Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft

Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft

Veranstalter
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH (Bundeskunsthalle), Deutsches Museum
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.10.2017 - 04.03.2018

Publikation(en)

Cover
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft. Dortmund 2017 : Kettler, ISBN 978-3-86206-665-0 335 S., ca. 300 Farb- und SW-Abb. € 35,00 (Museumsausg.), € 45,00 (Buchhandelsausg.)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thorsten Schulz-Walden, Köln

Das Wetter trifft und beschäftigt uns allerorten, direkt oder indirekt und in facettenreicher Gestalt. Wir spüren es als wärmenden Sonnenschein, als prasselnden Regenschauer, in Gestalt einer böigen Brise, eines sichtraubenden Nebels oder eines starken Schneefalls. Das Wetter erheitert, verzaubert, betrübt, macht Freude oder bisweilen auch Angst. Der Smalltalk über das Wetter gehört zum zwischenmenschlichen Standardrepertoire. Neben der individuell-emotionalen Dimension ist das Wetter ein zentraler kultureller Faktor, der unser Alltagsleben und unser Lebensumfeld prägt und zweifellos von existenzieller Bedeutung ist. So sind in Malerei, Film und Literatur Wetterphänomene wie Licht oder Wolken nahezu allgegenwärtig. Ebenso ist das Wetter seit Jahrhunderten Teil naturwissenschaftlicher Betrachtungen, die es immer präziser vermessen und in seinen Ursachen und Interdependenzen beleuchten. Hier ist die Klimawissenschaft als interdisziplinäre Forschung ein aus historischer Perspektive noch recht junger Zweig der Bemühungen, atmosphärische Prozesse und komplexe klimatologische Wechselwirkungen zu erfassen.


Abb. 1: Wetterbeherrschende Gottheiten unterschiedlicher Kulturen zu Beginn der Ausstellung: In den frühen Kulturen galten Wettergeschehen wie Blitz, Regen oder Sonne als Zeichen göttlicher Macht. In der Bildmitte zu sehen ist die fast zwei Meter hohe Stele des Windgottes Quetzalcoatl-Ehecatl, Zentralmexiko, Lava, um 1500.
(Foto: David Ertl, 2017, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Die große Sonderausstellung zu „Wetterkultur und Klimawissenschaft“ ist ein Kooperationsprojekt der Bundeskunsthalle und des Deutschen Museums, das sich thematisch auch in das Programm der 23. Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen (COP23) vom November 2017 in Bonn einbettete. In Fortführung erfolgreicher Ausstellungen zu ähnlichen Sujets1 legen die Kuratoren und Ausstellungsmacher mit dem anspruchsvollen Vorhaben die Messlatte zu dieser aktuellen Exposition hoch an – nicht weniger als die beiden an sich bereits komplexen Themen Klima und Wetter werden in gemeinsamer Perspektive von Kunst, Kulturgeschichte und Wissenschaft vereint. Da das Wettergeschehen erst in Langfristperspektive einen Klimazustand konstituiert, ergab sich die ambitionierte Aufgabe, zwischen den beiden Polen mit musealen Mitteln eine Brücke zu schlagen. Temporäre Wetterereignisse, stabilere Klimaentwicklungen sowie die Rückwirkungen beider auf Natur und Kultur sollen interdisziplinär und gleichwohl nachvollziehbar veranschaulicht werden. Das Kuratorenteam Stephan Andreae, Ralph Burmester und Andrea Niehaus entschied sich zu dem Schritt, Wetter als erlebbares und erlebtes Klima zu erklären, wozu rund 400 künstlerische, kulturgeschichtliche und wissenschaftliche Exponate museal inszeniert werden – ein Vorhaben, das mit viel Professionalität gelingt und beim Betrachter immer wieder für Momente des Staunens sorgt.

Die Einheitsfiktion des Kollektivsingulars „das Wetter“ brechen die Ausstellungsmacher auf zwölf Phänomene herab, deren ästhetische und wissenschaftliche Dimensionen stets gleichrangig verhandelt werden. Der Besucher erlebt durch einzelne Räume hinweg von der Morgendämmerung über Sonne, Luft und Meer, hinüber durch Nebel, Wolken, Regen und Wind, schließlich in Sturm, Gewitter, Schnee und Eis hinein in die Abenddämmerung die Wandlungsfähigkeit und Vielgestalt von Wetter und Klima. Mit dem Gestaltenwandel macht die Ausstellung jedoch nicht vor sich selbst halt, denn die wissenschaftlich-ästhetische Facettierung streift die Hülle des alltäglichen Wetterberichts ab und eröffnet neue Perspektiven. Was es hier zu entdecken gibt, gehört zu den schönsten Überraschungen. Denn entlang der Ankerpunkte der zwölf Wetterphänomene gelingt es in überzeugender Weise, die Schönheit wie auch die Wissenschaftlichkeit eines jeden Elements im größeren Kontext der Geschichte der Meteorologie und des globalen Klimawandels einzuordnen und stimmig zu erzählen.


Abb. 2: Die „Luft“ präsentiert sich in einem geräumigen Ausstellungsbereich mit hohen Decken, sodass selbst ein Wetterballon (Mitte oben, 21. Jahrhundert) und der Nachbau eines Wetterdrachens (links oben, Original zwischen 1920 und 1940 im Einsatz) anzutreffen sind. In der großen, blau umfassten Vitrine wird ein wissenschaftsgeschichtliches Highlight der Sammlung des Deutschen Museums ausgestellt: die Magdeburger Halbkugeln (Eisen, 1663) mit Vakuumluftpumpe (hier der dritte und weiterentwickelte Bautyp, um 1670). Mit den vakuumverschlossenen Halbkugeln gelang Otto von Guericke in den 1660er-Jahren erstmals und reproduzierbar der experimentelle Nachweis eines luftleeren Raumes.
(Foto: David Ertl, 2017, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Kunst, Alltagsgegenstände sowie wissenschaftliche Instrumente unterschiedlichster Herkunft, Datierung und Prägung – der Mix aus geschickt kombinierten Exponaten erzeugt lebendige Kontexte permanenten Wandels. Die eng miteinander verwobenen Erzählstränge der Klimaforschung sowie der künstlerischen, kulturgeschichtlichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Wetterphänomenen überwinden die sammlungsspezifische Trennung der Objekte, wie sie historisch in den Spezialmuseen erwachsen ist. Am Ende steht eine Synthese aus Wissenschaft und Kunst, welche die Wettererscheinungen in „kulturellen Doppelpässen“2 ganzheitlich – und bisweilen auch angenehm assoziativ – präsentiert.


Abb. 3: „Schnee und Eis“: Frostige Temperaturen auf der Straße beim Protest der „68er“ – in der Bildmitte die Lederjacke von Rudi Dutschke. Links davon das „Frierende Mädchen“ (Bronzeplastik, Ernst Barlach, 1916) und eine „Straßenprostituierte im Winter“, letztere gegen die Kälte notdürftig mit übergeworfener Männerjacke bekleidet (Japan, Tusche und Farbe auf Seide, 19. Jahrhundert).
(Foto: David Ertl, 2017, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Die zusammengeführten Objekte erzeugen ausdrucksstarke und anregende Ensembles. Beim Wettergeschehen „Sonne“ fangen Bilder wie „Im Sonnenschein“ (Öl auf Leinwand, Hans Thoma, 1890) Licht, Temperatur und strahlende Farben, aber auch reichlich Schattenwurf ein, womit das Wetterphänomen Sonne künstlerisch verhandelt wird und die hierin evozierten menschlichen Stimmungen wie in einem Brennglas gebündelt sind. Es ist diese Rahmung der Kunst, in der sich die Puzzleteile kulturgeschichtlicher und wissenschaftlicher Provenienzen anordnen und zu einem Ganzen zusammenfinden. Ob Natur und Zeit (Sonnenuhr, Dendrochronologie, Baumscheibe, Holzfragmente), Temperatur (historische Thermometer), Licht und Schatten (Fotografien, Installationen), (Alltags-)Leben oder (Hitze-)Tod (historische Sonnenschirme, Plattencover, Tropenhelm, Fotografie) – am Ende der Betrachtung tritt deutlich zutage, wie Wetter und Klima als Kitt von Natur, Kultur und Wissenschaft wirken und gleichsam alles mit allem in Verbindung setzen, sei es in existenzieller oder auch nur ganz profaner Weise.


Abb. 4: Schwereloses Ensemble historischer Sonnenschirme, alle aus der Zeit um 1900
(Foto: David Ertl, 2017, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Auch der technisch-gestalterische Einsatz in und zu diesen Exponaten und Ensembles ist groß, wie das Beispiel der Tesla-Spule im Faradayschen Käfig im Bereich „Gewitter“ vor Augen führt. Nicht immer ist der betriebene Aufwand so offensichtlich. Meist ist er erst auf den zweiten Blick oder als dezentes Hintergrundgeräusch etwa eines Luftzugs zu erkennen. Wenn etwa in den Räumen der Bundeskunsthalle eine digitale Wetterkarte in Echtzeit europaweite Wetterdaten verarbeitet, bedeutet dies aus musealer und gestalterischer Sicht eine enorme technische Herausforderung. Besucher kennen die digitale Wetterkarte aus den Fernsehnachrichten, weshalb sie als solche im Museum vielleicht nicht überraschen mag – erst bei genauerer Betrachtung ist der hinter derlei Installationen stehende Aufwand zu erahnen. Vor allem aber zeigt es die Verve und Detailgenauigkeit an, mit der die Beteiligten ans Werk gingen und diese Ausstellung bis in solche vermeintlich „kleinen“ Details durchplanten.


Abb. 5: „Wie fühlt es sich an, wenn ein Blitz einschlägt?“ Interaktive Blitzvorführung mit Tesla-Spule in Faradayschem Käfig
(Foto: David Ertl, 2017, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Der Katalog hinterlässt ebenfalls einen stimmigen Gesamteindruck. Die einführenden Texte fokussieren die Leitlinien und die Herangehensweise der Ausstellungsmacher. Ebenso überzeugen die fünf vorangestellten Essays und Interviews zum Klima und Wetter von und mit Wolfgang Wiedlich, Hans Joachim Schellnhuber, Arved Fuchs, Stephan Andreae und Karsten Schwanke, die ein plastisches und mitunter bedrückendes Bild zu den Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels zeichnen. Insgesamt diskutieren die versammelten Beiträge aktuelle Entwicklungen des Klimawandels – auch in historischer Perspektive – sowie neuere Ansätze der Klimaforschung und -politik, setzen diese dabei in teils überraschende Beziehungen und erläutern deren Merkmale in prägnanten, lebensnahen Beispielen. Hierbei halten die Interviews weitgehend den Gesprächscharakter und den lebendigen Erzählfluss aufrecht. Wenn Schellnhuber etwa das gegenwärtig debattierte Geoengineering3, den menschlichen Eingriff in das Wettergeschehen, in seiner Bedeutung zurechtstutzt und dessen Potential zur Rettung der Welt als höchstens drittrangig und unterstützend bewertet, argumentiert er plausibel. Zugleich ist das Interview ganz nah an der Persönlichkeit Schellnhuber, der hierzu nachlegt: „[…] wenn wir die Welt retten, dann ist es mir auch recht, wenn es auf schlampige Weise geschieht“ (Katalog, S. 31). Im Anschluss an die Beiträge gliedert sich der umfangreiche Bildband analog zur Ausstellung in die zwölf Kapitel des „Tageslaufs durch Wetter und Klima“ aus Morgendämmerung, Sonne, Luft, Meer, Nebel, Wolken, Regen, Wind, Sturm, Gewitter, Schnee und Eis sowie Abenddämmerung.


Abb. 6: „Wind“: Fast scheint es so, als stemme sich „Der Reisende“ (Bildmitte, Bronze Ernest Meissonier, spätes 19. Jahrhundert) zu Pferde gegen den Wind, der die Wuchsform des abgelichteten Baumes im Laufe der Jahrzehnte stetig formte (links, Fotografie Pieter Hugo, 2013, sogenannter Windflüchter). Sir Francis Beaufort, Namensgeber der Windstärken-Skala (rechts, Ölgemälde Stephen Pearce, 1850), scheint sich von der stürmischen Szenerie abzuwenden.
(Foto: David Ertl, 2017, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)


Abb. 7: Die Vermessung des „Windes“: historische Windmesser (Anemometer) zur lokalen Messung der Windgeschwindigkeit (u.a. Holz, diverse Metalle, Textil und weitere Werkstoffe, 1880er-Jahre bis 1925). Die Exponate der vorigen Abbildung sind links im Hintergrund zu erkennen.
(Foto: David Ertl, 2017, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Der Ausstellung gelingt es, eine Idee des sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelnden und wandelnden Erfahrungshorizonts von Wissenschaft bei der Auseinandersetzung mit dem Wetter und seinen Systemen zu vermitteln. Hierbei nimmt die Ausstellung vermeintlich „einfache“, aber durchaus komplexe Aspekte des Wetters auf, erfasst sie verständlich und setzt sie in einen breiteren Gesamtzusammenhang. Die Ausstellung löst ein, was sie verspricht. Sie ordnet die Dinge dergestalt, dass sie eine eigene Sprache entwickelt. Auf diese Weise gelingt es, das Wetter und das Klima für den Betrachter einzufangen, das stets Wandelbare und Diffuse dieser Phänomene in der Synthese aus Kunst, Kulturgeschichte und Wissenschaft für den kurzen Moment des Museumsbesuchs greifbar zu machen.4 Kurzum: Die Sonderausstellung über Wetterkultur und Klimawissenschaft ist eine gelungene, auch für Kinder geeignete Präsentation, die mit ihrer ganzheitlichen Perspektive Maßstäbe setzt.

Anmerkungen:
1 „Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft“ ist die dritte Sonderausstellung des Deutschen Museums zu den Folgen menschlichen Handelns für den blauen Planeten. Vorangegangen war das mit dem Rachel Carson Center for Environment and Society erarbeitete Ausstellungsprojekt „Willkommen im Anthropozän. Unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde“ (2014–2016). Siehe dazu die Rezension von Arnošt Štanzel, in: H-Soz-Kult, 14.02.2015, https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-216 (29.01.2018). Das aktuell laufende Vorhaben „energie.wenden“ präsentiert in München 2017/18 die Geschichte(n) der Energiewende: http://www.deutsches-museum.de/ausstellungen/sonderausstellungen/energiewenden/ (29.01.2018).
2 Ralph Burmester, Ein persönlicher Bericht über den „Wetterbericht“, in: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH (Hrsg.), Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft, Dortmund 2017, S. 12f., hier S. 13; zu den Ausstellungszielen siehe u.a. Stephan Andreae, Wie man das Wetter einfängt, in: ebd., S. 10f.
3 Zur mittlerweile auch öffentlich ausgetragenen wissenschaftlichen Debatte siehe exemplarisch: Stefan Parsch, Gefährliche Eingriffe ins Klima, in: Berliner Zeitung, 24.01.2018; Anders Levermann, Warum nicht das Meer wegpumpen?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.2017, S. N 1, http://www.pik-potsdam.de/~anders/articles/FAZ171129_Levermann.pdf (29.01.2018). Aus historischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive siehe jetzt die Tagung „Künstliches Klima. Zur Imaginationsgeschichte des Climate Engineering“, Freie Universität Berlin, 23./24.02.2018, https://www.hsozkult.de/event/id/termine-36215 (29.01.2018).
4 Siehe zum Weiterlesen demnächst auch Birgit Schneider, Klimabilder. Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel, Berlin 2018 (angekündigt für März).