Verschwörungstheorien - früher und heute

Verschwörungstheorien - früher und heute

Veranstalter
Stiftung Kloster Dalheim. LWL-Landesmuseum für Klosterkultur
Ort
Lichtenau-Dalheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.05.2019 - 13.03.2020

Publikation(en)

Cover
Grabowsky, Ingo; Stiftung Kloster Dalheim (Hrsg.): Verschwörungstheorien – früher und heute. . Münster 2019 : Ardey Verlag, ISBN 978-3-87023-442-3 304 S., zahlr. Abb. € 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Reich, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, Münster

Im Zeitalter der „Fake News“ tut es besonders not, zwischen Tatsachen und Meinungen zu unterscheiden. Die Historiker/innen sind sich dessen seit Jahrhunderten bewusst; sie entwickelten hilfswissenschaftliche Methoden zur Unterscheidung zwischen Echtheit und Fälschung – und damit auch zur Prüfung von Evidenz und Geltungsansprüchen. Diese Quellenkritik ist in den letzten Dekaden methodisch zwar weiterhin betrieben, doch in der Lehre und der Bildungsarbeit vernachlässigt worden. Umso begrüßenswerter ist das Ziel der aktuellen Ausstellung im historischen Ambiente des Klosters Dalheim bei Paderborn, Verschwörungstheorien einem Faktencheck zu unterziehen und sie dadurch zu entlarven, aber auch die zugrundeliegenden Mechanismen genauer zu verstehen. Dabei reicht das zeitliche Spektrum vom Hochmittelalter bis zur Gegenwart. Anhand der Exponate werden zunächst die Art und das Ausmaß der Verschwörungen in ihrer jeweiligen Epoche dargestellt und die Quellen im Original dargeboten. Das räumliche Spektrum der Fälle erstreckt sich über das ganze mittelalterliche Europa (inklusive Russlands), mit namhaften internationalen Archiven und Bibliotheken als Leihgebern.

Am Anfang jeder thematischen Einheit wird auf einer Texttafel die angebliche oder tatsächliche Verschwörung kurz dargestellt, womit die historische Einordnung und die Motive der handelnden Personen auf den Punkt gebracht werden. So waren die Templer dem Vorwurf ausgesetzt, ketzerische Riten zu praktizieren. Die Liste der Anklagepunkte aus den Jahren 1308–1310 ist im Wortsinne lang; die Befragungen im Ketzerprozess fanden nach stereotypen Formulierungen statt. Im Hintergrund standen letztlich finanzielle und machtpolitische Interessen des französischen Königs Philipp IV. Die Ausstellungsmacher sind hier wie in der gesamten Schau bemüht, nicht nur „Flachware“ zu präsentieren, sondern auch Objekte wie Gebäudemodelle oder Gewänder.


Abb. 1: Ausstellungsteil zum Mittelalter im historischen Ambiente des Klosters Dalheim mit hell ausgeleuchteten Vitrinen und gut lesbaren Objektbeschreibungen. In Dalheim, am Ort eines früheren Frauenklosters, entstand im 15. Jahrhundert ein Augustiner-Chorherrenstift, das in der Barockzeit zu einer umfangreichen Klosteranlage ausgebaut wurde.
(Foto: LWL/Ansgar Hoffmann, http://www.hoffmannfoto.de)_

Mittelalterliche und neuzeitliche Verschwörungstheorien reihen sich in der Ausstellung wie an einer Perlenschnur aneinander. Juden wurden im frühen 14. Jahrhundert zu Sündenböcken in Krisenzeiten, indem ihnen vorgeworfen wurde, mit dem Teufel im Bunde zu stehen und die Christen vernichten zu wollen. Urkundliche und bildliche Exponate zeigen die Vorwürfe der Brunnenvergiftung, der Ritualmorde und des Christusmordes („Hostienschändung“). Die Begleittexte erhellen die historischen Motive und Herleitungen der Vorwürfe. Sie entlarven zudem die Profiteure von Übergriffen und Enteignungen. Ebenfalls als Verschwörungstheorien werden der angebliche Teufelspakt und der Schadenzauber von Hexen im 16. und 17. Jahrhundert eingeordnet. Weitere Themenfelder bilden die „Papisten-Verschwörung“ in England, dann die behaupteten Verschwörungen Geheimer Gesellschaften – allen voran der Freimaurer und des Illuminatenordens, womit das ausgehende 18. Jahrhundert erreicht ist. Auffallend ist die weitgehende Ausklammerung des 19. Jahrhunderts. Hier hätte man zumindest die Berücksichtigung des Hochverratsfalles Dreyfus erwarten dürfen, den wahrscheinlich größten politischen Skandal im Europa des 19. Jahrhunderts, auch weil hier sozusagen ein früher Whistleblower in Erscheinung trat.


Abb. 2: In Veringenstadt (Schwäbische Alb) fand 1680 ein Hexenprozess statt: Anna Kramerin (1619–1680) war die Beschuldigte. Für die Folter-Torturen wurde eigens ein Hemd genäht, denn in der persönlichen Kleidung der Angeklagten könnten schützende Zaubermittel verborgen sein. Angeblich entstand das Folterhemd in sieben Tagen, hergestellt von sieben dreizehnjährigen Mädchen. Anna Kramerin wurde nach mehreren Folter-Durchgängen zunächst enthauptet und dann verbrannt (Kopie des Folterhemdes aus dem 17. Jahrhundert, Stadtmuseum Veringenstadt).
(Foto: LWL/Ansgar Hoffmann, http://www.hoffmannfoto.de)_


Abb. 3: Mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Teil der Ausstellung
(Foto: LWL/Ansgar Hoffmann, http://www.hoffmannfoto.de)_


Abb. 4: Ein Ausstellungskapitel widmet sich im großzügig gestalteten Giebelraum den Verschwörungstheorien von Diktaturen des 20. Jahrhunderts.
(Foto: LWL/Ansgar Hoffmann, http://www.hoffmannfoto.de)_

Im 20. Jahrhundert sollten Verschwörungstheorien die Ursachen des Ersten Weltkrieges erklären, danach auch die Gründe der deutschen Niederlage. Minutiös arbeiten die Ausstellungsmacher hier Vertuschungsversuche, Fälschungen und Schuldzuweisungen auf, bis hin zur Dolchstoßlegende. Mit letzterer wurde erneut der Antisemitismus befeuert, drastisch dargestellt in einer Karikatur von 1924, in deren Bildhintergrund zwei Juden auf Geldsäcken sitzen und als vermeintliche Drahtzieher auftreten. Überhaupt wird eingehend auf die völkische Bewegung und die Verschwörungstheorie der „Protokolle der Weisen von Zion“ mit all ihren Verbindungen bis nach Rußland und in die USA verwiesen. Dies mündete letztlich in die nationalsozialistische Theorie der „Jüdischen Weltverschwörung“.


Abb. 5: „Weltfreimaurerei, Weltrevolution, Weltrepublik. Eine Untersuchung über Ursprung und Endziele des Weltkrieges“. Der deutschnationale österreichische Politiker Friedrich Wichtl (1872–1921) machte die Freimaurerei in seiner Schmähschrift nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur für Revolutionen verantwortlich. Auch das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand (1863–1914) sei auf die geheime Gesellschaft zurückzuführen. Die Freimaurerlogen würden von Juden gelenkt; ihr Endziel sei die Errichtung einer „Weltrepublik“. Damit verbreitete der Autor die Theorie einer „jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung“. Die Schrift erschien seit 1919 in immer neuen Auflagen und Reprint-Ausgaben – auch während der NS-Zeit und lange danach, zuletzt noch 2013 (LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Stiftung Kloster Dalheim, Lichtenau).
(Foto: LWL/Ansgar Hoffmann, http://www.hoffmannfoto.de)_


Abb. 6: Ludwig F. Gengler, „Katholische Aktion im Angriff auf Deutschland. Die Lüge vom ‚rein religiösen‘ Werbefeldzug“ (1937). Neben den Juden und den Freimaurern beschuldigten die Nationalsozialisten auch die katholische Kirche der Verschwörung gegen Deutschland (LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Stiftung Kloster Dalheim, Lichtenau).
(Foto: LWL/Ansgar Hoffmann, http://www.hoffmannfoto.de)_

Eingebettet ist diese Thematik in den eigenen Ausstellungsteil „Kampf dem ‚Staatsfeind‘ – Verschwörungstheorien in Diktaturen des 20. Jahrhunderts“. Wie ein roter Faden ziehen sich die Methoden der Diffamierung und Propaganda durch die Jahrhunderte, doch erreichten sie unter den Nationalsozialisten einen infamen Höhepunkt. Der Einsatz von Staatspropaganda wird anschließend an zahlreichen Beispielen auch in der stalinistischen Sowjetunion deutlich gemacht. In Demokratien finden sich jedoch vergleichbare Phänomene: Während des Kalten Krieges waren die USA für Verschwörungstheorien empfänglich, unter dem Motto „Vertraue niemandem!“, womit in erster Linie Kommunisten gemeint waren. Als weitere Beispiele werden dubiose Deutungen der Ermordung John F. Kennedys 1963 und der Mondlandung 1969 vor Augen geführt. Aber auch im geteilten Deutschland grassierten zahlreiche Verschwörungstheorien, so etwa im Westen gegen die Kommunisten und den Ostblock als Ganzen. Dies schärfte das Feindbild und stabilisierte das eigene politische System weltanschaulich. So konnte umgekehrt die DDR die Berliner Mauer als „antifaschistischen Schutzwall“ feiern. Der jederzeit drohende Atomkrieg verschärfte die Empfänglichkeit für Verschwörungstheorien zusätzlich. Besonders schillernd erscheinen hier die Plakate gegen den „Ami-Käfer“, welche die Verbreitung von Kartoffelkäfern als angebliche Biowaffen darstellten.


Abb. 7: Der Themenbereich „Die Konfrontation politischer Systeme“ widmet sich der Zeit von 1947 bis 1989 – hier der Mondlandung, die nur eines von vielen Ereignissen der 1960er-Jahre war, die auch Verschwörungstheorien hervorbrachten.
(Foto: LWL/Ansgar Hoffmann, http://www.hoffmannfoto.de)_


Abb. 8: Broschüre „Halt Amikäfer. Dokumente zum Kartoffelkäferabwurf“, um 1950 (LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Stiftung Kloster Dalheim, Lichtenau). Die DDR erlebte 1950 eine Kartoffelkäferplage. Schnell fand die Regierung einen Schuldigen: Amerikanische Flugzeuge würden die Käfer abwerfen.
(Foto: LWL/Ansgar Hoffmann, http://www.hoffmannfoto.de)_

Bis heute erleben Verschwörungstheorien eine Blütezeit, zumal das Internet zur schrankenlosen Verbreitung beiträgt.1 Die Ausstellungsmacher meinen: „Ein Großteil der aktuellen Verschwörungstheorien richtet sich gegen Regierungen und Eliten. Diese werden verdächtigt, nicht im Sinne des Volkes zu handeln oder diesem sogar schaden zu wollen.“ Die thematische Bandbreite scheint geradezu unendlich zu sein: Angeblich gefälschte Geschichte, vermeintlicher Klimaschwindel, Impfgegner, der Tod von RAF-Häftlingen als „staatlicher Auftragsmord“, „9/11“, „Lügenpresse“, Reichsbürger, Zerstörung des Himmels durch Chemie-Verbrechen („Chemtrails“), Fluoridvergiftung der Bevölkerung, „Böse Barcodes“ und vieles mehr.


Abb. 9: Plakat „Reptilians are real“ (LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Stiftung Kloster Dalheim, Lichtenau). Dem britischen Publizisten David Icke zufolge sind mehrere US-Präsidenten, aber auch andere Vertreter von Politik, Medien und Wirtschaft in Wahrheit „Echsenmenschen“. Selbst die britische Königin gehöre dazu. Die Reptiloide seien „Gestaltwandler“ und könnten ein menschliches Äußeres annehmen.
(Foto: LWL/Ansgar Hoffmann, http://www.hoffmannfoto.de)_

Diese Reihe könnte man mühelos bis in die jüngste Zeit fortschreiben, was eine kontinuierliche Weiterführung der Ausstellung nötig machen würde. Hierhin passen würde etwa die Ankündigung Wladimir Putins vom 20. Januar 2020, die russischen Archive zum Zweiten Weltkrieg zu öffnen, begleitet von der lenkenden Absicht: „Wir werden jenen das Maul stopfen, die versuchen, die Geschichte umzuschreiben.“ Zudem könnte man durch Künstliche Intelligenz erzeugte „Deep Fakes“ ans Ende der Ausstellung setzen und so eine Fortschreibung der Verschwörungstheorien in die Zukunft projizieren.

Eine populäre Verarbeitung und Vermarktung erfahren all diese Themen durch eine unüberschaubare Literaturfülle, Filme und Spiele. Der Katalog vertieft und reflektiert im Wesentlichen die Ausstellungskapitel, gibt jedoch zusätzlich im Aufsatzteil noch theoretischen Input und bietet exemplarisch einige westfälische Lokalstudien (etwa zur Rezeption der Wewelsburg). Die Dalheimer Ausstellung berücksichtigt die weltweit bedeutendsten Verschwörungstheorien und ordnet sie in größere Abschnitte ein. Dadurch erhalten Besucher/innen einen gut strukturierten Überblick und können wichtige Strömungen zum Teil bis heute verfolgen. Der Beginn mit dem 13. Jahrhundert, also unter Ausblendung der Antike und des frühen Mittelalters, erscheint zwar willkürlich, doch dafür werden die gezeigten Phänomene mit originalem Archiv- und Bibliotheksgut belegt. Bekanntes, Kurioses und Überraschendes lassen sich so leicht zu einem Gesamtbild verbinden.

Anmerkung:
1 Siehe auch Manfred Dworschak, Weltmacht Paranoia, in: Spiegel, 7.9.2019, S. 98-105; Katrin Götz-Votteler / Simone Hespers, Alternative Wirklichkeiten? Wie Fake News und Verschwörungstheorien funktionieren und warum sie Aktualität haben, Bielefeld 2019; stärker historisch dagegen Helmut Reinalter (Hrsg.), Handbuch der Verschwörungstheorien, Leipzig 2018.