aus der Enge des Tafelwaldes auftauchen und verschnaufen. Erst hier kann an der nördlichen Ecke des Kubus ein Blick auf den historischen Ort des Königsplatzes gerichtet werden, so dass die Verbindung der Ausstellung zum historischen Ort erkennbar wird – oder werden könnte, denn diese Perspektive ist durch eine Leinwand verstellt und damit nur eingeschränkt vorhanden. Dagegen ist die Tatsache, dass der Kubus durch Fenster und Lichtschlitze Tageslicht in den Raum lässt, ein großes Plus des Gebäudes; nur wenige Ausstellungen zur Geschichte des Nationalsozialismus können in überwiegend natürlichem Licht betrachtet werden. Dies ist augenfreundlich, erleichtert das Lesen und hilft unnötige Metaphern wie „ein dunkles Kapitel“ zu vermeiden. Hier lässt sich vielmehr der Charakter der Dokumentation ablesen, den der Gründungsdirektor Winfried Nerdinger immer wieder betont.

Eine problematische Seite der konstitutiven Fassung des Zentrums als „Dokumentation“ ist jedoch der Verzicht auf Objekte. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die Darstellungsform: Die gesamte Ausstellung besteht aus Reproduktionen von Originalen. Die insgesamt stylisch und artifiziell wirkende Ausstellungsgrafik formt eine sehr distanzierte Anmutung des Gezeigten und unterstreicht den dokumentarischen Anspruch. Die Inhalte sind in drei Ebenen hierarchisiert: Die Thementafeln gliedern die Ausstellung in ihre einzelnen Kapitel. Die Tische dienen der Vertiefung; sie sind in Dreier- und Sechser-Gruppen angeordnet. Da die Oberflächen leider nicht angeschrägt sind, ist längeres Lesen mit Mühen verbunden. Auch Besucher_innen mit Handicap haben an den Tischen keine Freude, da sie zwar unterfahrbar sind, sich aber der Text nicht aus jeder Perspektive lesen lässt und damit den Anforderungen einer barrierefreien Ausstellung nicht entspricht. Zudem bleibt die Leserichtung in den Tafelgruppen unklar. Erst wer die kaum wahrnehmbaren Nummerierungen in der linken Ecke entdeckt, kann sich in der Ausstellung orientieren, zumal die Raumgestaltung keine eindeutige Laufrichtung nahelegt. Das wäre kein Kritikpunkt, wenn nicht der Inhalt der Ausstellung chronologisch angeordnet wäre und die ungefähre Einhaltung der Tafelreihenfolge das Verständnis erleichterte.

Zusätzlich zu diesen den Raum schon stark dominierenden Elementen kommen an unterschiedlichen Stellen Leuchtkästen an der Wand sowie biographische Stelen als weitere Vertiefungsebenen zum Einsatz. Es handelt sich also um eine enorme Dokumentenflut, die die Besucher_innen beim Betreten der Räume sofort ordnen müssen, um sich für einen Startpunkt der Betrachtung zu entscheiden. Zusätzlich ist die Ausstellung mit enormen Textmassen befrachtet, die manche Besucher_innen abschrecken dürften. Eine konsequentere Auswahl der präsentierten zweidimensionalen Exponate sowie eine Reduktion der Texte hätte die Anmutung, es handle sich bei der Ausstellung eigentlich um ein Buch, deutlich lindern können. Die hinterleuchteten, schwarz grundierten Thementafeln werden offenbar nur deshalb beidseitig bespielt, um mehr Platz für weitere Texte zu gewinnen, nicht um diese gestalterisch zu nutzen – wie beim Zeigen der Vorder- und Rückseite eines Gemäldes. So wird die Ausstellungsarchitektur eigentlich nur als Text- und Exponatträger verwendet, nicht jedoch zur Unterstützung etwaiger Kernaussagen. Da uns die Kuratoren aber gar keine These präsentieren möchten, bleibt die Darstellungsform eben auf das Dokumentarische beschränkt. Die Zuspitzung der mit einer solchen Dokumentation bezweckten Grundaussage auf der einen Seite sowie eine Durchdringung und Vertiefung der Themen auch durch die Gestaltung auf der anderen Seite gehören aus Sicht der Rezensentin allerdings zu den wichtigsten Aufgaben einer Ausstellung. Dagegen hat das Münchner Zentrum eine Dokumentendichte, die zwar den Anspruch auf Vollständigkeit unterstreicht, jedoch keine Zwischenräume für eigene Reflexionen zum Thema lässt.

Die Zuspitzung hätte über dreidimensionale Objekte erfolgen können. Dies lehnen die Kuratoren der Ausstellung jedoch explizit ab. Die Besucher_innen sollen nicht der möglichen auratischen Wirkung von Objekten der NS-Zeit ausgesetzt werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Sorge vor unbeabsichtigten Wirkungen derartiger Objekte diese am Ende nicht erst recht aufwertet und ihren Charakter als Fetisch (der Ewiggestrigen) befördert. Ein Präsentieren in der Ausstellung hätte eine Kontextualisierung ermöglicht, die in den entsprechenden Auktionshäusern und Online-Verkaufs-Plattformen eben nicht erfolgt. Die kuratorische Setzung führt nur noch einmal vor Augen, wie sehr sich Ausstellungsmacher_innen und Historiker_innen der drängenden Aufgabe entziehen, adäquate Darstellungsformen solcher Objekte zu finden. Bislang werden Gemälde hinter zerbrochenen Glasscheiben gezeigt oder Büsten vom Sockel gestoßen, um die Objekte und ihre Wirkung zu „brechen“.2 Dabei bieten gerade dreidimensionale Objekte die Chance, die Mehrdimensionalität des NS-Regimes sowie die Gleichzeitigkeit von Alltag und Verbrechen auf neue Weise zu zeigen, statt diese zentrale inhaltliche Ebene in die Zweidimensionalität von Texten und Bilddokumenten zu pressen.

Zudem bringt eine inflationäre Verwendung von Fotos die Tendenz mit sich, dass Bilder von den Kuratoren als Beweismittel für eine vermeintliche Wirklichkeit hergenommen werden. Dass ein solcher Anspruch des Dokumentarischen schnell dekonstruiert werden kann, hat uns die Debatte um die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ gelehrt. Und so fallen in der jetzigen Ausstellung gezeigte Fotos zunächst als bemerkenswerte Quellen in den Blick, die jedoch bei genauerem Hinsehen diese Bedeutung einbüßen, weil wir zu wenig über den Kontext ihrer Entstehung und Reproduktion erfahren. Im Kapitel „1933–1939. Alltag: Wegschauen, Zuschauen, Mitmachen“ zeigt die Ausstellung ein Foto zweier Radfahrerinnen, die beim Passieren der Feldherrnhalle ihren Arm zum „Deutschen Gruß“ erheben. Die Bildunterschrift weist dieses Foto als Aufnahme eines „NS-Bildreporters“ aus. Das Grüßen sei „Pflicht“ gewesen und überwacht worden. Ohne genaue Datierung (es wird lediglich das Jahr 1937 angegeben) wird das Foto so zum Beleg für angepasstes Verhalten im Nationalsozialismus stilisiert. Noch ein weiterer Aspekt macht den Umgang mit Fotografien in der Ausstellung so problematisch: Einerseits postulieren die Kuratoren den Anspruch des Dokumentarischen, andererseits sind in der Ausstellung Flugblätter, Fotos und schriftliche Dokumente nur selten im Originalformat zu sehen. Zusätzlich werden die Bild- und Textquellen nach Bedarf zu Collagen zusammengesetzt, die einen quellenkritischen Umgang missen lassen. Die Vergrößerungen sollen die Eindringlichkeit des Materials unterstreichen. Sie führen – wie im Fall der Radfahrerinnen – zu einer Vereindeutigung, die eine geschichtswissenschaftliche Ausstellung eigentlich vermeiden sollte. Hinzu kommt, dass nicht das Exponat Ausgangspunkt der Erzählung in der Ausstellung ist, sondern der thematische Zugriff. Auf diese Weise wirken viele Schriftdokumente und Fotos um die Ausstellungstexte herumgruppiert, ohne eine eigenständige Narration entwickeln zu dürfen. Auch die Filmsequenzen, die über in die Tische eingelassene Bildschirme mit sehr spärlicher Beschriftung oder eingebaut in Stelen zu sehen sind, werden häufiger als Illustrationen, weniger als Quellen verwendet.

Wer sich durch die Ausstellung führen lassen möchte, kann dies mit dem sehr guten Media-Guide tun, der unterschiedliche Themenwege anbietet – und die Möglichkeit, sich in die Quellen zu vertiefen. Die Rundgänge sind sehr differenziert ausgearbeitet (unter anderem mit hervorragenden Bildbeschreibungen, die sich auch als Teil der Bildunterschriften auf den Tafeln geeignet hätten) und ermöglichen die Konzentration auf einzelne Exponate, die ohne Media-Guide aus den oben beschriebenen Gründen schwerfällt. Auch gibt es hier Raum für eigene Reflexionen, die durch den Media-Guide angeregt werden. Ärgerlich sind nur manche vereinfachenden Deutungen. Im einführenden Rundgang heißt es zur Tafel „Münchner Abkommen 1938“: „Der Führerbau. Ein typischer NS-Bau. Monumental. Eckig. Hart.“ Diese Aussage nivelliert sämtliche Debatten um NS-Architektur, in die ja gerade der Gründungsdirektor Nerdinger mit gewichtigen Kommentaren und Thesen immer wieder eingegriffen hat.

Interaktive Medientische werden nur im „Lernforum“ im Untergeschoss angeboten, das bislang hauptsächlich von Schulklassen genutzt wird. Mit Hilfe dieser Tische sollen sich die Besucher_innen über die Netzwerke der NSDAP und die Grundbegriffe der NS-Ideologie informieren können. In der Praxis wird sich zeigen, ob sich die Komplexität der medialen Anwendungen vor allem von den jungen Besuchern gewinnbringend aufnehmen lässt. Die Grundidee der medialen Umsetzung ist positiv zu bewerten, allerdings ist die Nutzung im Moment noch durch die anfällige Technik etwa ausfallender Displays erschwert.

Schließlich ein Wort zum Gegenwartsbezug der Ausstellung: Hierfür muss ein wandgroßer Bildschirm im ersten Geschoss ausreichen, der aktuelle Meldungen zum Rechtsextremismus aus unterschiedlichen Medien zeigt. Wo nur Überschriften gezeigt werden, vertraut man offensichtlich auf die Medienkompetenz der Besucher_innen, statt diese Meldungen als Quellen ernstzunehmen und für eine Kontextualisierung zu sorgen.

Falls einem am Ende des Besuchs noch der Sinn nach Vertiefung steht, sollte man sich unbedingt für den hervorragenden Katalog zur Ausstellung interessieren. Auch wenn der Buchladen schwer zu finden ist: Im Erdgeschoss, zweimal um die Ecke abgebogen, befindet sich eine Auswahl an Literatur zum Thema. Ob es klug war, einen so umfangreichen Begleitband zur Ausstellung zu produzieren und als Alternative nur ein 40-Seiten-Heft anzubieten, darüber mag man streiten. Der Katalog entspricht dem Aufbau der Ausstellung (und umgekehrt): Ein Großteil der Dokumente und Ausstellungstexte sind dort wiedergegeben. Es schließen sich 19 Essays von Historikern an (darunter vier von Historikerinnen), die die Vielfalt der Ausstellungsthemen noch einmal erweitern. Vier Essays von europäischen und außereuropäischen Kollegen repräsentieren den Blick von außen. Dabei mutet die Absetzung dieser Essays merkwürdig an: Der „fremde Blick“ sollte eigentlich als integraler Teil deutscher Geschichtswissenschaft wahrgenommen werden und nicht als Sonderposition.

Wie eingangs schon erwähnt: Dass die Ausstellung jetzt endlich eröffnet ist, gehört sicher zu den wichtigsten Meilensteinen in der Münchner Geschichtspolitik. Doch die Darstellungsformen von Ausstellungen sind abhängig von zeittypischen Sehgewohnheiten. Es gibt möglicherweise Besucher_innen der älteren Generationen, die jede Tafel ausdauernd lesen und mehrmals wiederkommen, um alle Texte und Fotos zur Kenntnis zu nehmen. Ein Haus, das 2015 eröffnet, sollte jedoch die museumswissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 25 Jahre nicht unberücksichtigt lassen. Eine Ausstellung sollte nicht für den Kurator konzipiert sein, sondern für die Besucher_innen aller Altersgruppen. Die junge Generation sollte sich deshalb auch nicht in den Keller zu den Medientischen verbannt fühlen müssen, wo sie sich in „ihrer“ Sprache mit dem Thema auseinandersetzen kann. Der Anspruch auf eine möglichst vollständige Dokumentation geht an den gegenwärtigen Anforderungen vorbei; man fühlt sich hier an die Anfänge der Berliner „Topographie des Terrors“ aus den 1980er-Jahren erinnert, wo das Ethos einer nüchternen und umfassenden Dokumentation ebenfalls sehr stark war (allerdings in einer deutlich anderen geschichtskulturellen Gesamtsituation). Auch wenn es legitim und wichtig ist, einer Ausstellung eine eigene kuratorische Handschrift zu geben, so braucht das Haus vielleicht schneller als gedacht eine Aktualisierung, die sich den heutigen visuellen und medialen Bedürfnissen öffnet. Das NS-Dokumentationszentrum München sollte sich trauen, eine Ausstellung zu sein – mit „Objekte[n] im Raum“3 und neuen Räumen für eigene Reflexionen der Besucher_innen.

Anmerkungen:
1 Der Weg zum NS-Dokumentationszentrum wird im Katalog zur Ausstellung von Winfried Nerdinger dokumentiert (S. 9-12, S. 548-555). Vgl. auch <http://www.ns-dokuzentrum-muenchen.de/index.php?id=12> (26.10.2015), sowie zuvor bereits Andreas Heusler, Das Braune Haus. Wie München zur „Hauptstadt der Bewegung“ wurde, Stuttgart 2008, S. 295-317.
2 Vgl. die Ausstellung „Hitler und die Deutschen“ im Deutschen Historischen Museum 2010/11 bzw. den Katalog: Hans-Ulrich Thamer / Simone Erpel (Hrsg.), Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen, Dresden 2010; rezensiert von Katrin Pieper, in: H-Soz-Kult, 22.01.2011, <http://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-145> (26.10.2015).
3 Der Kulturwissenschaftler Gottfried Korff plädiert seit langem explizit für Praktiken der Inszenierung in Ausstellungen; er argumentiert gegen die Angst der Historiker vor Bildern und Objekten. Vgl. etwa Gottfried Korff, Bildwelt Ausstellung. Die Darstellung von Geschichte im Museum, in: Ulrich Borsdorf / Heinrich Theodor Grütter (Hrsg.), Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt am Main 1999, S. 319-335, hier S. 331.