sports / no sports

Veranstalter
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.09.2016 - 20.08.2017
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörn Eiben, Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften, Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg

1893 wandte sich ein ungenannter Leserbriefschreiber an die Redaktion der Zeitschrift „Spiel und Sport“. Er mokierte sich über die Berliner Fußballer, die sich keineswegs direkt nach dem Spiel in den „Umkleidezimmern wieder zu gewöhnlichen Menschenkindern umwandel[te]n“, sondern in ihren „vielfarbigen Tricots“ noch eine ganze Weile im öffentlichen Raum „lustwandel[te]n“.1 Sowohl die Rückverwandlung zu „Menschenkindern“ durch Wechsel der Kleidung als auch die Kritik am Tragen von Sportkleidung außerhalb des engeren sportiven Kontextes verweisen auf die Differenz zwischen sportlicher und „nichtsportlicher“ Bekleidung, die seit dem 19. Jahrhundert zunehmend unklarer wurde.

Eine wesentliche Facette dieser Entdifferenzierung besteht in den mannigfaltigen Wechselbeziehungen zwischen Sportbekleidung und Mode, denen das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) eine Ausstellung mit dem Titel „sports / no sports“ widmet. Obwohl es sich beim MKG um kein historisches Museum im engeren Sinne handelt, bietet „sports / no sports“ ausgesprochen anregende Bezugspunkte für geschlechter- und körperhistorische Themenfelder.2 Diese durchziehen die Ausstellung, werden allerdings nur an wenigen Stellen systematisch herauspräpariert. So obliegt es den Besucher_innen, das Gesehene durch Lektüre der Begleitbroschüre und der knappen, historisch kontextualisierenden Wandtexte entsprechend einzuordnen.


Abb. 1: Blick auf das Cluster „Sport“ inklusive Turnbänken, Schwebebalken und aufgeklebter Linien
(Foto: Michaela Hille)

Die Ausstellung, die von Angelika Riley kuratiert wurde, ist noch bis August 2017 in der sogenannten „historischen Turnhalle“ des MKG zu sehen. Dabei handelt es sich um einen zeitgleich mit der Ausstellung neu eröffneten Museumsraum, der Ende des 19. Jahrhunderts tatsächlich als Turnhalle diente. Bereits am Eingang zur Ausstellung fallen die auf den Boden geklebten gelben und weißen Streifen ins Auge, die an den sporträumlichen Flickenteppich moderner Turnhallen erinnern. Innerhalb dieses solchermaßen als sportiv gerahmten Settings sind auf gut 300 qm über 100 Kleidungsstücke versammelt. Hinzu kommen Flachbildschirme, auf denen Videosequenzen von Sport- und Modeveranstaltungen gezeigt werden. So können einige der Exponate gewissermaßen „in Aktion“ beobachtet werden. Die Kleidungsstücke sind überwiegend auf Schaufensterpuppen drapiert, die zum Teil auf weiß gestrichenen Turnkästen stehen. Ebenfalls weiß gestrichene Turnbänke, auf denen man beim Betrachten der Filmsequenzen sitzen kann, und Sprossenleitern, an denen Kleidungsstücke hängen, bieten weitere Bezugspunkte für die ehemalige Nutzung als Turnhalle.

Die Kleidungsstücke sind in vier thematischen Clustern angeordnet, die das Spektrum zwischen Sport und Mode abstecken. An den beiden äußersten Polen dieses Spektrums sind die Cluster „Vor dem Sport“ und „Nach dem Sport“ angesiedelt, die beide die Grenzen der Entdifferenzierung anzeigen und nur wenige (7 bzw. 15) Exponate umfassen. Mit 31 bzw. 53 Exponaten bilden die Cluster „Sport“ und „Sport?“ den Kern der Ausstellung. Zweisprachige Wandaufschriften, die kostenlose Begleitbroschüre und die bereits erwähnten gelben Klebestreifen bieten Orientierung. Auf letzteren sind Kurzinformationen zum Produktionsdatum des jeweiligen Exponats, seine Bezeichnung und die entsprechende Ordnungszahl im Begleitheft gedruckt. Ferner gibt es an den Säulen und Wänden kurze Texte zu historischen und systematischen Aspekten der einzelnen Cluster.

Im ersten Cluster „Vor dem Sport“ sind sieben Kleidungsstücke ausgestellt, die den Zeitraum zwischen dem späten 18. Jahrhundert und den 1970er-Jahren abstecken. Fünf dieser Exponate sind Damenkleider, die allesamt auf recht ähnliche Weise eine als weiblich geltende Silhouette erzeugten. Unabhängig davon, ob es sich um eine „Robe à la française“ von 1775 oder ein Abschlussballkleid von 1959 handelte – in allen fünf Fällen zwang ein Korsett den Oberkörper zusammen und formte die Brüste, während ein weit ausgestellter unterer Bereich breite und abgerundete Hüften suggerierte. Insgesamt ist dieses Cluster wenig überzeugend, da die Auswahl der Exponate etwas willkürlich erscheint und der Zeitraum sehr weit gesteckt ist.

Im umfangreichen Cluster „Sport“ stehen Reiten, Tennis und Schwimmen im Mittelpunkt. Hinzu kommen zwei Turnanzüge sowie zwei Exponate, die dem hochtechnisierten Leistungssport entstammen und einen Blick in die Gegenwart gestatten. Es handelt sich um einen Hightech-Schwimmanzug für Damen und einen Trainingsanzug für Herren, der mittels Elektroden die Muskeln zusätzlich stimulieren kann. Sie bilden den Endpunkt einer gängigen Fortschrittserzählung des Sports, die für die Ausstellung auf die knappe Formel „leichter, kürzer, körpernäher“ gebracht wird. Ihren Ausgangspunkt nimmt diese Erzählung beim Reiten. Vor allem anhand der Wandlungen der Reiterinnenbekleidung wird deutlich, wie sich funktionale Veränderungen in der Reitpraxis – vom Damen- zum Herrensitz – auf die Bekleidung auswirkten. Noch deutlicher als im Falle des Reitsports sind die Exponate zum Schwimmen und zum Tennis auf den weiblichen Sportkörper konzentriert. Geht es bei der Schwimmkleidung (bis hin zu einem dreiteiligen Burkini von 2013) um die Veränderungen im Schamgefühl und die entsprechenden kulturellen Prägungen, steht beim Tennis vor allem das Wechselspiel zwischen Sport und Mode im Fokus.


Abb. 2: Blick auf das Cluster „Sport?“ und Teile des Säulengangs in der „historischen Turnhalle“
(Foto: Michaela Hille)

Das Cluster „Sport?“ ist durch einen Säulengang vom „Sport“ räumlich sehr viel klarer getrennt, als es der schmale Grat zwischen „sports / no sports“ vermuten ließe. Das führt zu einer gelungenen Befremdung, die sich immer wieder dort einstellt, wo man sich fragt, ob dieses oder jenes Exponat nicht doch besser „auf der anderen Seite“ aufgehoben gewesen wäre. Die zentrale These dieses Clusters ist ebenso simpel wie einleuchtend. Seit den 1920er-Jahren lasse sich eine „‚Sportifikation‘ des westlichen Lebensstils“ beobachten. Dieser Prozess wird in fünf Facetten aufgefächert. Zunächst geht es um das Konzept der sportlichen Eleganz, das durch verschiedene Frauenkleider (1925–1980) und anhand von Hosenanzügen vor Augen geführt wird. Vier Hosenanzüge sind nebeneinandergereiht: ein Strandensemble aus den 1930er-Jahren, zwei Modelle aus den 1980er-Jahren und eines von 2007. Wenngleich die großen zeitlichen Lücken ungünstig sind, so ergeben sich zwei interessante Bezüge zu den vorherigen Clustern – erstens zur Bademode, denn es war zunächst dieser Bereich, in dem es für Frauen als schicklich galt, überhaupt Hosen zu tragen. Zweitens tritt die Andersartigkeit weiblicher Hosenmode deutlich hervor. Selbst wenn Frauen Hosen trugen, blieben sie durch die Betonung der Hüften und des Gesäßes als Frauen kenntlich – womit eine Beziehung zum Cluster „Vor dem Sport“ besteht. Die zweite Facette der Sportifikationsthese ist der Komplex Dominanz / Schutz, in dem Oberbekleidung und Kopfbedeckungen versammelt sind. Leider ist das Ensemble der letzteren nicht viel mehr als eine eklektische Zusammenstellung, und zumindest die Badekappe mit integrierter Schwimmbrille dient keineswegs allein dem Schutz. Viel aufschlussreicher ist die ebenfalls als Ensemble gruppierte Oberbekleidung. Mit Schulterprotektoren aus dem American Football ist das sicherlich bekannteste Kleidungsstück hegemonial männlicher Formgebung vertreten.3 Es findet sich inmitten zahlreicher weiterer Kleidungsstücke, die allesamt den Brust- und Schulterbereich verbreitern. Der Begriff „Schutz“ ist dabei auch im übertragenen Sinne zu verstehen, denn es geht nicht nur um den physischen Schutz von Leib und Leben, sondern auch um das durch Oberbekleidung akzentuierte dominante Auftreten, welches außerhalb der Sporträume schützend wirken kann. Im Gegensatz zu den vorherigen Bereichen wird hier nicht nach Geschlechtern getrennt. Inmitten der versammelten Oberteile und Jacken finden sich auch einige aus dem Bereich der Damenbekleidung, sodass die formale Nähe zwischen den verbreiterten Schultern des American Football und den weiblichen „Power Dressings“ der 1980er-Jahre deutlich wird.


Abb. 3: Tom Ford, Paillettenkleid, New York, H / W 2014, Pailletten, Seide, Viskose, Cupro; Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
(© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Die drei weiteren Facetten der „Sportifikation“ spannen ein deutlich hybrideres Feld auf. Da gibt es zum einen Originale und Interpretationen der Bekleidung für die Jagd zu Pferde, womit auch ein interessanter Reiz für den Vergleich mit der Reitmode aus dem „Sport“-Cluster gesetzt wird. Hier geht es jedoch stärker darum, wie die Mode das Original interpretiert, was durch das Nebeneinander eines Herren-Jagdrocks und mehrerer Reiterhosen aus den 1930er-Jahren sowie drei aktuellerer Modelle hervorragend gelingt. Die umfangreiche Sammlung verschiedener Sportanzüge und Trikots führt diesen Gedanken fort; sie zeigt, wie sich die modische Interpretation immer mehr dem Original annähert. In diesem Kontext findet sich auch das schwarze Paillettenkleid des Designers Tom Ford, das im Verbund mit der Zeichnung von Schulterprotektoren aus dem American Football den Titel des Begleitheftes ziert und zudem auf der Website zu sehen ist. Das Paillettenkleid betont die Nähe zwischen Mode, Pop und Sport. Die Beziehung zum Pop erläutert das Programmheft, das auf den Song „Tom Ford“ des Rappers Jay-Z verweist4, welcher bei seiner Tour unter anderem ein mit dem Kleid in Aufdruck und Farbe identisches Jersey trug. Das Kleid ist wiederum für Jay-Zs Frau, die Sängerin Beyoncé, geschneidert. Wenngleich das Paillettenkleid als aussagekräftiges pars pro toto der Verbindung zwischen Mode und Sport gelten kann, verweist es zugleich auf ein wesentliches Manko der Ausstellung: Zwar finden sich sowohl im Begleitheft als auch in den verschiedenen Raumtexten Hinweise auf die Bedeutung popkultureller Einflüsse für die Diffusion des Sports und der Mode, doch spiegelt sich dies im Arrangement der Exponate nicht unmittelbar wider.

Die letzte Facette des hybriden Feldes von Sport und Couture versammelt Beispiele für die Zusammenarbeit zwischen Designer_innen und Sportmarken. Erneut sind es ausschließlich Bekleidungsstücke für Frauen, die diesen Zusammenhang verdeutlichen, nämlich zwei Kleider Yohji Yamamotos, die dieser für „Adidas“ entworfen hat, ein Upcycling-Abendkleid, das Orsola de Castro gemeinsam mit der Schwimmbekleidungsmarke „Speedo“ erarbeitet hat, sowie ein Beispiel aus dem Œuvre Hussein Chalayans. Vor allem letzteres ist bemerkenswert, zeigt es doch die Einflüsse, die dessen Wirken als Designchef des Sportartikelherstellers „Puma“ (2008–2012) auf seine Couture-Kollektion des Jahres 2013 hatte.


Abb. 4: Rei Kawakubo für Comme des Garçons, Hosenkombination und Bluse, Tokio, Kollektion F / S 2015, Wolltuch und Polyesterköper laminiert auf PE-Gewebe, PE-Krepp, Gurtband, Wattierung
(© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)

Zumindest inhaltlich bilden diese Ausstellungsstücke die fließende Grenze zum Cluster „Nach dem Sport“. Dort versammeln sich einige markante Stücke verschiedener Modedesigner_innen, die sich in zwei Kategorien unterscheiden lassen. Da sind zum einen jene Kleidungsstücke, die überwiegend unpraktisch sind, die Bewegungsfreiheit deutlich einschränken und somit einen deutlichen Kontrast zur sportlichen Bekleidung bilden. Interessanterweise ist es eben jener Yohji Yamamoto, Designer für „Adidas“, der mit seinem Holzkleid das offenkundigste Beispiel unpraktischer Bekleidung liefert. Die andere Kategorie umfasst Kleidungsstücke, die bewusst die Körperform ihrer Träger_innen verändern und somit die Frage nach dem Verhältnis zwischen vermeintlich normalen Körpern und Kleidung provozieren. Ähnlich wie das erste Cluster „Vor dem Sport“ wirkt auch „Nach dem Sport“ eher wie ein Anhängsel. Zweifellos schärft es einen Extrempunkt des Spektrums und regt weitere Fragen zum Verhältnis zwischen Mode und Körpern an; die Bindung zum Bereich Sport löst sich hier jedoch vollends auf.

Neben den angesprochenen Kritikpunkten und Leerstellen ist abschließend vor allem zweierlei zu bemängeln. Erstens legen die Texte zur Ausstellung einen dezidiert positiv konnotierten Fortschrittsprozess nahe. Das kulminiert unter anderem in der These, die Sportbekleidung habe zur Aufweichung von Geschlechtergrenzen geführt. Spätestens beim Gang durch die Tennismode wird dies zumindest zweifelhaft, scheinen doch figurbetonende Röckchen eher zur Verstetigung geschlechtsstereotyper Zuschreibungen beizutragen. Zweitens setzen die Exponate samt und sonders „normale“ Körper voraus.5 Die Körper von Menschen mit Behinderung oder fehlenden Gliedmaßen werden ebensowenig zum Thema wie pathologisierte Körperlichkeiten – man denke hier an „zu“ dicke oder dünne Körper. Gleichwohl lohnt der Besuch von „sports / no sports“, denn die Ausstellung der Wechselbeziehungen zwischen Sport und Mode sowie vor allem der darin angelegten körper- und geschlechterhistorischen Implikationen ist Angelika Riley und ihren Kolleg_innen gelungen. Gerade das Arrangement der Exponate – mal neben-, mal durcheinander; mal klar voneinander getrennt, mal mit fließenden Übergängen – provoziert das Nachdenken über die feinen und die nicht so feinen Unterschiede im Kleidungsverhalten.

Anmerkungen:
1 Leserbrief, in: Spiel und Sport 3 (1893), S. 360ff., alle Zitate S. 360. Vgl. hierzu und zum Verhältnis zwischen Bekleidung und Fußball im Deutschen Kaiserreich: Jörn Eiben, Das Subjekt des Fußballs. Eine Geschichte bewegter Körper im Kaiserreich, Bielefeld 2016, S. 217-234.
2 Vgl. exemplarisch Gabriele Mentges, Mode: Modellierung und Medialisierung der Geschlechterkörper in der Kleidung, in: Ruth Becker / Beate Kortendiek (Hrsg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie, Wiesbaden 2004, S. 570-576. Dort findet sich auch weiterführende Literatur.
3 Zum Konzept der hegemonialen Männlichkeit vgl. Raewyn Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen 1999, 4. Aufl. Wiesbaden 2015. Historiographisch: Jürgen Martschukat / Olaf Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten, Frankfurt am Main 2008.
4 <https://www.youtube.com/watch?v=h1lnPaVjIls> (08.02.2017).
5 Das Sprechen über „normale“ Körper ist auch dann noch schwierig, wenn man sie in Anführungsstriche setzt und somit ihren Konstruktionscharakter anzeigt. Allerdings füllen die damit verbundenen Schwierigkeiten mehrere Regalreihen, weshalb an dieser Stelle nur auf die einschlägigen Arbeiten der Münchener Soziologin Paula-Irene Villa sowie auf die 2013 gegründete Zeitschrift „Body Politics“ verwiesen sei.