Mit Haut und Haar

Veranstalter
Wien Museum
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
19.04.2018 - 06.01.2019

Publikation(en)

Breuss, Susanne (Hrsg.): Mit Haut und Haar. Frisieren, Rasieren, Verschönern. Wien 2018 : Metro Verlag, ISBN 978-3-99300-322-7 448 S. € 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffi Grundmann, Historisches Seminar, Alte Geschichte, Bergische Universität Wuppertal

Unter dem Titel ‚Mit Haut und Haar‘ zeigt das Wien Museum eine körperhistorische Sonderausstellung, die sich unterschiedlichen Körperpflegepraktiken aus (stadt-)historischer Perspektive widmet. Einerseits gehört sie damit in eine Reihe von Ausstellungen, bei denen bisher insbesondere die Haare und seltener die Haut im Zentrum gestanden haben.1 Andererseits hebt sich die aktuelle von den früheren Ausstellungen und auch von der körperhistorischen Forschung ab2, indem sie Haut und Haar gemeinsam betrachtet und einen lokalhistorischen statt kultur- und epochenübergreifenden Ansatz wählt.


Abb. 1: Ausstellungsansicht ‚Mit Haut und Haar‘, Wien Museum
(© Hertha Hurnaus)

Im Wien Museum werden BesucherInnen in einem überschaubaren Raum auf einem eindeutigen Pfad von Thema zu Thema geleitet. Der Rundgang beginnt und endet mit einem Alphabet, das 26 Einzelaspekte herausgreift und so unterhaltsam wie informativ in den Gegenstand einführt. Dieser erste Teil lenkt die Aufmerksamkeit auf die ökonomische und religiöse Bedeutung des Schönheitshandelns sowie die Bewertungen, die Personen allein aufgrund ihres Äußeren erfahren können. Außerdem veranschaulicht ein anatomisches Modell den Aufbau der Haut und die Verwurzelung der Haare in ihr. Auf diese Weise wird zum einen verdeutlicht, wie Haut und Haar physiologisch zusammenhängen. Zum anderen wird so auch auf ihre daran anknüpfende, äußerlich wahrnehmbare Verbindung hingewiesen, auf der die phraseologische Paarung ‚mit Haut und Haar‘ schließlich beruht.

Dieser Aspekt wird auch in anderen Teilen der Ausstellung aufgegriffen, lenkt aber ihre Konzeption nicht durchgängig: Bart- und Körperhaare wachsen zu lassen, betrifft Haut und Haar gleichermaßen – ebenso wie diese Behaarung zu entfernen oder bewusst zu inszenieren. Denn ob Haare vorhanden und wie sie beschaffen sind, beeinflusst auch die Wahrnehmung der Haut, die dadurch mehr oder weniger sichtbar wird. Diese Haut und Haar verbindenden Themen stehen neben anderen Bereichen, in denen jeweils einer dieser Teile des Körpers in den Vordergrund tritt. So wird zum einen die Entwicklung der Haartracht und des Friseurhandwerks in den Blick genommen und zum anderen die Anwendung von Kosmetika thematisiert.

Insgesamt nimmt jedoch die Frisurengeschichte breiten Raum ein. So unterlagen und unterliegen die Beschaffenheit, Länge und Gestaltung der Haare nicht nur geschlechts- und herkunftstypischen Ausprägungen und Bewertungen, sondern werden auch als sichtbares Zeichen einer sozialen oder politischen Verortung gelesen. Darüber hinaus wird die historische Entwicklung des Wiener Friseurhandwerks und seiner Technik seit dem 18. Jahrhundert ausführlich dargestellt. Die Ausstellung zeigt dazu viele Objekte aus dem Bestand des Wien Museums: Hilfsmittel für die Haarpflege und das Frisieren, allerlei technische Geräte wie Haartrockner oder Trockenhauben, aber auch Karikaturen, Fotoserien aus Schönheits- und Frisiersalons oder Gemälde.


Abb. 2: Herrentoilettetasche der Firma August Sirk (um 1900)
(© Wien Museum)


Abb. 3: Elektrischer Haartrockner ‚Wella‘ (um 1935)
(© Wien Museum)


Abb. 4: ‚Beim Friseur‘ (1835).
(© Wien Museum)

Der lokalhistorische Zugang erweist sich dabei als Glücksgriff: Die Exponate veranschaulichen den Umgang mit Haut und Haar in Wien oder sind dort gebraucht worden. Diese Fokussierung lenkt die Auswahl der Exponate, ohne jedoch die Themenvielfalt einzuschränken. Im Gegensatz zu der verbreiteten Forschungstendenz, eine universale Geschichte der Haare oder der Haut zu schreiben, werden so spezifische Konfigurationen, Entwicklungen und Bedeutungen offengelegt. In einem weiteren Schritt wäre es wünschenswert, diese Ergebnisse mit den Verhältnissen anderswo zu vergleichen, um gemeinsame Entwicklungslinien und jeweils ortsspezifische Unterschiede herausarbeiten.


Abb. 5: Ausstellungsansicht zum Thema ‚Perücken‘ mit Bildmaterial, Wachsbüsten und Conchitas Echthaarperücke
(© Hertha Hurnaus)

Die Ausstellung zeigt auch eine Echthaarperücke aus dem Besitz der österreichischen Siegerin beim Eurovision Song Contest 2014, Conchita Wurst. Dieses Stück unterstreicht den Ansatz der Ausstellung, nicht im Historischen zu verharren, sondern aktuelle Diskussionen anstoßen zu wollen. Dies zeigt sich beispielsweise bei der kritischen Auseinandersetzung mit heutigen Praktiken der Körperhaarentfernung. Allerdings sind nicht-weiße Körper nur am Rande und untergeordnet in die Ausstellung aufgenommen. So werden die Haare Schwarzer Menschen zumindest kurz explizit thematisiert, Schwarze Haut wird hingegen höchstens indirekt behandelt: Eine Bleichmittelwerbung (unkommentiert) abzubilden oder das weiße Ideal einer noblen Blässe zu rekonstruieren, stellt einen impliziten Bezug zum Konstruktionscharakter gerade auch der sogenannten weißen Hautfarbe her, schöpft jedoch das kritische Potential einer konsequent postkolonialen Herangehensweise nicht aus. Auch wenn solche Aspekte in dieser Wiener Geschichte des Schönheitshandelns mit Haut und Haar nicht fokussiert werden, erhalten sie immerhin einen – wenn auch wenig prominenten – Platz.

Der Aufbau und die Gestaltung der Ausstellung sind insofern (fast vollkommen) überzeugend: Sie eröffnet eine Wiener Perspektive auf verschiedene Körperpflegepraktiken, die auf Haut und / oder Haar wirken. Die Ausstellungsobjekte werden anschaulich und anregend präsentiert. Die Texte und die Informationen zu den einzelnen Exponaten ordnen das Gezeigte kompakt und konkret ein. Insofern kann das Fehlen multimedialer Technik als Vorzug gelten: Die Konzentration wird auf die Objekte und die Körper gelenkt, um die es schließlich geht.

Ein Störfaktor ist der besonders breite Raum, der einem einzigen Bärtchen eingeräumt wird: Eine im Verhältnis mit anderen Vitrinen deutlich raumgreifendere Fläche zeigt Adolf Hitler in einer Reihe von Fotos. Der einzige Lichtblick an dieser Stelle des Rundganges ist das Aufblicken zu Elfriede Jelineks Porträt (Xenia Hausner, Oh Wildnis, 1999). Jelinek ordnet ihre Frisur in ihrem Beitrag im Ausstellungskatalog selbst als implizit emanzipatorisch und antinazistisch ein.3 Quer durch den Raum blickt ihr Bild diejenigen kritisch an, die an den Hitler-Bildern verharren. Ihr Blick kann jedoch auch ignoriert werden.

Die wirkungsvolle Beziehung, in der die Exponate in diesem Raum zueinander stehen, geht im linear aufgebauten Katalog naturgemäß verloren. Allerdings ist dies verschmerzbar, da der Beitrag von Friedrich Tietjen das Hitlerbärtchen dort auf nur 10 von 440 äußerst gehaltvollen Seiten behandelt und dabei auch weniger Abbildungen zeigt. Durch das nicht nur darstellende, sondern vor allem analytische Vorgehen ist dieser Artikel weit aussagekräftiger als jene Vitrine und veranschaulicht die politische Bedeutung des in erster Linie mit Männlichkeit assoziierten Bartes.

Der Begleitband ist auch ansonsten gut recherchiert und aufbereitet, versteht sich jedoch nicht als Katalog im engeren Sinne. Vielmehr knüpft er gestalterisch an die Magazine an, die in Frisier- und Schönheitssalons bereitliegen, um die Wartezeiten vor und während der Behandlungen zu überbrücken. Er bietet eine bunte Mischung von Themen und Stilen, neben Interviews und mit Endnoten versehenen Aufsätzen sind so auch literarische und autobiographische Beiträge enthalten. Die Themen reichen von der materiellen Beschaffenheit der Haut und der Haare über die Entwicklung der Perücken- und Frisurmoden seit dem 17. Jahrhundert sowie die (kunst-)historische Einordnung einzelner Exponate bis zur Vorstellung einiger besonders bekannter FriseurInnen bzw. ihrer Salons und der Körperpflegepraktiken, die dort angeboten worden sind.

Diese kleine und insgesamt gut kuratierte Ausstellung unterstreicht die soziale und historische Bedeutung der Körperpflegepraktiken, die auf Haut und Haar einwirken, um sie schön zu erhalten und zu verändern. Da dabei Exponate aus Wien im Zentrum stehen, bietet sie auch einen ersten Einblick in die Stadtgeschichte des Schönheitshandelns und ermöglicht es, ‚mit Haut und Haar‘ verschiedenste Facetten des Themas zu entdecken.

Anmerkungen:
1 Vgl. zum Haar z.B.: Hans Schwarzkopf GmbH Hamburg / Maria Jedding-Gesterling (Hrsg.), Sehnsucht nach Vollkommenheit. Die Sammlung Schwarzkopf in neuem Licht, Hamburg 1995; Museum Bellerive Zürich (Hrsg.), Haare. Obsession und Kunst, Zürich 2000; Herlinde Koelbl: Haare, Ostfildern 2008; Anisha Mülder-van Elten / Anke Wielebski (Red.), Kopfsache. Zur Kulturgeschichte der Haare, Grefrath 2015; Grimmwelt Kassel / Mira Frye / Annemarie Hürlimann / Nicola Lepp (Hrsg.), Im Dickicht der Haare, Berlin 2015; Bart – zwischen Natur und Rasur (Ausstellung im Neuen Museum, Staatliche Museen zu Berlin 2015/16). Vgl. zur Haut z.B.: Ulrich Pohlmann (Hrsg.), Nude Visions. 150 Jahre Körperbilder in der Fotografie, Heidelberg 2009; Gewerbemuseum Winterthur / Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (Hrsg.), Tattoo. 13.02. bis 06.09.2015. Begleitheft, Hamburg 2015.
2 Vgl. zur Haut: Claudia Benthien, Im Leibe wohnen. Literarische Imagologie und historische Anthropologie der Haut, Berlin 1998 (Körper Zeichen Kultur 4); Steven Connor, The Book of Skin, London 2004. Vgl. zum Haar: Howard Eilberg-Schwartz / Wendy Doniger (Hrsg.), Off With Her Head. The Denial of Women’s Identity in Myth, Religion, and Culture, Berkeley 1995; Christian Janecke (Hrsg.), Haar tragen. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung, Köln 2004; Ralf Junkerjürgen: Haarfarben. Eine Kulturgeschichte in Europa seit der Antike, Köln 2009 (Literatur, Kultur, Geschlecht. Große Reihe 52). Vgl. aber Steffi Grundmann, Haut und Haar im Corpus Hippocraticum, in: Antike Naturwissenschaften und ihre Rezeption 26 (2016), S. 9-34.
3 Elfriede Jelinek, Ich muß noch weg, in: Breuss, Mit Haut und Haar, S. 316.

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