AfricaMuseum

Veranstalter
AfricaMuseum
Ort
Tervuren (Belgien)
Land
Belgium
Vom - Bis
09.12.2018 -

Publikation(en)

de Meersman, Min; Sari Middernacht (Hrsg.): Royal Museum for Central Africa. Guidebook. Tervuren 2019 : BAI Publishers , ISBN 978-9-085867-8-45 176 S. € 7,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julien Bobineau, Lehrstuhl für Französische und Italienische Literaturwissenschaft, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Bereits seit mehreren Jahren sorgt das wiedereröffnete AfricaMuseum im Brüsseler Vorort Tervuren (Belgien) national und international für Debatten. Größter Kritikpunkt ist das aus der Kolonialzeit stammende Ausstellungskonzept, das die Institution bis zur zwischenzeitlichen Schließung im Jahre 2013 beibehielt. Ursprünglich wurde das Museum im Anschluss an die Brüsseler Weltausstellung 1897 als Ausstellungs- und Forschungsinstitution vom belgischen König Leopold II. in Auftrag gegeben und im Jahre 1898 eröffnet. Übergeordnetes Ziel der Unternehmung war es, die vorwiegend skeptische belgische Bevölkerung vom geopolitischen, wirtschaftlichen und "zivilisatorisch-philanthropischen" Wert der kolonialen Mission in Zentralafrika zu überzeugen. Das koloniale Afrika erschien in der musealen Präsentation als "unterentwickelter" und "ursprünglicher" Kontinent. Gemäß der kolonialistischen Rechtfertigungsstrategie und pseudowissenschaftlichen Rassentheorien stellte man die Einwohner/innen der Kolonie als "nackte Wilde" dar, die den "weißen" Europäern in biologischer, kultureller und sozialer Hinsicht angeblich unterlegen waren.


Abb. 1: Das Hauptgebäude des umgestalteten AfricaMuseum im belgischen Tervuren
Foto: Julien Bobineau

Die Einbettung des Museums in die belgische Kolonialpropaganda und der Rückgriff auf koloniale Dichotomien wurden ab 1908 verstärkt, nachdem der belgische Staat die Kolonie aus Leopolds II. Besitz übernommen hatte. Bis zum Beginn der 1960er-Jahre blieb das Museum für viele Belgier/innen in der Folge eine der seltenen Möglichkeiten, sich mit der belgischen Kolonie in Afrika bzw. vielmehr einem kolonialpropagandistischen Abbild einer "Modellkolonie" zu beschäftigen. Nach der Unabhängigkeit der heutigen Demokratischen Republik Kongo im Jahre 1960 behielt das Museum seine zum Teil kolonialrassistische Darstellung bis zum Beginn des 21. Jahrhundert bei, wie der Sozialwissenschaftler Jean Muteba Rahier im Rahmen eines Besuches im Jahr 2001 feststellte: „One could almost think that the Congo is still a Belgian colony.”1 Weitere Stimmen folgten, die das überholte Konzept der Institution in der Wissenschaft2 und im Feuilleton3 in Frage stellten.

Nach der anhaltenden Kritik vor allem durch Vertreter der afrikanischen Diaspora in Belgien schloss das Museum im Jahr 2013 seine Türen, um nach umfassender konzeptioneller Neuausrichtung und Umbenennung im Dezember 2018 wiedereröffnet zu werden. Die Museumsdirektion bezeichnete es bereits im Vorfeld der Neueröffnung als größte Herausforderung, „dem Besucher in einem als Kolonialmuseum konzipierten Gebäude ein entkolonialisiertes, zeitgenössisches Bild von Afrika zu bieten“.4 Das Hauptgebäude, das im Jugendstil konstruiert ist, wurde als zentraler Ausstellungsraum beibehalten und durch einen modernen, komplett-verglasten Pavillon ergänzt, der den Empfangsbereich, einen Museumsshop und ein Restaurant beherbergt. Nach der Durchquerung einer unterirdischen Galerie gelangen die Besucher/innen in den Keller des Hauptgebäudes und werden in eine Einführungsgalerie geleitet. Hier sind eine erste Übersicht der Dauerausstellung, der digitale Sonderbereich AfricaTube sowie ein Depotraum mit aussortieren Statuen zu sehen. Im Erdgeschoss des Hauptgebäudes können Besucher/innen die Dauerausstellung betrachten, die in insgesamt fünf Themenbereiche untergliedert sind: Sprachen und Musik, Landschaften und Biodiversität, Ressourcen & Rohstoffe, Kolonialgeschichte und Anthropologie. Hierneben bietet das Hauptgebäude ein Dokumentationszentrum namens Afropea, den Transit-Memory-Übergang, einen Raum, der für Sonderausstellungen vorgesehen ist, den Saal der Krokodile, der als "Museum im Museum" gemäß seiner originalen Konzeption in den 1920er-Jahren aufgebaut ist, sowie eine Rotunde und den innen gelegenen Rundgang.


Abb. 2: Im sogenannten "Depot" werden zu Beginn der Daueraustellung aussortierte Statuen und Objekte gezeigt
Foto: Julien Bobineau

Das museumsdidaktische Konzept umfasst in den Ausstellungsräumen zu den fünf Themenbereichen und der Sonderausstellung eine variable Kombination aus Text-Bild-Tafeln, ausgestellten Exponaten, Wandbildern und -karten sowie Beamer-Projektionen mit Audioausgabe und Touch-Screen-Bildschirmen, die mit der Unterstützung von Infrarot-gesteuerten Kopfhörern individuell durch die Museumsbesucher/innen bedient werden können. Darüber hinaus bieten die meisten Ausstellungsräume interaktive Objekte wie etwa Mikroskope, Trommeln oder auch Virtual Reality-Brillen. Der erste Themenbereich Sprachen und Musik umfasst zu Beginn die Darstellung von Informationen zu vereinzelten Sprachen in Zentralafrika, die im Anschluss durch einer Präsentation von international bekannten Autoren aus der Demokratischen Republik Kongo, Rwanda und Burundi sowie durch die Projektion eines Zusammenschnitts kongolesischer Filme flankiert wird. Die Ausstellung von Musikinstrumenten, die als "traditionelle" Kommunikationsmittel inszeniert werden, läutet den Übergang in die musikalische Sektion ein, die im sogenannten Studio Rumba zu den Klängen moderner Popmusik aus dem Kongo ihr Ende findet.

Den Übergang zur Sonderausstellung und dem zweiten Themenbereich bilden das Dokumentationszentrum Afropea, das die Geschichte(n) der afrikanischen Diaspora in Belgien erzählt, sowie der Transit-Memory-Raum, der die Urbanität der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa in Fotografien abbilden soll. Die Sonderausstellung unter dem Titel Unvergleichliche Kunst zeigt kongolesische Werke aus den Bereichen Maskenbildnerei, Bildhauerei sowie Elfenbeinschnitzerei (Stand: März 2019). Der zweite Themenbereich Landschaften und Biodiversität baut maßgeblich auf den ausgestellten tierischen Exponaten auf, die in Form von präparierten Insekten, Reptilien, Vögeln, Fischen und Säugetieren wie bspw. Spinnen, Schmetterlingen, Pfauen, Zebras, Giraffen und Elefanten präsentiert werden. Der Rundgang führt hiernach durch die Rotunde, in welcher sich bis 2013 der Haupteingang des Museums befand. Im dritten Themenbereich Ressourcen & Rohstoffe wird die Diversität in Bezug auf natürliche Rohstoffe, Bodenbeschaffenheit und Wirtschaftszweige unterstrichen. Es folgt ein kleiner Kinosaal, der die koloniale Filmpropaganda beleuchtet und damit gleichsam in den vierten Themenbereich der Kolonialgeschichte überleitet, der durch die Passage des Mineralienkabinetts und des Saals der Krokodile erreicht werden kann.


Abb. 3: Der "Saal der Krokodile" aus den 1920er-Jahren ist als "Museum im Museum" gedacht, wird jedoch nur schwach kontextualisiert
Foto: Julien Bobineau

Im kolonialhistorischen Raum erhalten Besucher/innen Informationen über die Inbesitznahme des Kongo als Privatkolonie durch König Leopold II., die anschließende belgische Kolonialzeit, die Unabhängigkeit sowie die weiteren Entwicklungen im nachkolonialen Zeitalter. Den Abschluss des Rundgangs bildet der Themenbereich für Anthropologie mit den Schwerpunkten Erziehung, Heirat und Tod, der neben einer großen ethnographischen und archäologischen Objektsammlung versucht, Kongolesen/innen mithilfe von Videoprojektionen in den Fokus zu rücken.


Abb. 4: Im Themenbereich "Sprachen und Musik" kommen kongolesische Autoren/innen und Musiker/innen in multimedialen Projektionen zu Wort
Foto: Julien Bobineau

Auch wenn die ständige Ausstellung deutlich modernisiert wirkt, so müssen einige Aspekte kritisch hinterfragt werden, insbesondere vor dem Hintergrund aktuell laufender Restitutionsdebatten in Europa.5 Ein großer Teil der insgesamt ca. 7,5 Millionen museumseigenen, aber nur teilweise ausgestellten Exponate wurden in der Kolonialzeit "erworben". Vielfach ist eine legale Beschaffung nicht unzweifelhaft nachweisbar; ebenso wenig wird im AfricaMuseum auf die einst illegale, koloniale Beschaffungspraxis hingewiesen. Im Gegenteil: Die Betonung des AfricaMuseum, wonach man das „Kulturerbe der Menschheit“ – als Synonym für Objekte aus Zentralafrika – "sammle" und "verwalte", wirkt wie eine Abwehrhaltung gegenüber jeglichen Diskussionen um Restitution. Lediglich im Themenbereich Anthropologie informiert eine Texttafel nebst ausgestelltem Grabschmuck darüber, dass man sich nicht sicher sei, woher die Exponate stammten, und dass sich das Museum für eine mögliche "Entweihung" entschuldige. Hier stellt sich die Frage, warum die Kurator/innen auf die Ausstellung eben jener Objekte nicht gänzlich verzichteten. Ähnliche Fragen werden in Bezug auf den Depotraum aufgeworfen: Man hat die vielfach kolonialrassistischen Statuen bewusst aus dem Kontext der Dauerstellung entfernt, um diese zu Beginn des Rundgangs schließlich in einem als Abstellkammer inszenierten Depot zu zeigen – mit einer deutlich unzureichenden Kontextualisierung.

Vergleichbar wenig kontextualisiert erscheinen auch die Sonderausstellung Unvergleichliche Kunst sowie der Saal der Krokodile, die zusammen wie eine Zeitreise in die Kolonialära der 1920er-Jahre wirken. Der Sprachduktus der Texttafeln und die Auswahl der Objekte erzeugen in der Summe einen deutlich exotisierenden Blick, dem man rasch koloniale Ursprünge unterstellen könnte. Auch der auffallend übermäßige Fokus auf die Tier- und Pflanzenwelt Zentralafrikas – der Themenkomplex Landschaften und Biodiversität nimmt den meisten Platz innerhalb der Dauerausstellung ein – hat etwas mit den vergangenen Ausstellungen des AfricaMuseum gemein, zumal die allermeisten präparierten Tiere während der Kolonialzeit aus den Kolonien nach Belgien gebracht wurden. Dass die Abstammung des Menschen vom Affen in dieser Sektion des Museums verhandelt wird, wirkt vor dem Hintergrund längst überholter Rassentheorien, welche die Bewohner/innen Afrikas mit Makaken verglichen, durchaus deplatziert. Die Ausstellung von Kunstobjekten aus Elfenbein, Schlangenleder und Materialien anderer geschützter Tierarten bleibt auch weiterhin fragwürdig. Der Themenbereich Kolonialgeschichte ist darüber hinaus unterkomplex und weist deshalb eklatante Leerstellen auf, die zu einem unvollständigen Geschichtsbild führen: So bleibt beispielsweise unerwähnt, dass Angehörige des belgischen Geheimdienstes die Erschießung des kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba am 17. Januar 1961 in Katanga befehligten. Zudem wird die postkoloniale Zeitgeschichte und der neokoloniale Einfluss "westlicher" Staaten auf Zentralafrika nur unzureichend wiedergegeben.


Abb. 5: Die Sonderausstellung "Unvergleichliche Kunst" zeigt Kunsthandwerk aus der Kolonialzeit, ohne auf die Provenienz der Objekte hinzuweisen
Foto: Julien Bobineau

Einige wenige Ansätze einer kritischen Selbstreflexion sind dem AfricaMuseum letztlich zugutezuhalten: Laut eigenen Angaben habe das Museum bei der Neugestaltung versucht, die in Belgien lebende kongolesische Diaspora und Kongolesen/innen zu integrieren. Den als kolonialrassistisch klassifizierten Skulpturen von Arsène Matton in der Rotunde wird eine antikoloniale Installation des kongolesischen Künstlers Aimé Mpane gegenübergestellt. Die intensive Aufklärung im Hinblick auf die belgische Kolonialpropaganda mit einem Schwerpunkt Kolonialfilmen in den 1940er- und 1950er-Jahren erscheint selbstreflexiv. Auch der nachträgliche Hinweis auf die millionenfachen, kongolesischen Todesopfer, die auf den Gedenktafeln für die belgischen "Pioniere" im innengelegen Rundgang nicht genannt werden, ist positiv zu bewerten. Letztlich überzeugt der Museumsshop mit einer großen Auswahl an wissenschaftlichen Publikationen, darunter auch solche Werke, die das Museum selbst oder den belgischen Staat als Kolonialakteure kritisieren.

Ein Fazit fällt in der Folge zwiespältig aus: Während zaghafte Ansätze einer kritischen Aufarbeitung der eigenen (Kolonial-)Museumsgeschichte zu erkennen sind, wird an vielen anderen Stellen eine erschreckend große Nähe zu längst überholten und zum Teil kolonialistischen Afrika-Bildern sichtbar, die nach einer fünfjährigen Umbauphase in dieser ausgeprägten Form durchaus nicht zu erwarten war.

Anmerkungen:
1 Jean Muteba Rahier, The Ghost of Leopold II: The Belgian Royal Museum of Central Africa and Its Dusty Colonialist Exhibition, in: Research in African Literatures 34/1 (2003), S. 58-84, hier S. 62.
2 Vgl. z.B. Véronique Bragard / Stéphanie Planche, Museum practices and the Belgian colonial past: questioning the memories of an ambivalent metropole, in: Dominic Thomas (Hrsg.), Museums in Postcolonial Europe. Africa and the Black Diaspora, London 2010, S. 54-64; Marouf Hasian, Colonial Amnesias, Photographic Memories, and Demographic Biopolitics at the Royal Museum for Central Africa (RMCA), in: Third World Quarterly 33/3 (2012), S. 475-493.
3 Vgl. z.B. Sonja Zekri, In der Kolonialzeitmaschine. Die Umgestaltung des ‚Musée Royal de l’Afrique Centrale‘ provoziert die Belgier, in: Süddeutsche Zeitung, 23.08.2003, S. 11; Andreas Platthaus, Auf dem Kreuzzug des Fortschritts. Belgien stellt sich seiner Kolonialvergangenheit, doch die große Kongo-Ausstellung im Museum von Tervuren fällt zwiespältig aus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.03.2005, S. 33.
4 AfricaMuseum, Die Renovierung des AfricaMuseums. Tervuren 2019, in: AfricaMuseum, https://www.africamuseum.be/de/discover/renovation (02.04.2019).
5 Vgl. z.B. den für Emmanuel Macron verfassten Bericht von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr, der ca. 90.000 Objekte benennt, die aus kolonialen Kontexten stammen.

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