Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie

Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie

Veranstalter
Deutsches Historisches Museum
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.04.2019 - 22.09.2019
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Grisko, Erfurt

Schon bei der Einfahrt mit dem ICE nach Berlin-Südkreuz sieht man großflächig die Plakate, die für die beiden Ausstellungen „Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie“ und das „Demokratie Labor“ im Deutschen Historischen Museum werben. Namensgeber für den historischen Teil ist das 1920 von Hans Kelsen publizierte gleichnamige Buch. Es bildet zugleich den Aufhänger für die im zweiten Stock des Pei-Bau untergebrachten Exponate zur Weimarer Republik. Das Demokratie-Labor, ein auf Interaktivität und Gegenwart ausgelegter Raum, der die Besucherinnen und Besucher herausfordert, indem er aktuelle Fragestellungen unserer Gesellschaft und des Zusammenlebens zuspitzt, befindet sich abgetrennt ein Stockwerk tiefer.


Abb. 1: Weimar: Vom Wesen und Wert der Demokratie
(© Deutsches Historisches Museum / David von Becker)

Kaum eine Ausstellung zur Weimarer Republik oder zum ebenfalls 100-jährigen Jubiläum des Bauhaus kommt ohne die Frage nach dem Wert der Demokratie in der und für die Gegenwart aus. Das Demokratie-Labor ist ein neuer Ansatz. Dennoch sei schon hier die Feststellung erlaubt, dass die Ausstellungsmacher nicht mehr Demokratie wagten, und beide Ausstellungen, die auch im Design nicht unterschiedlicher sein könnten, zugleich räumlich eng miteinander zu verzahnen. Das ist – ebenso wie die direkte Verlinkung der Dauerausstellung im Hauptgebäude – eine vertane Chance. Doch der Reihe nach.

Ausgerüstet mit dem Audioguide, dessen Texte gut erklärend, auf Wunsch vertiefend, durch die Räume führen, fühlt man sich beim Eintritt an die zunächst in der Bonner Bundeskunsthalle und schließlich in Berlin gezeigte Ausstellung „Kino der Moderne“1 erinnert: Baugerüste, die den Raum strukturieren, an denen zeitgenössische Plakate, einige ausgewählte Objekte – von Maschinengewehren über installierte Küchen bis hin zu zeitgenössischen Gemälden – und Texttafeln angebracht sind. „Der Verzicht auf geschlossene Wandflächen erzeugt eine Offenheit und versinnbildlicht, dass Demokratie kein starres System ist, sondern Kontroversen und Kompromisse, Bewegung und Veränderung bedeutet“, so die Ausstellungsmacher in der Pressemappe. Es ist wohl mehr Wunsch als Wirklichkeit, denn ein Gerüst zielt eher auf Stabilität und Sicherheit am Bau, luzide ist der Stahl in keinem Fall. Die Architektur strukturiert die Ausstellung, gibt einen eindeutigen Weg vor, der zudem durch eine abgedunkelte Lichtgestaltung nicht gerade transparenter wird.


Abb. 2: Wahlurne, 1930er Jahre, Vereinigung Rathaus Oberwinter und Archiv e.V.
(© Deutsches Historisches Museum / David von Becker)

Die Ausstellung legt in vier Abteilungen den Fokus auf die Entstehung und den Charakter demokratischer Prozesse in der Weimarer Republik. Sie argumentiert nur begrenzt chronologisch und denkt daher erfreulicherweise weder vom Ende der Weimarer Republik und fokussiert damit auf das Scheitern, noch überbetont sie die demokratischen Errungenschaften und deren spätere Bedeutung, etwa für die Verfassungen der Bundesrepublik oder der DDR. Leider führt der Ansatz, demokratische Prozesse und deren Bedingungen in den Mittelpunkt zu stellen, zur völligen Ausblendung des Endes der Republik. Dabei hätte man es durchaus als Folge demokratischer Entscheidungen und institutioneller Konstellationen erzählen können. Hier wurde die nächste große Chance vertan.

Der makroperspektivischen Anlage folgend verzichtet die Ausstellung auch in der Mikroperspektive auf eine zeitliche Gliederung, etwa eine gängige Einteilung in Phasen. Stattdessen ist sie in vier große Kernbereiche „Kontroversen“, „Kompromisse“, „Freiheit“ und „Visionen“ unterteilt. Während in den ersten beiden Sektionen vor allem politische Prozesse und deren Strukturen (Wahlen, Parteien, Mehrheiten, legislative Debatten und Kompromisse) erläutert werden, stehen die beiden letzten Bereiche für realhistorische Folgen und exemplarische Ausprägungen demokratischer Haltungen in Kultur und Gesellschaft (Pressefreiheit, Sexualität, Gleichberechtigung, Bildung, Bauen usw.), die jeweils in einem eigenen kleinen Teilkapitel vorgestellt werden. Jedem Abschnitt wird eine Tafel mit einer beispielhaften Biografie vorangestellt, etwa des Publizisten Carl von Ossietzky (1889–1938) oder des Wegbereiters der Arbeitslosenversicherung, Heinrich Brauns (1868–1939). Die längeren erklärenden Ausstellungstafeln sind zusätzlich in einfacher Sprache formuliert und dann noch einmal thesenhaft zusammengefasst. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Texte in Blindenschrift, sodass die Ausstellung auf vielen Ebenen und für ein breites, diverses Publikum erschließbar ist.

Natürlich kann die Ausstellung nicht auf die Revolution 1918/19 und deren Hintergründe verzichten, auf die sich anschließenden Wahlen zur Nationalversammlung und die mit der umstrittenen Frage der zukünftigen Regierungsform verbundenen politischen und gewaltsamen Auseinandersetzungen auf der Straße. Wahlplakate contra Waffen – so könnte man die Auseinandersetzung auch in den Exponaten auf den Punkt bringen. Die Ausstellung beschreibt zudem die Schwierigkeiten der ersten deutschen Demokratie mit Blick auf die Aktivitäten der alten, monarchistischen Eliten und deren konservativ-nationalen Einstellungen – das Spektrum reicht von politischen Attentaten, wie dem Rathenau-Mord, bis zu skurrilen Konzessionen, etwa in der Flaggenfrage. Am Beispiel der Arbeitslosengesetze werden die Schwierigkeiten bei der Findung tragfähiger Kompromisse in der Weimarer Demokratie ebenso thematisiert wie deren Notwendigkeit, zumal angesichts der pressierenden Probleme in der Weltwirtschaftskrise.


Abb. 3: Plakate zum Volksentscheid zur entschädigungslosen Fürstenenteignung 1926
(Foto: Michael Grisko)

Die Ausstellung macht deutlich, dass Demokratie stets auch eine Frage der Haltung ist, der Mentalität und Einstellung. Und dass Pluralität ein fundamentaler demokratischer Wert ist. So zeigt das Beispiel des Volksentscheids zur entschädigungslosen Fürstenenteignung, wie eine Demokratie auch das politische Agieren ihrer ehemaligen und gegenwärtigen Feinde sowie kontroverse Positionen im Rahmen der verfassungsmäßigen Grundlagen aushalten muss. Diese große Spannbreite von Haltungen auch in der Frage der Gleichberechtigung der Frau durchzieht die Ausstellung mal implizit, mal explizit, und ist womöglich eine ihrer Stärken. Hätte man die vielfältigen Spannungen und, folgerichtig, auch die Frage nach dem Umgang mit den Grenzgängern und Grenzverletzern der Demokratie konsequenter gestellt, hätte sich zusammen mit der Frage nach den Grenzen von Demokratie wunderbar auch das Ende der Weimarer Republik thematisieren lassen. So bleibt eine Leerstelle.

Im zweiten Ausstellungsteil („Freiheit“ und „Visionen“) werden Presse- und Kunstfreiheit bzw. deren Anfeindung durch politische Gruppen in kurzen Stationen erläutert, u.a. anhand der Vorgänge um den Film Im Westen nichts Neues (1930). Daneben stehen die neuen sexuellen „Freiheiten“ (von der Verhütung, über die „Erfindung“ des dritten Geschlechts bis hin zur aufstrebenden Sexualwissenschaft), die Emanzipation der Frau und die Vergnügungskultur. Daran schließen sich schulpolitische „Visionen“ als Teil von Demokratiepolitik, das neue Bauen als Ausdruck demokratischer Architektur und das Radio als scheinbar der Demokratie besonders gemäßes Massenmedium an. Mit den Visionen von einem Rundfunk mit Rückkanal endet schließlich die Ausstellung abrupt, ohne noch einmal Hans Kelsens Idee der Demokratie zu bemühen.


Abb. 4: Die Neue Frau in zeitgenössischen Massenmedien
(Foto: Michael Grisko)

Was in der Dauerausstellung im historischen Bau gegenüber der Konzentration auf politisch-institutionelle Prozesse nahezu vergessen bzw. in drei bis vier Vitrinen als verschämte Beigabe in einem Seitengelass abgehandelt wird, nämlich kulturelle und massenmediale Phänomene als Ausdruck der Zeit zu begreifen, wird hier zugegebenermaßen mit schönen, exemplarischen und bisweilen skurrilen, aber in der geringen Zahl doch sehr beliebigen Exponaten hervorgehoben. Warum diese Phänomene mehr als nur Phänomene der Zeit, eben ein Ausdruck von Demokratie oder Resultat pluralistischer Prozesse sind, scheint zwar zunächst unhinterfragt augenfällig, bedarf aber diskursiver Unterlegung. Sind sie als bloße Folgen demokratischer Freiheiten zu begreifen? Oder benötigen beide sich wechselseitig?

Warum man es nicht geschafft hat, alle drei Ausstellungen in Ausstellungsdesign und -konzeption zu verbinden und miteinander kommunizieren zu lassen, um so einen Mehrwert zu schaffen, bleibt eine unbeantwortete Frage. Mehr Demokratie, mehr Verbindungen und mehr Fragen wagen, mehr konstruktives Mitdenken herausfordern und den Begriff Demokratie über die Epochengrenzen hinwegdenken – das stünde auch dem DHM gut zu Gesicht. Das Jubiläum der Republikgründung wäre ein geeigneter Anlass gewesen. Man darf also auf die Eröffnung des Hauses der Weimarer Republik in Weimar Mitte des Jahres gespannt sein. In Berlin wurden einerseits die Chancen aufgezeigt und andererseits vertan. Einzeln bleiben die drei Ausstellungen deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Anmerkung:
1 Vgl. die Ausstellungsrezension von Michael Grisko, in: H-Soz-Kult, 16.02.2019, https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-334 (31.05.2019).

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