Die Körper der SS – Ideologie, Propaganda und Gewalt

Die Körper der SS – Ideologie, Propaganda und Gewalt

Veranstalter
Kreismuseum Wewelsburg
Ort
Büren-Wewelsburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.06.2016 - 04.09.2016

Publikation(en)

Erik, Beck; John-Stucke, Kristen; Moors, Markus; Piron, Jörg (Hrsg.): Die Körper der SS - Ideologie, Propaganda und Gewalt. Begleitband zur Sonderausstellung vom 19. Juni – 4. September 2016 im Burgsaal der Wewelsburg. Paderborn 2016 : Bonifatius Buchverlag, ISBN 978-3-00-053539-0 135 S. € 6,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcus Coesfeld, Dortmund

Im Rahmen des Themenjahres „Körperkultur – Schönheit. Hygiene. Selbstbild“ der Museen in Ostwestfalen-Lippe hat das Kreismuseum Wewelsburg 2016 zwei Sonderausstellungen präsentiert. Bei der ersten mit dem Titel „Mischlinge“ handelte es sich um ein Fotoprojekt, das heute lebende Deutsche im Stile Leni Riefenstahls porträtierte und die Frage nach einer deutschen Identität stellte, um die Instrumentalisierung ästhetischer Gestaltungsmittel zu entlarven. Sie lief von April bis zum 26. Juni und überschnitt sich mit der zweiten, hier behandelten Sonderausstellung. Diese wurde von der Museumsleiterin Kirsten John-Stucke, dem wissenschaftlichen Volontär Erik Beck sowie von den wissenschaftlichen Mitarbeitern Markus Moors und Jörg Piron kuratiert. Gezeigt wird sie im Burgsaal des Kreismuseums Wewelsburg, dessen Gebäude zu NS-Zeiten zum ideologischen Zentrum der SS ausgebaut werden sollte. Thematisiert werden die Körperbilder der Nationalsozialisten und insbesondere der SS. Die Ausstellung möchte aufzeigen, wie das rassistische Idealbild des „arisch-germanischen“ Körpers aussah, und aufdecken, wie dieses zur sozialen Inklusion und Exklusion genutzt wurde. Am Beispiel der SS, die sich selbst als Elite des „Volkskörpers“ verstand, lässt sich in besonderer Form darstellen, wie dieses Bild des „politischen Soldaten“ idealtypisch ausgesehen hat: „arisch“, „hart“ und „kämpferisch“. Diese Merkmale standen im dualistischen Weltbild der Nazis im krassen Gegensatz zu allen Eigenschaften, die sie den als „Feinde“ deklarierten Menschen zuschrieben. Auch die Darstellung der vermeintlich „Minderwertigen“ wird in der Sonderausstellung aufgegriffen, wie auch das nationalsozialistische Frauenbild. Sie möchte aufdecken, wie Körperideale konstruiert, propagiert und damit zur Umsetzung rassistischer und militaristischer Vorstellungen instrumentalisiert wurden.

Die Thematik ist auch heute noch hochaktuell. Man denke an die jüngst geführten Aufschreie von rechtspopulistischer Seite wegen der Kinderbilder deutscher Fußballnationalspieler mit Migrationshintergrund, die auf den „Kinderschokolade“-Verpackungen abgedruckt wurden. Zu Recht wird genau diese Debatte auch in der Ausstellung aufgegriffen. Sie zeigt uns nämlich, wie häufig auch heute noch Gruppenzugehörigkeiten über äußerliche, körperliche Merkmale definiert werden, und wie fest verankert latenter Rassismus in vielen Köpfen unserer Gesellschaft festsitzt.

Obwohl sich die Körpergeschichte in den vergangenen zwanzig Jahren durchaus in den Geschichtswissenschaften zu etablieren vermocht hat und auch der für die Ausstellungsthematik eine zentrale Rolle einnehmende Sport im Nationalsozialismus in einigen Bereichen gut aufgearbeitet ist, hat es bis zur 2005 publizierten Dissertation von Paula Diehl1 noch keine ausführliche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Körperbildern der SS gegeben. Deshalb – und weil in Kooperation mit Diehl schon eine Medienstation in der Dauerausstellung konzipiert wurde2 – baut die Sonderausstellung zu einem nicht unerheblichen Anteil auf ihrer Arbeit auf. Inhaltlich knüpft sie unter anderem auch an Berno Bahros Arbeiten zum SS-Sport3 an.

Die mit ihren 200 Quadratmetern relativ kleine Ausstellung ist in vier Bereiche aufgegliedert: Bereich 1 trägt den Titel der Ausstellung selbst: „Die Körper der SS – Ideologie, Propaganda und Gewalt“. Hier werden einzig zwei Entwürfe für ein Wewelsburger Triptychon präsentiert. Zunächst wirken die beiden Originale auf den Betrachter. Ihnen gegenüber sind Kopien angebracht. In diesen werden ausstellungsdidaktisch geschickt einzelne Bildelemente markiert und erläutert. Die beiden von Heinrich Himmler für die Wewelsburg in Auftrag gegebenen und von Hans Lohbeck gemalten Entwürfe offenbaren wesentliche NS-Körperbilder sehr kompakt und sind daher eine gute Wahl für den Einstieg in die Materie.

Bereich 2 mit dem Titel „Ursprünge und Grundlagen nationalsozialistischer Körperkultur“ umrahmt die gesamte Ausstellung dadurch, dass er sich an den Außenwänden entlang zieht. Flächenmäßig dominiert der Bereich daher den Burgsaal und lässt damit das eigentliche Ausstellungsthema leider etwas vor einem recht allgemein gehaltenen Inhalt zurücktreten. Man möchte fast meinen, dass die Ausstellung nicht die Körperbilder der SS im Speziellen, sondern die des Nationalsozialismus im Allgemeinen vermitteln möchte. Zwar gehören erstere ganz elementar zu letzteren, doch verspricht der Ausstellungstitel eine deutlichere Schwerpunktsetzung.

In der Mitte des Burgsaals, sozusagen im „Kern“ der Ausstellung, steht der im Vergleich zum Bereich 2 recht kleine Bereich 3 „Die Körper der SS“. Schon wenn man den Eingangsbereich verlässt, schaut man der Porzellanfigur „Der SS-Fechter“ ins Antlitz, die auch auf dem Umschlag des Katalogs abgebildet ist. In der Tat lässt sich das Fechten als symbolträchtige Sportart für die SS verstehen, ging sie doch zugleich aus adeligen und militärischen Traditionen hervor, durch die sich das Elitebewusstsein des „Schwarzen Ordens“ unter dem Fechtsportler Reinhard Heydrich manifestieren konnte.4 Insofern ist der „SS-Fechter“ durchaus ein sinnvoll gewähltes „Gesicht“ der Ausstellung.

Das „Herz“ dieses Bereichs bilden zwei Kleidungsstücke, die echte Körper gekleidet haben: Eine SS-Uniform auf der einen Seite und eine KZ-Häftlingsjacke auf der anderen. Sie wirken antagonistisch einander gegenübergestellt und zeigen so ihre Funktionen innerhalb des SS-Selbstbildes auf: Die SS als „Hüter“ des Volkskörpers bekämpft das Feindbild. Der „Kampf“ war Nukleus der NS-Ideologie, deren Tatsachenverdrehung durch diese Präsentation aber entlarvt wird. Es handelt sich um eine Täter-Opfer-Beziehung, an der exemplarisch die Exklusion – schlimmer: die Entrechtung, Verfolgung und Ermordung all jener, die anhand äußerer Merkmale oder wegen abweichender Meinungen nicht in den Stereotypus des „Ariers“ passten, aufgezeigt wird. Und eines haben beide Kleidungsstücke gemein: Sie sind Gleichmacher, die Menschen auf Körperebene in Uniformen oder eben Häftlingsjacken zusammenfassen in „Wir“ und „Die“.

Die SS-Körperbilder werden von verschiedenen Seiten beleuchtet. Unter anderem treten so auch die Themen Sexualität und Frauenkörper-Ideale auf. Hier wird im Grunde aufgedeckt, welche plumpen patriarchalischen und frauenverachtenden Wertenormen hinter der Idealisierung der „Mutter“ steckte. Im Bereich 2 und 3 wird der Begriff „Körper“ auch als abstrahierter „Volkskörper“ und die SS als „Verkörperung“ des Nationalsozialismus vorgestellt. Etwas konstruiert wirkt jedoch der Versuch, auch die Wewelsburg selbst als „Baukörper“ der SS thematisch in die ansonsten nur Menschenkörper behandelnde Ausstellung zu integrieren.

In einem als Epilog angelegten und farblich abgegrenzten Bereich 4 „Kontinuitäten und Rezeption der SS-Körperbilder“ schließt die Ausstellung. Hier wird, wie anfänglich beschrieben, mittels Objekten aus der Bundesrepublik veranschaulicht, wie sich manche nationalsozialistische Körperbilder auch in der demokratischen Gesellschaft fortgeführt haben, und welche Elemente heutige neonazistische Gruppierungen in Anlehnung an das „Dritte Reich“ verwenden.

Die Objekte stammen von verschiedenen Museen und privaten Leihgebern, vor allem aber aus dem eigenen Bestand des Kreismuseums. Ein kleines Manko ist, dass relativ wenige Originale, wenige 3D-Objekte ausgestellt werden. Vorwiegend werden Dokumentkopien zweidimensional an den Wänden präsentiert. Gestalterisch ist die Sonderausstellung an die Dauerausstellung angepasst. Der kühle, dokumentarische Stil eignet sich gut, die teils schwierige Thematik möglichst sachlich zu vermitteln. Im vorderen Bereich ist die Ausstellung größtenteils hell und offen; der hintere Bereich jedoch wirkt dunkel und gedrungen. Die Vitrinen sind dort anders als im sonst angenehm konzipierten Aufbau eng zusammengestellt und erwecken den Eindruck, als habe der Platz nicht mehr ausgereicht.

Insgesamt ist die Ausstellung sehr textlastig: Die vielen, relativ langen Texte haben einen hohen Informationsgehalt und sind inhaltlich wie sprachlich gut zu lesen. Die nicht immer glückliche Beleuchtung, gepaart mit manchmal sehr hoch und manchmal sehr tief (etwa auf Kniehöhe) angebrachten Textfolien erschwert das Lesen aber etwas. Zudem verdecken die an Vitrinen angebrachten Textfolien teilweise Objekte. Vor allem im ohnehin gedrungenen hinteren Bereich wirken mehrere Text-Ebenen verwirrend: Wo ein längerer Text vorne auf der Vitrine angebracht ist (was das Objekt zum Teil verdeckt) und auf dem Hintergrund ein weiterer längerer Text angebracht ist, gerät das Objekt selbst ein Stück weit in den Hintergrund, welches doch eigentlich im Mittelpunkt der Präsentation stehen sollte. Obwohl Texte und Beleuchtung nicht immer optimal sind, muss man jedoch zugutehalten, dass die Exponate meist auch für Kinder und Rollstuhlfahrer gut erkennbar sind. Es gibt sogar im Sinne der Inklusion einige unterfahrbare Vitrinen.

Zur Ausstellungsdidaktik sei noch erwähnt, dass zusätzliche Mappen mit Faksimiles und weiteren Informationen ausliegen sowie der Ausstellungskatalog im Eingangsbereich zur Einsicht zur Verfügung steht. Auch ist an einer Wand eine kleine Medienstation mit einer automatischen Seiten-Abfolge aus einem Propagandabildband zur Geschichte der SA und SS angebracht. Dass ansonsten keine museumspädagogischen Stationen integriert sind, kann zumindest für Schülergruppen durch das museumspädagogische Begleitprogramm ausgeglichen werden: Dieses wurde in Kooperation mit Studierenden der Universität Paderborn entwickelt: In kompetenzorientierten halb- oder ganztägigen Workshops und in so genannten „Sehschulen“ sollen Schülerinnen und Schüler unter dem Fokus der Ausstellungsinhalte Mechanismen nationalsozialistischer Propaganda analysieren.

Der per se gelungene Ausstellungskatalog beginnt mit einem Geleitwort von Manfred Müller, Landrat des Kreises Paderborn, und dem Vorwort der Herausgeber. Daran schließt eine der Ausstellung entsprechende Kapitelgliederung an. Die Texte entsprechen denen auf den Ausstellungstafeln eins zu eins. Nicht alle (aber fast alle) Objekte werden bebildert dargestellt, dafür sind Bilder von anderen Exponaten besonders anschaulich zugeschnitten. Zudem weist der Katalog eine Auswahlbibliografie zur weiterführenden Auseinandersetzung mit der Materie auf. Da es der Ausstellung aber, wie oben angeführt, an 3D-Objekten und Originalen mangelt, bringt sie gegenüber dem Katalog einen nur geringen Mehrwert. Trotz der gemachten Abstriche ist der Besuch der Ausstellung in jedem Fall empfehlenswert, um sich mit dem NS-Körperkult auseinanderzusetzen.

Anmerkungen:
1 Paula Diehl, Macht – Mythos – Utopie. Die Körperbilder der SS-Männer, Berlin 2005.
2 Erik Beck / Kirsten John-Stucke / Markus Moors / Jörg Piron (Hrsg.), Die Körper der SS – Ideologie, Propaganda und Gewalt. Begleitband zur Sonderausstellung vom 19. Juni – 4. September 2016 im Burgsaal der Wewelsburg, Paderborn 2016, S. 16.
3 Berno Bahro, Der SS-Sport. Organisation – Funktion – Bedeutung, Paderborn 2013.
4 vgl. ebd., S. 220.

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