Eine Erinnerung ist eine Erinnerung ist eine Erinnerung?

Eine Erinnerung ist eine Erinnerung ist eine Erinnerung?

Veranstalter
Jüdisches Kulturmuseum Augsburg-Schwaben
Ort
Augsburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.01.2018 - 17.06.2018

Publikation(en)

Cover
Schönhagen, Benigna (Hrsg.): Eine Erinnerung ist eine Erinnerung ist eine Erinnerung?. Judaica aus dem Umfeld der Synagoge Kriegshaber. Berlin 2018 : Hentrich und Hentrich, ISBN 978-3-95565-248-7 174 S., 115 Abb. € 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dirk Schuster, Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft, Universität Potsdam

Während in vielen deutschen Städten im Zuge der Novemberpogrome jüdische Gotteshäuser der Zerstörung durch die Nationalsozialisten anheimfielen, überstanden die Synagoge in Augsburg sowie die Synagoge in Kriegshaber – seit 1916 ein Stadtteil der Fuggerstadt – die Zerstörungsaktionen zumindest in ihrem äußeren Erscheinungsbild. Die Synagoge in der Augsburger Innenstadt wird seit Mitte der 1980er-Jahre als solche wieder genutzt und beherbergt heutzutage zusätzlich das Jüdische Kulturmuseum Augsburg-Schwaben. Demgegenüber hat der Holocaust die jüdische Gemeinde Kriegshaber ausgelöscht, weshalb die vormalige Synagoge, das älteste erhaltene jüdische Gotteshaus Bayerisch-Schwabens, nach 1945 nicht mehr als Sakralbau genutzt wurde. Nach langem Leerstand und umfangreicher Sanierung gehört das Gebäude seit dem Jahr 2014 zum Jüdischen Kulturmuseum Augsburg-Schwaben.

Der Verlust der Sakralfunktion und des Interieurs des Gebäudes bot Anlass für eine Sonderausstellung in der vormaligen Synagoge, welche die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes dem Besucher visuell wieder in Erinnerung ruft. Noch bis zum 17. Juni 2018 präsentiert das Jüdische Kulturmuseum Augsburg-Schwaben unter dem Titel „Eine Erinnerung ist eine Erinnerung ist eine Erinnerung? Judaica aus dem Umfeld der Synagoge Kriegshaber“ 22 Exponate in trichterförmig gestalteten Vitrinen zur linken und rechten Seite des ehemaligen Betraums. Kurzgehaltene Texterläuterungen geben Auskunft über die jeweilige Bedeutung der gezeigten Objekte und deren Verbindung zum Umfeld Kriegshaber. Es handelt sich hierbei nicht ausschließlich um Ritualgegenstände, die von einer aktiven jüdischen Gemeinde Zeugnis ablegen: hierzu zählen beispielweise Tora-Schilder, ein aus dem 18. Jahrhundert stammendes Wasserfass für die rituelle Handreinigung beim Verlassen des Friedhofes oder ein Kiddusch- und Hawdala-Becher, welcher ursprünglich für einen säkularen und erst später für den rituellen Gebrauch im Rahmen der Schabbat-Feierlichkeiten Benutzung fand. Der Becher dient dazu, koscheren Wein zu beinhalten, über den der Segen (Kiddusch) gesprochen wird, der wiederum den Schabbat und hohe jüdische Festtage einleitet. Zum Abschluss der Festlichkeiten (Hawdala) wird abermals der Segen über den Becher, gefüllt mit koscherem Wein, gesprochen.

Neben derartigen Exponaten, welche die religiöse Welt des aschkenasischen Judentums im süddeutschen Raum eindrucksvoll beleuchten, geben einzelne Briefe, ein Erinnerungsfoto der Geschwister Liese und Siegbert Einstein oder ein illustriertes Gebetbuch aus Pergament aus dem späten 16. Jahrhundert Einblick in die Lebenswelt der Juden über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten.


Abb. 1: Foto der Geschwister Einstein
(C) Foto: Liese Fischer, Silver Spring, Maryland/USA

Das einzige Exponat, das aus der beschriebenen Präsentationsanordnung herausfällt, ist der mehr als 3,5 qm große, mit Gold- und Silberstickereien verzierte Parochet – ein Tora-Vorhang – aus dem frühen 18. Jahrhundert, welcher in der Mitte des Raumes präsentiert wird. Mit dem Parochet wurde der Tora-Schrein verhangen, womit die Trennung zwischen sakralem und profanem Raum symbolisch markiert wird.


Abb. 2: Foto eines Tora-Vorhangs
Israel Museum Jerusalem, Stiftung der Familie Moldovan, New York an die American Friends of the Israel Museum, Inv.-Nr. B03.0774
(C) Foto: Israel Museum Jerusalem

Wie die meisten Exponate erzählt auch der Tora-Vorhang seine eigene Geschichte, weil sich die Stifter in solchen Zeremonialobjekten durch Inschriften verewigen ließen. Dem Betrachter wird direkt vor Augen geführt, dass die Stiftung ritueller Gegenstände für den Synagogengebrauch kein ausschließlich religiöser Akt war. Die Verewigung der Stifternamen war gleichzeitig ein Ausdruck innergemeinschaftlicher Aushandlungsprozesse über Stellung und Bedeutung des Stifters und dessen Familie.

Die eigentliche Besonderheit der Wechselausstellung stellt jedoch der Umgang mit der ‚Erinnerung‘ dar, wie der Ausstellungstitel illustriert. Die Exponate kehren nach dem Ende der Schau zu den jeweiligen Leihgebern zurück, wodurch es sich auf den ersten Blick um eine temporäre Erinnerung handelt. Die drei Kuratorinnen Benigna Schönhagen (Leiterin des Jüdischen Kulturmuseums Augsburg-Schwabens), Souzana Hazan (Mitarbeiterin ebenda), sowie Felicitas Heimann-Jelinek (ehemalige Kuratorin des Jüdischen Museums Wien) haben jedoch einen Weg gefunden, die temporäre in eine dauerhafte Erinnerung zu überführen und dennoch das Verschwinden der Exponate aus Kriegshaber zu symbolisieren. So verbleiben die Exponate mithilfe eines Siebdruckes, welcher jedes Exponat auf der dahinterliegenden Wand abbildet, auf indirekte Weise in der ehemaligen Synagoge. Obwohl sie das jüdische Gotteshaus in Kriegshaber wieder verlassen, bleiben sie dauerhaft präsent. Für den Betrachter wird hierdurch die Bedeutung von Verlust und Erinnerung noch einmal verstärkt aufgezeigt, was einen nachdrücklichen Eindruck hinterlässt.


Abb. 3: Siebdruck eines Einhorns
Jüdisches Museum der Schweiz, Basel, Dauerleihgabe des
Freiwilligen Museumsvereins Basel, Inv.-Nr. 1198
(C) Foto: Jüdisches Museum der Schweiz, Basel

Da die Mehrzahl, nicht aber alle Ausstellungsstücke einen direkten Bezug zu Kriegshaber aufweisen, wird die direkte ‚Erinnerung‘ an die Gemeinde und Synagoge aus Perspektive des Rezensenten leicht aufgeweicht. Der Untertitel der Ausstellung weist zwar explizit darauf hin, dass es sich um Judaica aus dem Umfeld der Synagoge Kriegshaber handelt. In diesem Punkt wäre es jedoch eventuell besser gewesen, sich nur auf die Augsburger Vorstadtgemeinde zu konzentrieren, um eine ausschließliche Verbindung der Judaica mit dem Raum, in dem sie präsentiert werden, zu schaffen. Solch kleine Befindlichkeiten trüben aber keineswegs den positiven Gesamteindruck der Ausstellungskonzeption, die es schafft, eine temporäre in eine dauerhafte Erinnerung zu (ver-)wandeln.

Neben der wahrlich gelungenen visuellen Auseinandersetzung mit Erinnerung durch das geschilderte Siebdruckverfahren sei noch der Ausstellungskatalog positiv hervorgehoben, der durchgängig in deutscher und englischer Sprache gehalten ist. Die einleitenden drei Essays erklären leicht verständlich die Bedeutung von Erinnerung im Judentum (Micha Brumlik), die Geschichte jüdischen Lebens im Raum Augsburg (Sabine Ullmann) sowie die Wirkung von Erinnerung aus der Eigenwahrnehmung des Judaica-Sammlers von William L. Gross. Die Begrenzung auf lediglich wesentliche Hinweise zur Konzeption der Ausstellungsmacherinnen, Grußworte etc. rückt die Exponate, die im Katalog detailliert von ihrer individuellen Geschichte aus beschrieben werden, in den Mittelpunkt der Erinnerung an 400 Jahre jüdisches Leben in Kriegshaber.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) Ausstellung
Deutsch
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension