Berlin 1945: Der private Blick

Berlin 1945: Der private Blick

Veranstalter
AlliiertenMuseum e.V. (http://www.alliiertenmuseum.de) (12349)
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12349
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.05.2005 - 04.09.2005

Publikation(en)

AlliiertenMuseum (Hrsg.): Berlin 1945: Der private Blick. Fotografien amerikanischer, britischer und französischer Soldaten. Berlin 2005 : Selbstverlag des Herausgebers 123 S., zahlr. Abb. € 12,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Hesse, Stiftung Topographie des Terrors, Berlin

Unsere historische Erinnerung ist seit langem ganz wesentlich visuell geprägt; Fotografien und deren Gebrauch durch die modernen Bild- und Printmedien gestalten unseren Blick auf die Geschichte. Auch im Kontext der diesjährigen Aktivitäten Berliner Museen und Erinnerungsorte zum 60. Jahrestag des Kriegsendes (<http://www.zwischen-krieg-und-frieden.de>) kommt den Fotoausstellungen eine besondere Rolle zu. Aber wie in den Ausstellungsprojekten zum 50. Jahrestag des Kriegsendes 1995 und in zahlreichen einschlägigen Publikationen konzentriert sich das Interesse auch diesmal auf die Arbeiten der professionellen (Presse-)Fotografen, der „Bildermacher“. Ihre Fotos sind zu Ikonen geworden und beherrschen heute unser Bild des Jahres 1945. Ihre amerikanischen und britischen Urheber, auch die lange Zeit kaum bekannten sowjetischen Fotografen, sind mittlerweile entweder prominent oder schon Legende – wie etwa der vor kurzem mit einer großen Berliner Ausstellung gewürdigte Robert Capa. Viel Aufmerksamkeit gefunden haben auch die deutschen Berufsfotografen der frühen Nachkriegszeit. Für die fotografische Überlieferung Berlins sei hier nur an die Arbeiten von Friedrich Seidenstücker, Fritz Eschen und Henry Ries erinnert.

Im Gefolge der „Wehrmachtsausstellung“ sind auch die privaten Fotografien deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg seit einigen Jahren stärker in den Blick gerückt. Nahezu unberücksichtigt geblieben ist dagegen die private Kriegsfotografie der „Sieger“, der alliierten Soldaten. Einen kleinen Ausschnitt aus dieser vermutlich äußerst umfangreichen, aber kaum systematisch archivierten Überlieferung solcher „Knipserfotos“ erschließt zurzeit eine Sonderausstellung des Berliner „AlliiertenMuseums“. Sie präsentiert knapp 300 Fotos ganz überwiegend privater Provenienz und zusätzlich zahlreiche weitere Erinnerungsstücke aus dem Privatbesitz ehemaliger Angehöriger der westalliierten Streitkräfte im besetzten Berlin des Jahres 1945. 70 Fotos stammen von britischen, 100 von französischen und 130 Fotos von amerikanischen Soldaten. (Auf vergleichbare private und vielfältige andere Formen gesellschaftlicher Erinnerung an den „Großen Vaterländischen Krieg“ in der früheren Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten geht noch bis zum 28. August 2005 die Ausstellung „Triumph und Trauma“ des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst ein. Im Mittelpunkt stehen dort jedoch die von Partei und Staat inszenierten Monumente und Rituale der Kriegserinnerung.)

Wie sah der „private Blick“ dieser Amateurfotografen auf Berlin und die Berliner aus? Wie haben sie die Monate seit dem Juli 1945 erlebt (als die Streitkräfte der Westmächte in Berlin stationiert wurden) und in Fotografien festgehalten? Die Ausstellungsmacher haben sich diesen Fragen durch eine systematische Gliederung typischer Bildmotive und eine weitgehend chronologische Anordnung des Materials genähert. Der Auswahl lag ein Recherche- und Sammlungsbestand von rund 1.000 privaten Fotografien zugrunde. Fünf größere Abschnitte lassen sich in der Ausstellung ausmachen: Zum Auftakt wird der Weg der westalliierten Armeen und ihrer Soldaten nach Berlin dargestellt. Im zweiten Abschnitt, dem eigentlichen Hauptteil, begegnen wir unter dem Titel „Topographie der Trümmer“ jenen Fotos, die vor allem jenseits des militärischen Alltags, meist bei Ausflügen in der Freizeit, entstanden und von den Soldaten häufig besuchte Orte der Trümmerstadt im Bild festhielten. Quasi en passant ist dabei eine kleine Dokumentation der zerstörten historischen Innenstadt Berlins entstanden. Das dritte Kapitel zeigt die „Zeichen der Sieger“, ihre politisch-symbolische Präsenz in der besetzten Stadt, die Siegesparaden, Propagandatafeln und Plakate – das alles in den privaten „Schnappschüssen“ der uniformierten „westlichen“ Besucher. Die alltägliche Lebenswelt der Soldaten, wichtige Momente ihres militärischen und vor allem ihres privaten Alltags skizziert der vierte Abschnitt. Schließlich wird der in den Fotos gespiegelte Blick der Hobbyfotografen auf die Menschen der von ihnen besetzten Stadt anhand einiger Beispiele vorgestellt.

Beim Betreten des Ausstellungsraumes stößt man auf zwei größere, motivisch homogene Bildgruppen. In kleinen Formaten gehaltene, darin den damals gängigen Formaten privater Fotografien ähnliche Reproduktionen zeigen zuerst eine Zusammenstellung mit Einzel- und Gruppenaufnahmen von Soldaten der Westmächte: Männer und auffallend viele Frauen in Uniform, meist Mannschaftsdienstgrade, vereinzelt auch Offiziere, oft vor oder in ihren Quartieren für die Kamera posierend. Dabei wirken viele der Abgebildeten fröhlich, gelöst und entspannt. Der Krieg ist vorbei, siegreich beendet, ich lebe und mir geht es gut – das ist die den meisten Bildern gemeinsame Aussage.

Die zweite Kategorie umfasst Fotos, die auf dem Weg einzelner Einheiten nach Berlin entstanden. Sie zeigen den militärischen Kontext dieser „Reise“ nach Berlin, zum Beispiel die Fahrzeuge und Flugzeuge, die zum Transport dienten, sowie vieles, was den Fotografen auf ihrem Weg begegnete und ihnen ein Foto wert war. Obwohl der Krieg zum Zeitpunkt der Aufnahmen seit fast zwei Monaten beendet war, ist er auf einigen dieser Bilder noch gegenwärtig: Kolonnen heimwärts marschierender „Displaced Persons“, Fahrzeugkonvois, zerstörte Gebäude, auf einer Lokomotive sogar noch eine der zentralen deutschen Propagandaparolen während des Krieges: „Räder müssen rollen für den Sieg“. Davor posieren französische Soldaten mit ernsten Mienen für ein Erinnerungsfoto.

Die nächste Gruppe von Einzelaufnahmen zeigt das Schlachtfeld Berlin. Zerstörte Geschütze und Panzerfahrzeuge der Wehrmacht, abgestürzte Flugzeuge, aber auch ausgebrannte Panzer der Roten Armee wirken einzeln wie Monumente von Gewalt und Tod. Die vor dem Waffenschrott Fotografierten wirken meist ernst und beeindruckt, ganz ohne die ansonsten viel häufiger zu findende Miene aufgesetzter Fröhlichkeit. Fast scheint es, als sei es den Fotografen bei solchen Aufnahmen nicht nur um die Dokumentation des alliierten Sieges über Nazideutschland gegangen, sondern auch darum, sich diesen Sieg, den die Armeen der Westmächte an dieser Front zumindest auf dem Boden nicht direkt mit erkämpft hatten, sozusagen ex post symbolisch anzueignen. Die Fotos hätten vermutlich aber nicht wesentlich anders ausgesehen, wenn ihre Urheber die eigene Nachbegegnung mit den Spuren einer vorhergegangenen Naturkatastrophe hätten ablichten wollen. Fotografiert wurde wahrscheinlich ganz besonders in Reaktion auf eine als relativ einmalig und besonders spektakulär empfundene lokale Situation, die diese Soldaten im zerstörten Berlin vorfanden.

Man begegnet in diesen Bildern keiner spezifisch neuen, privaten fotografischen Sicht des Krieges. Die Fotos sind im Kern touristischer Natur. Sie wurden von Hobbyfotografen in Uniform gemacht, die aus den großen westlichen Demokratien nach Deutschland gekommen waren. Aber sie unterscheiden sich trotzdem nicht signifikant von den „klassischen“ Motiven privater Kriegsfotografie, wie sie etwa auch die „knipsenden“ Soldaten der Wehrmacht von den verschiedenen Fronten in Europa überliefert haben. Auch deren Sujetwahl war in der Mehrzahl, vor allem in den besetzten Ländern West- und Nordeuropas, eine typisch privat-touristische, selbst wenn der nationalsozialistische Vernichtungskrieg Massenerschießungen und öffentliche Erhängungen zum festen Bestandteil dieser privaten Erinnerungsfotografie werden ließ.

So wie deutsche Soldaten in den besetzten Gebieten der Sowjetunion zerstörte Lenin-Statuen oder andere Symbole der vermeintlich geschlagenen Sowjetmacht fotografierten bzw. sich vor ihnen fotografieren ließen und die Fotos dann nach Hause schickten, so treffen wir in dieser Ausstellung ebenfalls auf Fotos der Symbole des zerschlagenen „Dritten Reiches“. Soldaten posieren vor zerschossenen oder herabgestürzten Hoheitsadlern mit dem Hakenkreuz, zeigen sich mit erbeuteten oder erworbenen Hitlerbüsten, imitieren den „Deutschen Gruß“, stellen sich der Kamera an prominenten Orten des NS-Regimes wie etwa vor Speers Neuer Reichskanzlei. Selbst diese Bilder wirken in der Regel wie touristische „Schnappschüsse“. An die Stelle der Reichskanzlei könnte man grundsätzlich auch den Pariser Eiffelturm setzen, so hat es den Anschein. Die meisten Aufnahmen sind technisch amateurhaft und zeigen einen stereotypen Aufbau. Immer wieder fotografiert wird das militärische, halbprivate Milieu, die soldatischen „Kameraden“ – einzeln und in Gruppen, in und vor den Unterkünften, manchmal während des Dienstes, bei Ausflügen, Veranstaltungen, Festen und Vergnügungen. Die äußeren „Settings“ ähneln erneut denen der privaten Knipserfotografie deutscher Soldaten während des Krieges, aber teilweise auch den privaten Erinnerungsfotos jener ausländischen Zwangsarbeiter in Deutschland, die während des Krieges im Besitz von Kameras waren und in ihrer Freizeit fotografieren durften oder sich privat fotografieren ließen. Allen diesen privaten Kriegs- und Amateurfotografen war ihre eigene soziale Bezugsgruppe, waren die Freunde und Kameraden offenbar am Wichtigsten.

Bei den Fotos der Soldaten der westlichen Besatzungsmächte in Berlin ist auffällig, dass weibliche Soldaten wesentlich häufiger im Bild erscheinen, als man es etwa von privaten Fotos der deutschen Seite kennt, die während des Krieges durch Angehörige von Fronteinheiten gemacht wurden. Die Fotos in der Ausstellung zeigen keine „kämpfende Truppe“ mehr, sondern eine Besatzungsarmee mit einem hohen Anteil von Führungs- und Planungsstäben, von Militäradministration, mit einer anderen Logistik und Infrastruktur als im Krieg selbst, damit auch mit einem sichtbar erhöhten Anteil weiblicher Soldaten. Neben den Eindrücken, die das zerstörte Berlin zu bieten hatte, waren die Soldatinnen ganz offensichtlich ein beliebtes Motiv. Auf den lokalen Kontext verweisende, klassische Sieger- und Eroberergesten und typisch männliche Imponiergebärden scheinen sich manchmal in etwas grotesker Weise zu verbinden – wie in dem Foto eines französischen Soldaten, der in halbstarker Manier dem Fotografen und seiner uniformierten Beifahrerin die Kletterfähigkeit seines „Jeeps“, der offenbar für eine Art touristischer Rundfahrt benutzt wurde, auf den Stufen des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt demonstriert.

Überragende Einzelaufnahmen finden sich in der Ausstellung kaum. Vielleicht ist unser Blick mittlerweile doch zu verwöhnt von der stilisierenden Handschrift der professionellen Pressefotografen und deren technischer, teils auch künstlerischer Qualität. Bilder, denen man eine eindeutige politische Aussage zuschreiben könnte, gibt es ebenfalls nur wenige – wie zum Beispiel jenes, das ähnlich gelegentlich auch als Pressefotografie auftaucht und eine Parkbank zeigt, auf der deutlich lesbar noch steht: „Nicht für Juden“. Der Umstand, dass von den drei auf der Bank sitzenden und in die Kamera schauenden britischen Soldaten die Inschrift nicht sitzend verdeckt, sondern für den Fotografen freigelassen wurde, lässt vermuten, dass es hier darauf ankam, ein Monument antijüdischer Diskriminierung zu dokumentieren. Die Mienen der Soldaten demonstrieren jedoch weniger Betroffenheit als vielmehr eine ostentativ unbekümmerte Haltung, wie wir sie typischerweise auf Trophäenfotografien finden: Man grinst in die Kamera. Man nimmt Besitz von diesem kleinen Symbolort der Verfolgung, er existiert nur noch als traurige Reminiszenz, aber die Mienen der britischen Soldaten wirken auf den heutigen Betrachter seltsam deplatziert und ohne Sensibilität. Deshalb kann man sich nicht sicher sein, ob die Fotografierten sich des Symbolwerts der Aufnahme bewusst waren, ob sie verstanden, was dort geschrieben stand – oder ob der Zufall das Foto diktierte.

Das Kapitel „Topographie der Trümmer“ zeigt in einer Zusammenschau die markanten Wegmarken, jene Orte, die für die westalliierten Soldaten besonders anziehend waren. Das war in besonderem Maße der Komplex der Reichskanzlei, aber auch der Reichstag, das Brandenburger Tor, der nahezu unkenntlich gewordene, an Schlachtfelder der Westfront im Ersten Weltkrieg erinnernde, fast baumlose Tiergarten, die Straße Unter den Linden mit dem Hotel „Adlon“, die Ost-West-Achse mit der Siegessäule, das Schloss und die Schlossfreiheit, der Dom, die Universität, das Reichsluftfahrtministerium. Dagegen finden sich merkwürdigerweise keine Fotos der Gebäude des Flughafens Tempelhof, dafür jedoch das Hotel „Kaiserhof“ als Ort der nationalsozialistischen Macht im Wartestand vor dem 30. Januar 1933, erinnernd an Goebbels’ Pamphlet „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“. Es gibt auch ein Foto des Kunstgewerbemuseums in der Prinz-Albrecht-Straße, des heutigen Martin-Gropius-Baues, nicht aber Fotos der Gebäude an den Zentralorten des Systems der Verfolgung und Vernichtung mit der ehemaligen Gestapozentrale in der früheren Kunstgewerbeschule und dem Prinz-Albrecht-Palais als Dienstsitz des Reichssicherheitshauptamtes – Orte, die offenbar für die meisten alliierten Soldaten terra incognita blieben. Der Gendarmenmarkt, der Potsdamer Platz, der Alexanderplatz mit den Berolinabauten, das Olympiastadion wurden hingegen aufgenommen, selten auch Orte in der Stadt, die man im Katalog der Höhepunkte der Stadtbesichtigung zumindest 1945 nicht mehr erwartet hätte, nämlich das noch in Trümmern eindrucksvolle, bei Kriegsende gesprengte Gebäude des Karstadt-Kaufhauses am Hermannplatz.

Aber auch „anonyme“ Ruinenimpressionen gehören zu den häufigen Sujets. Die Fotografen waren ganz offensichtlich beeindruckt und bestürzt über das Ausmaß der Zerstörung, das sie in Berlin vorfanden. Wie die Presse- und professionellen Fotografien entsprechen die hier gezeigten privaten Bilder dem bekannten Tenor vieler zeitgenössischer Berichte, die den Eindruck einer teils wie „antik“ wirkenden Ruinenlandschaft betonten, einer Großstadtwüste vor allem im engeren und erweiterten Zentrum der Stadt. Die größte zusammenhängende Ruinenregion Europas, Karthago, Pompeji – in vielen Einzeleindrücken haben wir diesen Zustand und Beispiele seiner privaten fotografischen Wahrnehmung hier vor uns. In ihrer Wirkung werden die Fotos aber durch die kleinen Formate miniaturisiert und abgeschwächt, während die professionellen Fotografen den Zerstörungseffekt eher noch stilisiert und gesteigert haben.

Die Symbole der Sieger der Schlacht um Berlin sind nicht nur offiziell, sondern auch privat häufig fotografiert worden: das sowjetische Ehrenmal und die dort aufgestellten Wachtposten, die Großplakatwände mit Stalinbildern und sowjetischen Propagandalosungen, riesige Bildtafeln der „Großen Drei“ Churchill, Truman, Stalin. Eindrucksvoll ist das Foto eines amerikanischen Offiziers, der sich mit zwei sowjetischen Offizieren vor einem Stalinbild fotografieren lässt, wobei am Rande ein kleines Mädchen zuschaut – im Mantel, aber barfuß. Während die Anti-Hitler-Koalition auf der Ebene der hohen Politik in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 bereits Risse zeigte, erscheint sie auf den privaten Fotos dieses Zeitraums intakter denn je. Es macht den Eindruck, als hätten auch die sowjetischen Sieger der Schlacht um Berlin für die alliierten Soldaten in gewisser Weise anfangs zu den „Attraktionen“ der Stadt gehört.

Der Blick auf die Berliner fällt quantitativ in dieser Auswahl erkennbar zurück. Die Trümmerbeseitigung durch meist ältere und alte Männer, die „Trümmerfrauen“, der Zeitungsverkäufer, der Leierkastenmann, die alte Blumenverkäuferin, der Scherenschleifer, der Berliner „Schupo“, der alte Schuhputzer – für die alliierten privaten Fotografen waren das offenbar pittoreske Alltagsszenen. Die Menschen auf diesen Fotos wirken sehr alt, verbraucht, matt und müde, resigniert, geschlagen, gegenüber der Kamera skeptisch und distanziert, dabei aber nicht sonderlich misstrauisch oder gar feindselig. Fast scheint es, als seien die Fotografen überrascht gewesen, weil sie sich die Deutschen und die Bewohner der Hauptstadt des „Dritten Reiches“ ganz anders vorgestellt hatten, weil Feindbild und eigene Wahrnehmung auseinanderliefen. Von den Menschen auf diesen Fotos geht ganz offenkundig keine Bedrohung aus.

Neben den Fotos zeigt die Ausstellung auch zahlreiche Erinnerungs- und Fundstücke aus privatem Besitz ehemaliger alliierter Besatzungssoldaten: von einem Besuch in der zerstörten Reichskanzlei mitgebrachte Wunschkartenvordrucke zum Weihnachtsfest (unterzeichnet „Der Führer, Adolf Hitler“), Dienstausweise, andere Souvenirs wie Plaketten und Dienstschilder, damals verwendete Kameras, einzelne Fotoalben, Kleinbildaufnahmen eines amerikanischen Soldaten aus dem Garten der Reichskanzlei – aufgenommen dort, „ where A.H. and Eva Braun might have died“, wie es in der handschriftlichen Bildlegende des Fotografen heißt –, daneben Fotos von Hitlers „private air raid shelter“, ein von Amateuren wie Profis sattsam strapaziertes Bildmotiv eines der turmartigen äußeren Zugänge zum Bunker unter der Reichskanzlei. Es finden sich auch „schöne“ Einzelobjekte wie eine durch ihre Farbigkeit und klassische grafische Gestaltung auffällige „Michelin“-Landkarte des besetzten Deutschland von 1945. Kleine Trouvaillen sind nicht zuletzt die fünf aquarellierten Ansichtskarten, die ein Berliner Postkartenverlag 1945 herausgebracht hatte und auf denen den Berliner Zerstörungsszenen des Jahres 1945 jeweils der Zustand des Jahres 1933 gegenübergestellt wurde. Das Jahr 1945 hatte auf diesen Postkarten sozusagen bereits 1933 begonnen. In Erinnerung bleibt auch der „Falk“-Patentstadtplan Berlins aus dem Besitz eines französischen Soldaten, „mit Darstellung aller Teil- und Totalzerstörungen“, wie es auf dem Umschlag heißt, als habe man vor dem Betreten dieser Trümmerwüste warnen wollen.

Aufgrund ihrer kompakten und übersichtlichen Form der Darstellung kann die Ausstellung insgesamt überzeugen. Ihre klare Gliederung erleichtert den Zugang zum Gegenstand. Schon der Umstand, dass hier ein bisher meist nicht beachteter, aber relevanter Ausschnitt der fotografischen Dokumentation des Jahres 1945 thematisiert wird, der private Blick der Soldaten der westlichen Besatzungsmächte auf die zerstörte Stadt Berlin und ihre Bewohner, gehört gewürdigt. Dass die Autoren nicht den Versuch gemacht haben, den authentischen Gehalt des von ihnen sehr verdichtet vorgestellten Bildbestandes zumindest exemplarisch so deutlich werden zu lassen, wie es eine Komplettansicht eines oder mehrerer Fotoalben oder Konvolute, denen die Fotos entstammen, oder auch einzelner, zusammenhängender Bildsequenzen dem Besucher ermöglicht hätte, muss dagegen als Mangel registriert werden. In welchem Maße haben Auswahl, Systematisierung und interpretierende Akzentuierung durch die Ausstellungsmacher die Zusammenstellung geprägt? Welche konkurrierenden, vielleicht auch gegenzeichnenden Bildaussagen enthält diese fotografische Überlieferung noch? Wie selektiv oder repräsentativ sind zentrale Bildmuster und Sujets hier wiedergegeben? Das bleibt für den neugierigen Betrachter vor Ort leider unüberprüfbar. Zwar bietet eine Multimediapräsentation den digitalen Zugang zu einem Album in technisch ansprechender Form, aber sichtbar sind wieder nur einzelne Fotos, nicht das gesamte Album. Eine Berücksichtigung dieser methodischen Fragen des Umgangs mit Fotos als historischen Quellen in einem gesonderten Ausstellungstext oder in der Begleitpublikation wäre nützlich gewesen.

Das ansonsten informative Buch zur Ausstellung – wie alle Texte des AlliertenMuseums dreisprachig gehalten – liefert neben Erinnerungstexten ehemaliger Soldaten der Westmächte und weiteren, den allgemeinen historischen Hintergrund beleuchtenden Beiträgen auch einen ausführlichen, die Fotos der Ausstellung „lesenden“ Essay Wilhelm van Kampens, des ehemaligen Leiters der Archivabteilung der Landesbildstelle Berlin. Das Begleitbuch gibt große Teile des gezeigten Bildmaterials wieder und ist vor Ort erhältlich. Der Besuch der Ausstellung ist in jedem Fall lohnend.

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