Dommuseum Frankfurt: Schätze aus dem Schutt

Dommuseum Frankfurt: Schätze aus dem Schutt

Veranstalter
Dommuseum Frankfurt am Main
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.08.2019 - 01.03.2020

Publikation(en)

Cover
Schmitt, Bettina; Verena Smit (Hrsg.): Schätze aus dem Schutt. 800 Jahre St. Leonhard. Regensburg 2019 : Schnell & Steiner, ISBN 978-3795434861 192 S. € 27,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Werz, Fachbereich Katholische Theologie, Goethe-Universität Frankfurt

St. Leonhard hat 800 Jahre nach der Gründung eine bewegte Geschichte hinter sich: Die älteste Kirche der Frankfurter Innenstadt wurde auf Wunsch der Frankfurter Bewohner nach einer Bürgerkirche kurz nach 1219 erbaut. Im Laufe der kommenden Jahrhunderte unterlag das Erscheinungsbild der Kirche aufgrund von Erweiterungen und Sanierungen bestimmten Raumtransformationen. Da St. Leonhard am Mainufer liegt und immer wieder durch Hochwasser geflutet wurde, wurde das Bodenniveau um das Jahr 1500 um 2,00 Meter und zu Beginn des 19. Jahrhunderts um weitere 0,90 Meter angehoben. Hierbei wurde keineswegs nur Erde verwendet, sondern es wurden auch religiöse Gegenstände und Kunstwerke, die aufgrund ihrer Sakralität nicht weggeworfen werden durften, im neuen Fundament der Kirche „bestattet“. Im Rahmen archäologischer Ausgrabung in den Jahren von 2009 bis 2014 wurde die Aufschüttung abgetragen und untersucht. Dabei kamen eben nicht nur bauliche Besonderheiten zum Vorschein, sondern auch Kunstwerke, Grabplatten und bestattete Leichen. Diese „Schätze aus dem Schutt“ werden in der Ausstellung im Frankfurter Haus am Dom präsentiert.

Der erste Teil der Ausstellung wird im Haus am Dom gezeigt, während der zweite Teil im ehemaligen Kreuzgang des Frankfurter Doms zu sehen ist. Im Haus am Dom wird der Besucher zunächst mit Hilfe eines alten Kupferstiches in das frühneuzeitliche Frankfurt mit seinen zahlreichen Kirchen geführt. Neben sakralen Gegenständen wie Rosenkränzen, Votivgaben und Glasscherben von Kirchenfenstern werden ebenso profane Gegenstände wie Haushaltskrüge, Bücherschnallen und Murmeln präsentiert und auf kleinen Tafeln erörtert. Dabei wird dem Besucher ein informativer Einblick in das (religiöse) Leben und vor allem in das Bestattungswesen im spätmittelalterlichen Frankfurt gegeben. In die Geschichte St. Leonhards eingebettet werden diese Funde zum einen durch die Schenkungsurkunde Kaiser Friedrichs II. ebenso wie durch einen kleinen Exkurs über die spätmittelalterliche Herstellung von Farben, welche für viele Gegenstände in der Kirche genutzt wurden.

Der Hauptausstellungsraum ist in zwei Ebenen gegliedert. Die erste Ebene zeigt an den Wänden abgetrennte Themenbereiche, wie zum Beispiel einen Blick durch die verschiedenen Schichten mit ihren Schätzen, Totenkränzen oder Primizkronen (Kat 27), Ankerketten (Kat 31), Votivgaben und vielem mehr. In der Raummitte ist der Fußboden von einer tiefergelegenen Ebene durchbrochen, die gleichsam das Herzstück der Ausstellung beherbergt: die gotische Beweinungsgruppe, die vermutlich in einer mittelrheinischen Werkstatt gefertigt wurde. Diese aus Ton gefertigte Plastik wurde gänzlich zerstört in der ersten Aufschüttungsmasse gefunden und wurde restauratorisch wieder komplett hergestellt.

Dadurch, dass die Skulpturengruppe eine Ebene tiefer liegt, wird dem Besucher der Eindruck eines Durchschreitens der Sedimente vermittelt. Interessant sind die vielen Kleinfunde der Ausstellung, die im Schutt unter der Kirche gefunden wurden. Diese umfassen ein großes archäologisches Spektrum von Münzen über Putzfragmente mit Bemalung bis hin zu diversen Votivgaben aus Metall. Die Informationstafeln zu den Funden sind gut und übersichtlich gestaltet. Neben den Rahmendaten zu den Funden befindet sich an der Seite ein Grundriss der Kirche, auf dem markiert wurde, wo man das jeweilige Stück gefunden hat. Vereinzelt sind auch Rekonstruktionen anschaulich dargestellt. Alle Exponate erzählen nicht nur eine Geschichte des religiösen Lebens im spätmittelalterlichen Frankfurt, sondern sie vermitteln dem Besucher zudem auch einen Einblick in den wechselnden „Geschmack der Dinge“ bzw. in den durch die Jahrhunderte hindurch sich ständig ändernden Zeitgeist. Dieser Aspekt der Ausstellung knüpft an die aktuellen regionalen Forschungsschwerpunkte an, da viele Ausgrabungen innerhalb von Kirchengebäuden oder um Kirchen herum stattfinden.1

Der zweite der Teil der Ausstellung widmet sich größeren Exponaten, die im Inneren des Kreuzgangs des Domes gezeigt werden. Auf den ersten Blick wirkt die Zusammenstellung der Exponate, die von der Dauerausstellung des Domschatzes umgeben ist, willkürlich. Erst bei genauem Hinsehen wird die Anordnung schlüssig: Der Besucher steht vor dem Unterbau eines Altars, in dem das Heilige Grab dargestellt wird. Im dahinter liegenden Bereich der Ausstellung befinden sich die Fragmente des dazugehörigen Altaraufsatzes. Ein herausragendes Exponat im Kreuzgang ist der lebensgroße und trotz seiner „Bestattung“ im aufgeschütteten Fundament von St. Leonhard gut erhaltene Atzmann (Kat. 04). Diese wohl aus dem 15. Jahrhundert stammende Pultträgerfigur aus Sandstein, in Gewändern eines Subdiakons gekleidet, verfügt über Farbreste die einen Einblick in die damalige Polychromie bietet.

Laut Bettina Schmitt, der Direktorin des Dommuseums, sei das Ziel der Ausstellung nicht nur Objekte und Ergebnisse vorzustellen, sondern auch den Prozess transparent zu machen, durch den sie zutage traten. Dies ist den Kuratoren durch und durch gelungen, da sie die Baugeschichte und die Funde mit den erfolgten archäologischen und restauratorischen Arbeit verknüpfen und den Besuchern informativ präsentierten.

Die Ausstellung folgt in der Gestaltung dem Trend, die Ausstellungsstücke durch Licht, Dunkelheit und Schatten in Szene zu setzen, was gerade im Hinblick auf die Hebung alter Schätze aus der Dunkelheit des Erdreichs besonders stimmig wirkt. Gelungen sind Gestaltung und Inhalt der Informationstafeln, die je einen Grundriss von St. Leonhard abbilden und dem Betrachter den Fundort des Gegenstands zeigen. Angesichts der vielen Kleinstfunde wäre an der ein oder anderen Stelle dennoch eine textliche Reduktion hilfreich gewesen. Der sehr begrenzte Platz im Haus am Dom machte die Zweiteilung der Ausstellung notwendig. Ob das Archäologische Museum Frankfurt oder gar die Kirche St. Leonhard nicht angemessenere und praktischere Ausstellungsorte gewesen wären, bleibt zu fragen.

Positiv hervorzuheben gilt es den begleitenden Katalog zur Ausstellung aus dem Verlag Schnell & Steiner in Regensburg: Aufsätze aus dem Bereich der Archäologie, Bauforschung, Denkmalpflege, Restaurierung, Kunstgeschichte und Geschichte geben nicht nur einen guten Überblick über die Exponate der Ausstellung, sondern ermöglichen auch einen Blick in die archäologischen und restauratorischen Arbeiten. Lesenswerte Texte zur Baugeschichte von St. Leonhard sowie zu den einzelnen Ausstellungsstücken werden durch aussagekräftige Bilder ergänzt. Der Katalog stellt eine wertvolle Zusammenfassung und Relecture der Ausstellung dar.

Die angebotenen Begleitprogramme zur Ausstellung machen die verborgenen Disziplinen wie Restauration und Denkmalpflege einem breiten bzw. größeren Publikum zugänglich. Noch bis zum 1. März 2020 kann die lohnende Ausstellung besucht und dauerhaft im Ausstellungskatalog eingesehen werden.

Anmerkung:
1 In der Mainzer St. Johannis Kirche wurde 2013 zufällig ein alter Fußboden bei Sanierungsarbeiten gefunden und jetzt finden weitere Ausgrabungen statt.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) Ausstellung
Deutsch
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension