Die Vernichtung der "Unbrauchbaren"

Die Vernichtung der "Unbrauchbaren"

Veranstalter
Gedenkstätte für Opfer der NS-"Euthanasie", Bernburg
Ort
Bernburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.09.2018 -
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yvonne Kalinna, Gedenkstätte Buchenwald

Mit der bereits im September 2018 eröffneten Ausstellung Die Vernichtung der „Unbrauchbaren“ nimmt sich die Gedenkstätte für Opfer der NS-„Euthanasie“ Bernburg als eine der wenigen Einrichtungen im deutschsprachigen Raum des schwierigen Themas der gesundheits- sowie rassenpolitisch begründeten Tötung von hilfebedürftigen Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus an.1 Als Gedenkstätte am historischen Ort erhalten, befindet sich die Einrichtung gegenwärtig auf dem Gelände des Fachklinikums für Psychiatrie der Salus gGmbH in der sachsen-anhaltischen Kleinstadt Bernburg. Die Ausschilderung in der Umgebung sowie auf dem Areal des Klinikums ist dementsprechend zurückhaltend. Im Außenareal der Nervenheilklinik geben ein Gedenkstein sowie eine Infotafel zu „Frauen Orten“ Hinweise auf die einstigen Geschehnisse. Aufgrund der historisch bedingten Lage sowie der aktuellen Einbettung auf dem Areal des Klinikums werden die Angebote der Gedenkstätte vor allem von angemeldeten Gruppen genutzt.

Die Räumlichkeiten der Bernburger Gedenkstätte befinden sich im sogenannten Griesinger-Haus, benannt nach dem einstigen Psychiater Wilhelm Griesinger, und erstrecken sich dort über das Kellergeschoss sowie einen Teil der ersten Etage. Während die erste Etage zum Arbeitsbereich für Mitarbeiter/innen sowie zu Räumlichkeiten für Seminare und kleinere Wechselausstellungen umgestaltet wurde, blieben die beengenden Kellerräume in ihrer Baulichkeit nahezu unberührt. Hier, wo von 1940 bis 1943 etwa 14.000 Menschen aufgrund psychischer oder physischer Besonderheiten nach nationalsozialistischem Maßstab als krank, behindert und sozial auffällig bewertet und schließlich getötet worden waren, findet sich nun die neue Dauerausstellung wieder.


Abb. 1: Blick in den Themenbereich der Dauerausstellung Die Vernichtung der „Unbrauchbaren“
(private Aufnahme Y. Kalinna, Bernburg 2018)

Das Gros der neuen Ausstellung erstreckt sich über die Gesamtlänge des Kellerganges. Mit ihrer überschaubaren Architektur fordert sie die Besucher/innen dazu heraus, die Tafelausstellung vom Anfang bis zum Ende des Raumes geradlinig abzulaufen. Doch während im Eingangsbereich noch die von einer historiografischen Ausstellung gewohnte Chronologie beinahe erfüllt wird – zur Exposition wird hier über die Bedeutung der „Euthanasie“ im Nationalsozialismus sowie über die Historie der in Bernburg 1875 eingerichteten Anstalt informiert –, wird mit der erwarteten Inszenierung inhaltlich sowie gestalterisch im nächsten Abschnitt gebrochen. Stattdessen führen die im Übersichtsplan empfohlenen Rundgänge die Besucher/innen von den großflächigen Ausstellungstafeln der Themenbereiche weg, hinein in die historischen Räume: Gaskammer, Sektionsraum, Leichenraum, Krematorium.


Abb. 2: Blick in die Historischen Räume aus Richtung des Krematoriums- / Gedenkbereiches
(private Aufnahme Y. Kalinna, Bernburg 2018)


Abb. 3: Blick in die einstige Gaskammer
(private Aufnahme Y. Kalinna, Bernburg 2018)

Der Kontrast, der sich beim Betreten der Räumlichkeiten ergibt, könnte größer nicht sein. Anders als die in verschiedenen Grün- und Grautönen gestalteten Themenbereiche im Korridor, die mit einer Vielzahl von präzise formulierten Texten, faksimilierten Archivalien, Fotographien und schematischen Darstellungen über allgemeine Entwicklungen, konkrete Situationen und vor Ort in Erscheinung getretene Akteur/innen informieren, wirken die in hellem Beige belassenen Räume leer und unangetastet. Abgeblätterte Farbe, deutliche Spuren von Wasserschäden oder einstigem Schimmelbefall, suggerieren, dass hier nichts verändert und während der Neugestaltung überarbeitet wurde, sondern authentische Ursprünglichkeit erhalten blieb. Die wenigen Tafeln, die an den kargen Kellerwänden dennoch beinahe übersehen werden könnten, informieren über die Räumlichkeiten und spezifizieren einzelne Bereiche als Standort für Gasflaschen oder als Aufenthaltsraum. Knapp kommentieren sie den Gebrauch der Bereiche während der Jahre 1940 bis 1943 sowie deren Nachnutzung bis in die 1980er-Jahre. Unweigerlich stellt sich durch diese extreme Reduzierung auf wenige Infotafeln sowie einzelne Überreste beim Durchschreiten dieses Ausstellungsbereiches Beklommenheit ein.

Als letzten der historischen Räume, bevor zurück in den Themenbereich gelangt werden kann, durchqueren die Besucher/innen das zum Gedenkbereich umgestaltete Krematorium. Hier erhalten die Opfer der ehemaligen Bernburger Anstalt ein Gesicht; soweit dies überhaupt möglich ist. Denn die Portraitmatrix des hintergründig beleuchteten Wandpaneels ist mit einer Vielzahl von Leerstellen bereits ausreichendes Indiz dafür, was mit der angebotenen „Spurensuche“ über eine Touchscreen-Station hervorgehoben wird: Aufgrund der schlechten Quellenlage kann nicht jedes Opfer benannt, nicht jede Herkunft, jede Identität sowie alle Umstände, die zum Transport in die „Euthanasie“-Anstalt Bernburg führten, aufgeklärt werden.


Abb. 4: Krematoriums- / Gedenkbereich mit Portraitmatrix auf Wandpaneel sowie Touchscreen-Station „Spurensuche“
(private Aufnahme Y. Kalinna, Bernburg 2018)

Dort, wo sich jedoch Hinweise haben sammeln lassen, gibt die Präsentation den Besucher/innen einen erstaunlichen Einblick in die Biographien der Männer und Frauen, die aufgrund der rigoros umgesetzten menschenverachtenden NS-Gesundheits- und Rassepolitik getötet wurden. Mit dem interaktiven Display geben die Ausstellungsmacher/innen eben nicht nur Einblick in jene Umstände, die zur Organisation der Ermordungen in der einstigen „Heil- und Pflegeanstalt“ Bernburg geführt hatten. Mit den Beschreibungen und gezeigten Dokumenten gelingt es vielmehr, dem Lebensalltag der Getöteten sowie ihrer Angehörigen nahe zu kommen. Gerade mit diesem Benennen der Einzelschicksale wird sichtbar gemacht, wie leichtfertig und gnadenlos Menschen der NS-Ideologie zum Opfer gefallen sind.


Abb. 5: Panoramaaufnahme vom Krematoriums- / Gedenkbereich mit Totenbuch (links) sowie Portraitmatrix (rechts); im Hintergrund Durchgang zum Themenbereich im Korridor
(private Aufnahme Y. Kalinna, Bernburg 2018)

Mit den Eindrücken der Einzelschicksale und den Beschreibungen jener gesundheitlichen Umstände, die zu ihrer Verbringung in die Bernburger „Heil- und Pflegeanstalt“ führten, kehren die Besucher/innen aus den Gedenkräumen zurück in den Ausstellungsbereich. Im Themenbereich „Die Vorgeschichte bis 1939“ wird zunächst auf das sich wandelnde Verständnis im Umgang mit kranken und bedürftigen Menschen ab 1900 eingegangen. Dabei wird ein Einblick gegeben, wie sich die zunächst mehrheitlich ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber der aktiven Sterbehilfe innerhalb weniger Jahrzehnte hin zur Befürwortung und Unterstützung der NS-Gesundheits- und Sozialpolitik entwickeln konnte. Vor dem Hintergrund dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen werden im darauffolgenden Ausstellungsabschnitt „Die ‚Euthanasie‘-Anstalt in Bernburg“ schließlich die konkreten Ereignisse in der Bernburger Einrichtung genauer in den Blick genommen. Neben der Rekonstruktion organisatorischer Strukturen sowie der Benennung persönlicher Verantwortungsträger/innen, die für die Durchführung der Ermordungen sorgten, wird hier ein zweites Mal versucht, eine persönlichere Nähe zu den Opfern aufzubauen, indem die einzigen vermutlich aus der Zeit stammenden Objekte ausgestellt werden: Briefe, in denen die Angehörigen nach dem Wohlergehen des Bruders, Vaters oder Onkels fragen. Für die hauptsächliche Erzählung hingegen behalten die Ausstellungsgestalter/innen die prägnant kurze Textgestaltung bei, die durch das Angebot einer zusätzlichen Vertiefungsebene, bestehend aus faksimilierten Fotographien, Zitaten und biografischen Skizzen erweitert wird.


Abb. 6: Panoramaaufnahme des thematischen Abschnittes „Die ‚Euthanasie‘-Anstalt in Bernburg“ mit den an Max Roth, Theodor Brief, Leiser Ehlbaum sowie Huga Adler gerichteten Briefen (Mitte)
(private Aufnahmen Y. Kalinna, Bernburg 2018)

Zum Abschluss der Ausstellung wird in einem kleinen Nebenraum des Korridors der Themenbereich „Die Nachkriegszeit“ (zeitlich etwas weiter gefasst) präsentiert. Hier belassen es die Initiator/innen der Ausstellung jedoch nicht dabei, allein auf die Strafverfolgungsprozesse in sowjetischer Besatzungszone und DDR einzugehen, sondern weisen auch auf die Historie des Erinnerungsortes hin, um dessen Einrichtung sich bereits ab Beginn der 1950er-Jahre bemüht wurde.

Insgesamt handelt es sich bei der neu gestalteten Dauerausstellung der Bernburger Gedenkstätte für die Opfer der NS-„Euthanasie“ um eine sehr klar strukturierte sowie übersichtlich gestaltete Präsentation, in der die Gestaltungstechnik und die Ausstellungsmedien nicht um die Aufmerksamkeit der Besucher/innen konkurrieren. So führen die sachlich eindeutigen, aber durchaus auch gewalttätige Szenen beschreibenden Kurztexte an die für Gedenkstätten mit nationalsozialistischem Bezugspunkt üblichen Ausstellungsthemen – allgemeinerer historischer Kontext, konkreter örtlicher Kontext, Opfer- und Täterbiographien, Aufarbeitung – pietätvoll, aber eindrücklich heran. Den stark einschränkenden örtlichen Gegebenheiten zum Trotz gelang es den Initiator/innen durch die Gestaltung der vorgeschlagenen Rundgänge – die sich lediglich durch die Begehung der einstigen Gaskammer unterscheiden –, im Ausstellungsnarrativ eine wichtige Priorität zu verankern: Zunächst gilt es, an die in Bernburg Ermordeten zu erinnern sowie ihnen zu gedenken; erst hiernach ist danach zu fragen, wie es dazu kommen konnte.

Anmerkung:
1 Bisher gibt es im deutschsprachigen Raum Gedenkstätten für die Opfer der Euthanasie-Morde in Brandenburg an der Havel (http://www.stiftung-bg.de/doku/neues/neues_m1.htm), in Grafeneck (http://www.gedenkstaette-grafeneck.de) in Hadamar (http://www.gedenkstaette-hadamar.de/webcom/show_article.php/_c-1159/i.html), in Pirna-Sonnenstein (http://www.pirna-sonnenstein.de) und im österreichischen Hartheim (http://schloss-hartheim.at/index.php) sowie den zentralen Gedenkort T4 in Berlin (https://www.t4-denkmal.de).

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