Wo ist Afrika?

Veranstalter
Linden-Museum Stuttgart - Staatliches Museum für Völkerkunde
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.03.2019 -
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julien Bobineau, Würzburg

Die Ausstellung „Wo ist Afrika?“ ist als Teil der völkerkundlichen Dauerausstellung des Stuttgarter Linden-Museums im März 2019 eröffnet worden und gibt einen Einblick in der Afrika-Sammlung der staatlichen Institution. In vier Sektionen stellt das Linden-Museum eine ausgewählte Anzahl der insgesamt über 40.000 Objekte afrikanischer Herkunft aus, die sich heute in Besitz des Museums befinden.


Abb. 1: Wo ist Afrika? Key Visual
(Copyright: Linden-Museum Stuttgart, Gestaltung: Anja Emd)

Gleich zu Beginn des Rundganges stehen Fragen nach Kolonialismus, Sklaverei, Objektprovenienz, musealer Beschaffungspraxis und historischen Kontinuitäten im Fokus der Ausstellung, die am konkreten Beispiel von Einzelobjekten wie einer eisernen Fußfessel aufgeworfen werden. In Sektion 2 widmet sich die Präsentation neben Masken aus Mozambique, Skulpturen der modernen Makonde-Kunst, Wickelstoffen und Kunstobjekten aus Tansania sowie Musikinstrumenten insbesondere den Insignien der Königreiche der Luba und der Kuba aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Sektion 3 zeigt einerseits Reliefplatten aus dem Königreich Benin in Nigeria. Andererseits bilden Masken aus Kamerun und Nigeria das übergeordnete Thema ‚Tanz‘, das durch eine Video-Installation zusätzlich aufgegriffen wird. Ein zeitgenössisches Motorrad-Taxi aus Kamerun wird der ‚Traditionalität‘ gegenübergestellt. Darüber hinaus dienen Kopien von Masken und kleineren Musikinstrumenten in der dritten Sektion als interaktives und greifbares Anschauungsmaterial. In Sektion 4 werden verbindende Objekte wie bspw. das Mancala-Spiel gezeigt, das mittlerweile global Verbreitung findet. Diese Darstellung wird begleitet von der Video-Projektion unter dem Titel „Europa fängt in Lampedusa an“, Masken und Figuren sowie der Installation eines Marktstandes mit touristischen Handwerkserzeugnissen.


Abb. 2: Blick in die Ausstellung I
(Copyright: Linden-Museum Stuttgart, Foto: Dominik Drasdo)

Abschließend steht die Frage „Was sammeln wir in Zukunft?“ im Mittelpunkt der Ausstellung, deren Beantwortung offengelassen wird.


Abb. 3: Blick in die Ausstellung II
(Copyright: Linden-Museum Stuttgart, Foto: Dominik Drasdo)

Die Schaffung von offenen Fragen ist der selbstgewählte Anspruch des Linden-Museums: Laut Ankündigungstext fordert die neue Afrika-Ausstellung die BesucherInnen auf, „die Kontexte und Narrative der Afrika-Sammlungen des Linden-Museums neu kennenzulernen und gemeinsam mit uns [dem Museum] kritisch zu befragen“. Weiter heißt es, dass die Ausstellung die Genese und das Klassifizierungssystem der Stuttgarter Afrika-Sammlung aufzeigen möchte, um dabei einen „Deutungsraum der kulturellen Kreativität“ zu schaffen. Der „prozessorientierte Ansatz“ des Linden-Museums würde durch seine multiperspektivische Ausrichtung innerhalb dieses Deutungsraumes die „alleinige Deutungshoheit des Museums“ in Frage stellen und den musealen Raum demokratisch für gesellschaftliche Debatten öffnen. Dies ist den KuratorInnen insbesondere innerhalb der ersten Sektion außerordentlich gut gelungen: Der Eurozentrismus erscheint grundlegend in Frage gestellt, wenn es heißt, dass vielfach über Afrika gesprochen wurde, den AfrikanerInnen folglich die Stimmhaftigkeit fehlt und diese „koloniale Matrix“ bis heute „wirkmächtige Ungleichheiten“ schafft. Durch die Präsentation ausgewählter Gegenstände mitsamt Objekt- und Personenbiographie lenkt die Ausstellung die Aufmerksamkeit der BesucherInnen bewusst auf das koloniale Unrecht und den diskutablen Status der Objekte. Gleichzeitig lesen MuseumsbesucherInnen den Hinweis, dass ein Großteil der Sammlung des Linden-Museums während der deutschen Kolonialzeit (1884-1919) beschafft wurde, ohne jedoch näher auf mögliche rechtswidrige Aneignungspraktiken einzugehen. Die vielfältigen Begleitveranstaltungen wie die regelmäßig stattfindenden Dialogführungen mit der Kuratorin oder eine Podiumsdiskussion zur Restitution erhöhen den Wert der neuen Ausstellung merklich. Darüber hinaus wirkt auch die Beteiligung afrikanischer Stakeholder äußerst positiv: Afrikanische Stimmen kommen in Zeitzeugeninterviews zu Wort. Zudem wurde das Advisory Board for the Representation of African Collections (ABRAC) im Vorfeld der Ausstellungskonzeption konsultiert, auch wenn nicht ersichtlich ist, wie groß dessen Einfluss auf wesentliche Entscheidungen des Linden-Museums war.


Abb. 4: Blick in die Ausstellung III
(Copyright: Linden-Museum Stuttgart, Foto: Dominik Drasdo)

Zu kritisieren gilt hingegen, dass das übergreifende Narrativ der Ausstellung nicht konstant erkennbar bleibt: Am Ende der Ausstellung wirkt es so, als sei der ‚rote Faden‘ verlorengegangen. Der Kolonialismus und seine Auswirkungen werden zu Beginn der Ausstellung erwähnt. In der Folge geht die weitere Objektpräsentation allerdings nur stark vereinzelt auf die Provenienz der einzelnen Objekte ein. Die Ausstellung greift in diesem Kontext zwar aktuelle Ansätze der Restitutionsdebatte oberflächlich auf1, lässt einen Tiefgang jedoch vermissen. Oftmals bleiben Fragen zur Beschaffungspraxis offen, wenn die Objektklassifizierung die Art und Weise der möglicherweise rechtswidrigen (z.B. durch Raub, Betrug oder Enteignung) oder rechtmäßigen (z.B. durch käuflichen Erwerb oder Schenkungen) Akquisition ungeklärt lässt. Dabei verpflichtet sich das Völkerkundemuseum als Mitglied des International Council of Museums (ICOM) zur Einhaltung der ICOM-Ethik-Richtlinien hinsichtlich der Ausstellung von Objekten ohne Herkunftsnachweis: Demnach sollten es Museen „vermeiden, Gegenstände fragwürdigen Ursprungs oder solche ohne Herkunftsnachweis auszustellen oder auf andere Weise zu nutzen“.2 In der Kritik schließt hier die durchaus problematische Präsentation von Grabsteinen und Schutzfiguren an, die nachweislich während der Kolonialzeit ‚erworben‘ wurden, wodurch die ‚Akquisition‘ zwangsläufig Grabstätten entweiht haben muss.


Abb. 5: Ritualfigur (Nkisi) - "Jäger" (Nkondi), Eingang ins Museum: 1904–2016, Herkunft: Angola, akquiriert von: Visser (Sotheby's, New York)
(Copyright: Linden-Museum Stuttgart)

Die große Diskrepanz zwischen den kritischen Textstelen am Beginn und der folgenden, weniger reflektierten Objektpräsentation führt über das Linden-Museum gleichermaßen zu einer grundsätzlichen epistemologischen Frage hinsichtlich der musealen Praxis im 21. Jahrhundert. Denn es bleibt weiterhin zu diskutieren, ob ethnographische Museen, die sich aus eurozentrischer Perspektive mit den ‚fremden‘ Kulturen der ehemaligen Kolonien beschäftigen, nicht gänzlich ausgedient haben – vor allem dann, wenn die Objektherkunft nach heutigen rechtlichen sowie ethischen Standards nicht zweifelsfrei belegt werden kann und MeinungsführerInnen aus Afrika und/oder der Diaspora in nicht ausreichendem Maße an der Ausstellungskonzeption beteiligt worden sind. Dabei lässt sich nachvollziehbar argumentieren, dass eine kulturelle ‚Exotik‘ in den Museen des Globalen Nordens im Zuge von Kolonialvergangenheit und fortschreitender Globalisierung, die zu einem dynamischen Prozess weitverzweigter kultureller Vernetzungen und Hybridisierungen geführt haben, deutlich fehl am Platze erscheint. Der ‚exotische‘ Blick von außen auf ‚fremde‘ Kulturen ist vor dem Hintergrund der kolonialrassistischen Fachgeschichte der Völkerkunde als Vorgängerdisziplin von Ethnologie und Ethnographie heute einzig als Referenzpunkt einer Meta-Reflexion zu betrachten und gerade nicht als gängiges Narrativ der musealen Ausstellungspraxis. Diesbezüglich wäre im Linden-Museum eine kritischere Auseinandersetzung mit der Ethnologie und der Ethnographie als wissenschaftliche Disziplinen erfreulich gewesen. Dies geschieht innerhalb der Afrika-Ausstellung in angedeuteten, allerdings nicht weiterverfolgten Ansätzen. Hier würde sich der/die kritische BesucherIn einen stärkeren selbstreflexiven Blick auf die eigene Museumsgeschichte wünschen, wodurch die Ausstellung den selbstdefinierten Ansprüchen gerecht geworden wäre und die Objektpräsentation verstärkt zum ‚Museum-im-Museum‘ hätte avancieren können. Die Publikation eines Ausstellungskatalogs in deutscher und englischer Sprache würde überdies das Potential für eine Verschiebung der musealen Debatte in die afrikanischen Zielländer und eine Integration von AfrikanerInnen in sich tragen.

Wer die Ausstellung verlässt, steht im Übrigen auf dem Hegelplatz, der sich unmittelbar an die Hegelstraße anschließt. Beide Erinnerungsorte sind dem in Stuttgart geborenen Idealisten Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) gewidmet, der Afrika einst als das „Geschichtslose und Unaufgeschlossene“ bezeichnete. Zu den Aufgaben eines modernen kulturhistorischen Museums im 21. Jahrhundert zählt insbesondere, dieses fehlgeleitete Paradigma aus synchroner sowie diachroner Sicht zu widerlegen und fernab von jedweder ‚Exotik‘ eine selbstkritische, potentiell korrigierende Multiperspektivität herzustellen. Im Linden-Museum ist dies ansatzweise gelungen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Felwine Sarr / Bénédicte Savoy, Rapport sur la restitution du partimoine culturel africain. Vers une nouvelle étique relationelle, Paris 2018, http://restitutionreport2018.com/sarr_savoy_fr.pdf (22.08.2019).
2 ICOM, Ethische Richtlinien für Museen von ICOM, 2., überarbeitete Auflage der deutschen Version, Paris 2006, S. 19f.

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